Ein Bericht über die jüngsten Verstaatlichung in Venezuela. Von Hermann Albrecht (CMR, Venezuela)
Am 21. Mai 2009 kündigte Präsident Chavez anlässlich einer Versammlung mit IndustriearbeiterInnen aus Guyana die Verstaatlichung mehrerer Unternehmen der Eisen- und Stahlverarbeitung an: Orinoco Iron, VENPRECAR, MATESI, COMSIGUA, TAVSA und Ceràmicas Carabobo. Er ratifizierte auch den Kollektivvertrag des Unternehmens CVG Ferrominera. Schließlich kündigte Chavez die Bildung eines öffentlichen metallverarbeitenden Industriekomplexes mit dem Hinweis, „diese Betriebe müssen unter ArbeiterInnenkontrolle stehen“ an.
Werkstatt zur sozialistischen Transformation
Diese Versammlung, „Werkstatt zur sozialistischen Transformation“ genannt, wurde auf dem Gelände von CVG Ferrominera in Puerto Ordaz in Guyana abgehalten. 400 ArbeiterInnen nahmen teil: 200 Aluminium- und 200 Eisen- und StahlarbeiterInnen. An der Seite von Präsident Chavez fanden sich RegierungsministerInnen und der Gouverneur Francisco Rangel Gòmez ein. An diesem Tag brachten die 40 dort vertretenen Betriebe eine Reihe von Forderungen und Vorschlägen vor, die sich aus den in der letzten Periode geführten Kämpfen der Beschäftigten dieser Branche ergeben haben.
Zum Abschluss der Versammlung machte Chavez wichtige Ankündigungen, die im Publikum eine Welle der Begeisterung auslösten. Zum Beispiel kündigte er die Ratifikation des Kollektivvertrags von CVG Ferrominera an. „Das ist ein Sieg für die ganze Welt“, sagte Chavez, „aber vor allem für euch, die ArbeiterInnen und die Gewerkschaft“.
Chavez sprach auch die Notwendigkeit der Entwicklung der politischen Bildung der ArbeiterInnnen an: „Es sollte in jeder Fabrik eine Schule geben – von der Art, wie sie Che beschrieben hat, um nicht nur Ziegel, Stahl und Aluminium zu produzieren, sondern auch neue Männer und Frauen, eine neue Gesellschaft, eine sozialistische Gesellschaft. (…) Ich denke, dass es sehr wichtig ist, bald hier in Guyana eine Schule der politischen Bildung für die ArbeiterInnen einzurichten; und mit der tiefgreifenden Analyse verschiedener Themen zu beginnen: Sozialismus, Politik, Kultur, Gesellschaft, Ökonomie.“
Die Betriebe benannten die Notwendigkeit der Entwicklung der die in Guyana geförderten Rohstoffe verarbeitenden Industrie. Der Präsident zeigte seine Zustimmung dazu: „Die Idee ist, in Guyana einen Pol der Entwicklung zu bauen, einen integrativen und vielfältigen Industriekomplex. Wir müssen die verarbeitende Industrie, die den Rohstoffen ihren Wert zufügt, entwickeln. Wir werden nicht die Dinge, die wir selbst produzieren können, auf unbeschränkte Zeit importieren! (…) Darum fordere ich euch auf, mir die Projekte, die die ArbeiterInnen entwickelt haben, zu übergeben, damit man sich sofort an die Arbeit machen kann.“
Außerdem bestätigte Chavez, dass „die einzige Art für Venezuela, zu einer Macht zu werden, in der Errichtung des Sozialismus in Venezuela liegt. Es gibt keinen anderen Weg als den Bolivarischen Sozialismus und in diesem Prozess hat die ArbeiterInnenklasse eine entscheidende Rolle zu spielen! Eine ausschlaggebende Rolle!“ Dann erklärte Chavez: „Ermutigt von den Erfahrungen der ArbeiterInnen, von den geäußerten Vorschlägen, die aus den Tiefen der ArbeiterInnenklasse rühren, werden wir damit beginnen, diesem großen integrativen Industriekomplex Gestalt zu verleihen. Dafür brauchen wir die Verstaatlichung der Kohleindustrie! Das versteht sich von selbst! Das hätte schon lange gemacht werden sollen! Treiben wir den Verstaatlichungsprozess sofort voran, um diesen Industriekomplex zu schaffen!“
Diese Ankündigungen haben das Publikum elektrisiert, es wurde gerufen: „So, so, so regieren wir!“ („Asì, asì, asì es que se gobierna“). Auf den Gesichtern der ArbeiterInnen und der GewerkschafterInnen waren die Überraschung und der Jubel zu lesen. Auch einige MinisterInnen sahen sehr überrascht aus …
ArbeiterInnenkontrolle
