Die SPÖ sieht große Teile des Kernschen „Plan A“ in Umsetzung, für die ÖVP ist es ein Sieg ihrer Partei, selbst die faschistischen Identitären sehen in einer Presseaussendung ihr rassistisches Programm in Umsetzung befindlich. Die FPÖ hat nichts wesentliches zu kritisieren. Für SPÖ-Klubobmann Schieder ein klarer Fall: ab jetzt regiert nur noch „Österreich“. Emanuel Tomaselli und Florian Keller über den erneuerten nationalen Schulterschluss.
Breiter kann eine nationale politische Konzentration nicht ausfallen. Von rechtsextrem über konservativ bis sozialdemokratisch, inklusive der Führung der Gewerkschaften, alle finden sich im Neustart der Regierung wieder. In Anlehnung an das geflügelte Wort des Kriegskaisers Wilhelm II lautet das Motto der österreichischen Politik heute so: „Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Österreicher.“
Geht’s der Wirtschaft gut…
Die Kernsche Programmatik besteht aus dem Anspruch, durch eine innovative Politik die Wirtschaft in Schwung zu bekommen. Damit unterwirft er in der Praxis die Arbeiterbewegung einmal mehr den Interessen des österreichischen Kapitals. Das Resultat ist eine uninspirierte Zusammenschau von Maßnahmen, die allseits den Charakter der Entrechtung der arbeitenden Menschen haben: Verlängerung der Höchstarbeitszeit, Arbeitszeitflexibilisierung, Reduktion der Ruhezeiten, Reduktion des Arbeitnehmerschutzes, höhere Zugangsschranken für die Uni, die Stärkung eines „zweiten“ staatlich geförderten Arbeitsmarktes mit Zwangscharakter. Besonders sinnig: Österreich soll auch wieder gezielt als Anlaufziel für reiche ausländische SteuerhinterzieherInnen attraktiv gemacht werden, dafür wird in Wien eine eigene Anlaufstelle für superreiche Steuerflüchtlinge geschaffen. Für inländische Reiche wird das Privatstiftungswesen „relaunched“.
Selbst Maßnahmen, die sich „Lehrlingsförderung“ nennen, sind nur Förderungen an Unternehmen. Der Kündigungsschutz für ArbeiterInnen über 50 wird gelockert, dafür gibt es eine „Beschäftigungsgarantie“ für ältere Arbeitnehmer, und zwar am „zweiten Arbeitsmarkt“, also in Wirklichkeit einen Beschäftigungszwang zum Niedriglohn. Durch eine auf drei Jahre befristete Kürzung der Unternehmerbeiträge zur Sozialversicherung sollen neue Jobs entstehen, die solidarischen Institutionen der Daseinsfürsorge wie Krankenkassen werden dadurch finanziell ausgehungert. Die Marktgläubigkeit des Programmes offenbart sich darin, dass der Wohnungsnot durch eine Integration des sozialen Wohnbaues in den Finanzmarkt begegnet werden soll: mehr Profitmöglichkeiten für die Wohnbaugenossenschaften sollen mehr Kapital für den Wohnungsbau generieren.
Garniert ist das Ganze mit unverhohlenem anti-muslimischen Rassismus. Die Verschleierung soll völlig aus dem öffentlichen Leben verschwinden, andere Symbole von Religiosität wie Kreuze in Gerichtssälen bleiben unangetastet. Alle Integrationsmaßnahmen für Flüchtlinge haben durchgängig Zwangscharakter. Der Ausbau des Hochsicherheitsstaates wird durch Überwachung aller Verkehrswege, Vorratsdatenspeicherung, präventive Fußfesseln und die Schaffung neuer politischer Straftatbestände vorangetrieben. Die Festschreibung, dass das Bundesheer in Zukunft auch im Inland sicherheitspolitische Tätigkeiten vollziehen darf ist ein Bruch mit der der bisherigen Praxis der 2. Republik und knüpft am blutigen Februar 1934 an.
Die Verbesserungen beim Steuerrecht und ein Mindestlohn von ca. 1200€ netto kommen schrittweise und mit so großer zeitlicher Verzögerung, dass man hier nicht von einer Verbesserung reden kann.
