Leni Riefenstahl und ihr Film „Tiefland“: Am 18.7. führten wir ein Gespräch mit der Dokumentarfilmerin Nina Gladitz, sie hatte uns wegen des Artikels „Nur gefilmt“ (Funke 33) kontaktiert. 1982 hat sie die Dokumentation „Zeit des Schweigens und der Dunkelheit“ für den WDR fertiggestellt, in der sie die Geschichte des Films „Tiefland“ aufarbeitet, woraufhin sie von Leni Riefenstahl geklagt wurde. Vier Jahre lang führte Leni Riefenstahl einen Prozess gegen Nina Gladitz und ihre Dokumentation. Für Nina Gladitz bedeutete der Prozess die Ruinierung ihrer Existenz.
Der Funke: Was war der Anlass für deinen Film „Zeit des Schweigens und der Dunkelheit“?
Nina Gladitz: Das war eigentlich ein Zufall. In den 70er Jahren wurde ich auf einen Brief aufmerksam gemacht, der sich im Archiv einer Organisation, des „Vereins der Verfolgten des Nazi-Regimes“ befand. Es war der Brief eines Sinto an diesen Verein, in dem er um Hilfe bittet, bei Leni Riefenstahl die Gage für seine Arbeit als Statist in dem Film „Tiefland“ einzutreiben.
Das war der Anfang der ganzen Sache, denn von Leni Riefenstahl wusste man in den 70er Jahren nur, dass sie von nichts gewusst hat. Zu dieser Zeit konnte ihr niemand nachweisen, inwiefern sie zum Beispiel in das System der Konzentrationslager verstrickt war; sie hatte auch alle Leute mit Prozessen eingeschüchtert.
Und dann fing ich an zu recherchieren. Die Recherchen waren unheimlich schwierig, weil es im wichtigsten deutschen Archiv, dem Bundesarchiv, überhaupt keine Unterlagen über die Dreharbeiten von „Tiefland“ gab, in keinem Filmlexikon wurde darüber berichtet, alle Experten haben gemeint, das wäre nur ein Gerücht.
Dann hab ich mich aufgemacht, um diesen Sinto, Josef Reinhardt, zu suchen, das war auch ganz schön kompliziert. Der Brief stammt aus den frühen 50er Jahren, ich konnte gar nicht damit rechnen, dass der Mann, der diesen Brief geschrieben hatte, überhaupt noch lebt. Ich habe ihn aber gefunden.
Ich habe dann noch weitere 3 Jahre Recherchen gebraucht, bis ich genug Material zusammenhatte, und die Dreharbeiten dauerten noch ungefähr ein Jahr. Gemeinsam haben wir Überlebende aufgesucht, wir sind zum Gelände des ehemaligen Lagers Maxglan gefahren… Wenn man an solche Plätze kommt, dann sieht man ja nur noch Gras, im wahrsten Sinn des Wortes: Über alles ist Gras gewachsen. Es gibt nur noch die Erinnerungen von den Überlebenden, die sagen dann, hier stand die Baracke, und alles, was man sieht, sind drei Büsche.
Der Funke: Für die Geschichte von „Tiefland“ musstest du zuerst die Geschichte des Lagers rekonstruieren?
Nina Gladitz: Natürlich.
Die Geschichte von Maxglan war zu dem Zeitpunkt noch überhaupt nicht aufgearbeitet, deswegen war es auch schwer, Akten über die Dreharbeiten zu finden; zunächst sagte man mir auch im Archiv in Salzburg, es gäbe überhaupt keine Dokumente darüber.
Daher habe ich mit den Überlebenden Stück für Stück diese Begegnung zwischen dieser berühmten Regisseurin aus dem Dritten Reich und den Zigeunern rekonstruiert.
Der Funke: Wie verliefen die Dreharbeiten für „Tiefland“?
Nina Gladitz: Wie sich das genau abgespielt hat, ist heute noch nicht ganz klar.
Maxglan war eine traditionelle Stelle, wo Zigeuner immer schon angehalten haben und sich getroffen haben, das wurde dann einfach umzäunt und Sinti aus allen Richtungen Österreichs ins Lager gebracht.
Im Polizeipräsidium Salzburg zuständig für das Lager war der SS-Sturmbannführer Böhmer. Aus einem Dokument von Anfang Juli 1940 geht hervor, dass er großen Druck gemacht hat, um aus den anderen Gauen in Österreich die Zigeuner in Maxglan schnell zusammenzuziehen, damit man sie dann wegschaffen kann „Richtung Polen“. Der SS sollten keine Kosten entstehen, um die Leute länger dort unterzubringen, denn die Zustände in dem Lager waren eine einzige Katastrophe.
In der selben Zeit muss sich die Riefenstahl für diese Zigeuner interessiert haben. Es sieht ganz so aus, als ob das Lager Maxglan erst durch das Interesse dieser Filmregisseurin zu einem festeren Lager ausgebaut wurde. Denn dann war klar, dass man mit den Zigeunern auch noch Geld verdienen kann, bevor man sie zur „Vernichtung“ abschiebt.
Es gibt den Vertrag zwischen Riefenstahls Firma und der SS, wo die „Ausleihe“ der Leute genau geregelt wird.
Im Jahr 1942 kamen zu den Dreharbeiten noch andere Zigeuner, aus dem Lager Berlin/Marzahn. Die hatte Leni Riefenstahl ausgesucht, weil das Lager Marzahn so nahe an den Studios in Babelsberg war. Diese Roma hat sie auch von Berlin nach Mittenwald mitgenommen.
