„Ich bin mir sicher, dass die Revolution uns verändert hat. Die Menschen verhalten sich jetzt ganz anders zueinander.“ Das sind die Worte von Ms Kamel, 50, eine der Frauen, die auf dem Tahrir-Platz waren und sich aktiv an der Revolution beteiligt haben. Arabische Frauen haben erneut gezeigt, dass Frauen bei revolutionären Prozessen eine entscheidende Rolle spielen. In Ägypten haben Frauen in der Revolution eine aktive Rolle gespielt.
Eine genauso aktive Rolle wie in der Streikbewegung der vergangenen Jahre, in der sie Druck auf die Männer ausübten, damit diese sich an den Streiks beteiligten.
Bei früheren Protesten waren nur ca. 10% der Beteiligten Frauen, aber auf dem Tahrir-Platz stellten sie an den Tagen, die zum Sturz Mubaraks führten, zwischen 40 und 50 % der Demonstranten. Frauen mit und ohne Schleier beteiligten sich an der Verteidigung des Platzes, bauten Barrikaden, führten Debatten, riefen Parolen und riskierten an der Seite der Männer ihr Leben.
Eine andere Sichtweise auf Frauen
Wahrscheinlich war für die einfachen Menschen das Streben nach Respekt und Würde das entscheidende Motiv (etwas, was auch in Russischen Revolution und in Frankreich im Mai 1968 der Fall war). Diktatorische Regimes, Polizei und Bosse behandeln die Menschen nicht wie menschliche Wesen, sondern wie Tiere. Das betrifft alle Arbeiter und Arme, aber besonders Frauen.
Die Selbstwahrnehmung der Frauen hat sich während des Kampfes verändert. „Wir haben unter dem Geschmack von Tränengas gelitten, aber wir haben keine Angst. Selbst Frauen, die normalerweise Angst haben das Haus zu verlassen, sehen uns und bekommen Mut“, erklärte die Englischlehrerin Riham Muntaz, 25, der Zeitung The National am 14. Februar.
Die Vorstellung, dass Männer und Frauen verschieden sein sollten, ist während der Revolution verschwunden. Mozn Hassan, Direktorin des feministischen Studienzentrums Nasra in Kairo sagte: „Niemand sieht dich hier als Frau, niemand sieht dich als Mann. Wir sind alle vereint in unserem Wunsch nach Demokratie und Freiheit.“ Sie erklärt, dass es die Freiheit war, welche die Frauen auf dem Tahrir-Platz erfuhren, die sie immer wieder zurückkehren ließ, zusammen mit ihren Freundinnen, ihren Schwestern und ihren Müttern.
Die Revolution hat auch das Verhältnis zwischen den Geschlechtern verändert. „(…) Auf dem Platz waren Menschen aus verschiedenen Klassen, Männer und Frauen, die sich vermischten, miteinander sprachen und diskutierten. Die Männer sahen, dass die Frauen stark sind, dass sie in der Lage sind, für sich selbst zu sorgen. Sie sahen Frauen, die sich vehement für die Revolution einsetzten, Proteste anführten und sie antworteten ‚Ich respektiere euch‘ „, sagte Ms Hassan. Sexuelle Belästigung ist in Ägypten schon lange ein großes Problem. Mehr als vier von fünf Frauen wurden einmal im Leben sexuell belästigt und auch die Polizei hat davon Gebrauch gemacht, um die Frauen einzuschüchtern. Aber im Kampf gegen das Mubarak-Regime war dieses Phänomen abwesend.
Die Befreiung der Frauen durch den Klassenkampf
Die arabischen Frauen sind wegweisend. Die rechten bürgerlichen Parteien haben die Unterdrückung der Frau in vielen Gesellschaften, in denen der Islam die Hauptreligion ist, benutzt, um gegen die so genannte „muslimische Welt“ eine Kampagne zu führen und die Invasion des Iraks und Afghanistans damit zu legitimieren. Leider sind ihnen dabei Intellektuelle und so genannte Linke, die sich über „die Rolle der Frau in der muslimischen Welt“ moniert haben, zu Hilfe gesprungen. Andere Linke sind auf die Gegenseite geschwenkt und haben den religiösen Kräften in der arabischen Welt sogar Zugeständnisse gemacht. Die arabische Revolution zeigt, dass wir als MarxistInnen absolut Recht haben, wenn wir darauf bestehen, dass der Kampf für die Rechte der Frauen ein Bestandteil des Klassenkampfes ist und beide nicht voneinander zu trennen sind.
Die arabischen Massen haben gezeigt, dass die Klassenteilung die entscheidende Teilung in der Gesellschaft ist. In den vereinten Kämpfen der Massen spielen weder Religion, noch Geschlecht oder Rasse eine Rolle und bestehende Vorurteile werden in der Praxis überwunden. Marx erklärte, dass es nicht das Bewusstsein des Menschen ist, dass sein Sein bestimmt, sondern sein gesellschaftliches Sein sein Bewusstsein. Wenn die materiellen Bedingungen für die große Mehrheit nicht mehr hinnehmbar sind und die Massen gezwungen werden, für bessere Lebensbedingungen zu kämpfen, dann ändern sich durch diesen Kampf ihr Bewusstsein und ihre Vorstellungen dramatisch.
Freiheit wozu?
Die ägyptischen Frauen, die in großer Zahl auf die Straße gegangen sind, taten dies nicht im Namen einer abstrakten Frauenbefreiung. Sie gingen auf die Straße, um für sich und ihre Familien ein besseres Leben zu schaffen.
Die Englischlehrerin Ms. Muntaz erklärt, wie sie kämpft, um über die Runden zu kommen. „Ich bekomme 400 Ägyptische Pfund im Monat… Ich habe keine Krankenversicherung. Wenn ich operiert werden muss, muss ich es selbst bezahlen. Ich habe keinen Arbeitsvertrag und damit keine Arbeitsplatzsicherheit. Wir wollen für uns und unsere Kinder ein besseres Leben. Wir verdienen ein besseres Leben.“
Der Kampf der arabischen Massen hat gerade erst begonnen. Die arabischen Frauen haben enormen Mut bewiesen und gezeigt, dass der Kampf für die Befreiung der Frau nur als Bestandteil eines Kampfes für eine generelle Befreiung der arbeitenden Menschen geführt werden kann. Sie werden erkenn, dass die Befreiung der Frauen nicht aus der formalen Freiheit oder der formalen Demokratie entspringt, sondern eine wirkliche soziale Revolution fordert.
von Marie Frederiksen