Zuletzt eine Seitenbemerkung: das gesamte Regierungsübereinkommen ist von anglizistischen Begrifflichkeiten der Finanzmärkte durchzogen, die anzeigen, dass die politischen Abteilungen der internationalen Finanzinstitutionen die direkte Quelle dieser Politik sind. Allein der dumpfe Rassismus offenbart seine österreichische Originalität durch den durchgängigen Gebrauch der deutschen Sprache.
Sozialdemokratie als Stützpfeiler bürgerlicher Politik
In Wirklichkeit manifestiert dieses Regierungsprogramm einen weiteren starken Rechtsruck der Sozialdemokratie. Wichtige Grundsätze werden aufgegeben: Eine Umverteilung über eine stärkere steuerliche Belastung von Reichen spielte schon in der Kernschen Welser Rede vom 11. Jänner eine unbedeutende Rolle und ist nunmehr völlig vom Tisch. Die Verlagerung der staatlichen Ausgaben in den Privatsektor soll allein durch Sparmaßnahmen finanziert werden. Die Idee der Gesamtschule aller sozialen Klassen ist völlig begraben. Die Idee des freien Unizugangs wird durch Studienplatzfinanzierung mit Zugangsbeschränkungen ersetzt. Nur hochbegabte Kinder der armen Schichten sollen durch Zielgruppenprogramme frisches Blut in die akademische Wüste des Kleinbürgertums bringen. Die Emanzipation der Frau beschränkt sich auf gesetzliche Maßnahmen für reiche Frauen, die in Zukunft vermehrt zum Zug kommen, wenn es um die Postenbesetzung in Aufsichtsräten von Großbetrieben geht. Sicherheitspolitisch wird eine Militarisierung der inneren Sicherheit vorangetrieben. Individuelle demokratische Rechte, wie der Schutz von Privatsphäre werden aufgegeben. Dass man für eine Zugfahrt einen Ausweis vorlegen muss, war einst ein anschauliches bürgerliches Beispiel für die Unterdrückung des Individuums in der Sowjetunion, heute gibt es hier keine Bedenken mehr. Die Idee des sozialen Wohnbaus wird dem Prinzip des Profites unterworfen. Gesellschaftspolitisch wird ein staatlicher Krieg gegen Gläubige einer einzigen Religion entfacht.
Eine Aussendung der Löwelstraße an SPÖ-Parteimitglieder kommentiert das Regierungsübereinkommen so: „Das Programm trägt eine klare sozialdemokratische Handschrift, etwa in den Bereichen Arbeit, Bildung und Soziales. Viele Ideen Christian Kerns aus dem „Plan A für Österreich“ haben Eingang ins neue Arbeitsprogramm gefunden, z.B. die Unterstützung älterer Langzeitarbeitsloser, das zweite verpflichtende Gratiskindergartenjahr, Gratis-Tablets für SchülerInnen, mehr Unterstützung für Klein- und Mittelunternehmen, der Ausbau des sozialen Wohnbaus oder die Aufwertung der Lehre und das Integrationsjahr. Insgesamt rund zwei Drittel des neuen Arbeitsprogramms der Regierung Kern sind auch schon im „Plan A“ enthalten.“
Die Phraseologie des Apparates kennt keine Schamgrenze, eine weitgehend schweigsame Partei zeigt die aktuelle Demoralisierung und politische Alternativlosigkeit der österreichischen Arbeiterbewegung.
Temporäre Stabilisierung
Im Sommer 2016 wurde deutlich, dass führende Kreise des österreichischen Kapitals der FPÖ klar zu verstehen gegeben hat sich auf eine „verantwortungsvolle Rolle“ vorzubereiten. Die FPÖ-Führung folgte auf Fuß und entwarf eine dem Kapital entsprechendere Rhetorik. Internationale Entwicklungen bedingen heute ein zeitweises Umdenken der führenden Kreise des österreichischen Kapitals. Der Brexit und die Präsidentschaft von Donald Trump bewirken eine immense Destabilisierung des internationalen politische Gleichgewichtes. Diese Phänomene sind Ausdruck dessen, dass die Bourgeoisie an Kontrolle über ihr politisches Personal und Prozesse einbüßt, eine direkte Folge der pro-kapitalistischen Krisenpolitik seit 2008.
