Am 20. November führten wir ein Interview mit dem Betriebsvorsitzenden der Lenzing AG zu den Hintergründen der drohenden Entlassung von 700 KollegInnen und der Perspektive gewerkschaftlichen Widerstands gegen diese Profitgier.
Funke: Darf ich Dich bitten, am Anfang etwas zu Deiner Person und zu Deinem Werdegang im Betrieb zu erzählen?
Baldinger: Ich bin seit 1. September 1970 in der Lenzing AG, also mehr als 43 Jahre. Ich habe Betriebsschlosser gelernt und habe schon in der Lehre im Jugendvertrauensrat angefangen. Seit 1976 bin ich aktiver Betriebsrat, seit 1987 freigestellter Betriebsrat, seit 1998 Vorsitzender vom Arbeiterbetriebsrat und seit 2000 Vorsitzender vom Betriebsausschuss bzw. Konzernbetriebsratschef.
Funke: Kannst Du einen kurzen Abriss über die Entwicklung des Betriebes in den letzten Jahren geben?
Baldinger: Seit dem Jahr 2000 hat sich die wirtschaftliche Situation sehr positiv entwickelt. Wir haben im Grunde genommen jedes Jahr Rekorde verbucht, wobei der Höhepunkt das Jahr 2011 war, mit einem EBIT von fast 500 Millionen Euro.
Funke: Welche Gründe gibt nun der Vorstand für seine rigorose Sparpolitik an?
Baldinger: Den Preisverfall bei den Fasern. 2011 hatten wir ein Rekordjahr und 2012 noch immer das zweitbeste Jahr in der Konzerngeschichte. Die ganze Branche hatte Rekordgewinne geschrieben. Doch nun hat es in den letzten 2 – 3 Jahren massive Investitionen der Konkurrenten vor allem in China gegeben. Dadurch soll es jetzt zu Überkapazitäten gekommen sein. Nun haben wir schon seit einiger Zeit die Boston Consulting Group im Betrieb, deren Aufgabe es ursprünglich war, die Neuorganisation des Betriebes zu begleiten. Doch nun wurde sie auch damit beauftragt, das rigorose Sparpaket zu begleiten. Da wird einfach ein großer Teil des Fehlbetrages auf Köpfe umgerechnet. Dass dies für mich nur Menschen in irgendeinem Kammerl mit wenig Realitätsbezug sind, hab ich an anderer Stelle schon einmal gesagt.
Funke: Wieviel soll eingespart werden?
Baldinger: 120 Millionen im Jahr, wobei ca. ein Drittel der Einsparungen bei der Gehaltssumme zustande gebracht werden sollen. Es soll natürlich auch im Sachaufwand gespart werden. Der Wahnsinn ist aber, dass die Leiharbeiter nicht unter den Personalkosten, sondern unter dem Sachaufwand laufen. Weiterhin unerträglich ist auch, dass wir nicht wissen, wer in welchem Bereich gehen soll.
Funke: Wie ist die Stimmung im Betrieb?
Baldinger: Wie ich schon in den OÖN gesagt habe: sie schwankt zwischen Depression und massiver Wut. Die Kollegen haben auch großen Zorn darüber, dass gleichzeitig ein 4. Vorstandsposten geschaffen werden soll. Es kursieren jede Menge Gerüchte und natürlich ist in so einer Situation auch angelegt, dass man hofft, es trifft einen nicht selbst, sondern den Arbeitskollegen – das ist furchtbar und drückt sehr auf die Stimmung. Vor allem kommt die Unsicherheit dazu, die sicherlich noch länger anhalten wird – wir haben als Betriebsrat bis heute keine einzige Unterlage über das, was nun konkret geplant ist. Null. Und wir haben schon gar keine Auskunft darüber, wer wo betroffen sein wird. Allgemein haben wir außerdem alle die Befürchtung, dass durch den Personalabbau der Standort Lenzing generell gefährdet wird. Bisher hatten wir stets Vollproduktion. Wenn wir diese nicht mehr aufrechterhalten können, entstehen noch mehr Probleme in der Produktion. Schon jetzt arbeiten wir unter massiven Arbeitsdruck und am Limit. Es besteht die reale Gefahr eines Qualitätsverlusts in der Produktion, wenn wir nun Kollegen verlieren. Das würde den ganzen Konzern in große Schwierigkeiten bringen.
Funke: Wie kann man sich diesen Qualitätsverlust konkret vorstellen?
Baldinger: Der Arbeitsdruck hat sich in den letzten Jahren aus meiner Sicht ständig erhöht. Faktum ist auch, dass wir speziell in der Instandhaltung immer wieder Überstunden leisten müssen bzw. es auch zu Hereinholungen kommt und unserer Meinung nach der Personalstand jetzt schon ziemlich eng ist. Darum können wir uns eben überhaupt nicht vorstellen, dass wir mit einem derart reduzierten Personalstand die Vollproduktion und vor allem auch die Qualität aufrechterhalten können.
