In Frankreich traten Ende September die Erdölarbeiter in den Streik und legten somit ein Drittel der Tankstellen lahm. Der unmittelbare Auslöser war der enorme Druck der Teuerung.
Nach einem dreiwöchigen Streik, der auch staatlichen Repressionen ausgesetzt war, sowie mehreren nationalen Protest- und Streiktagen, an denen sich eine Vielzahl von Sektoren beteiligten, kam es schlussendlich zu einem Kompromiss zwischen Unternehmern und Gewerkschaft. Die Arbeiter in den Raffinerien und den Erdöldepots erreichten eine Lohnerhöhung von 7%, was einen Abschluss über der französischen Inflationsrate bedeutet.
Der Abschluss wäre ohne den mutigen und ausdauernden Arbeitskampf nicht möglich gewesen. Gleichzeitig ist er auch eine vergebene Chance, die verschiedenen Kämpfe zu vereinen und die volle Schlagkraft der Arbeiterklasse gegen die steigenden Preise und die Profitinteressen der Kapitalisten zu nutzen.
Die CGT, der wichtigste und kämpferischste Gewerkschaftsverband, kündigte bereits weitere Aktionstage mit Streiks für den 27.10 und den 10.11 an. Der vorliegende Artikel von Jorge Martín und Joe Attard, einige Tage vor dem Ende der Streiks im Ölsektor geschrieben, zeigt die schnelle Verbreitung der unterschiedlichen Kämpfe sowie die Notwendigkeit, diese in einer verallgemeinerten Generalstreikbewegung zu bündeln. Eine wichtige Lehre für die Arbeiterbewegung – nicht nur in Frankreich!
Mit dem Ausfall von vier der sieben Raffinerien des Landes verursachten die Streiks der Ölarbeiter eine Treibstoff-Knappheit im ganzen Land, die sich auf den Verkehr und wichtige Dienstleistungen auswirkte und so langsam alles zum Erliegen brachte. Die Ölarbeiter fordern eine Lohnerhöhung von 10%, um die Inflation ausgleichen zu können.
Trotz der Verleumdungskampagne der Medien und rechter Politiker genießen die Ölarbeiter eine breite öffentliche Unterstützung, da das Leben von Millionen Arbeiterinnen und Arbeitern anderer Branchen durch die Inflation genau so unter Druck ist.
Generalstreik
Am 11. Oktober beschloss die französische Regierung, mehrere bestreikte Erdöldepots mittels staatlicher Verordnung zu „beschlagnahmen“. Als Antwort auf diese staatlichen Angriffe gegen die Streiks der Ölarbeiter veröffentlichte der kämpferische Verband in der Chemischen Industrie (FNIC-CGT) einen Aufruf, die Streiks auf andere Sektoren auszuweiten.
Auf einer gemeinsamen Sitzung der Gewerkschaftsorganisationen (CGT, FO, Solidaires, FSU sowie die Schüler- und Studentenorganisationen Fidl, MNL, Unef und Vie lycéenne) wurde beschlossen, für den 18. Oktober einen „nationalen Aktionstag mit Streiks“ zu organisieren.
Die CGT sprach von einem „Generalstreik aller Sektoren“. Der Aufruf könnte als Sammelpunkt dienen und den Beginn einer verallgemeinerten Streikbewegung darstellen. Andere Sektoren haben sich bereits angeschlossen, u.a. mit Streiks in Atomkraftwerken, im Luftfahrtbereich, in der chemischen und der Automobileindustrie. Die Eisenbahner haben bereits einen Streikbeschluss gefällt, einige ab dem 17. Oktober, andere ab dem 18. Oktober.
Es wird erwartet, dass sich die drei verbleibenden französischen Ölraffinerien dem landesweiten Streik anschließen werden. Die FNME-CGT kündigte an, dass „eine Ausweitung (…) auf alle Energieunternehmen in vollem Umfang angenommen wird.“
Die Verkehrsgewerkschaften CGT-Cheminots und Sud-Rail haben für den 18. Oktober Aktionen angekündigt, um sich mit den Energiearbeitern zu solidarisieren und Lohnerhöhungen zu fordern. Es ist auch davon die Rede, dass sich Busfahrer der öffentlichen Verkehrsgesellschaft RATP beteiligen könnten.
Darüber hinaus hat die Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes UFSE-CGT einen Streik angekündigt, in dem sie nicht nur „volle Unterstützung für den Streik der Beschäftigten in der Ölindustrie“ zusagt, sondern auch sofortige Lohnerhöhungen von 10% und darauffolgende Anpassungen der Löhne an die Inflation fordert. Sie stellen sich ebenso gegen jegliche Pensionsreform.
Auch die CFDT-Santé, die führende Gewerkschaft des privaten Gesundheitssektors, rief für den 18. Oktober zum Streik auf und wies ihre 200.000 Mitglieder an, in Kliniken und Altersheimen ihre Arbeit niederzulegen. Dies ist eine bemerkenswerte Entwicklung, da frühere Streiks meistens an fehlender Koordination zwischen den Beschäftigten des privaten und des öffentlichen Bereichs scheiterten.
Macron steckt in der Klemme
Zusätzlich zum wachsenden Widerstand der Arbeiterklasse sieht sich Macron auch im Parlament mit Problemen konfrontiert. Nachdem er bei den letzten Wahlen seine parlamentarische Mehrheit verloren hatte, kämpft er nun darum, sein neues Budget verabschieden zu können, um die ausufernde Inflation wieder unter Kontrolle zu bringen.