Präsident Chavez bestand auf die Notwendigkeit, den Industriesektor unter ArbeiterInnenkontrolle zu stellen. Er wandte sich an die Werktätigen: „Es liegt an euch, diesen Plan umzusetzen! Wir müssen die Produktivität erhöhen, die Effektivität und die Transparenz aller Betriebe. Wir ihr sagt, denn ihr habt Grund es zu sagen, sollt ihr, die ihr im Betrieb arbeitet, das ganze Unternehmen kennen. Was sind die Projekte? Wie wird der Betrieb verwaltet? Wie werden seine Ressourcen genutzt? An wen und zu welchem Preis werden die Rohstoffe verkauft? All das (…) die Gesamtheit des Produktionsprozesses (…) all dass muss unter ArbeiterInnenkontrolle sein! Ich bin einverstanden! So müssen die Dinge laufen!“
Im Gegensatz zum Verzweiflungsgeschrei der KapitalistInnen und ihrer Lehren, der ReformistInnen und der BürokratInnen, die sich der ArbeiterInnenkontrolle entgegenstellen, unterstrich der Präsident die Übergeordnetheit der ArbeiterInnenkontrolle über die bürokratische Verwaltung der Fabriken. „Ich bin sicher, dass es besser funktioniert, wenn man euch mehr Verantwortung überträgt (…) Wir müssen das System besprechen und verstehen. Wir müssen bis ins kleinste Detail planen!“
Chavez griff die Forderung einer Beteiligung der ArbeiterInnen an der Wahl der Firmenleitungen auf: „Ich bin einverstanden, dass wir, auf eure Initiative, gemeinsam die Geschäftsführungen wählen.“ Früher am Tag hatten die ArbeiterInnen die Tatsache angeprangert, dass immer die KonterrevolutionärInnen die Leitungspositionen in den verstaatlichten Industrien besetzen, wie es etwa bei SIDOR der Fall ist. Diese Leute sind bestrebt, jede Form von ArbeiterInnenkontrolle zu sabotieren, wie es bei CVG Alcasa oder Invepal geschehen ist und wie es heute bei Inveval passiert.
Chavez rief die ArbeiterInnen auf, Fabrikmilizen zu gründen: „In jeder Fabrik muss es ArbeiterInnenbataillone geben (…) mit den nötigen Waffen ausgerüstet (…) für den Fall, dass jemand denkt, uns ein Schnippchen schlagen zu können.“
Von Worten zu Taten!
Der Präsident drückte es in seiner Rede deutlich aus: die Errichtung des Sozialismus erfordert die bewusste Teilnahme der ArbeiterInnenklasse. Doch wir müssen sofort zu konkreten Taten übergehen. Wir haben zu oft erlebt, dass MinisterInnen und BürokratInnen die Anweisungen von Chavez missachten. Die mächtige ArbeiterInnenklasse von Guyana – ebenso wie die aller Länder – muss konkrete Handlungen setzen, damit aus der Rede Chavez‘ Konsequenzen folgen.
Wir müssen konkrete Maßnahmen ergreifen, um voranzukommen, beginnend bei der Wähl- und Abwählbarkeit der Leitungen der Werke durch die Basis. Wir müssen gewählte und abwählbare Delegiertenkomitees bilden, die die Organe einer wahrhaften ArbeiterInnenkontrolle in den Unternehmen bilden. Wir müssen die Konten in jeder Fabrik kontrollieren, um der Aneignung des Mehrwerts, den unsere Arbeit erzeugt, durch die Bürokratie ein Ende zu setzen.
Die Integration und die Planung der gesamten Aluminium- und Eisenproduktion unter ArbeiterInnenkontrolle müssen ein erster Schritt in Richtung einer demokratischen Planung der gesamten nationalen Wirtschaft sein. Die angekündigten Verstaatlichungsmaßnahmen müssen sich auf alle besetzten oder im Kampf befindlichen Fabriken erstrecken – wie Vivex, Gotcha T-Shirts, INAF, MDS Transport usw. Warum soll Ceràmicas Carabobo verstaatlicht werden und jene Unternehmen nicht? Gleichzeitig müssen auch die Banken verstaatlicht und ihre enormen Ressourcen der rationalen Entwicklung der venezolanischen Wirtschaft zur Verfügung gestellt werden, zum Nutzen der großen Mehrheit der Bevölkerung. Damit eine demokratisch geplante Wirtschaft möglich wird, müssen die wichtigsten Unternehmen und multinationalen Konzerne verstaatlicht werden.
Präsident Chavez sagte: „Ich verknüpfe mein Schicksal mit dem euren.“ Die ArbeiterInnenklasse muss darauf mit Bestimmtheit antworten – nicht nur in Guyana, sondern in allen Ländern. Wenn die Gewerkschaftspitze hier die Initiativenicht übernehmen will, müssen die betroffenen ArbeiterInnen sie durch andere FunktionärInnen ersetzen, die bereit sind, nach dem Willen und im Interesse der ArbeiterInnenklasse zu handeln.“
Hermann Albrecht (CMR Venezuela)
Übersetzung: Gerlinde Kosits