Nicolas Maduro wurde am 20. Mai für eine weitere Amtszeit bei den Präsidentschaftswahlen in Venezuela wiedergewählt. Wie geht es weiter? Von Jorge Martin.
Die Mehrheit der reaktionären Opposition hatte mit voller Unterstützung aus Washington und Brüssel zu einem Boykott aufgerufen, der zu einer sehr geringen Wahlbeteiligung in den Stadtvierteln führte, wo die Mittel- und Oberschicht wohnt. Ihre Forderung nach Aussetzung der Wahlen wurde von rechten Regierungen in der Region aufgenommen. Dies bedeutete, dass viele in der Arbeiterklasse und in den Armenvierteln an die Wahlurnen gingen, um der unverschämten imperialistischen Einmischung etwas entgegenzusetzen. Aber auch hier war die Wahlbeteiligung deutlich geringer als bei früheren Wahlen. Die tiefe Wirtschaftskrise ist das Hauptproblem, das in den Köpfen der Menschen herumgeht und viele sind skeptisch gegenüber der Fähigkeit der Regierung, damit umzugehen.
Wenige Stunden nach dem Ende der Wahlen kündigte die Nationale Wahlbehörde die ersten offiziellen Ergebnisse der Präsidentschaftswahl an. Bei einem Auszählungsgrad von 92 Prozent hatten 8.603.336 Personen ihre Stimme abgegeben (46,01 Prozent Wahlbeteiligung, die nach der Zählung aller Stimmen 48 Prozent erreichen sollte). Von diesen hatten 5.823.728 für Maduro (67 Prozent), 1.820.552 für den Oppositionskandidaten Henri Falcón (21 Prozent), 925.042 für den evangelikalen Priester Bertucci (10 Prozent) und 34.614 (0,4%) für den wenig bekannten Quijada gestimmt, der sich selbst als oppositionellen Kandidat aus dem chavistischen Lager darstellte.
Trotz des Geredes der internationalen Medien über „massive Unregelmäßigkeiten“ (BBC), Maduros „selbstinszenierte Wiederwahl“ (El País) und eine „Scheinwahl“ (Financial Times) fanden die Wahlen unter normalen Bedingungen, ohne Zwischenfälle und in der Anwesenheit von internationalen Beobachtern statt, einschließlich des ehemaligen spanischen Präsidenten Zapatero. Die UNO und die EU waren ebenfalls aufgefordert worden, Beobachter zu entsenden, weigerten sich jedoch. Sie werden nun feststellen, dass es „zahlreiche Unregelmäßigkeiten“ gab, obwohl sie nicht vor Ort waren, um sie zu beobachten.
Die Heuchelei der Rechten
Die Wahlen fanden vor einem Hintergrund eines anhaltenden Angriffes der reaktionären Opposition und des Imperialismus statt, die versuchten diese zu verhindern. Seit dem Tag, an dem sie angekündigt wurden, hatten sowohl die USA als auch die EU erklärt, dass sie ihre Legitimität nicht anerkennen würden und forderten ihre Aussetzung. Zu ihnen gesellte sich die Gruppe der sogenannten Lima-Gruppe: eine Ad-hoc-Bande rechtsgerichteter lateinamerikanischer Regierungen, die im Einklang mit der imperialistischen US-Politik eigene Erklärungen abgaben, wenn die USA keine Mehrheit in der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) und bei anderen offiziellen Stellen bekommen konnten. Die angebliche Sorge um demokratische Garantien seitens der Regierungen Argentiniens, Brasiliens, Kolumbiens, Mexikos und Honduras ist völlig scheinheilig. Keine dieser Regierungen hat bei der außergerichtlichen Hinrichtung des indigenen Menschenrechtsaktivisten Maldonado in Argentinien, bei der Vertreibung und dem Verschwinden von Hunderttausenden in Kolumbien und der staatlichen Beteiligung am Verschwinden der 43 Ayotzinapa-Studenten in Mexiko, oder beim eklatanten Wahlbetrug in Honduras vor ein paar Monaten mit der Wimper gezuckt.
Die reaktionären venezolanischen Oppositionsparteien, die sich nun in der sogenannten „Breiten Front für ein freies Venezuela“ (FAVL) zusammengeschlossen hatten und die im vergangenen Jahr sechs Monate lang in einer gewalttätigen und terroristischen Kampagne Wahlen vor dem eigentlichen Wahltermin forderten, riefen zu einem Boykott auf. Die Wahl fand genau ein Jahr statt, nachdem ein Mob der gewalttätigen Anhänger dieser Damen und Herren einen jungen, dunkelhäutigen Chavista-Anhänger, Orlando Figuera, angezündet und in Brand gesteckt hatte, der an den Folgen dieser Tat starb. Dieser Vorfall allein sagt alles, über den wahren Charakter der reaktionären, oligarchischen, pro-imperialistischen und rassistischen venezolanischen Opposition aus.
