Elektrizitätsarbeiter treten in unbefristeten Streik, während Banken und EU die griechische ArbeiterInnenklasse erpressen. Von Emanuel Tomaselli.
Gestern um 18:30 Uhr gingen in ganz Athen wortwörtlich die Lichter aus. Die ArbeiterInnen der Elektrizitätswerke sind in einen unbefristeten Streik getreten. Sieben Kraftwerke wurden von den Belegschaften besetzt und vom Netz genommen. Die Versammlung vom Syntagma-Platz ruft zu Straßenblockaden, zur Gründung von Betriebskomitees und zu einem unbefristeten politischen Generalstreik auf. Wir Marxistinnen und Marxisten begrüßen diesen Aktionsplan.
Die Zeit drängt, und in der Eile zeigt sich der wahre Charakter der herrschenden „Demokratie“. Jean Claude Junker, der Chef der Euro-Gruppe, brachte es gestern auf den Punkt: „Das griechische Parlament muss wissen, dass das gemacht werden muss. Wenn nicht …Wenn nicht…“ (Link zum Video) Was in den Augen der „Märkte“ gemacht werden muss steht seit mehreren Wochen fest: Ein weiteres, noch radikaleres Kahlschlagprogramm als vor einem Jahr für die griechische ArbeiterInnenklasse und Jugend, und die totale Privatisierung jedweder staatlicher Betriebe. Dies ist was die „Märkte“ verlangen – und Junker exekutiert es. Dagegen stehen das Leben und der Wille von Millionen griechischer Arbeiterinnen und Arbeiter, die sich in einen heroischen Kampf für ihre Zukunftsperspektiven werfen.
Das Rettungspaket
Die Faktenlage ist kompliziert und einfach zugleich. Wenn Griechenland nicht innerhalb von drei Wochen frisches Geld bekommt, dann ist der Staat zahlungsunfähig. Damit würden schlagartig griechische Staatsanleihen im Wert von 300 Mrd. € wertlos. Diese Anleihen werden sowohl von griechischen als auch internationalen Banken gehalten, welche dann große Wertverluste hätten. Nicht wenige, insbesondere griechische Banken würden in die Zahlungsunfähigkeit schlittern. Ebenfalls zahlungsunfähig wäre damit die Europäische Zentralbank (EZB), die ihrerseits auf einer geheim gehaltenen Menge an griechischen Staatspapieren sitzt. Einerseits haben Banken diese Anleihen als Absicherung für ihre Kreditlinien hinterlegt, andererseits hat die EZB im vergangen Jahr massiv (geschätzte 150 Mrd. €) Staatsanleihen in den PIIGS-Staaten aufgekauft um die „Märkte“ zu stabilisieren. Die EZB wäre bei einer griechischen Staatspleite also ebenfalls pleite, da sie mit ihrem Eigenkapital von 10 Mrd. € diese Ausfälle nicht begleichen könnte. Eine weitere Kraftanstrengung der Euro-Länder wäre also notwendig um die Zentralbank zu retten.
Als ob dieses Szenario allein nicht bereits genug wäre, verschlimmern Finanzderivate, wie etwa die CDS (credit default swaps), die Unsicherheit der „Märkte“. Die CDS kann man als von den Staatsanleihen losgelöste Versicherungen der Staatsanleihen sehen. Das Marktvolumen griechischer CDS ist dreimal so groß wie die Staatanleihen selber. Es gibt also ca. 900 Mrd. € an offenen Wetten bezüglich der Entwicklung der griechischen Staatsfinanzen. Diese würden bei einer griechischen Pleite fällig, womit das direkt vom griechischen Staat abhängige Gesamtvolumen im Bankensektor 1.200 Mrd. € beträgt.
Um die Sache noch komplexer zu gestalten: Außer den betreffenden Banken selber weiß niemand, wer diese CDS hält, wer gewinnen und wer verlieren würde, wenn diese schlagend werden. Klar ist aber, dass die Fälligstellungen in dieser Höhe einen finanziellen Tsunami auslösen würden. Der Weiterbestand des Euro in der heutigen Form wäre kaum mehr aufrechtzuerhalten und für die internationale Bankenwelt würde so was wie einen multiplen Super-GAU erleben.