Funke: Wie hat sich der Mitarbeiterstand bisher in den letzten 10 Jahren entwickelt?
Baldinger: Das ist insofern schwer zu sagen, weil es immer wieder Veränderungen gegeben hat. Es ist erst heuer die Lenzing-Plastics verkauft worden mit ca. 400 oder 450 Mitarbeitern. Wenn ich sie dazurechne, schätze ich, dass der Personalstand in den letzten 10 Jahren um 300 – 400 Kollegen aufgestockt wurde.
Funke: Glaubst Du, dass hinter der Personalabbau-Politik des Vorstands eine längerfristige Strategie steckt, die Produktion ins Ausland, z.B. nach China zu verlagern?
Baldinger: . Eher nicht. Nach dem Jahr 2011 ist ja eine totale Euphorie ausgebrochen, um nicht zu sagen Größenwahn. In der Form, dass kommuniziert wurde, dass bis zum Jahr 2020 so viel investiert wird, dass wir ca. 1,5 Millionen Tonnen Viskosefasern erzeugen, d.h. das ist ungefähr die doppelte Menge wie jetzt. Dazu sind natürlich immense Investitionen erforderlich. Auf diesem Ergebnis basierten auch die Mittelfristplanung und die Investitionsvorausschau. Jetzt ist sozusagen das Geld nicht mehr da, also auch nicht mehr zum Investieren und vom Vorstand wird argumentiert, er wolle mit den Einsparungen die Zukunft und auch das weitere Wachstum absichern.
Funke: Gibt es von Seiten des Betriebsrats ein eigenes Konzept, wie der Standort Lenzing langfristig abgesichert werden kann? Es gibt ja unserer Meinung durchaus die Möglichkeit, eine Verstaatlichung zu fordern, sollten die Privateigentümer eines Tages kein Interesse mehr haben, den Betrieb weiterzuführen.
Baldinger: Nein, das gibt es nicht. Wir haben ja das Glück, dass wir am Standort Lenzing auch die Konzernzentrale haben. Auch die gesamte Forschung und Entwicklung ist hier konzentriert. Aus meiner Sicht besteht die Gefahr einer kompletten Auflassung des Standorts nicht. Wir haben auch deswegen ein gutes Gefühl bezüglich dieses Standorts, weil wir in die B&C – Stiftung eingebettet sind. Und in der Stiftungsurkunde ist als Zweck der Stiftung die Förderung des österreichischen Unternehmertums festgehalten. Neben uns sind Betriebe wie die Semperit, die PORR oder auch seit neuestem die AMAG in diesem Konglomerat enthalten. Da habe ich also nicht wirklich große Bedenken, dass da etwas passieren könnte.
Funke: Gibt es schon eine Reaktion des Vorstands auf Deinen offenen Brief?
Baldinger: Nein. Heute Nachmittag wird es aber ein Gespräch zwischen Vorstand und Betriebsrat geben. Wir werden zumindest versuchen, wieder eine Gesprächsbasis herzustellen. Wir werden aber als Betriebsrat weiter darauf beharren, dass dies so nicht geht und den Standort Lenzing gefährdet.
Funke: Wie gestaltete sich die bisherige Zusammenarbeit mit dem Vorstand?
Baldinger: Bisher hatten wir Zeiten, wo es immer aufwärts ging und wo auch die Belegschaft mitpartizipiert hat. Wir haben ja im Jahr 1999 eine Vereinbarung abgeschlossen, dass es zusätzliche Zahlungen gibt, die teilweise sogar über ein Monatseinkommen hinausgingen, weil wir bisher so gute Jahre hatten. In so einer Situation ist Sozialpartnerschaft natürlich leicht gelebt.
Funke: Gibt es schon Reaktionen aus der übrigen Gewerkschaftsbewegung?
Baldinger: Wir haben gemerkt, dass die Medien bis jetzt großteils auf Seiten der Arbeitnehmer gestanden sind, was mich verwundert hat. Und wir erleben sehr viel Unterstützung von Seiten der Gewerkschaft, der Arbeiterkammer und teilweise auch von Mitgliedern der Landesregierung bzw. der Bundesregierung. Da habe ich schon ein sehr gutes Gefühl und speziell von der eigenen Gewerkschaft, der PROGE und auch der GPA ist jedenfalls Unterstützung da.
Funke: Wie lautet nun Euer Plan für einen Widerstand gegen den Stellenabbau, sollte der Vorstand nicht einlenken?
Baldinger: Natürlich: die erste Frage von Journalisten ist immer: Wann wird gestreikt oder ist Streik angedacht? Ich glaube aber, dass dies in so einer Situation nicht unbedingt das richtige Mittel ist. Ich bin aber überzeugt, dass wir mit anderen Aktionen, inklusive der Belegschaft, sehr wohl den Druck aufrechterhalten oder sogar erhöhen können.
