Die „Offensive Gesundheit“, das Bündnis der im Gesundheits- und Sozialbereich aktiven Gewerkschaften, hat dem Ministerium öffentlichkeitswirksam eine Gefährdungsanzeige übergeben. Wie weiter machen?
In der Anzeige heißt es:
„Es ist unsere Pflicht darauf hinzuweisen, dass das bereits seit Jahren bei jeder Reform und jeder Budgetaufstockung vergessene Gesundheits- und Betreuungspersonal mehr als überlastet ist und ein systemkritischer Punkt bereits überschritten wurde. Die Uhr für das Gesundheitspersonal schlägt bereits jetzt 5 nach 12: körperliche und mentale Limits sind weit überschritten worden. (…) Es ist unsere Pflicht, Sie, Herr Bundesminister Dr. Mückstein, und die gesamte Bundesregierung durch diese Gefährdungsanzeige darauf hinzuweisen, dass durch Ihr Nichtstun die Gesundheitsversorgung und Langzeitpflege kollabiert und Patientinnen und Patienten sowie Bewohnerinnen und Bewohner in höchstem Ausmaß gefährdet sind.“
Diese Sachverhaltsdarstellung ist richtig. Allerdings sind diese Zustände nicht der Unwissenheit der politisch Verantwortlichen geschuldet, sondern sie entspringen der politischen Prioritätensetzung der Regierung. Es ist nicht nur eine Pflicht der Gewerkschaften, dem Ministerium wiederholt das Klagelied anzustimmen, sondern endlich einen politisch-gewerkschaftlichen Kampf um neue Prioritätensetzungen im Sozial- und Gesundheitsbereich zu organisieren.
Die schleichenden Auslagerungen an Firmen, Vereine und Selbstständige, externe Beratungsverträge, Privatisierungen von Leistungen und Fremdvergaben erhöhten die Effizienz im System nicht, sondern bringen nur eine Privatisierung von öffentlichen Geldern zu Lasten der Arbeitsbedingungen und der Qualität der Leistungen. Am unteren Ende der Pyramide stehen Scheinselbstständige, die am Rande der Menschenwürde 24h-Pflege leisten, an der Spitze zunehmend offensiv agierende private Profitinstitutionen. Dazwischen ein breiter Sektor von zehntausenden Beschäftigten, deren Bedingungen sich ständig verschlechtern. Wir stehen daher für einen Paradigmenwechsel im Sektor hin zu einem qualitätsvollen öffentlichen Gesundheits- und Sozialwesen als übergeordnetes Ziel aller Teilkämpfe.
Die Aktionen des Gesundheitspersonals im November haben gezeigt, dass die Zeit reif ist, die KollegInnen aktiv in die Auseinandersetzung um die Zukunft der Daseinsvorsorge miteinzubeziehen. In unseren Augen ist die Zeit für wiederholte Symbolaktionen abgelaufen: die KollegInnen sind bereit, aktiv in Mobilisierungen einzutreten und die Regierung hat keinen Anlass auf reine Medienaktionen zu reagieren.
Stattdessen plädieren wir dafür, dass jede Mobilisierung im Sektor genützt wird, um die Auseinandersetzungen zu bündeln und breitere Forderungen aufzustellen. Eine Trennung der Lohn- und Gehaltsverhandlungen (der jeweiligen Sektoren) von den tieferliegenden Problematiken ist nicht zielführend. Völlig kontraproduktiv ist das eifersüchtige und kleinliche Hick-Hack zwischen den im Sektor verankerten Gewerkschaften (younion, vida, GÖD, GPA). Dahinter stecken nur Überlegungen der finanziellen Absicherung des eigenen Apparats, was zu Lasten aller Beschäftigten geht. Was wir brauchen ist ein gemeinsames Vorgehen aller Gewerkschaften im Sektor.
In den folgenden zwei Berichten von Jodok Schwarzmann und Sarah Ott beleuchten wir die aktuellen Ereignisse und Perspektiven in Vorarlberg und Wien.