Wer sind die Märkte?
„Demokratie“ und „Märkte“. Wenig ist so sehr mythenumrankt wie die angeblich segenbringenden Kräfte des Marktes. Sogar in der ArbeiterInnenbewegung und der Linken wurde man vor nicht langer Zeit ausgelacht wenn man den „Markt“ kritisierte. Doch jetzt in der Krise beginnt ein leises Umdenken. Wenn man auch bisher ignoriert hat, dass der Markt über eine Milliarde Menschen in Hunger hält, beginnen sogar jene akademischen Schreiberlinge – die zwei Jahrzehnte lang den Markt und seine Krisenresistenz, seine Fähigkeit Wohlstand zu schaffen und seine Allgemeingültigkeit unabhängig von Zeit und Ort festschrieben – sich aus dem Reich der bürgerlichen Ideologie hinunter in die materielle Realität zu bewegen.
Der Markt ist eine Ansammlung von monopolisierten Institutionen, die vom privaten Profitinteresse geleitet die menschliche Gesellschaft beherrschen. Demokratie ist nur eine der möglichen Organisationsformen des „Marktes“. Wenn der Kapitalismus durch seine, ihm innewohnenden Widersprüche in die Krise gerät, halten es die kapitalistischen Monopolinstitutionen für angebracht ihre Interessen direkter und mit offensichtlichem Nachdruck durchzusetzen. (lese auch: Es schlägt die Stunde der letzten Instanz)
Offensichtlich wird dies in den schäbigen Geheimtreffen der europäischen Finanzminister, der Abstimmung der Tagungszeiten gewählter Politiker von den Öffnungszeiten der Börse. Besonders augenfällig wird dies jedoch im gebetsmühlenartig heruntergeleierten Mantra der „Freiwilligkeit“ der Bankenbeteiligung an den Staatsanleihen („Wiener Initiative“). Angela Merkel hat diesen Glaubensgrundsatz ausgegeben, und Andreas Schieder, seines Zeichens SPÖ Staatssekretär im Finanzministerium wiederholt es im ZIB 2 Interview so oft, dass man das Gefühl hatte, dass dieser Mann ein meditatives Tonband eingelegt hat.
Die materielle Grundlage für dieses eigenartige Verhalten liegt darin, dass die drei Monopolunternehmen im Bereich des Finanzratings (Standard and Poors, Moodys und Fitch), jede politische Verpflichtung an die Banken als „Default“ (Pleite) werten und damit den angelegten Tsunami loslösen würden.
Die Politik kann also nur an die Banken herantreten und sie darum bitten freiwillig und gemeinsam etwas zu tun. Würden diese Banken rational und in ihrem Gesamtinteresse dies tun, könnten die Bürgerlichen sich Zeit verschaffen, um den jedenfalls auftretenden Schaden langsam und kontrolliert auf die ArbeiterInnenklasse abzuwälzen. Aufgrund der privaten Eigentümerstruktur, in der einzelne Banken sich individuelle Vorteile aus einer Pleite erhoffen können, ist ein solches Vorgehen jedoch nicht gesichert.
Der Spiegel schreibt am 20.6.2011 unter dem Titel „Banken diktieren Bedingungen für Griechen-Hilfe“: „Das Kalkül der privaten Gläubiger: Wenn sie bei einer Umschuldung nicht mitmachen, werden eben am Ende doch die europäischen Steuerzahler mit Milliarden einspringen. Experten sehen deshalb kaum eine Chance, dass Finanzkonzerne einfach auf Milliarden verzichten. `Es gibt im Prinzip keine freiwillige Umschuldung oder Laufzeitverlängerung`, sagte Hans-Peter Burghof, Professor für Bankwirtschaft an der Universität Hohenheim.“
Zeit ist also ein entscheidender Faktor: Gelingt es ein Einvernehmen der internationalen Bourgeoisie herzustellen? Gelingt es die griechische Jugend und ArbeiterInnenklasse tatsächlich auf die Schlachtbank zu führen?
Die ArbeiterInnen haben es in der Hand!