Ich habe die Standfotos von „Tiefland“ gefunden, die während der Dreharbeiten gemacht worden waren; darauf sind auch Zigeuner aus Marzahn zu sehen. Diese wurden von Überlebenden identifiziert. Reimar Gilsenbach hat die Spur der Zigeuner aus Marzahn aus dem Film „Tiefland“ über die Standfotos bis in die Totenbücher von Auschwitz verfolgt. Eine Arbeit, die für die Statisten aus Maxglan noch nicht geleistet worden ist.
Nachdem die Dreharbeiten in Mittenwald 1941 zu Ende waren, blieben die Roma und Sinti noch ein Jahr im Lager Maxglan, von Herbst 1941 bis zum Frühjahr 1943. Dann wurde das Lager aufgelöst; der größte Teil kam nach Auschwitz, und ein kleiner Teil ins Lager Lackenbach im Burgenland. Von denen, die nach Auschwitz gegangen sind, haben von den Statisten nur ganz wenige überlebt, drei, vier. Nur die Lackenbacher konnten überleben; dort war auch Josef Reinhardt mit seiner Familie.
Anhand der Standfotos von „Tiefland“ konnten nicht nur viele Statisten von Überlebenden identifiziert werden; man kann anhand der Fotos auch feststellen, dass der Film „Tiefland“, so wie man ihn heute sehen kann, nicht der Film ist, den Leni Riefenstahl ursprünglich machen wollte. Eigenartigerweise sind fast alle Zigeuner aus dem Film herausgeschnitten worden.
„Tiefland“ kam offiziell erst 1954 in die Kinos. Vor 1954 hatte Leni Riefenstahl schon einmal einen Prozess gegen einen deutschen Verleger geführt wegen der Vorwürfe mit den Zigeunern, den sie auch gewonnen hat. Sie war in einem Artikel beschuldigt worden, sie hätte diese todgeweihten Menschen als Statisten missbraucht. Sie hat bestritten, dass den Leuten später etwas passiert ist. Erst nach diesem Prozess hat sie „Tiefland“ geschnitten.
Der Funke: Was zeigst du in deiner Dokumentation „Zeit des Schweigens und der Dunkelheit“?
Nina Gladitz: Ich habe mich in dem Film auf die Gespräche mit den Überlebenden beschränkt. Sie erzählen, wie sie selbst von Leni Riefenstahl in Maxglan ausgewählt wurden, von den Dreharbeiten, dass sie für ihre Arbeit nie bezahlt wurden, über das Lager, dass es ein KZ war.
Der Funke: Und es kommt auch vor, dass sie wusste, was mit den Roma und Sinti danach passieren würde?
Nina Gladitz: Als mein Film fertiggestellt war, wurde er 1982 im Fernsehen gesendet; und kaum war er gelaufen, kam die Klage von der Frau Riefenstahl gegen mich.
Frau Riefenstahl hat mich wegen dieser 4 Punkte verklagt.
Zum einen hat sie vor Gericht gesagt, dass sie nie in dem Lager war, dass ihr Assistent die Zigeuner ausgesucht hätte, Harald Reinl, der dann in den 50er Jahren die Karl May Filme gedreht hat. Dann hat sie bestritten, dass Maxglan ein KZ war. Sie hat behauptet, es sei ein Wohlfahrts- und Fürsorgelager gewesen und dass sich die Zigeuner freiwillig als Statisten gemeldet hätten. Dann hat sie auch bestritten, dass sie sie nicht bezahlt hätte; und von ihrem weiteren Schicksal hätte sie auch nichts gewusst.
Dann haben die Zigeuner ausgesagt; sie konnten sich noch genau an den Tag erinnern, als sie von Leni Riefenstahl im Lager für die Dreharbeiten ausgesucht worden waren.
Die Zeit des Prozesses war sehr schwierig für mich. Und am Ende hat Frau Riefenstahl alles verloren, bis auf den Punkt, dass sie nicht gewusst hat, was mit den Zigeunern nach den Dreharbeiten passieren würde. Man kann ohne Sorge heute sagen, Frau Riefenstahl war persönlich in einem Konzentrationslager. Maxglan wurde später in einem Prozess, in dem es um die Entschädigung von Josef Reinhardt ging, von einem deutschen Gericht als Konzentrationslager anerkannt.
Der Funke: Welchen Eindruck hast du von der Rezeption von Leni Riefenstahl heute?
Nina Gladitz: Die Heiligsprechung von Leni Riefenstahl ist von Feministinnen angefangen worden. Am schlimmsten hat sich Alice Schwarzer hervorgetan, die vor drei Jahren ein Emma-Sonderheft über Leni Riefenstahl herausgebracht hat und sie der jungen Frauengeneration als leuchtendes Beispiel für Frauenemanzipation im 3. Reich vorstellt. Wir haben bisher immer gedacht, das sind Frauen wie Sophie Scholl oder Kommunistinnen…
Damit wird diese Frau reingewaschen. Zu ihrer internationalen Reputation beigetragen haben diese Schickeria-Linken, die soviel von der Ästhetik ihrer Filme reden und die damit die Kunst im politikfreien Raum wieder salonfähig gemacht haben – als ob es so etwas überhaupt gäbe. Und das auf Kosten der Zigeuner.
Funke 45: Leni Riefenstahl und ihr Film Tiefland September/Oktober 2002
Funke 33: Leni Riefenstahl – Nur gefilmt? Dezember 2000/Jänner 2001