Vorarlberg: Jede Gewerkschaft für sich allein
Nach zwei Jahren Pandemie zeigt sich im Vorarlberger Gesundheits- und Sozialbereich eine Situation wachsender Wut der Beschäftigten, eingeschnürt durch die bürokratische und gespaltene Innensicht im Gewerkschaftsapparat.
Der „5 nach 12“-Protest stieß in Vorarlberg vor allem in den öffentlichen Krankenhäusern auf Enthusiasmus. Ihm folgten jedoch weder neue Mobilisierungen, noch nennenswerte Lohnabschlüsse. GÖD (Land) und younion (Gemeinden) verhandelten bundesweit eine Lohnerhöhung von durchschnittlich 3% für 2022. In Vorarlberg ist dieses demotivierende Ergebnis zudem von einer gewerkschaftlichen Spaltung begleitet: während die GÖD einige Zugaben, wie etwa weitere Corona-Boni verhandelte, verwehrt der Gemeindeverband seinen Bediensteten sogar diese Kleinigkeiten. So stimmte die GÖD dem Abschluss zu, die younion nicht – und somit wird die entsprechende Lohnverordnung des Landes Vorarlberg erstmals ohne gemeinsame gewerkschaftliche Zustimmung (und Kampf) verabschiedet, die Gewerkschaftsbewegung ließ sich stattdessen von der Landesregierung spalten.
Bei den Verhandlungen zum Kollektivvertrag (KV) der privaten Gesundheits- und Sozialberufe Vorarlbergs zeigte sich im Gegensatz dazu eine gewisse Dynamik. Diese Verhandlung entspricht dem SWÖ (privater Pflege- und Gesundheitsbereich), der in Vorarlberg getrennt von Rest-Österreich verhandelt wird. Nach dem Scheitern der zweiten Verhandlungsrunde im Dezember hat die GPA an „5 nach 12“ angeknüpft und kurzfristig zu einer Demonstration aufgerufen, ca. 250 Beschäftigte nahmen spontan daran teil. Der dritte Verhandlungstermin wurde erneut von einer klein angelegten Versammlung von etwa 80 KollegInnen begleitet. Die Forderungen waren bescheiden, aber zumindest ein Griff zur sozialen Stabilisierung: plus 3,8%, neue Zulagen (Wochenende, Einspringen), bezahlte Praktika und für 2023 eine Arbeitszeitverkürzung. Abgeschlossen wurde, ohne weitere Proteste zu organisieren in der 4. Runde am 19.1. mit durchschnittlich 3,1 % und kleinen Verbesserungen im Rahmenrecht.
Die zaghafte Mobilisierung brachte also nur einen Minimalergebnis – insgesamt eine verpasste Chance und ein weiterer Ausdruck der Schwäche einer isoliert handelnden Teilgewerkschaft. Um die Forderungen vollständig durchzusetzen, hätten statt spontanem und symbolischem Protest breit angelegte betriebliche Maßnahmen ein reales Druckmittel geschaffen. Genau dies forderten beispielsweise die AktivistInnen der „Solidarität Vorarlberg“ noch im Dezember in einer öffentlichen Stellungnahme via Social Media und Flugblatt.
So lässt sich die gewerkschaftliche Gesamtsituation in der Branche mit wenigen Schlagworten charakterisieren: gespalten, zaghaft, am Bestehen des eigenen Apparat orientiert und damit dem Druck der Arbeitgeber mehr als notwendig ausgesetzt. Angesichts der Wut, Überarbeitung, Branchenflucht, aber auch dem wachsenden Ruf nach betrieblichem Widerstand, scheinen die Führungen aller Teilgewerkschaften trotzdem weit davon entfernt, ihre egoistischen Vereinsmeiereien grundsätzlich zu hinterfragen. Statt Vertrauen in die Kraft der Beschäftigten und in gemeinsame Mobilisierung für gemeinsame Ziele, herrschen hermetisches (Gewerkschafts-)Apparate-Denken, mitunter sogar offen ausgetragenes zwischen-gewerkschaftliches Konkurrenzgehabe vor. Eines ist klar: mit dieser Perspektive der Gewerkschaftsführungen lassen uns Unternehmen und Landesregierung bald ohne mit der Wimper zu zucken über die Klippe des Systemkollaps springen.