Dass die Wahlen überhaupt stattfanden, war eine klare Reaktion auf diese Kräfte. Allerdings hat die venezolanische Opposition im letzten Jahr einen schweren Schlag erlitten und ist nun gespalten und demoralisiert. Alle Versuche, im Vorfeld des 20. Mai Menschen auf der Straße zu mobilisieren, scheiterten kläglich. Am Wahltag trennten sich immer mehr Oppositionsführer von der FAVL und riefen zur Wahl von Henri Falcon auf, der neben MAS und COPEI von seiner eigenen Partei unterstützt wurde.
Es war alles vergebens. Die Wahlbeteiligung war in den wohlhabenderen Gebieten der großen Städte – den traditionellen Hochburgen der rechten Opposition – extrem niedrig. Dort hatten die meisten Wahllokale keine Warteschlangen oder waren den ganzen Tag über völlig leer.
Natürlich sprach Henri Falcón in bester Tradition der venezolanischen Opposition, wenn immer sie eine Wahl verloren hat, von Betrug und zählte 900 Fällen von Unregelmäßigkeiten auf. Er sagte, dass er das Ergebnis nicht anerkenne und rief zu Neuwahlen im Oktober auf. Das ist lächerlich. Es war allen klar, dass er nicht in der Lage war, die Unterstützung der Opposition zu mobilisieren, die weitgehend dem Boykottaufruf der FAVL auf Anweisung aus Washington folgte.
ArbeiterInnen und Arme stimmen gegen den Imperialismus
Die Wahlbeteiligung war in den Arbeiter- und Armenvierteln, die die traditionelle Basis für die Unterstützung der Bolivarischen Revolution darstellen, höher. Viele stimmten ab, um eine klare Antwort auf die skandalöse Kampagne des Imperialismus und der Opposition zur Aussetzung der Wahlen zu geben. Viele stimmten auch ab, um die Überbleibsel der Errungenschaften der Revolution zu verteidigen. Es besteht ein Konsens darüber, dass im Falle des Wahlsiegs der Opposition, diese alles zerstören würde und die ArbeiterInnen und die Armen den vollen Preis der Krise mit einem brutalen, vom IWF inspirierten „Anpassungsprogramm“, bezahlen würden. Dennoch war die Wahlbeteiligung in den traditionellen Chavista-Hochburgen niedriger als üblich. Eine vollständige Aufschlüsselung der Abstimmung wurde noch nicht veröffentlicht, aber es gibt viele Einzelberichte, die darauf hindeuten, dass dies der Fall war. In vielen Wahllokalen gab es Warteschlangen, die von den internationalen Medien bewusst ignoriert wurden, aber diese waren nicht so lang und nicht so dauerhaft wie bei früheren Wahlen. Dies geschah trotz der Tatsache, dass die PSUV und der Staat ihren Apparat nutzten, um zu versuchen, die Chavista-Stimmen auf eine beispiellose Art und Weise zu mobilisieren. Für Maduro stimmten etwa 30,5% der Wahlberechtigten, was ein Rückgang zu den 40% im Jahr 2013 war, als er das erste Mal gewählt wurde. Das bedeutet den Verlust von 1,5 Mio. Stimmen, bei einem gleichzeitigen Anwachsen der Wahlberechtigten um 2 Mio.
Es gibt immer noch Chavista-StammwählerInnen, die bei jeder Wahl aus Loyalität gegenüber der Bolivarischen Revolution und dem Kampf für den Sozialismus, den Chávez vertrat, an die Wahlurnen gehen. Aber es wird immer schwieriger für diese überzeugten Chavistas, andere Schichten zu mobilisieren. Unter den Linken der Chavista-Bewegung gibt es eine wachsende Kritik an der Führung und der Bürokratie, die sich als unfähig erwiesen haben, die wirtschaftliche Situation zu bewältigen und die die revolutionäre Initiative der Massen behindern.
Einer der Hauptkonfliktbereiche waren die ländlichen Gemeinden. In den letzten Monaten gab es mehrere Fälle, in denen Gruppen von Bauern, die in so genannten Communes auf offiziell bewilligten Grundstücken organisiert waren, vertrieben wurden. Diese Zwangsräumungen wurden von der örtlichen Polizei, der Nationalgarde, lokalen Richtern und Beamten des Nationalen Landinstituts im Auftrag von Grundbesitzern, in vielen Fällen mit engen politischen und geschäftlichen Beziehungen zum Staatsapparat, durchgeführt.
