Am 12. Mai (Tag der Pflege) riefen die Gewerkschaften des Gesundheitssektors zu Demonstrationen auf und tausende Beschäftigte gingen in ganz Österreich auf die Straße.
Dies ist der vorläufige Höhepunkt des Pflegeprotestes, der sich seit vergangenem Herbst nicht mehr verhindern ließ. Ein Blick zurück: am Tag der Pflege 2021 versammelten sich ein gutes Dutzend AktivistInnen von „Solidarität“ und „Der Funke“ vor Spitälern in Wien und Vorarlberg, um den sozialen Forderungen des Personals einen sichtbaren Ausdruck zu verleihen. Die Gewerkschaften waren damals weit weg vom Personal – und das Personal am Ende der Kräfte.
Die Arbeitsbedingungen haben sich derart zugespitzt, dass die Beschäftigten sich wehren mussten (individuell durch Kündigungen und Arbeitszeitreduktionen und gemeinsam in Protestaktionen). Die Verantwortlichen verdeutlichten der Öffentlichkeit und der Politik, dass der Normalbetrieb im Pflegeheim und im Krankenhaus zunehmend als ständiger Notfallbetrieb organisiert werden muss. Diese Spirale nach unten muss aus jeder Perspektive heraus durchbrochen werden.
In dieser Situation gaben die Führungen der Gewerkschaften sich einen Ruck und hauchten ihrem Bündnis „Offensive Gesundheit“ neues Leben ein, organisierten seit Herbst 2021 mehre Aktionstage und Petitionen. Die Orientierung dieser Aktivitäten lautet, die Regierung zum Handeln zu bringen, ohne selbst konkrete Kampfforderungen aufzustellen.
Am 12. Mai – kurz vor den Demonstrationen – präsentierte Gesundheits- und Sozialminister Rauch nun ein Notfallpaket, das die Pflege vor dem Kollaps retten soll. Kern des Paketes ist ein zweijährig laufender Sonderfonds für Pflegebeschäftigte von 520 Mio. €. Damit sollen im Einklang mit Ländern und Sozialpartnern zeitlich befristete Boni-Zahlungen geleistet werden.
Weiters gibt es eine Reihe von Gesetztesvorhaben, die zwei Dinge erreichen werden:
1. Die stärkere Hierarchisierung des Pflegebetriebes durch die Schaffung und Verfestigung von geringer ausgebildeten [Aufgrund von Hinweisen bezüglich möglicher Fehlinterpretation wurde hier „minderqualifiziert“ durch „geringer ausgebildet“ ersetzt.] PflegerInnen im System (bei gleichzeitiger Ausweitung ihrer Tätigkeitsfelder) und
2. eine Reihe von Maßnahmen, die die Pflege von Angehörigen durch Angehörige unterstützen.
Als arbeitsrechtliche Verbesserung soll der mit Dienstantritt gegebene erweiterte Urlaubsanspruch ab dem 43. Lebensjahr und der Erwerb von Nachtgutstunden in der stationären Langzeitpflege umgesetzt werden.
ÖGB zufrieden
Die Gewerkschaftsspitzen beurteilen die Zielrichtung und den Inhalt des Regierungsentwurfs von der Bühne herab durchwegs positiv und verkaufen ihn als einen Erfolg der Mobilisierungen – die sie jetzt beenden wollen. Die nun folgenden Verhandlungen unter ihrer Einbindung, wer wieviel vom Bonus bekommen soll, werden die Apparate beschäftigt halten und die brüchige Allianz der Gewerkschaftsspitzen („Offensive Gesundheit“) endgültig spalten: jeder will seinen Mitgliedern einen greifbaren monetären Erfolg vermitteln.
Im Einklang mit vielen Gesprächen, die wir gestern führen konnten, kommen wir zu keiner positiven Einschätzung des Notfallspaketes.
Vorneweg schließen wir uns vollinhaltlich der Einschätzung eines Pflegedirektors an, der uns trocken kommentierte: „Wer Pflege will, muss Pflege bezahlen“.
Die Idee, dass statt Löhne und Arbeitsbedingungen zu vereinbaren, zeitliche Boni (ohne Anrechnung zur Pensionsbasis, zeitlich begrenzt, ohne Teil der Lohnbasis zu sein…) ausgeschüttet werden, ist ein zurück ins 19. Jahrhundert. Wir brauchen kollektivvertraglich geschützte Löhne, keine befristeten Gnadenzahlungen der Herrschenden. Eine Gewerkschaftsspitze, die das nicht auf Anhieb erkennt und zurückweist, ist nichts wert.