Funke: Was wäre nun Dein persönliches Ziel, das Du in diesem Konflikt erreichen willst?
Baldinger: Ich möchte als Erstes einmal erreichen, dass diese Riesenzahl an geplantem Mitarbeiterabbau massiv reduziert wird. Ich würde mir für die Zukunft wünschen, dass die Arbeitsplätze sicher sind, aber auch, dass die Arbeitsplätze so gestaltet werden, dass die Arbeiter keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen haben und dass der Druck einfach nicht so hoch ist.
Funke: Welches Schichtmodell wird bei Euch angewandt?
Baldinger: Wir haben schon sehr lange ein 4-Schichtmodell. Die Mitarbeiter arbeiten 7 Tage am Stück, 2 Tage Frühschicht, 2 Tage Spätschicht und 3 Tage Nachtschicht, bzw. 3 Tage Frühschicht. Sie haben dann nach diesen Tagen jeweils entweder 2 oder 3 Tage frei. In unserer neuen Produktionsanlage werden wir einen 5-Schicht-Betrieb starten, weil der aus unserer Sicht wesentlich bessere Erholungsmöglichkeiten für die Mitarbeiter hat, weil anstatt an 7 Tagen nur an 6 Tagen hintereinander gearbeitet wird und dann jeweils 4 volle freie Tage zur Verfügung stehen. So wird die Belastung etwas reduziert. Natürlich bringt Schichtarbeit immer diesen Rhythmuswechsel mit sich und das ist einfach nicht gesund.
Funke: Siehst Du im Falle eines Arbeitskampfes Möglichkeiten, die Bevölkerung gut miteinzubinden?
Baldinger: Natürlich. Die gesamte Bevölkerung, die gesamte Region oder auch ehemalige Mitarbeiter, also die jetzigen Pensionisten, können wir, wenn es darauf ankommt, sicher schnell aktivieren und sie werden uns auch gewiss unterstützen. Nicht zu vergessen die eigene Belegschaft: Dadurch, dass wir dagegengehalten, haben wir das Gefühl – und das hören wir auch jeden Tag -, dass die Belegschaft hinter dem Betriebsrat steht.
Funke: Wie hoch ist der gewerkschaftliche Organisierungsgrad?
Baldinger: Bei den Arbeitern liegt er bei 99,5%.
Funke: Gibt es schon einen Termin für einen nächsten Schritt, z.B. eine Betriebsversammlung?
Baldinger: Nein. Wir warten erst mal das heutige Treffen mit dem Vorstand, bzw. dem Aufsichtsratsvorsitzenden ab.
Funke: Gibt es noch etwas, was Du aus Deiner Sicht abschließend sagen möchtest?
Baldinger: Hauptausschlaggebend ist für mich die Gier der Aktionäre. An der Dividende darf sozusagen niemals gerüttelt werden aber Mitarbeiter werden abgebaut, bis es nicht mehr geht.
Funke: Ist aus Deiner Sicht das Unternehmen wirtschaftlich gesund?
Baldinger: Ja, das Unternehmen ist gesund. Natürlich haben wir aber sehr wohl das Problem der sehr stark rückläufigen Viskosefaser-Preise und nach Meinung von Experten wird dieses Preisniveau möglicherweise für längere Zeit anhalten. Das liegt an der guten Baumwollernte der letzten 2 Jahre. Die Baumwollernte eines gesamten Jahres liegt auf Lager, das drückt natürlich die Preise. Und dann gibt es eben noch die Überkapazitäten, die in den letzten Jahren vor allem in China aufgebaut worden sind.
Funke: Nochmals zurück zum Thema Streik. Hältst Du einen Streik zur Verhinderung von Stellenabbau generell als das falsche Mittel? Sollte man nur bei Lohnverhandlungen streiken? Oder gibt es in Österreich einfach noch keine Tradition dafür, gegen Stellenabbau zu streiken? Hältst Du Streik generell für keinen gangbaren Weg?
Baldinger: Aus meiner Sicht wird das Wort Streik sehr schnell und sehr leicht in den Mund genommen. Wenn man dann aber die Sache wirklich angeht – wie z.B. bei den Kollektivvertragsverhandlungen – dann wird es schnell problematisch. Wir in Lenzing haben zum Beispiel in der Viskosefaser-Produktion das Problem, dass, sollte da tatsächlich einmal abgestellt werden, es 3 bis 4 Wochen dauert, bis der Betrieb wieder reaktiviert werden kann, weil dann die ganze Viskose, aus der die Fasern gemacht werden, in den Leitungen ist. Das wäre ein Wahnsinn. Aber wie gesagt, ich habe schon oft genug gemerkt, dass Streik schnell einmal angedacht wird, er aber in der Umsetzung – ganz egal in welchen Betrieb – sehr schnell Probleme macht.
Funke: Vielen Dank für das Gespräch.
Baldinger: Ich bedanke mich auch für Euren Besuch.
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