Die Krise des Kapitalismus hat die Bedingungen geschaffen, dass wir heute in der turbulentesten Periode der Geschichte leben. Alan Woods analysierte vor dem Internationalen Exekutivkomitee (IEK) unserer Internationale die Weltsituation und davon abgeleitet die Aufgaben von Kommunisten.
Weltperspektiven auszuarbeiten, kann sich nicht auf die Analyse ökonomischer Entwicklungen beschränken. In letzter Instanz ist die Ökonomie zwar der entscheidende Faktor, doch der konkrete Lauf der Geschichte wird durch eine Vielzahl von politischen bis hin zu militärischen Ereignissen bestimmt.
Die Krise von 2008/9 war ein entscheidender Wendepunkt, und von dieser wirtschaftlichen Krise hat sich der Weltkapitalismus bis heute nicht erholt. Um einen völligen Zusammenbruch abzuwenden, haben die Staaten damals Unmengen an Geld in das System gepumpt und gegen alle Regeln verstoßen, die bis dahin als heilig galten. In der Corona-Krise wurde dieses Rezept erneut eingesetzt. Kurzfristig konnte dadurch die Lage stabilisiert werden. Doch der Preis für diese Politik war gewaltig, wenn wir uns die weltweite Verschuldung und die hohe Inflation anschauen. Jetzt müssen die Bürgerlichen eine Notbremsung hinlegen, und das bringt sie erneut in eine verzwickte Situation voller Widersprüche.
Die turbulenteste Periode der Geschichte
Die gesamte Welt ist heute durch eine chronische Instabilität auf allen Ebenen geprägt. Das ist der Schlüssel zum Verständnis der Epoche, durch die wir jetzt gehen.
Und uns muss dabei klar sein, dass politische Krisen und militärische Konflikte wiederum massive Rückwirkungen auf die Ökonomie haben. Dieses Wechselspiel von Ökonomie und Politik sorgt gegenwärtig für ein hochexplosives Gemisch. Und diese ständige Instabilität erklärt auch, warum die Spitzen von Staat und Wirtschaft immer öfter gegen jede Vernunft Entscheidungen treffen. Wie schon Lenin sagte: Ein Mann am Rande des Abgrunds kann nicht rational denken. Fehleinschätzungen und Entscheidungen, die nicht den eigenen Interessen logisch entsprechen, sind in einer Krisensituation angelegt und können verheerende Konsequenzen haben. Man schaue sich nur die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten an.
Internationale Beziehungen
Während sich abzeichnete, dass die Ukraine den Krieg gegen Russland nicht gewinnen kann und sich die NATO damit eine schmachvolle Niederlage einhandelt, brach die Krise in Gaza aus.
Es kam nicht überraschend, dass die USA Israel in diesem Krieg unterstützen. Für Washington gibt es dazu keine Alternative. Doch Biden überreichte Netanyahu von Anfang sogar einen Blankoscheck, in dem er sagte: „Wir unterstützen Israel bedingungslos!“.
Es ist selbstredend, dass das, was wir in Gaza sehen, ungeheuerlich ist. Netanyahu verfolgt in diesem Krieg seine eigene Agenda, das ist neben der Zerschlagung der Hamas sein persönlicher Machterhalt. Davon wird er nicht abrücken. Das bedeutet die Fortsetzung unvorstellbarer Kriegsverbrechen. Ich verwende den Begriff „Genozid“ für gewöhnlich nicht, aber wenn das kein Genozid ist, dann ist es etwas, das dem sehr nahekommt. Die Heuchelei des Westens ist in diesem Krieg für alle sichtbar, die sehen wollen. Im Vergleich zum Krieg in der Ukraine misst der Westen eindeutig mit zweierlei Maß. Dieses ungebremste Abschlachten und Aushungern der Zivilbevölkerung in Gaza wird früher oder später Konsequenzen haben.
Die Ereignisse in der Ukraine und in Gaza haben die seismischen Verschiebungen der tektonischen Platten in den internationalen Beziehungen massiv beschleunigt.
Lange Zeit schienen diese äußerst stabil. Solange die Sowjetunion bestand, stellte sie ein mächtiges Gegengewicht zum US-Imperialismus dar. Doch der Zusammenbruch der Sowjetunion brachte eine erste seismische Veränderung.
Eine Zeit lang war Russland völlig ohnmächtig. Die USA waren die einzige Supermacht auf der Welt. Joe Biden ist ein Produkt jener Periode des Kalten Krieges. Er ist von einem tiefsitzenden Hass auf Russland angetrieben. Und er ist besessen von der Vorstellung der Allmacht der USA. Ihm ist gar nicht bewusst, dass die USA auf dem absteigenden Ast sitzen.
Rund um den Ukrainekrieg betonen die USA ständig, dass Russland isoliert sei. Aber das stimmt nicht. Die Welt ist mehr als der Klub der reichen Nationen, die in der NATO zusammengeschlossen sind. Im Rest der Welt sind die USA in einem zunehmenden Ausmaß isoliert. Man muss sich nur anschauen, wie Saudi-Arabien oder die Türkei versuchen, ihr eigenes Ding zu drehen und nicht mehr auf die USA hören.
Gerade der Nahe Osten ist und bleibt ein Pulverfass. Dazu kommt, dass die arabischen Regime, vor allem jene mit einem politischen Naheverhältnis zu den USA, alles andere als stabil sind. Die Massen im Nahen Osten sind zornig. Diese Wut richtet sich natürlich in erster Linie gegen Israel und die USA, aber das kann sich sehr leicht gegen die eigenen Regierungen wenden. Das ist der eigentliche Grund, warum diese Regime versuchen, die Bevölkerung in Gaza mit Hilfslieferungen zu versorgen.