Die Zielorientierung der Schaffung neuer Niedriglohnbereiche in Gesundheit und Pflege bedeutet auf Sicht schlechtere Bedingungen und Leistungen für alle und die gesetzliche Verfestigung der Frau (als Tochter, Mutter, Gattin, Schwiegertochter,…) am Pflegebett bedeutet schlicht, dass die Mauern des Familiengefängnisses um jede Frau befestigt wird – sehr kostenschonend für den Profit, wenn man keine gute Pflegeeinrichtungen finanzieren muss!
Differenzierung zwischen Spitze und Basis
Die Demos der Pflege waren alle sehr laut, nicht nur durch Instrumente und Pfeifen, sondern auch durch heftige Beschallung. Dies gefiel einigen KollegInnen sehr gut, sommerliche Party-Stimmung kam auf, als in Wien über die vor Hitze flimmernde Donaulände die Titelmusik von Baywatch dröhnte.
Dagegen war es schwer mit Sprechchören anzukommen: „Was macht Peter Hacker [der Wiener Gesundheits-Stadtrat] Dampf: Klassenkampf!“, „Arbeitszeit runter – Löhne rauf!“ „Bei der Rüstung sind sie fix – für die Gesundheit tun sie nichts“ – solche Slogans wurde im Funke-Solidarität-Block gerufen.
Wir gingen in räumlicher Nähe mit dem GLB (KPÖ) und der Initiative „Sozial aber nicht Blöd“, womit sich ein klassenkämpferischer Demo-Sektor herausbildete, der Aufmerksamkeit und Interesse auf der Demo weckte.
70 verkaufte Funke Zeitungen und großes Interesse am Flugblatt der Liste Solidarität sind ein Ausdruck dessen, dass unter der Partystimmung ein weitverbreitetes kritisches Bewusstsein vorhanden ist.
Die Demo aber war so angelegt, dass die DemonstrantInnen eher als KonsumentInnen von leerer Brachial-Rhetorik und stimmungsvoller Musik, denn als selbst artikulationsfähige ArbeiterInnen gesehen wurden. Dies entspricht der gesamten Praxis der Gewerkschaftsspitze, und es gibt einen wahrnehmbaren Sektor unter den Beschäftigten, die zu Gewerkschaftsaktionen nicht mehr hingehen, oder nur mit extrem schlechter Laune hingehen. Sie haben gelernt, dass sie keine ProtagonistInnen, sondern nur einmal aufgestellte, dann wieder weggepackte Schachfiguren von Hinterzimmer-Gesprächen „von denen da oben“ sind.
Was die Leute denken und wie sie den Kampf weiter gestalten wollen, konnte man nur in Gesprächen erfahren und im Applausverhalten erahnen. Als GPA-Vorsitzende Barbara Treiber auf der Schlusskundgebung das nunmehrige Tun der Regierung lobte und den Inhalt der sogenannten „Reform“ (bei allen Verbesserungsmöglichkeiten, eh klar) gut befand, antwortete die Masse mehrheitlich mit Pfeifen und die Minderheit mit Applaus.
Bejubelt wurde hingegen der Hinweis, dass man die Ausrede „es sei kein Geld da“ nach den COVID-Ausschüttungen nicht mehr akzeptiere. Der Widersprich zwischen ihrer ersten und der zweiten Aussage schien der Vorsitzenden selbst gar nicht aufzufallen.
Den kämpferischen Sektor stärken
Die Daseinsfürsorge steht weiter enorm unter Druck. Die Herrschenden scheren sich nur um ihre Profite, jetzt auch im Krieg in der Ukraine. Die Preise und die Krisenanfälligkeit steigen atemberaubend schnell. Eine qualitätsvolle Pflege-, und Gesundheitsversorgung, Kinderbetreuung und Bildung braucht eine gesellschaftspolitische Schubumkehr. Dazu brauchen wir eine kampffähige Arbeiterbewegung. Die Alternative ist: Almosen.
Stellen wir uns vor, dass kämpferische Kolleginnen und Kollegen auf der Bühne stehen. Stellen wir uns vor, dass jene, die täglich die Verantwortung für das Leben ihrer PatientInnen übernehmen, die Verantwortung für den gesamten Sektor übernehmen.
Stattdessen Kleinmütigkeit, Prinzipienvergessenheit und Stellvertreterpolitik an der Spitze der Gesundheitsgewerkschaften.
Am klarsten Position bezogen hat denn auch der Bandleader der Abschlussband „Russkaja“:
„Schluss mit dem Krieg! Wir feiern hier, weil das Leben weiter gehen muss, und sagen: Schluss mit dem Krieg, für das Leben, für das Gesundheitspersonal, das so hart dafür arbeitet.“
Und wir fügen bescheiden hinzu: Eine andere Gewerkschaftsführung ist möglich.
Wir laden alle Angehörigen des Gesundheitspersonals ein, mit uns in Diskussion zu treten: