Auszüge einer Broschüre von Eleanor Marx-Aveling, der Tochter von Karl Marx, anlässlich der Herausgabe der englischen Übersetzung von August Bebels „Frau und Sozialismus“.
„(…) Die Frauen sind die Sklaven einer organisierten Tyrannei der Männer – so wie die Arbeiter die Sklaven einer organisierten Tyrannei von Müßiggängern sind. Auch wenn wir uns hierüber im klaren sind, dürfen wir nicht müde werden, immer wieder zu betonen, dass innerhalb der gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen eine Lösung der Schwierigkeiten und Probleme der Frauen und der arbeitenden Klassen nicht wirklich möglich ist. Alles, was unternommen wird, egal mit welchen Fanfaren es angekündigt wird, dient der Beschönigung und nicht der Abhilfe. Die unterdrückten Frauen und die unmittelbaren Produzenten müssen begreifen, dass ihre Emanzipation nur ihr eigenes Werk sein kann. Die Frauen werden ihre Verbündeten unter den besser gesinnten Männern finden, so wie die Arbeiter ihre Verbündeten unter den Philosophen, Künstlern und Dichtern. Aber so wie die einen nichts vom Mann an sich erwarten können, können die anderen nichts von der gesamten Bourgeoisie erwarten.
Für den kultivierten Menschen wird die öffentliche Meinung noch immer allein vom Mann bestimmt. Und das Übliche ist das Moralische. Die Mehrheit legt Wert immer noch auf die gelegentliche, geschlechtlich bedingte Hilflosigkeit als Hinderungsgrund für ihre Gleichbehandlung. Sie lässt sich noch immer über die ‚natürliche Berufung’ der Frauen aus. Diesbezüglich gerät oft in Vergessenheit, dass die gelegentlich auftretende, geschlechtsbedingte Hilflosigkeit durch die ungesunden Bedingungen unseres modernen Lebens äußerst verstärkt, wenn nicht sogar überhaupt durch sie verursacht wird. Unter vernünftigen Bedingungen würde sie weitgehend, wenn nicht sogar gänzlich, verschwinden.
Man vergisst, dass die kapitalistischen Lohnherren eben dieser angeblichen, geschlechtsbedingten Hilflosigkeit immer dann Rechnung tragen, wenn es um die Senkung der allgemeinen Lohnrate geht. Wiederum gibt es den ‚natürlichen Beruf’ für Frauen ebenso wenig, wie es ein ‚natürliches’ Gesetz kapitalistischer Produktion gibt, oder eine ‚natürliche’ Begrenzung des Teiles des Produktes des Arbeiters, den dieser zum Lebensunterhalt erhält. Wenn zum ersten die Frau einzig und allein dazu ‚berufen’ ist, Kinder zu versorgen, den Haushalt aufrechtzuerhalten und ihrem Gebieter gegenüber Gehorsam zu wahren; wenn zweitens die Produktion von Mehrwert die unvermeidliche Voraussetzung für die Produktion von Kapital ist; wenn drittens der Arbeiter für seinen Lebensunterhalt nur soviel erhält, damit er nicht verhungert: so sind dies keine Naturgesetze wie etwa die physikalischen Gesetze der Bewegung. Es handelt sich nur um bestimmte zeitweilige gesellschaftliche Übereinkünfte, wie etwa die Konvention, dass Französisch die Sprache der Diplomatie ist.
Was bringt uns der Sozialismus?
„Eine Gesellschaft, in der alle Produktionsmittel im Besitz der Gemeinschaft sind, eine Gesellschaft, die die volle Gleichheit aller ohne Unterschiede der Geschlechter anerkennt, die für ihre Anwendung jeder Art technischen und wissenschaftlichen Fortschritts und jeder Entdeckung sorgt, die als Arbeiter alle annimmt, die zur Zeit unproduktiv sind, oder alle jene, deren Aktivität eine schädliche Form annimmt, die Müßiggänger und Faulenzer, die die Arbeitszeit auf das notwendige Minimum reduziert, hebt die geistige und körperliche Verfassung aller ihrer Mitglieder auf die höchste erreichbare Stufe.“ (August Bebel)
Wir verbergen weder vor uns selbst noch vor unseren Gegnern, dass der erste Schritt dazu die Enteignung des gesamten Privateigentums an Grundbesitz und aller anderen Produktionsmittel ist. Dadurch würde die Abschaffung des Staates, so wie er heute besteht, geschehen. Keine Verwirrung über unsere Ziele kommt häufiger vor, als jene, die unklar denkende Leute zu der Vorstellung verleitet, dass die von uns angestrebten Veränderungen und die daraus resultierenden Verhältnisse auch unter einem staatlichen Regime wie dem heutigen vonstatten gehen können. Der Staat ist jetzt eine Organisation der Gewalt zur Aufrechterhaltung der gegenwärtigen Eigentumsverhältnisse und der gesellschaftlichen Herrschaft. Seine Repräsentanten sind wenige Männer der Mittelklasse und Oberklasse, die sich um Ämter mit ungewöhnlichen Gehältern streiten. Der Staat unter dem Sozialismus – wenn wir überhaupt ein Wort beibehalten wollen, das derartig hässliche historische Assoziationen hervorruft – wird die organisierte Kapazität einer Gemeinschaft von Arbeitern sein. Seine Beauftragten werden weder besser noch schlechter gestellt sein als ihre Kollegen. Die Trennung zwischen Kopf- und Handarbeit, über den die Seelen der Künstler sich grämen, ohne in den meisten Fällen die ökonomische Grundlage des Kummers zu erkennen, wird verschwinden.
Nun stellt sich die Frage, inwieweit die künftige Stellung der Frau – und somit der Gattung – von all dem berührt sein wird. (…) Zweifellos wird es Gleichheit aller, unabhängig vom Geschlecht, geben. Folglich wird die Frau unabhängig sein; ihre Ausbildung und alle weiteren Möglichkeiten werden die gleichen sein wie für den Mann. Sie wird wie er, soweit sie geistig und körperlich gesund ist (und wie wird die Zahl dieser Frauen wachsen!), ihre eine, zwei oder drei Stunden am Tag mit gesellschaftlicher Arbeit verbringen, um die Bedürfnisse der Gemeinschaft und somit auch ihre eigenen zu befriedigen. Hiernach wird sie Zeit haben für Kunst oder Wissenschaft, für den Unterricht und die Literatur oder für Unterhaltung in irgendeiner Form. Die Prostitution wird mit den ökonomischen Verhältnissen, die sie entstehen ließen und noch heute aufrechterhalten, verschwinden.“