„Wenn der Apfel reif geworden ist und fällt, warum fällt er? Weil er von der Erde angezogen wird? Weil sein Stängel dürr geworden ist? Weil sein Fleisch von der Sonne getrocknet ist? Weil er zu schwer geworden ist? Weil der Wind ihn schüttelt? Oder weil der unten stehende Knabe ihn essen möchte?“
Der Dichterfürst gibt auch gleich die Antwort:
„Nichts davon ist die Ursache, sondern alles zusammen, nur das Zusammentreffen der Bedingungen, unter denen sich in der lebenden Welt jedes organische, elementare Ereignis vollzieht.“ (L. Tolstoi, Krieg und Frieden)
Der zugrundeliegende Prozess des Chaos und menschlichen Leidens ist die Fäulnis des Kapitalismus. Das Privateigentum an den Produktionsmitteln und der Nationalstaat als seine politische Verwaltungseinheit haben keine fortschrittliche Rolle mehr. Sie sind heute nur noch Fesseln der Entwicklung der Menschheit und produzieren statt Fortschritt nur Zerstörung, Krieg und Unterdrückung.
Der Krieg in der Ukraine ist Ausdruck des jahrelang schwelenden Konfliktes zwischen dem westlichen und östlichen Imperialismus um Einflusszonen. Die Unmöglichkeit beider Seiten, einen entscheidenden militärischen Sieg zu erzwingen, führt dazu, dass der Krieg immer brutaler und ausgedehnter geführt wird. Die Mobilmachungen in Russland und der Ukraine füttern dem Menschenvernichter Krieg ständig neue Ernte zu.
In Kiew und Moskau ist der Parlamentarismus klinisch tot – Kollateralschäden des imperialistischen Krieges. Weil die Ukraine diesen nicht finanzieren kann, garantieren jetzt die USA, die EU und der IWF für kommendes Jahr fünf Milliarden monatlich für die laufenden Staatsausgaben. Hinzu kommen Waffenlieferungen, Ausbildungsprogramme, militärische Hilfszahlungen.
Die Ukraine bietet ihren Geldgebern dafür 800 zu privatisierende Unternehmen, den profitablen Wideraufbau und politische Kontrolle. Daher hat keinE einzigeR österreichischer Abgeordneter oder Abgeordnete weder in Brüssel noch in Wien in Abstimmungen gegen die Finanzierung der Schlachterei durch die EU gestimmt.
Zur Stabilisierung der Banken haben die Zentralbanken über ein Jahrzehnt die Geldmenge aufgebläht. Die Wirtschaftswissenschaft befürwortete diese Inflationspolitik, indem sie die Möglichkeit der Inflation theoretisch ausschloss, selbst noch, als sie 2021 begonnen hat zu steigen.
Die gegenseitigen Sanktionen zwischen dem Westen und Russland, und der USA gegen China sind Teil der Neuordnung der Kräfteverhältnisse. Der Energiemangel an Gas und Strom in Europa treibt die Preise nach oben, würgt Produktionen ab und drückt die Arbeiterklasse an die Armutsgrenze. Die amerikanischen Verbündeten liefern das Flüssiggas nur mit satten Aufschlägen, der europäische Gaspreis liegt daher vier bis zehnmal über jenem in den USA.
Dutzende Schiffe ankern vor Europas Häfen und entladen ihre begehrte Ware nicht, weil sie auf Preise spekulieren, technische Kapazitäten in Europa für Entladung und Durchleitung fehlen oder aus innereuropäischer Konkurrenz blockiert werden: Frankreichs herrschende Klasse, zuhause unter Druck der militantesten Sektoren der Arbeiterklasse, sieht die Probleme der deutschen Konkurrenz, versucht diese zu vergrößern (etwa durch die Blockade der Trans-Pyrenäen-Pipeline) und gleichzeitig die Krise „auf europäischer Ebene“ auf Kosten des „Partners“ zum eigenen Profit-Vorteil zu münzen.
So werden die imperialistischen Widersprüche allerorts bis zur Erschöpfung genährt und geschürt. Dies treibt die Gesellschaft unwiderruflich auf den Weg der Revolution. Deren politische Vorbereitung ist das Einzige, wofür es sich heute noch lohnt, politisch engagiert zu sein.
Das politische Personal der herrschenden Klasse hingegen agiert, zukunftsvergessen und auf den eigenen Vorteil und die Interessen der Superreichen bedacht, in Österreich besonders unverschämt. Der Kronzeuge Thomas Schmid gibt Einblick in die Parallelwelt der Reichen des Landes, in der ein Industrieller, Künstler, Fürst, Nebenerwerbswinzer, Lebenspartnerin oder Parteifreund einen Patenonkel oder eine Glücksfee im Staatsapparat hat, um finanzielle Sorgen zu lösen und private Interessen voranzubringen.
Für alle genannten gilt die (meist ewigwährende) juristische Unschuldsvermutung. Je größer und tiefer die Krisen des Systems und ihrer Regierung, desto staatstragender zeigt sich die SPÖ, deren Regierungsbeteiligung als Stabilisator der Krise vom Kapital heute gewollt ist.
