Der venezolanische Präsident Hugo Chavez hielt bei der Angelobung seiner neuen Regierung eine Brandrede, in der er eine Reihe von radikalen Schritten ankündigte. Wenn diese Maßnahmen tatsächlich wie angekündigt umgesetzt werden, dann bedeuten sie einen ernsthaften Schlag gegen die Macht der Oligarchie und des Imperialismus in Venezuela. Die Vorschläge widerspiegeln die scharfe Linkswende, die sich im ganzen Land vollzogen hat und entsprechen dem Bewusstsein der Massen und deren Wunsch nach einer radikalen Veränderung sowie einer Überwindung des Kapitalismus.
Chavez’ Wahlsieg im Dezember war der größte seit Beginn der Bolivarischen Revolution. Das Kräfteverhältnis hat sich jetzt stark zu Gunsten der venezolanischen Massen gewandelt. Chavez verfügt über die absolute Kontrolle über das Parlament und genießt bei der Bevölkerung starke Unterstützung. Die Bedingungen machen eine endgültige Überwindung des Kapitalismus möglich.
Die angekündigten Maßnahmen von Chavez würden den venezolanischen Kapitalismus genau im Herzen treffen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass ein Artikel in der Washington Post über die Rede von Chavez mit der Überschrift „Chavez beschleunigt die sozialistische Revolution Venezuelas“ erschienen ist. Der Artikel beschreibt die Ereignisse in Venezuela sehr gut. Darin ist auch davon die Rede, dass der Kapitalismus in Venezuela sehr leicht beseitigt werden könnte.
Chavez betonte in seiner Rede, dass Venezuela in eine neue Phase eingetreten ist, die er als das “Nationale Simon-Bolivar-Projekt 2007 – 2021” bezeichnete und das darauf abzielt, den „Bolivarischen Sozialismus“ aufzubauen. Dabei strich er fünf wichtige Punkte des Projekts heraus, die er als die “fünf Motoren” der Revolution bezeichnete: ein „Sondervollmachtsgesetz“, eine weitere Verfassungsreform, Volksbildung, die Neugestaltung des staatlichen Machtapparates und eine massive Ausweitung der Entscheidungsmöglichkeiten der Kommunen.
Der Wichtigste seiner Vorschläge ist das “Sondervollmachtsgesetz”, welches Chavez ermöglichen wird, eine Reihe von Dekreten zu erlassen. Er betonte, dass ein zentraler Punkt des Gesetzes die Verstaatlichung von vergangenen Regierungen privatisierten Schlüsselindustrien zum Ziel hat. Dazu zählen das Telekommunikationsunternehmen CANTV (1991 privatisiert) und die Elektrizitätswerke. Chavez drohte bereits vor kurzem damit, CANTV zu privatisieren, falls das Unternehmen die Pensionszahlungen nicht an den Mindestlohn anpassen würde.
Chavez hat eine klare Vorstellung davon, wie die nächsten Schritte aussehen sollen: „Möge alles was privatisiert wurde, nationalisiert werden”. Er fügte hinzu, das Ziel sei „sozialisierte Eigentümerschaft über die strategischen Bereiche der Produktionsmittel.“
Außerdem plant er auch die staatliche Kontrolle in der Ölindustrie auszuweiten. Derzeit gibt es vier Orinoco-Oil-Belt-Projekte, die der Staat gemeinsam als Joint Venture mit den US-Unternehmen Exxon Mobil, Conoco und Chevron sowie mit Total (F), BP (GB) und Statoil (NOR) führt. Venezuela hält einen Minderheitenanteil bei diesen Projekten. Chavez schlägt nun vor, Venezueala zum Mehrheitseigentümer zu machen und damit die staatliche Kontrolle über diese wichtigen Projekte, die für 18 Prozent der Ölproduktion des Landes aufkommen, auszuweiten.
Er erklärte, dass der Gesetzestext bereits vorbereitet ist und in Kürze in der Nationalversammlung eingebracht wird. Chavez schlug auch neue Verfassungsreformen vor. Zwar gab er keine genauen Pläne bekannt, erklärte aber in seiner Rede, dass er sich auf die „Macht des Volkes, den wahren Brennstoff“ beziehen wird, und betonte, die Revolution von unten aufzubauen, mithilfe jener Leute, die die Revolution kontinuierlich unterstützt haben. Chavez weiter: „Wir bewegen uns in Richtung Sozialistischer Republik Venezuela, die nichts und niemand aufhalten kann.“
Im Speziellen sprach Chavez die Reform zur Ausweitung der Kontrolle über die Nationalbank an, die derzeit noch unabhängig ist. Dies will Chavez ändern, da sie dadurch ein Instrument des Neoliberalismus ist. Diese Einschätzung ist vollkommen richtig, denn die Direktoren der Staatsbank haben sich in den vergangenen Jahren systematisch gegen Chavez’ Politik einer Armutsbekämpfung und echter Reformen gestellt. Sie haben die Unabhängigkeit der Bank dazu ausgenützt, die Interessen der nicht gewählten Oligarchie zu verteidigen, denen es darum geht, die Schalthebel der Wirtschaft weiter zu kontrollieren.
