1919: Der mächtigste Generalstreik unserer Geschichte
Politische Generalstreiks sind eine Seltenheit. Doch im Juli 1919 antwortete die österreichische Arbeiterbewegung mit einem solchen auf die akute Bedrohung der Sowjetischen und Ungarischen Räterepublik durch die Konterrevolution. Von Philipp Pöllinger
Die Kommunistische Internationale hatte die Arbeiterklasse aller Länder schon seit März zu Widerstand gegen Interventionsversuche und die Hungerblockade der Ententemächte aufgerufen. In Italien, Frankreich, England und in Deutschösterreich stießen diese Aufrufe auf ein riesiges Echo. Die KPÖ organisierte eine Kampagne für einen Generalstreik unter dem Slogan „Hände weg von Sowjet-Russland und Sowjet-Ungarn!“, welche in den Betrieben auf fruchtbaren Boden fiel und die Sozialdemokratie als größte Arbeiterpartei unter Zugzwang brachte.
So mussten die sozialdemokratischen Führer die Frage eines Generalstreiks auf die Agenda der Sitzung des Reichsvollzugsausschusses der Arbeiterräte (RVA) vom 11. Juli setzen. Die Arbeiterräte, die aus dem Jännerstreik 1918 hervorgegangen waren, wurden von den sozialdemokratischen Führern jedoch nicht als Kampforgane zur Übernahme der Macht durch die Arbeiterklasse gesehen, sondern als nützliches Werkzeug zur Legitimierung ihrer reformistischen Politik unter Berufung auf den „Willen der Mehrheit der Arbeiterklasse“. Anhand der Frage der internationalen Solidarität gelang es den Kommunisten erstmals, die Mehrheit der Arbeiterklasse hinter sich zu versammeln.
Die sozialdemokratische Autoritätsfigur Friedrich Adler stellte in der Sitzung ohne jeden Enthusiasmus fest, dass man sich den Kampfaktionen der Proletarier der Entente nun anschließen müsse. Er hoffte, mit seinem Vorschlag einer Kundgebung am 20. Juli (einem arbeitsfreien Sonntag!) einen Generalstreik verhindern zu können. Ein Streik an einem Arbeitstag würde laut Adler nur das Proletariat in Österreich selbst ökonomisch schwächen. Die „Frage der Schaffung von Werten“ sei in der aktuellen Situation „ebenso unmittelbar brennend wie die Abschaffung von Mehrwerten“.
Im Gegensatz zu Adler wollte die Basis aber kämpfen. Der Antistreikbeschluss des RVA sorgte in vielen Betrieben für Protest. Auch die KPÖ kampagnisierte weiter für einen Generalstreik. Der Druck der Basis wurde schließlich so groß, dass der Linzer Arbeiterrat in einer Kampfabstimmung einen Streikbeschluss für den 21. Juli fasste. Dann folgte auch der Wiener Kreisarbeiterrat.
Wien sah am 21. Juli einen lückenlosen Generalstreik, und auch in den großen Industriegebieten außerhalb Wiens wurde die Arbeit niedergelegt. Die Straßen Wiens verwandelten sich trotz strömenden Regens in ein Meer roter Fahnen, die Streikenden sangen die „Internationale“, Schulklassen und Kindergruppen gingen mit ihren Pädagogen geschlossen auf die Straße. In allen Bezirken wurden Versammlungen abgehalten, auf denen Jugendchöre und Theatergruppen ihre für den Tag geschaffenen Werke vortrugen. Mit diesem politischen Generalstreik zeigte die Arbeiterbewegung, dass internationale Solidarität eine Waffe ist: für die Bedrängten und für den eigenen Kampf.