(Jodok Schwarzmann ist Hauskrankenpfleger, Funke-Unterstützer und Aktivist in der „Solidarität Vorarlberg“)
Wien: SWÖ beginnt Mobilisierung für Herbst 2022
Nach über zwei Jahren ohne größere Mobilisierungen aufgrund des 3-jährigen Abschlusses des SWÖ-Kollektivvertrags im April 2020 möchte sich die GPA jetzt wieder fit machen für die KV Verhandlungen im kommenden Herbst. Die letzten beiden Pandemiejahre stellten die MitarbeiterInnen im Bereich vor große Herausforderungen. Keines der bereits bestehenden Probleme konnte gelöst werden, ganz im Gegenteil. Die Arbeitszeitverkürzung von einer Stunde (seit Jänner 2022) bietet keine Entlastung, sondern wird meist durch Arbeitsverdichtung kompensiert. Die Beschäftigten müssen sich diese Arbeitsintensivierung durch die heurige Nulllohnrunde auch noch selbst finanzieren.
Die Forderungen nach mehr Freizeit, mehr Personal und mehr Geld bleiben weiterhin zentral und genau anhand dieser Forderungen soll die Gewerkschafts-Kampagne „Worte reichen nicht“ mit Leben gefüllt werden. Bei einer Betriebsrätekonferenz in Wien im November wurden von den anwesenden BetriebsträtInnen Ideen erarbeitet, wie rund um diese Forderungen Mobilisierungen und Aktionen stattfinden sollen. Es gab bereits erste Nachfolgetreffen, bei denen die Kampagne vorbereitet wurde. Dabei wird mit kleineren Medienaktionen begonnen, bis hin zu Aktionstagen und einer größeren Demo im Juni.
Es gilt, die Kampagne in die Betriebe hineinzutragen, beispielsweise im Zuge von Betriebsversammlungen, bei denen auch gleich erste kleinere mobilisierende Aktionen durchgeführt werden können. Dadurch bereiten wir uns auf mögliche Arbeitskämpfe im Zuge der KV-Verhandlungen vor. Klar ist: es brodelt im gesamten Bereich.
Die Fluktuation ist hoch und es wird immer schwieriger, offene Stellen zu besetzen, was den Druck auf bestehende MitarbeiterInnen weiter erhöht. Klar ist auch, die Situation kann nicht so bleiben, es braucht echte Verbesserungen im Bereich, um eine qualitätsvolle Arbeit weiter gewährleisten zu können. Zentrale Aufmerksamkeit wird der kritische Sektor unter den Beschäftigten darauf werfen, dass die Früchte unserer Mobilisierung nicht nochmals durch eine schlechte Verhandlungsführung zunichte gemacht werden. In diesem Sinne stehe ich von Anfang an dafür, dass der kommende Abschluss des KVs einer Urabstimmung unterzogen wird. Da der GPA-Bundeskongress vom September 2021 sich gegen diese Demokratisierung der KV-Verhandlungen stellte, fällt es den kämpferischen BetriebsrätInnen zu, die Urabstimmungen selbstständig vorzubereiten und durchzuführen. 2019 nahmen zehn Wiener Betriebe an den selbstorganisierten Urabstimmungen teil, die große Mehrheit der Belegschaften stimmte dabei gegen das von den Gewerkschaften GPA und vida erzielte Verhandlungsergebnis. Wir stehen bereit, heuer solidarisch und breit zu mobilisieren, sodass die ChefverhandlerInnen einen Abschluss erzielen können, der die Zustimmung der KollegInnen auch tatsächlich verdient.
(Funke-Unterstützerin Sarah Ott ist Betriebsrätin bei L.O.K.)