Eine weitere Maßnahme, die er in seiner Rede erwähnte, betraf den Aufbau einer “Bolivarischen Volksbildung“. Dadurch wird es möglich sein die „neuen Werte zu vertiefen und die alten Werte des Individualismus, des Kapitalismus und des Egoismus zu zerstören“.
Chavez betonte die Erfordernis, gerade in den ärmeren Gebieten des Landes den Massen, die die Revolution unterstützen, mehr Entscheidungsbefugnisse und somit Macht zu übertragen. Er sagte, es sei notwendig, den „bürgerlichen Staat aufzulösen“, da alle Staaten „entstanden sind, um Revolutionen zu verhindern.“ Dies kann nur erreicht werden, wenn den neu eingerichteten kommunalen Räten mehr Macht gegeben wird und diese von unten aufgebaut werden mit dem Ziel, einen neuen Staat basierend auf diesen kommunalen Räten zu errichten.
Bereits vor seiner Rede hatte Chavez die Entscheidung getroffen, die Sendelizenz der TV-Anstalt RCTV nicht zu erneuern. RCTV hatte in der Vergangenheit sämtliche undemokratischen Manöver zur Absetzung Chavez’ unterstützt, unter anderem den Putsch-Versuch 2002 sowie die Blockade der Ölindustrie. Chavez war dadurch heftigen Attacken der Opposition und des Imperialismus ausgesetzt, die sich nach wie vor die Freiheit wünschen, Intrigen und Sabotage-Aktionen gegen die demokratische gewählte Regierung von Venezuela durchzuführen.
Eine weitere Maßnahme, die bereits angekündigt wurde und die im selben Zusammenhang wie alle anderen Schritte gesehen werden kann, ist die Entlassung von Vize-Präsident Jose Vicente Rangel, der durch Jorge Rodriguez ersetzt wird. Rangel gilt als einer der moderatesten Vertreter innerhalb der Bolivarischen Führung. Er sprach sich vor allem gegen die Enteignung der Golfplatz-Betreiber von Caracas aus, die von Bürgermeister Barreto Ende August vergangenen Jahres initiiert wurde. Damals meinte Rangel, die Regierung respektiere das Privateigentum ohne Einschränkungen.
MarxistInnen können die von Chavez angekündigten Schritte nur mit voller Kraft unterstützen. Wir haben immer wieder darauf hingewiesen, dass die venezolanische Revolution nicht auf halbem Wege stehen bleiben kann. Entweder schreitet sie voran zur Übernahme der Kommandobrücken der Wirtschaft und bricht somit die Macht der Oligarchie und des Imperialismus oder der Prozess verkehrt sich ins Gegenteil, indem die Oligarchie ihre Macht an den Schalthebeln der Wirtschaft dazu ausnützt, um die Revolution mit Sabotage-Aktionen zu ersticken.
Der klare Wahlsieg bei den Wahlen im Dezember war ein Zeichen dafür, dass die Massen bereit sind, einen Schritt weiter zu gehen und den Kampf mit der Oligarchie aufzunehmen. Chavez’ Rede widerspiegelt diese Situation und erklärt seine Aussage, dass „nichts und niemand fähig sein wird, uns vom Kurs der Verwirklichung des venezolanischen Sozialismus, unseres Sozialismus abzubringen“. Während seiner Rede nahm er immer wieder Bezug auf die Ideale von Marx und Lenin.
Die Reaktionen des Bürgertums fielen weltweit so aus, wie man das erwarten konnte. Alberto Ramos, Analyst bei der internationalen Investmentbank Goldmann Sachs, kommentierte die Vorgänge so: “Diese beunruhigenden Ankündigungen widerspiegeln eine stärkere nationalistische und interventionistische Politik, die zu noch mehr Vertrauensverlust von Seiten der Wirtschaft führen und die gesamten Institutionen des Landes erschüttern.“ Richard La Rosa, ein Broker von Activalores Sociedad de Corretaje CA sagte, dass „wir alle radikale Ankündigungen nach seiner Vereidigung erwartetet hatten, aber dieses Ausmaß hat die Märkte wirklich überrascht. Wir hätten nie gedacht, dass er ein Unternehmen beim Namen nennen würde. Wir sind alle schockiert.“ Und weiter: „Die große Frage der Kapitaleigner lautet, ‚Wie werden wir entschädigt’? Niemand zweifelt die Absichten von Chavez an.” Einige denken, dass Chavez einen ähnlichen Weg wie Kuba Anfang der 1960er einschlagen wird, als der Großteil der Wirtschaft verstaatlicht wurde.
