In den letzten Wochen und Monaten konnten wir in den USA wichtige soziale Bewegungen und Klassenkämpfe sehen. Der Funke sprach mit John Peterson von der Workers International League (www.socialistappeal.org) über die Rolle des US-Imperialismus, die Proteste illegaler ImmigrantInnen, die Arbeitskämpfe in der Autoindustrie und die Antikriegsbewegung.
F.: Welche Rolle spielen ais Deiner Sicht die USA in der heutigen Welt?
JP.: Das Weiße Haus sieht sich seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion als „Weltpolizist“. Aufgerüstet bis zu den Zähnen sollte er – gegen alle „Schurkenstaaten“ – eine „Neue Weltordnung“ durchsetzen können. Mit der Besetzung des Iraks wurden aber die Grenzen dieser Strategie offensichtlich. Von Frieden, Freiheit, Demokratie und Wohlstand kann im Irak keine Rede sein. Das Land steht vielmehr an der Kippe zum Bürgerkrieg und vor dem Zerfall entlang nationaler und religiöser Grenzen. Hand in Hand mit den Problemen im Irak verschärfte sich die diplomatische Krise mit dem Iran. Teheran sieht die historische Chance im Irak die Fäden zu ziehen, wenn die schiitische Bevölkerungsmehrheit dort das Sagen hat. Dazu kommt, dass das Regime im Iran auch als Antwort auf die Krisensymptome im eigenen Land auf eine aggressivere Politik gegenüber Washington setzt.
Der US-Imperialismus hat seit dem 11. September 2001 für einen Flächenbrand an internationalen Konflikten gesorgt. Der „Krieg gegen den Terror“ hat die ganze Welt mit Instabilität überzogen. Die USA verfügen längst nicht mehr über die Ressourcen diese Kräfte, die sie freiließen, wieder zu bändigen. Mit dem Gerede von einem „atomaren Erstschlag“ und dem Aufbau eines „Raketenabwehrsystems in Europa“ gegen die angebliche Bedrohung durch den Iran gießt die US-Führung nur noch mehr Öl ins Feuer.
Die USA sind zwar das reichste Land der Erde, aber auch in den USA sind die Anzeichen der kapitalistischen Krise allgegenwärtig. Die Verschuldung hat ein unvorstellbares Ausmaß erreicht. In wichtigen Sektoren haben wir eine Überproduktionskrise. Der hohe Erdölpreis belastet die US-Ökonomie weiter. Unter diesem Druck versteht sich auch der Zwang nach einer aggressiven Außenpolitik.
F.: Der Krieg gegen den Irak mobilisierte weltweit Millionen Menschen. Wie steht es heute um die Antikriegsbewegung in den USA?
JP.: Bemerkenswert war der Massencharakter der Proteste gegen den Irakkrieg noch bevor die erste Rakete abgefeuert wurde. Selbst am Höhepunkt der Mobilisierung gegen den Vietnamkrieg waren nicht so viele Menschen auf die Straße gegangen. Für viele AktivistInnen war es das erste Mal, dass sie sich in das politische Geschehen einmischten. Rund um die Bewegung gegen den Irakkrieg wurde eine neue Generation politisiert, die in den kommenden Jahren ein Rückgrat der Bewegungen gegen die kapitalistische Barbarei bilden werden, die auch im reichsten Land der Welt, den USA, allgegenwärtig ist.
Die meisten TeilnehmerInnen an den Antikriegsdemos waren Lohnabhängige, der Großteil aber nicht gewerkschaftlich organisiert und auch nicht in den diversen Antikriegsorganisationen direkt involviert. Trotzdem fand diese Bewegung in den Gewerkschaften mit der Gründung von „US Labor Against the War“ einen Ausdruck. Die Gewerkschaften haben längst den Krieg im Irak mit den ständigen Angriffen auf die Lohnabhängigen im eigenen Land in Verbindung gestellt.
Mit Kriegsbeginn und dem relativ schnellen „Sieg“, die Bush den Sturz von Saddam Hussein feierte, war der Bewegung der Boden entzogen worden. Nicht wenige hatten Angst mit weiteren Demos den „eigenen Jungs“ in den Rücken zu fallen. Dazu kam, dass das Gefühl der politischen Ohnmacht, weil selbst diese Massenproteste Bush & Co. nicht abhalten konnte, den Krieg zu beginnen. Die Tatsache aber, dass die US-Truppen nicht imstande sind Stabilität herzustellen und der Widerstand gegen die Besatzer immer stärker wird (und dementsprechend vielen US-Soldaten das Leben kostet), bekommt die Antikriegsbewegung wieder neuen Auftrieb.