Bei der seit langem geplanten Erhöhung des Pensionsantrittsalters machte er bereits einen Rückzieher. Außerdem sieht er sich einer starken Opposition gegenüber, die sich gegen die Kürzung der Staatsausgaben ausspricht. Ein Bündnis von Oppositionellen hat einen Abänderungsantrag eingebracht, der neue Steuern für französische Konzerne vorschlägt, um diese davon abzuhalten, „Superdividenden“ an ihre Aktionäre auszuschütten.
Der französische Ministerrat hat soeben die Anwendung des Verfassungsartikel 49.3 genehmigt, wodurch die Exekutive Gesetze ohne Abstimmung des Parlaments verabschieden kann, „wenn es die Situation erfordert“.
Dieser Schritt ist äußerst gefährlich und wird auch mit einer „nukleare Option“ verglichen. Er würde nämlich nicht nur die Massen erzürnen, sondern könnte auch zu einem Misstrauensvotum führen, das Macron garantiert verlieren würde und das zum Ende seiner Präsidentschaft führen würde.
France Insoumise (LFI), die die größte linke Oppositionsplattform im Parlament (NUPES) anführt, rief für den 16. Oktober zu einer landesweiten Demonstration gegen die hohen Lebenshaltungskosten und die Klimakrise auf. Die Sozialistische Partei und die Grünen sowie Dutzende von anderen Organisationen schlossen sich dem Aufruf an.
Am Beginn der Demonstration sprach LFI-Chef Melenchon über die Frauen, die 1789 gegen die hohen Lebenshaltungskosten auf Versailles marschierten und damit die Französische Revolution auslösten. Er rief die Teilnehmer auf, es ihnen gleichzutun. Die Demonstration war sehr groß, die Organisatoren schätzten die Teilnehmerzahl auf 140.000 und Melenchon bezeichnete sie als „riesigen Erfolg“.
Auf der Hauptkundgebung in Paris erklärte er, dass Macron Frankreich ins Chaos stürze: „Wir werden eine Woche erleben, wie wir sie nicht oft sehen“.
Unsere französische Schwesterorganisation Révolution erklärte:
„Der Streik der Raffinerien, die Demonstration vom 16. Oktober und der [Streik] vom 18. Oktober können einen Wendepunkt in der politischen und sozialen Situation darstellen. Mit seiner üblichen Arroganz stellte Macron gestern die ‚Handvoll Menschen‘ an den Pranger, die die Raffinerien lahmlegen.“
„Am 16. Oktober, am 18. Oktober und darüber hinaus müssen wir eine breite Bewegung lostreten, um der Herrschaft einer ‚Handvoll Menschen‘ ein Ende zu setzen, die die Wirtschaft des Landes kontrollieren und sich die Taschen mit ihren Profiten vollstopfen, während die Menschen in Armut und prekären Zuständen versinken.“
Für einen unbefristeten Generalstreik zum Sturz von Macron!
Doch unsere französischen GenossInnen erheben auch ein Wort der Warnung in ihrem aktuellen Leitartikel:
„Wir haben es immer wieder erklärt… gewerkschaftliche ‚Aktionstage‘, wie groß sie auch sein mögen, können die Regierung nicht zum Rückzug zwingen. Und da diese Aktionstage wirkungslos bleiben, mobilisieren sie zwangsläufig immer weniger Menschen. Der letzte Aktionstag am 29. September zum Beispiel blieb weitgehend unbemerkt.“
„Die Regierung wird nur dann nachgeben, wenn sich eine breite Bewegung von unbefristeten Streiks entwickelt, die eine wachsende Zahl von Arbeitern umfasst. Die nationalen Führungen der Gewerkschaftsbewegung weigern sich jedoch, die Notwendigkeit dieser Strategie anzuerkennen, sie zu erklären – und unsere Klasse somit ernsthaft auf eine solche Bewegung vorzubereiten. Dies ist ein großes Hindernis, aber nur ein relatives. Die Passivität und Mäßigung der Gewerkschaftsführungen können nicht verhindern, dass sich der soziale Unmut früher oder später in einer radikalen Form ausdrückt. Das haben wir mit der Bewegung der Gelbwesten 2018 und 2019 gesehen.“
Bislang haben die Gewerkschaftsführungen vereinzelte Aktionstage als Ventil genutzt, damit die Arbeiterklasse Druck ablassen kann oder bestenfalls um ihre Mitglieder auf die Straße zu bringen, um sie als Drohkulisse für die im Hintergrund stattfindenden Verhandlungen mit den Bossen und der Regierung zu verwenden. Kurz gesagt, sie bemühen sich, den Kampf der Arbeiterklasse in sicheren Bahnen zu halten.
Die große Kraftdemonstration dieses Wochenende ist ein weiteres Anzeichen für den tiefen Unmut in Frankreich. Doch um diese Wut in kämpferische Aktionen umzuwandeln, die Macron stürzen und den Angriffen auf die Arbeiterklasse ein Ende setzen können, ist es notwendig, einen großangelegten, politischen, unbefristeten Generalstreik zu organisieren, der das gesamte Land lahmlegt.
Die Eisenbahnarbeiter, das schwere Bataillon der Arbeiterklasse, stellen bereits diese Perspektive auf. Ein Vertreter von SudRail erklärte, dass sie „am Dienstag, den 18. Oktober, in ganz Frankreich Generalversammlungen abhalten werden und dort die Frage des unbefristeten Streiks stellen werden.“
Das ist der richtige Weg. Frankreich befindet sich wieder einmal kurz vor einer sozialen Explosion. Die Bedingungen, die dort eine Massenbewegung möglich machen, gibt es in ganz Europa. Was wir brauchen ist ein radikales Programm des Klassenkampfs und eine mutige, entschlossene Führung, die in der Lage ist, diesen Kampf bis zum Ende zu führen!
(Funke Nr. 208/25.10.2022)