Chavez hat seine dritte Amtszeit angetreten, die bis 2013 läuft. Die venezolanische Bourgeoisie und die Bourgeoisie weltweit haben bereits eine wütende Hasskampagne gegen Chavez initiiert, während dieser immer weiter nach links rückt. Die Kampagne ist nicht verwunderlich, da die materiellen Interessen der Bourgeoisie auf dem Spiel stehen. Wenn Chavez seinen angekündigten Weg konsequent bis zum Ende weiter geht, wird er die Unterstützung der venezolanischen Massen dafür erhalten. Zuletzt hat Chavez davon gesprochen, den revolutionären Prozess in Venezuela „unumkehrbar“ zu machen. Dafür gibt es nur einen Weg: die Bourgeoisie zu enteignen und einen revolutionären Staat, gestützt von der Arbeiterklasse, aufzubauen.
Chavez hat vollkommen Recht, wenn er fordert, dass der „bürgerliche Staat aufgelöst werden muss“. Der Staatsapparat ist durchsetzt mit Vertretern des alten Regimes. Der große Teil der Beamten und der obersten Staatsfunktionäre wurde bereits vor längerer Zeit eingestellt, um die Interessen der Bourgeoisie zu vertreten. Ihnen kann nicht vertraut werden. Mit allen Mitteln versuchen sie, jede fortschrittliche Reform zu blockieren. Sie versuchen die Revolution abzuwürgen und somit allmählich den Boden für eine Rückkehr des alten Regimes aufzubereiten. Chavez ist sich dessen bewusst und hat bereits mehrfach öffentlich Bürokratismus und Korruption im Staatsapparat kritisiert.
Jetzt ist es notwendig, die Massen dabei zu unterstützen, mit Aktionen den weiteren Verlauf der Revolution selbst zu gestalten. Die einzige Kraft, in die Chavez wirklich vertrauen kann, ist die venezolanische Arbeiterklasse sowie die Bauern und Armen. Die Zeit ist reif, in den Fabriken, an allen Arbeitsplätzen und in allen Arbeiterwohnvierteln Komitees zu wählen. Gewählte Delegierte sollten dann an höhere Vertretungen entsandt werden, was zu einer landesweiten Vertretung führen könnte. Das ist eine Möglichkeit, den „bürgerlichen Staat aufzulösen“ und einen „revolutionären Staat“ aufzubauen.
Besonderes Augenmerk sollte auf die angekündigte Verstaatlichung von CANTV gelegt werden, wo ArbeiterInnen und ehemalige Beschäftigte für ihre Rechte gekämpft und eine Verstaatlichung des Unternehmens gefordert haben. Chavez’ Rede wird den ArbeiterInnen von Sanitarios Maracay bei ihrer Forderung nach Verstaatlichung unter Arbeiterkontrolle sicherlich Aufwind geben.
Die Gewerkschaft UNT sollte sofort eine nationale ArbeiterInnen-Konferenz einberufen, bei der diese Maßnahmen diskutiert werden. Dann können konkrete Schritte überlegt werden, wie ArbeiterInnen in den wichtigsten Betrieben der Wirtschaft den Kampf um Verstaatlichung unter Arbeiterkontrolle organisieren können und wie man die Sabotage-Versuche der Unternehmenseigentümer bereits im Vorfeld unterbinden kann. Bei einer solchen Konferenz sollte auch ein nationaler Tag der Betriebsbesetzungen ausgerufen werden, bei denen vor allem jene 800 Betriebe, die Chavez’ bereits vor eineinhalb Jahre erwähnt hatte, von den Beschäftigten übernommen werden sollen, genauso wie alle strategisch wichtigen Sektoren der Wirtschaft.
Chavez erkennt die Notwendigkeit einer “Vertiefung” der Revolution. Er hat begriffen, dass die Revolution nicht an einem Punkt stehen bleiben kann, sondern voran gehen muss. Chavez erkennt auch, dass jede seiner fortschrittlichen Reformen mit Gegenwehr und Blockade-Aktionen der Bürokratie rechnen muss. Es gelingt ihm nicht, dass der Staatsapparat seine Forderungen umsetzt. Deshalb ist es die einzige Möglichkeit, den Apparat aufzulösen und einen neuen Apparat. basierend auf der demokratischen Kontrolle der ArbeiterInnen, aufzubauen.
Wir werden in Kürze noch genauere Analysen der Ereignisse in Venezuela veröffentlichen. Derzeit ist eine Beschleunigung des revolutionären Prozesses feststellbar. Eine siegreiche venezolanische Revolution hätte die Wirkung eines Leuchtfeuers für die Massen in ganz Lateinamerika und weltweit. Eine neue Phase der Revolutionen wäre angebrochen. Deshalb können echte Sozialisten und Kommunisten von den neuesten Entwicklungen in Venezuela nur begeistert sein und ihre Unterstützung der Revolution aussprechen. Das Bürgertum formiert sich weltweit und versucht mit allen ihren zur Verfügung stehenden Mitteln (Medien, Wirtschaft, etc.) die venezolanische Revolution zu attackieren. Es ist unsere Pflicht in allen Ländern mit all unserer Kraft dagegen zu kämpfen.
Fred Weston, www.marxist.com, 9. Jänner 2006