Diese kommende Regierung wird um nichts weniger instabil als die jetzige sein, wir sollten dafür sorgen, dass in Zukunft die Kämpfe der Arbeiterklasse die politische Richtung des Landes vorgeben.
Die Teuerung trifft alle und alle ArbeiterInnen brauchen deutliche höhere Löhne. Die Spitzen der Gewerkschaften organisieren aber keinen gemeinsamen Kampf, was die Arbeiterbewegung schwächt. Doch der Klassenkampf sucht sich immer einen Ausdruck: Die 500 € plus, die etwa die Gewerkschaft vida bei den Eisenbahnern und Privatspitälern fordert, sind ein neuer Ansatz im Lohnkampf. Die Forderung der Beschäftigten der Sozialwirtschaft von 15% Lohnplus ist bemerkenswert, weil sie entgegen gewerkschaftlicher Empfehlung durch eine Mehrheitsentscheidung des Verhandlungsteams aufgestellt wurde. Die FahrerInnen des Lieferdienstes Mjam treten selbstorganisiert und selbstbestimmt in den Arbeitskampf.
Die Spitzengewerkschafter stehen formell an der Spitze der Arbeiterbewegung, versuchen aber dem Klassenkampf zu entgehen und Teil des Staatsapparates zu werden: nur über die Ministerien könne man die Preisspirale beenden, sagen sie. Ihre Konzepte sind dabei ident mit jenen der herrschenden Klasse: Entkoppelung Strom-Gaspreis, Preisdeckel im Welthandel, Extra-Gewinn-Steuern.
Dies geht einerseits an den tatsächlichen Zusammenhängen des Mangels an Energieträgern vorbei und setzt u.a. eine nach innen und außen gerichtete europäische Kriegswirtschaft voraus. Solche reaktionären Utopien werden heute von der Führung der Arbeiterbewegung als „Realpolitik“ bezeichnet, in Wirklichkeit ist es die vollständige Kapitulation vor dem Kapital.
Dies behindert die Arbeiterbewegung, ohne dass es das globale Erwachen der Klasse verhindern könnte. In den Kämpfen, die den Unterdrückten und Ausgebeuteten aufgezwungen werden, ziehen diese massenhaft politische Schlüsse. Die revolutionäre Bewegung im Iran ist das jüngste und extrem inspirierende Beispiel dafür: Jahrzehntelange Unterdrückung und Spaltung durch staatlich verordneten Rassismus und Frauenunterdrückung werden von Jugendlichen und ArbeiterInnen durch eine Massenbewegung durchbrochen, die das Regime in seinen Grundfesten erschüttert.
Lassen wir uns nicht ablenken. Unsere eigene herrschende Klasse ist unser Hauptgegner. Kämpfen wir kompromisslos für die vollständige Durchsetzung der von den Gewerkschaften genannten Lohnziele. Setzen wir durch, dass der Energiemarkt abgeschafft und seine Konzerne unter Kontrolle der Beschäftigten verstaatlicht werden. Verhindern wir, dass unsere Abgeordneten und die Regierung die Profitinteressen des Kapitals durch Waffenlieferungen und Kredite in der Ukraine weiterverfolgen.
Für den Sozialismus zu unseren Lebzeiten. Es lebe die internationale Arbeiterklasse!
Wien, am 25.10.2022
Aus dem Inhalt
- Österreich
- Budget: Der Tanz auf dem Vulkan
- SJ am Scheideweg: Fit für die Regierung oder den Klassenkampf?
- Betrieb & Gewerkschaft
- Metall-Barone wollen Lohnsklaven: harte Streiks!
- SWÖ: Gemeinsam und kompromisslos kämpfen!
- SWÖ: Wir machen uns streikbereit
- Start einer Streikbewegung in der Daseinsfürsorge!
- Leserbrief: Metall-KV: „Alles Gauner!“
- Wilde Streiks bei Mjam
- Solidarität mit dem Vorsitzenden der Gewerkschaft der russischen Fahrradkuriere!
- Jugend
- Sparzwang an den Universitäten
- Mangel und Einsparungen in der Schule: Zwei SchülerInnen berichten
- Warum ich aktiv geworden bin
- Schwerpunkt
- Die Lehren der iranischen Revolution (Teil 1)
- International
- Frankreich: Streiks im Energiesektor, staatliche Repression und die Frage des Generalstreiks
- Großbritannien: Von Salatköpfen und Rittern
- Kuba: Für mehr Revolution statt mehr Kapitalismus
- Ukraine-Krieg, Kommunismus und die KPÖ
- Iran: Für den Sturz des Mullah-Regmies – für die sozialistische Revolution!
- Über uns
- Schenke Theorie – Geschichte der Philosophie
- Theoriemagazin: Ausgabe Nr. 6 ab November!
- Theorie
- Quantenmechanik und der liebe Gott
- Gesellschaft
- „Mädchen der Sonne und der Revolution“ – Gewalt an Frauen stoppen heißt Kapitalismus bekämpfen
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