In Österreich gelang es der von der Raiffeisenbank angestrengten nationalen Kraftanstrengung, den sicheren Kandidaten des Establishments, den liberalen Van der Bellen in die Hofburg zu hieven. Schon an Tag eins seiner Präsidentschaft entpuppte sich die Mehrheitspolitik in der Linken des „kleinere Übel“ zu unterstützen als Schuss ins Knie. Unter einem Präsidenten VdB würden die „Kampfbedingungen“ im „Kampf gegen rechts/die Reaktion“ besser sein, lautete das Argument dafür, mit zugehaltener Nase den Liberalen zu wählen. Das Gegenteil ist das Fall. Van der Bellen deckt nicht nur die tanzenden Nazis in seiner Hofburg, sondern er gab der Regierung den klaren Auftrag nun Resultate zu erzielen. Das Ergebnis ist ein Regierungsprogramm, das sogar die faschistischen „Identitären“ jubeln lässt.
VdB entpuppt sich vorhersehbar als das, was er ist und schon immer war, ein Bürgerlicher, dem die bürgerliche Ordnung und Ruhe natürlich das höchste Gut ist. In Folge dessen fühlen sich reihenweise Opportunisten bestärkt darin, das alte Mantra von „Demos bringen ja nichts“ und „ja nicht Öffentlichkeit provozieren“ bis zum Erbrechen wieder zu kauen. In der Linken, deren allergrößter Teil vor den Liberalen schon im Wahlkampf kapituliert hat, macht sich Verunsicherung und Abwarten statt Offensivgeist und Kampfeswillen breit.
Im SPÖ-Apparat setzen sich unter diesen Bedingungen jene Teile der Bürokratie durch, denen der heutige Futtertrog wichtiger ist, als die Perspektive auf morgen, selbst zum Preis der PASOKisierung der Partei. Diese vollständige Lähmung der Arbeiterbewegung nützend presst das österreichische Kapital jetzt den letzten Tropfen Lebens aus der Sozialdemokratie heraus. Die verbleibende Zeit dieser Regierung wird aus einer durch Kernsche Rhetorik versüßte Sozialabbaupolitk bestehen, die von einem permanenten rassistischen und zunehmend antidemokratischen Diskurs aus dem Innen- und Außenministerium begleitet werden wird.
Am Ende des Wahlzyklus wird das österreichische Kapital trotz (oder gerade: wegen) ihrer guten Dienste die SPÖ wie einen nassen Fetzen in die Ecke werfen, um eine offensiver vorgetragenere Sozialabbaupolitk voranzutreiben.
Soziale Revolution
Die völlige Unterordnung der Organisationen der Arbeiterbewegung unter die Bedürfnisse des Kapitals, lässt die arbeitenden Menschen in Österreich schutzlos zurück. Die Suche nach individuellen Lösungen: mehr arbeiten, schneller studieren, … dominiert das gesellschaftliche Geschehen. Gleichzeitig ist das Vertrauen in die Politik, egal welcher Couleur am Boden. Die bleierne Decke der Alternativlosigkeit erdrückt jedes Vertrauen an eine politische, also eine kollektive Lösung der brennenden Fragen.
Eine Stabilisierung des Kapitalismus ist aber objektiv ausgeschlossen. Die soziale Bewegung, der elementare Ausbruch des Zorns, der sich potentiell an jeder Frage entladen kann, wird diese bleierne politische Situation in ihr Gegenteil verkehren, wie die Massenbewegungen in den USA zeigen. Jede Couleur der bürgerlichen Herrschaft wirtschaftet in beschleunigtem Maße ab, genauso wie der Reformismus in der Arbeiterbewegung. Die einzigen, die optimistisch in die Zukunft blicken können, sind wir RevolutionärInnen. Ein neues globales 1917 bereitet sich vor. Unterstütze uns und hilf mit, diese Perspektive bewusst vorzubereiten.