In diesem Interview erklären Lis Mandl und Axel Magnus, beide Mitglieder des Wiener Regionalausschusses von work@social in der GPA-djp, weswegen Sozialarbeiter/innen für ihre Anliegen kämpfen sollten und warum es dazu vor allem demokratisch verfasste Gewerkschaften braucht.
Mit Verlaub, dürfen Beschäftigte im Sozialbereich eigentlich streiken?
Lis Mandl: Die Frage stellt sich für mich ein bisschen anders. Eigentlich müsste sie heißen: Wie können die Beschäftigten ihre Arbeit professionell verrichten? Welche Rahmenbedingungen, Arbeitszeiten braucht es und natürlich auch zu welchem Geld passieren diese Höchstleistungen. Wie können wir den Bedürftigsten eine hochwertige Betreuung, Unterstützung und Leistung anbieten. Was ist soziale Arbeit wert? Ein Problem das ich hier sehe, ist, dass viele Kolleg/innen meinen, es würde auf Kosten der Klient/innen bzw. Patient/innen gehen, wenn im Sozial- und Gesundheitsbereich gekämpft wird. Das stimmt natürlich für einen begrenzten Zeitraum auch, aber langfristig kommen bessere Arbeitsbedingungen v.a. auch den Klient/innen zu Gute. Daher ist bei Abwägung der Interessen das Argument falsch, dass wir das nicht dürfen, weil es auf Kosten der Klient/innen ginge.
Warum tun sich Sozialarbeiter/innen oft dennoch schwer, offensiv für ihre Rechte zu kämpfen?
Lis Mandl: Viele Beschäftige im Sozial- und Gesundheitsbereich arbeiten in sensiblen Bereichen. Egal ob im Behinderten- und Pflegebereich oder in der Suchtarbeit.
Die Arbeit mit Menschen erfordert viel Kompetenz und Verantwortungsgefühl, genau diese Eigenschaften machen das „Für-sich-kämpfen“ dann so schwer. Viele haben das Gefühl, für die Klient/innen verantwortlich zu sein und beißen durch, so nach dem Motto: “Wenn schon die Politik die Leute hängen lasst, bleib ich wenigstens dran“. Allerdings muss gesagt werden, dass sich die Einstellung geändert hat. Spätestens seit Oberösterreich wird wieder laut über Streikformen im Gesundheits- und Sozialbereich nachgedacht. Die Beschäftigten sind bereit, die Verantwortung jenen zurückzugeben, bei denen sie liegt – den Politiker/innen.
Axel Magnus: Ich sehe große Unterschiede zwischen verschiedenen Berufsgruppen und Bereichen in unserer Branche. Die meisten Kolleg/innen in Behindertenhilfe, Kinder- und Jugendarbeit sowie psychosozialer Arbeit wären durchaus für Aktionen zu gewinnen. Hier bremst derzeit der größte Bereich – die Pflege. Andererseits sehe ich gerade auch bei uns im Betrieb große Unterschiede, was die Ausbildung betrifft. Offensichtlich gibt es Ausbildungen, wo die Kolleg/innen mit Individualismus geimpft werden. Bei uns spiegelt sich das auch im gewerkschaftlichen Organisationsgrad wider – dieser ist bei Ärzt/inn/en, Psycholog/innen, sonstigen Akademiker/innen und administrativem Personal hoch – diese beteiligen sich auch aktiv an Aktionen. Bei den meisten Sozialarbeiter/innen hingegen sieht es anders aus.
Es geht ja nicht nur darum, dass der Sozialbereich mit massiven Kürzungen konfrontiert ist. schon bislang war der Arbeitsdruck in diesem Bereich extrem hoch. Wie kann man sich den Arbeits- und Lebensalltag von Beschäftigten im Sozialbereich vorstellen?