60% der US-AmerikanerInnen wünschen heute einen raschen Rückzug aus dem Irak. Die verheerenden Folgen des Hurrikan Katrina im letzten Jahr haben den Menschen vor Augen geführt, dass Krieg, Besatzung und Rüstung sowie die „Innere Sicherheit“ Unsummen verschlingen, bei den Ausgaben für Soziales, Bildung, Gesundheit und Infrastruktur aber überall der Rotstift angesetzt wird. Die Truppen im Irak haben nur noch eine extrem geringe Kampfmoral. Sie haben verstanden, dass sie keine Befreier sind sondern für die Profite einer Handvoll von US-Konzernen den Schädel hinhalten sollen. All das führt dazu, dass die Unterstützung für Bush im Keller ist. Hier braut sich ein sehr explosives Gemisch zusammen. Antikriegsdemos mit mehreren Hunderttausend Menschen, wie wir sie Ende April hatten, sind erst der Anfang. Andererseits müssen wir sehen, dass Teile der Bewegung die Meinung vertreten, größere Mobilisierungen machen keinen Sinn, weil man 2003 damit auch nicht den Krieg stoppen konnte. Sie setzen ihre Hoffnungen in die Demokratische Partei, die als zweite große Partei der bürgerlichen Klasse in Wirklichkeit aber dieselben Interessen vertritt wie die Republikaner von Bush. Für die Antikriegsbewegung wie auch für die Gewerkschaften gilt, dass sie einen von den DemokratInnen unabhängigen Standpunkt beziehen müssen, der letztlich nur ein antikapitalistischer, das ganze System in Frage stellender sein kann.
F.: Die wohl bemerkenswerteste Bewegung der letzten Zeit war jene der illegalen ImmigrantInnen.
JP.: Am 1. Mai, der in den USA ja kein Feiertag ist, erreichte die Protestbewegung gegen die Verschärfung der Einwanderungsgesetze einen neuen Höhepunkt. Wie vor mehr als 100 Jahren setzten die ArbeitsmigrantInnen unter dem Motto „Ein Tag ohne ImmigrantInnen“ in vielen Sektoren einen arbeitsfreien Tag durch. Einer der wichtigsten Slogans der Bewegung lautet „Wir sind die amerikanische Arbeiterklasse“. Die Bewegung wird vor allem von den Einwanderern aus Lateinamerika getragen.
Die Massenprotestbewegung hat sich seit März aufgebaut und hat in der Geschichte an Größe und Ausbreitung nichts Vergleichbares. Die Menschen demonstrierten und streikten ungeachtet der Drohungen der Regierung und trotz der offenen Einschüchterung durch eine Welle von Fabrikrazzien, durch drohende Verhaftungen und Abschiebungen und durch Gewaltakte rechtsextremer Elemente.
Als MarxistInnen haben wir uns dafür ausgesprochen, dass an diesem 1. Mai die ArbeitsmigrantInnen ihren Kampf um Gleichberechtigung mit weiteren sozialen Forderungen nach einem Lohn, von dem man auch leben kann, oder nach einer flächendeckenden Gesundheitsversorgung für alle ArbeiterInnen verknüpfen. Die wichtigsten Kampfformen der Bewegung sind Arbeitsniederlegungen, Massenstreik und Demos. Auf der Grundlage eines derartigen Aktionsprogramms könnte die Einheit der ArbeiterInnenklasse in den USA unabhängig von ihrer nationalen Herkunft hergestellt werden. Die ImmigrantInnenbewegung könnte den Anstoß liefern für eine breite soziale Protestbewegung gegen die Bush-Administration und gegen das kapitalistische System als Ganzes.
F.: Wie steht es derzeit um die US-amerikanische ArbeiterInnenbewegung? Gibt es nennenswerte Klassenkämpfe?
JP: In der letzten Zeit gab es einige bedeutende Streiks. Unter dem Druck der eigenen Basis organisierte die New Yorker Transit Workers Union (Local 100) im Dezember 2005 einen Streik und legte mit 33.000 ArbeiterInnen damit das größte Verkehrssystem der USA zum Erliegen. Dabei ging es um Lohn- und andere soziale Forderungen. Den derzeit wichtigsten Arbeitskampf sehen wir aber in der Autoindustrie, die in den USA von großer Bedeutung ist. Die größten Autoproduzenten, vor allem General Motors, setzen angesichts nachhaltiger Krisensymptome auf Fabrikschließungen, Kürzungen und Personalabbau. Zehntausende Jobs sind in Gefahr, vor allem dort, wo die Gewerkschaft stark ist. Um die Billiglohnkonkurrenz in Schach zu halten, greifen GM, Ford und Chrysler die Interessen der ArbeiterInnen frontal an. Die katastrophalen sozialen Folgen dieser Unternehmerpolitik zeigte Michael Moore sehr eindrücklich in seinem Film „Roger & Me“.