Israel wird den Krieg aber weiterführen, und je länger der Krieg andauert, desto eher kann es in der arabischen Welt zu einer politischen Explosion kommen. Ein zweiter Arabischer Frühling ist durchaus möglich, und wir müssen auf dramatische Ereignisse vorbereitet sein.
Das wäre nicht im Interesse der USA, aber dennoch provoziert Washington mit seiner Politik genau das. Interessant ist, dass die USA in diesem Konflikt immer häufiger mit dem Finger auf den Iran zeigen. Das ist kein Zufall, weil sowohl die Republikaner als auch die Demokraten den Iran als das größte Problem der USA in der Region sehen. Die USA haben zwei Flugzeugträger entsandt, einen ins Mittelmeer, den anderen ins Rote Meer. Wenn es die Absicht war, damit eine Eskalation des Krieges zu verhindern, dann haben die USA damit das genaue Gegenteil erreicht. Die USA steuern auf einen offenen Konflikt mit dem Iran zu. Eine Invasion im Iran ist ausgeschlossen, aber es würde schon reichen, den Iran zu bombardieren. Das hätte ernsthafte Konsequenzen und würde die gesamte Region in Brand setzen.
Zurück zu den internationalen Beziehungen: Indien, Saudi-Arabien und die Türkei haben alle den Einfluss der USA gelockert. Besonders fatal für die US-Außenpolitik ist jedoch, dass Russland und China weiter zusammengerückt sind.
Dann ist da die Frage von Taiwan, auch wenn es keine unmittelbare Kriegsgefahr gibt. Auf alle Fälle ist der Pazifik von größtem strategischem Interesse für den US-Imperialismus. Und es ist zweifelhaft, ob die USA für einen militärischen Konflikt rund um Taiwan vorbereitet wären.
Wir sehen jedenfalls dramatische Veränderungen in den internationalen Beziehungen, vergleichbar mit den Entwicklungen im Zuge des Zusammenbruchs der Sowjetunion.
Klassenkampf
Wir kommen nun zu der für KommunistInnen zentralen Frage, wie sich all das auf die Entwicklung des Klassenkampfes auswirken wird. Heuer finden in vielen Ländern Wahlen statt. Wir werden massive Verschiebungen in der öffentlichen Meinung sehen: von rechts nach links und umgekehrt.
Biden ist extrem unpopulär. Und sein Gegenüber ist Mr. Trump, vor dem die liberale Öffentlichkeit in den USA und international einen Horror hat. Diese Wahlauseinandersetzung erinnert an den Film „Die Nacht der lebenden Toten“. Trump ist wie einer dieser Zombies, die durch nichts zu stoppen sind. Jedes Mal, wenn ein Gerichtsverfahren gegen ihn eingeleitet wird, steigen seine Umfragewerte.
Wir müssen verstehen, dass das Phänomen Trump Ausdruck des tiefen Misstrauens gegen das Establishment, die Reichen und Mächtigen, die herkömmlichen Medien ist. Mangels Alternative sind große Schichten der Bevölkerung offen für die Argumente von solchen Demagogen.
Die Wahlsiege dieser rechten Populisten bringen aber erst recht alle Widersprüche in der Gesellschaft zum Vorschein. Die Massen müssen diese Erfahrungen machen, aber das wird die Basis für eine weitere Radikalisierung und ein Wiederaufleben des Klassenkampfs legen.
In den letzten beiden Jahren haben wir in den USA, in Kanada, in Deutschland, in Großbritannien viele Streiks gesehen. Die Streikstatistiken geben aber nicht wirklich wider, welche Stimmung in der Gesellschaft vorhanden ist. Wir stehen am Beginn eines tiefreichenden Wandels im Bewusstsein der Massen. Die Menschen sind nicht apathisch und indifferent, vielmehr haben sie das Vertrauen in das System verloren. Ein immer größerer Prozentsatz lehnt den Kapitalismus ab und wünscht sich eine Alternative, nicht wenige wollen Kommunismus.
Die linken Reformisten (Sanders, Corbyn, Syriza …) haben gezeigt, dass sie diese Alternative nicht sein können. Sie haben große Erwartungen geweckt und als es drauf ankam, haben sie alle kapituliert. Die herkömmliche Linke ist völlig demoralisiert und wird keine Rolle spielen. Sie erinnert an die toten Fische, die bei Ebbe auf dem Strand zu liegen kommen. Jetzt erleben wir aber den Gezeitenwechsel, den Beginn einer neuen Flut an Klassenkämpfen. Und damit schwimmen die KommunistInnen wieder mit dem Strom.
Aber wir müssen darauf eingestellt sein, dass es in jedem einzelnen Land binnen 24 Stunden zu sprunghaften Entwicklungen im Bewusstsein und im Klassenkampf kommen kann. Darauf müssen wir vorbereitet sein.
Dabei sind schon jetzt Tausende, die aus der Krise des Kapitalismus die richtigen Schlüsse ziehen und für die Idee des Kommunismus offen sind. Die mit Herz und Seele eine Gesellschaft wollen, in der nicht mehr der Profit regiert. Wir müssen den Charakter der neuen Periode verstehen. Die Situation schreit richtig nach einer neuen Organisation, die ein Bezugspunkt sein kann.
Wir stehen an einem Wendepunkt der Geschichte, an dem sprunghafte Entwicklungen angelegt sind. Wir können da nicht einfach mit den alten Arbeitsmethoden weitermachen, sondern müssen uns der Zukunft zuwenden.
Angesichts der neuen Weltsituation werden wir die Revolutionär-Kommunistische Internationale (RKI) gründen, in der sich die heutige Generation von KommunistInnen versammeln kann.
(Funke Nr. 222/27.03.2024)