Axel Magnus: Der Arbeitsalltag insgesamt sieht im Regelfall so aus: Termin mit/bei Klient/in – Dokumentation – Termin mit/bei Klient/in – Dokumentation usw. usf. Hin und wieder wird dieses Rad von Teamsitzungen, Supervisionen und ganz selten Fortbildungen unterbrochen, aber das auch nicht mehr in allen Bereichen bzw. Betrieben. Früher ist immer davon gesprochen worden, dass Fabriksarbeit so eintönig sei. Mit der zunehmenden Spezialisierung der sozialen Einrichtungen und der Verbetriebswirtschaftlichung der Logik sozialer Verwaltung und Betreuung gilt das mittlerweile aber auch für den Sozialbereich. Gleichzeitig ist die materielle Absicherung von vielen Kolleg/innen unzureichend. Viele Jobs sind so anstrengend, dass kaum jemand Vollzeitarbeit aushält. Das führt – insbes. in den geringer entlohnten Bereichen, wie z.B. bei Heimhilfen, dazu, dass gar nicht wenige Kolleg/innen selbst unter der ohnedies sehr niedrig angesetzten offiziellen Armutsgrenze leben.
Lis Mandl: Im Wiener KAV werden im Monat über 50 Millionen eingespart und das vor allem beim Personal. Gerade in den Krankenhäusern ist dieser Druck enorm spürbar. Laut Studie sind 40% bereits im Burnout bzw. davon gefährdet. Die Verantwortung (und oft auch die Liebe zur Arbeit) gepaart mit der Angst, Fehler zu machen, es nicht mehr zu schaffen, ist ein Teufelskreislauf, der alleine nicht mehr durchbrochen werden kann. Zum Lebensalltag muss gesagt werden, dass oft die Arbeit mit nach Hause genommen wird. Viele Kolleg/innen können nicht mehr abschalten – schwierige Fälle, aber auch das Verhalten von Vorgesetzten verfolgen die Beschäftigten bis in die Träume. Manche Wissenschafter/innen nennen das auch emotionale Schwerarbeit.
Wären diese Arbeitsbedingungen nicht schon Grund genug, um etwa für einen besseren Kollektivvertrag zu kämpfen?
Axel Magnus: Selbstverständlich. Eine massive Arbeitszeitverringerung auf 32 Stunden bei vollem Lohnausgleich und die Einführung der 4-Tage-Woche könnten den Druck auf die Kolleg/innen deutlich verringern. Gleichzeitig würde damit Teilzeitarbeit finanziell aufgewertet. Ausreichende Supervision und bezahlte Fortbildungen sind ebenfalls erforderlich. Und wenn schon der sonst nicht gerade gewerkschaftsfreundliche Professor Mazal fordert, dass Krankenpfleger/innen gleich viel verdienen müssen wie Automechaniker/innen, dann kann ich mich dieser Forderung nur vollkommen anschließen. Er hat da übrigens eine Lohnerhöhung von ca. 45% gefordert – nicht schlecht und vollkommen verdient würde ich sagen.
Lis Mandl: Von welchen Kollektivvertrag (KV) reden wir? Ein Problem in diesen Bereich ist die Zersplitterung der Branche. Und das zieht sich durch. Vom Betrieb, zu den Gewerkschaften bis zu den Kollektivverträgen. Und nun gibt’s in Wien das Bestreben von Unternehmensseite den eh schon ziemlich miesen BAGS-Kollektivvertrag durch einen eigenen KV zu unterwandern. Genau diese Spaltung gilt es zu überwinden, die Forderungen liegen eh klar auf dem Tisch!
Wie seht ihr eure Rolle als kämpferische GewerkschafterInnen innerhalb des ÖGB? Kann man ohne ÖGB kämpfen? Muss man mit ihm kämpfen?
Axel Magnus: Ich glaube durchaus, dass mensch mit dem ÖGB kämpfen kann – zumindest mit Teilen davon. Gerade die GPA-djp hat ja in den letzten Jahren einige ansatzweise kämpferische Kampagnen gemacht – z.B. KiK, Handel, aber auch im Sozialbereich. Hier gilt es anzusetzen, und diese ersten Fortschritte weiter auszubauen. Und wenn der ÖGB kämpft, dann müssen sich natürlich alle kritischen und kämpferischen Gewerkschafter/innen daran beteiligen. Schwierig ist sicherlich, dass manchmal die eine Gewerkschaft zum Thema X kampfwillig wäre und die andere nicht. Wir bewegen uns hier also in vielen Widersprüchen.