Die Gewerkschaftsspitze hat lange Zeit sozialpartnerschaftlich agiert und im Sinne der Standortlogik Sozialabbau und Kürzungen akzeptiert. Es galt Opfer zu bringen für die „Wirtschaft“, d.h. für den Profit. Ausgehend vom Abwehrkampf bei Delphi, einem wichtigen Zulieferbetrieb für GM, entstand mit den Soldiers of Solidarity (SoS) eine neue Alternative in der Gewerkschaftsbewegung. Es handelt sich um eine Basisbewegung in der Gewerkschaft der Automobilarbeiter (UAW). Ihr Motto: „Keine Zugeständnisse!“ Die Gewerkschaften müssen mit der Sozialpartnerschaft brechen und wieder zu Kampforganisationen werden.
F.: Welche Forderungen bringt Ihr in diesen Kampf ein?
JP.: Wir lehnen jedes Zugeständnis an das Kapital ab. Außerdem warnen wir vor Mitarbeiterbeteiligungen, weil sie in Wirklichkeit nur dazu dienen, dass die ArbeiterInnen zum Wohle der Profitinteressen weitere Zugeständnisse machen (man siehe nur die Beispiele bei den Fluglinien). Im Gegenzug fordern wir die Verstaatlichung der Autoindustrie unter Arbeiterkontrolle. Die Autokonzerne setzen bereits heute in einem großen Maß auf Planung. Daran gilt es anzuknüpfen, um diesen wichtigen Sektor der Ökonomie im Interesse der Gesamtgesellschaft führen zu können. Als Grundvoraussetzung, dass dieser Kampf erfolgreich sein kann, müssen alle ArbeiterInnen zu Soldiers of Solidarity werden.
F.: Jüngst fand in Las Vegas der Gründungskongress eines neuen Gewerkschaftsdachverbandes statt. Welche Perspektive hat die „Change to Win Coalition“, die sich vom AFL-CIO abgespalten hat?
JP.: Die Gründung der „Change to Win Coalition“ ist Ausdruck für die Krise der US-Gewerkschaften, die seit Jahren in der Defensive sind. Die Gründer der neuen Gewerkschaft wollen wieder verstärkt auf Organisierungskampagnen setzen. In Wirklichkeit sind sie aber allesamt aus demselben Holz geschnitzt wie die Führer des AFL-CIO. Wir haben es in beiden Fällen mit einer Gewerkschaftsbürokratie zu tun, die in sozialpartnerschaftlichen Denkmustern gefangen ist und die keine politische Perspektive abseits des gegenwärtigen Zweiparteinsystems hat. Was es braucht ist eine Basisbewegung in beiden Verbänden für demokratische und klassenkämpferische Gewerkschaften.
F.: Die US-amerikanischen MarxistInnen spielen eine wichtige Rolle im Aufbau einer starken Solidaritätsbewegung mit den revolutionären Bewegungen in Lateinamerika.
JP.: Die USA sahen Lateinamerika jahrzehntelang als ihren „Hinterhof“. Die US-amerikanische ArbeiterInnenbewegung hat die verdammte Pflicht alles in ihrer Macht Stehende zu unternehmen, um den eigenen Imperialismus zu stoppen. Wenn es uns gelingt in den USA eine starke klassenkämpferische Bewegung aufzubauen, dann ist das der beste Beitrag den wir zur Unterstützung unserer GenossInnen in Venezuela, Bolivien oder Mexiko leisten können. Uns ist bewusst, dass wir gegenwärtig sehr viel von den Bewegungen dieser Länder lernen können. Aus diesem Grund haben wir erst jüngst auch eine wichtige Veranstaltungsreihe mit Luis Primo, einem der Führer des venezolanischen Gewerkschaftsverbandes UNT, organisiert. Das Verständnis von Gewerkschaftsdemokratie und die kämpferische Praxis der UNT ist ein großes Vorbild für uns.
F.: Worin siehst Du die künftige Rolle der US-amerikanischen MarxistInnen?
JP.: Wo immer George W. Bush hinreist, provoziert er Massenproteste. Bush ist ein besonderes Exemplar für Ignoranz und gleichzeitiger Arroganz. Doch das Problem heißt nicht Bush. Wenn nicht er der Präsident des mächtigsten Staates der Welt wäre, dann würde ein anderer Vertreter der kapitalistischen Klasse seinen Platz einnehmen. Die Politik des Weißen Hauses würde sich kaum von der George Bushs unterscheiden. In der Antikriegsbewegung, der ImmigrantInnenbewegung oder in den Gewerkschaften sind wir immer wieder mit der Meinung konfrontiert, wir müssten das „kleinere Übel“ auswählen, d.h. die Demokratische Partei unterstützen. Unser Standpunkt ist aber, dass wir ein für allemal mit den beiden Parteien des Big Business brechen müssen und eine Arbeitermassenpartei mit einem sozialistischen Programm aufbauen müssen. Die Workers International League, die Sektion der Internationalen Marxistischen Tendenz in den USA, sieht im Aufbau einer solchen Partei ihre zentrale Aufgabe.
Lesetipp:
Alan Woods, We’re not family – die verborgene Geschichte der USA
erschienen in der Reihe „Aufstand der Vernunft“, Band 1
Preis: 7 Euro
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