Im Vorfeld der Wahlen intervenierten hohe Regierungsbeamte, um diesen Trend umzukehren, und sogar Maduro versprach, dass es keine solchen Räumungen mehr geben würde. Eine der wichtigsten revolutionären Bauernorganisationen, die CRBZ, rief zur Wahl von Maduro auf, hielt aber an seiner Kritik an der Bürokratie und dem Staatsapparat fest. So auch in der Gemeinde El Maizal in Lara, wo der Staat den Wahlsieg des Sprechers der Commune Angel Prado gegen den offiziellen Kandidaten der PSUV bei den Kommunalwahlen im Dezember noch immer nicht anerkannt hat.
Die Stimmung unter vielen Chavista-Unterstützern kam in einem kurzen Interview mit einem von ihnen auf der BBC Mundo Website zum Ausdruck: „Wir werden ihm [Maduro] ein Vertrauensvotum geben. Wenn das nicht funktioniert, ist das das Ende. Ich gehe mit Hoffnung zu den Wahlen, aber wenn sich die Lage im Land nicht verbessert, werden die Leute auf die Straße gehen. Ich werde für Maduro stimmen, weil er sein Wort gegeben hat, dass sich die Dinge verbessern werden, wenn er weiß, was es bedeutet sein Wort zu halten, sollte er sein Versprechen halten. „
Die Lösung der Krise mit einer revolutionären Alternative
Das Problem ist, dass Maduro und die bolivarische Führung aufgrund ihrer Bilanz nicht in der Lage oder nicht willens sind, die notwendigen Maßnahmen zur Bewältigung der Wirtschaftskrise umzusetzen. Anstatt die Krise durch die Enteignung von Kapitalisten, Bankiers und Grundeigentümern frontal anzugehen, fordert die Regierung sie immer wieder zu Investitionen auf. Anstatt ihre Rolle im „Wirtschaftskrieg“ anzugreifen, gibt die Regierung ihnen Kredite und Zugang zu Dollars. In seiner Wahlsiegrede appellierte Maduro erneut an die Opposition, an den Verhandlungstisch zurückzukehren, ein Appell, den er an den US-Imperialismus ausweitete.
In den nächsten Wochen werden wir eine Intensivierung der imperialistischen Kampagne gegen die venezolanische Regierung mit verstärkten Sanktionen erleben. Der stellvertretende US-Außenminister John Sullivan sagte in Argentinien, dass Washington Ölsanktionen in Betracht ziehe. Das würde die Wirtschaft vollends lahmlegen. Sie hoffen, die Regierung unter Druck zu setzen, indem sie die Krise verschärfen und das Land wirtschaftlich ersticken.
Für die bolivarischen Massen wird das Hauptproblem die tiefe Wirtschaftskrise sein, die zu einer Hyperinflation, einem Zusammenbruch der Kaufkraft der Löhne und einem Mangel an Grundprodukten geführt hat. Maduro versprach, nach der Wahl diese Probleme anzugehen und „wirtschaftlichen Wohlstand“ zu bringen. Diese Versprechen werden unerfüllt bleiben, und die fortgeschrittenen Schichten der ArbeiterInnen und der Armen werden dazu gedrängt werden, eine echte Alternative zu suchen, die fähig ist, sich dem Imperialismus zu stellen und gleichzeitig die Wirtschaftskrise zu lösen.
Es gibt tatsächlich nur zwei mögliche Lösungen. Eine, die von allen Flügeln der Opposition befürwortet wird (und die Unterstützung des Imperialismus hat), ist ein brutaler Anpassungsplan, einschließlich Kürzungen bei den Sozial- und Staatsausgaben, Aufhebung von Subventionen, Abschaffung subventionierter Lebensmittelpakete, Privatisierung staatlicher Unternehmen und natürlicher Ressourcen und Massenentlassungen in Unternehmen des öffentlichen und des privaten Sektors. Das wäre eine völlige Katastrophe für die arbeitende Bevölkerung und würde von einer Einschränkung der demokratischen Rechte begleitet werden.
Die andere Option wäre, alle grundlegenden Hebel der Wirtschaft unter demokratischer Arbeiterkontrolle in öffentliches Eigentum zu überführen und sie zum Wohle des Volkes zu nutzen, nicht für den Profit einer Handvoll Parasiten aus der Oligarchie.
Die halbherzige Politik der Maduro-Regierung mit immer größeren Zugeständnissen an die herrschende Klasse führt nur zu Demoralisierung, Skepsis, einer Verschärfung der Krise und schließlich, auf die eine oder andere Weise, zu einem brutalen Anpassungsplan auf dem Rücken der Arbeiterklasse.
Um mit dieser Situation zu brechen, muss sich die revolutionäre Avantgarde das Hauptziel setzen, eine echte, revolutionäre Alternative auf der Grundlage eines sozialistischen Programms zu schaffen, die eine Lösung für die arbeitenden Menschen bietet. Das ist die Aufgabe des Tages.