Unsere Rolle in diesem Spannungsfeld ist, so denke ich, jene der Vorantreiber/innen. Gute Ansätze gilt es aufzugreifen und zu verstärken; gleichzeitig müssen wir immer auch schon den nächsten Schritt vorschlagen, also versuchen, das Klassenbewusstsein der Kolleg/innen weiter zu entwickeln, aber auch die Kampfformen auf eine höhere Ebene heben. Wir müssen klar machen, dass wir auch ein Teil dieser unserer Gewerkschaft sind, auch wenn wir derzeit keine Mehrheit für unsere Positionen haben.
Fraktionsübergreifend müssen die kämpferischen Kräfte für eine Politik eintreten, die es den Kolleg/innen wieder möglich macht, selbst aktiv über ihre Gewerkschaft zu bestimmen. Der Zwilling einer kämpferischen Gewerkschaft ist eine demokratische Gewerkschaft – eines ohne das andere kann es nicht geben. Und wenn viele Kolleg/innen heute den ÖGB und seine Gewerkschaften – mit vielen guten Gründen – kritisch sehen, dann müssen wir sie davon überzeugen, dass wir viele der genannten Probleme gemeinsam lösen können, wenn wir auch in unseren eigenen Reihen gemeinsam dafür kämpfen, wenn wir also gemeinsam dafür kämpfen, die Gewerkschaften wieder zu demokratischen Kampforganisationen zu machen, oder wie Karl Marx das einst formulierte: Lohnfechter/innen der Arbeit und Schulen des Sozialismus.
Abschließend: Was bräuchte es eurer Sicht, damit sich die Verhältnisse von Klient/innen und Beschäftigten im Sozialbereich nachhaltig ändern?
Axel Magnus: Geld. Ganz einfach. Heute leiden Klient/innen und Beschäftigte unter den Sparpaketen der Länder und des Bundes. Wenn das so weiter geht, wird es in Zukunft sicherlich auch zu Verteilungskämpfen zwischen diesen beiden Gruppen im Sozialbereich kommen. Doch die Beschäftigten haben ein Recht auf die bestmöglichen Arbeitsbedingungen. Und die Klient/innen haben ein Recht auf bestmögliche Betreuung. Gemeinsam können wir das durchsetzen. Das wird aber nicht möglich sein, ohne die Verteilungsfrage offensiv anzusprechen. Die Forderung nach einer Sozialmilliarde ist längst von der Realität überholt werden. Wir brauchen viele Milliarden, um die Leistungen für die bedürftigen Menschen in hoher Qualität zur Verfügung stellen zu können und unsere Arbeitsbedingungen auf ein akzeptables Maß anzuheben. Mit einer ernsthaften und stark progressiven Besteuerung von Gewinn und Vermögen wäre das aber leicht möglich. Doch dazu fehlt den Herren und Damen Politiker/inne/n der Mut.
Lis Mandl: Ich will weg von dieser Almosen- und Sozialschmarotzer/innendebatte. Wir leben im fünftreichsten Land. Ein hochwertiges Gesundheits- und Sozialsystem ist da einfach nur eine Pflichtkür! Natürlich muss mensch sich die Systemfrage stellen. Alter Hut – aber immer noch ungelöst! Und was die Demokratisierung betrifft, die darf bei den Gewerkschaften nicht halt machen. Diese völlige Entmündigung der Klient/innen gerade im Gesundheitsbereich gehört durchbrochen. Kontrolle über die Leistung durch Beschäftigte und Betroffene – das ist meine Vision. Ich staune immer wieder über die Kreativität und das menschliche und fachliche know-how meiner Kolleg/innen. Dieses Potential soll sich entwickeln können – jede/r nach ihren/seinen Fähigkeiten und Bedürfnissen!
Lis Mandl ist Sozialarbeiterin und arbeitet in einem Wiener Kinderkrankenhaus. Axel Magnus hat Politikwissenschaft und Kommunikationswissenschaft studiert und ist derzeit Betriebsratsvorsitzender in der Sucht- und Drogenkoordination Wien. Das Interview führte Samuel Stuhlpfarrer.