Die Streikenden in den E-Werken haben es klar gemacht: Ob das Licht leuchtet und die Telefone klingeln, ob die Flugzeuge fliegen und die Fähren fahren, das entscheidet nur eine Kraft – die ArbeiterInnenklasse. Sie haben mehrere Kraftwerke besetzt und werden nur jene mit Strom versorgen, die sie für würdig halten, und andere nicht. So wie ein Streik funktioniert, stellen wir MarxistInnen uns die Organisation der menschlichen Gesellschaft vor – nicht das blinde Profitinteresse organisiert die Gesellschaft, sondern die Wirtschaft wird durch Menschen bewusst geplant.
Inspiriert durch die Bewegung in Spanien haben sich in den letzten Wochen Komitees in den Stadtvierteln vieler Städte etabliert. Das wichtigste Entscheidungsgremium der Massenbewegung ist die Volksversammlung am Syntagma-Platz. Die Resolution vom vergangenen Sonntag, den 19. Juni, lautet (Auszüge):
„Die Versammlung am Syntagma-Platz ruft alle Volksversammlungen in den Stadtteilen von Athen dazu auf am Tag der Abstimmung zum Sparpaket [medium-term program] das Parlament zu umzingeln.
[…]
Um die Proteste auszuweiten rufen wir alle, Griechen und Migranten, Männer, Frauen und Kinder, Arbeiter und Arbeitslose von allen Platzversammlungen in Athen, von allen Plätzen in Griechenland dazu auf zum Syntagma Platz am Tag der Beschlussfassung zum Sparpaket zu kommen, einen angekündigten 48-stündigen Streik der Gewerkschaftsverbände GSEE und ADEDY zu unterstützen […]
Für 48 Stunden sollen alle Arbeiter die Arbeit niederlegen, alle zusammen zum Syntagma-Platz!
Wir unterstützen den morgen (20. Juni) beginnenden, sich wiederholenden 48-stündigen Streik von GENOP-PPC (Gewerkschaft der Angestellten der Elektrizitätswerke) und nehmen an den Streikposten teil. Wir erkennen an, dass der Versuch das öffentliche Eigentum auszuverkaufen bei der öffentlichen Stromversorgung beginnt.
Wir rufen alle Parlamentarier dazu auf gegen das Sparpaket zu stimmen. Wenn nicht, geht!
Am Donnerstag, 23. Juni, findet das EU-Gipfeltreffen in Lissabon statt. Wir rufen zu einer Versammlung um 19:00 Uhr vor den EU-Büros auf und rufen alle Platzbesetzungen in Europa auf ähnliche Aktionen zu setzen.
Wir sperren die Straßen am Dienstag morgen ab.
Wir rufen zu einem unbefristeten Generalstreik auf.
Für die Errichtung von Streikkomitees in Betrieben, Gewerkschaften und öffentlichen Unternehmen.
Für neue Gewerkschaftsführungen.
Errichtung einer Aktivismus-Arbeitsgruppe. Viele haben in ihren Wortmeldungen die Besetzung von Rundfunkstationen, Gemeindeämtern und anderer öffentlicher Gebäude vorgeschlagen. Eine Arbeitsgruppe um solche Aktionen vorzubereiten soll errichtet werden.
Die gewählten Organe müssen sich unter den Willen der Bürger stellen.
Errichtung eines Solidaritätsfonds für die Verhafteten.
Für das Verbot des Einsatzes und der Lagerung von chemischen Waffen [Tränengas]. […]“
Den Bürgerlichen dämmert, dass ihre Pläne am Aufstand des Volkes scheitern könnten. Heute unterzieht sich Papandreou einer Vertrauensabstimmung im Parlament, deren Ausgang denkbar knapp ausfallen wird. Bereits im Vorfeld scheiterten mehre PASOK-Abgeordneten am Druck der Massenbewegung und dem persönlichen Zorn, dem sie seit Monaten ausgesetzt sind. Sie wurden durch Ja-Sager mit stärkeren Nerven und weniger Gewissen ersetzt. Ein Abgeordneter der PASOK hat angekündigt heute die Vertrauensfrage zu verneinen. Folgen ihm andere FraktionskollegInnen? Die bürgerliche Opposition wird unter dem Eindruck des Aufstandes und einer Regierung, die faktisch am Ende ist, wahrscheinlich entgegen ihren Klasseninteressen gegen die Regierung stimmen. Die linken Oppositionsparteien, die auf der Straße eine katastrophale Rolle spielen, werden sich im Parlament keine weitere Blöße geben. Ob die Parlamentssitzung unter den Bedingungen, die heute in Athen herrschen, überhaupt zusammentreten kann, ist eine weitere Frage, die noch nicht geklärt ist.
Alle Macht der Volksversammlung vom Syntagma-Platz!
Würde das Programm der „Märkte“ einer Volksabstimmung unterzogen, würde es mit überwältigender Mehrheit scheitern. Die demokratischen Institutionen repräsentieren den Willen des Volkes nur unzureichend. Sie liegen zwischen Hammer und Amboss: Hier die Märkte und ihre Exekutoren (etwa in persona Fekter), hier der Wille des Volkes, der sich nur noch auf den Straßen artikulieren kann. Es ist zurzeit nicht klar wer sich dabei durchsetzen wird.
Wir MarxistInnen stehen auf der Seite der griechischen Massenbewegung und gegen „unsere“ Monopole und „unsere“ PolitikerInnen, die das griechische Volk aushungern wollen. Uns ist es einerlei, ob es die griechische Bewegung schafft das Parlament mit Abgeordneten, die ihren Willen repräsentieren, zu füllen oder ob sie in den Stadteilversammlungen, Betriebskomitees und aus der Streikleitung des 48-stündigen Generalstreiks eine alternative Regierung etabliert.
Der angekündigte 48-stündige Generalstreik stellt jedenfalls die Machtfrage: Wessen Demokratie ist dies? Jene der Banken oder jene des Volkes?
Eine neue Regierung, die Regierung der ArbeiterInnenklasse, sollte sofort drei Dekrete erlassen:
– Enteignung allen Privateigentums an monopolisierten Produktionsmitteln und Banken in Griechenland
– Sofortige Aberkennung aller Schulden, die von Vorgängerregierungen eingegangen worden sind
– Ein Appell an die europäische ArbeiterInnenklasse, ihre nationalen Bourgeoisien und Regierungen an der Plünderung Griechenlands zu hindern und Mittel zur Verfügung zu stellen, die die industrielle Entwicklung des revolutionären Griechenlands fördern
Aufgaben der Linken
Auch falls uns dieser Ruf in den kommenden Wochen nicht erreichen wird, so liegt es doch in der Verantwortung der ArbeiterInnenbewegung in Europa einzugreifen. Die Mär der „faulen Griechen“ ist Schall und Rauch. Zugegeben: die griechische Bourgeoisie ist parasitärer als andere. Sie investierte nichts und konsumierte viel. Doch, sollen wir in Österreich an Karl-Heinz Grasser gemessen werden? Wir haben an der Seite unserer griechischen Klassenbrüder und -schwestern zu stehen, die unter der starken Bedrängnis „unseres“ Kapitals und „unserer“ PolitikerInnen aller Couleur stehen. Raus aus dem nationalen Schulterschluss!
Besondere Bedeutung kommt hier einmal mehr der Sozialistischen Jugend zu. Sie hat die politische Autorität in der österreichischen ArbeiterInnenbewegung aufzustehen und sich voll hinter die griechische Bewegung zu stellen. Sie muss einer Finanzministerin Fekter ins Wort fallen, wenn sie wieder „Reformen und Anstrengungen“ verlangt. Sie kann in den Parteigremien und in der Öffentlichkeit fordern, dass die SPÖ sich gegen den Raubzug unserer Banken in Griechenland stellt. Sie kann an die besten Teile der österreichischen Jugend herantreten und in der Praxis zeigen, dass Solidarität mehr ist als nur ein Spruch. Nicht zuletzt beherbergt die SJ heuer das IUSY-Festival, wo es politisch zu manifestieren gilt, wo die internationale sozialistische Jugendbewegung steht: Für den Internationalismus und gegen unser jeweiliges nationales Bürgertum!