Die Arbeiterklasse ist nicht schwach, sie ist sich ihrer Kraft nicht bewusst. Die Kapitalistenklasse trägt ihr bestes dazu bei. Gegen ihre bewusste Spaltung durch Rassismus und „Sozialschmarotzer“-Debatten braucht es die Einheit der Arbeiterklasse.
Strategen des Kapitals beurteilen den Zustand ihres Systems düster. „Die Presse“ lässt den Herausgeber von „The Sunday Telegraph“ zu Wort kommen. Der Leser wird faktenreich vom barocken Gefühl der Nichtigkeit alles Seienden umschlungen:
„Kein Reich besteht ewig: Jedes fällt einmal zwischen Hybris und Demütigung. Das herzzerreißende humanitäre Desaster, das der verpfuschte Rückzug aus Afghanistan letztlich ist, ist nur das aktuellste Zeichen dafür, dass die amerikanische Ära zu Ende geht: Washington ist nicht länger der Weltpolizist, und es zeichnet sich eine beunruhigende Zukunft von Zusammenstößen zwischen expansionistischen autoritären Regionalmächten ab. (…) Amerikas Eliten sind bezüglich fast jeden Belanges verwirrt und verblüfft, die Dummheit und Inkompetenz, die der Rückzug aus Afghanistan offenlegt, bestätigen, dass sie den Rest der Welt nicht begreifen, ihr eigenes Land nicht regieren können – und den Globus schon gar nicht. (…) Der Brexit markiert den Anfang vom Ende des dystopischen Konstrukts. Weitere werden die EU verlassen: wegen der kommenden Migrationskrise, wegen des Aufstiegs von Populisten oder wirtschaftlicher Implosion.
Im Nahen und Mittleren Osten herrscht in jedem Land oder Gebiet, das Amerika berührt hat, Chaos. Afghanistan gehört wieder den Taliban. Der Irak ist ein Albtraum. Syrien war Schauplatz monströsen Mordens, während der Westen zusah. Libyen ist eine Katastrophe. Der von Bill Clinton einst unterstützte Friedensplan für Israel und die Palästinenser scheiterte.“
Keinen einzigen konkreten Lösungsansatz zur Systemkrise vermag er zu formulieren. Einst plante die britische Bourgeoisie die ihre Herrschaft noch in Jahrhunderten.
Der Kapitalismus ist extrem instabil. 711 Mio. € pumpen die Zentralbanken stündlich (!) in die Wirtschaft. Alle Statistiken sagen jetzt: es herrscht wieder Hochkonjunktur. Oder wird die Blase doch gleich wieder platzen, die Bänder stillstehen, die Schiffe des Welthandels eingemottet, der Welthunger explodieren, die Frauen wieder an den Herd geschickt? Sie wissen es nicht, aber sie nützen die Gunst der Stunde, um ihre eigenen Taschen zu füllen. Die Reichtumskonzentration in so wenigen Händen war noch nie so obszön wie heute (siehe S.12).
Die inneren Widersprüche des Kapitalismus, selbst die Machtübernahme der Barbaren in Kabul, machen ihn schwach und überwindbar. Dieser Zustand ist nicht vorübergehend und zufällig. Aber die Geschichte wird vom Menschen gemacht und noch ist keine herrschende Klasse freiwillig abgetreten.
Die Arbeiterklasse muss die Macht erobern, um die großen Konzerne und Banken zu enteignen. Dann kann die Menschheit den Dschungel der „Marktwirtschaft“ durch eine demokratische Planwirtschaft ersetzen und allen Reichtum und alle Technologie einsetzen, um die Ausbeutung von Mensch und Natur aufzuheben. Der Ansatzpunkt für eine solche Kehrtwende sind die realen Bewegungen, Revolutionen, Konflikte, Kriege und Katastrophen, die dieses System ständig hervorbringt. Aber ein solches Programm gilt es auch in der Arbeiterklasse und Jugend zu verankern – das ist, was wir tun. Dies ist die wichtigste Antwort auf die Frage „Was kann ich jetzt tun?“
„Sozialismus oder Barbarei?“ ist heute so aktuell wie im April 1915, als Rosa Luxemburg diese Alternative in Worte fasste und wütend jenen sozialdemokratischen Führern entgegenschleuderte, die vor der Alternativlosigkeit des Menschenschlachtens im Ersten Weltkrieg kapituliert hatten. Sie selbst wurde von der Konterrevolution ermordet, aber jene, die rechtzeitig die praktischen Schlussfolgerungen zogen, errichteten 1917 in Russland einen ersten Arbeiterstaat.
Warum sind die KapitalistInnen, die nur eine Minderheit in der Gesellschaft darstellen, noch immer an der Macht und in der Position, die Gesellschaft an die Wand zu fahren?
Die großen politischen Organisationen der Arbeiterklasse formulieren keinen Gegenvorschlag zu den Herrschenden und ihrem System. Auch die Intellektuellen tragen ihren Teil an Verantwortung. Einst „links“, haben sie heute die Idee einer radikalen Veränderbarkeit der Gesellschaft aufgegeben und die Arbeiterklasse als politisches Subjekt abgeschrieben. Stattdessen ergötzen sie sich am Wortsinn und der Schönheit der Worte (der sogenannte Postmodernismus). Dann sind da noch die Gewerkschaftsführungen, die völlig entwöhnt sind, reale Kämpfe zu organisieren. Alle Faktoren zusammen führen zur Vereinzelung der Arbeitenden.
Das wichtigste Machtinstrument der Herrschenden, um diese Situation zu nutzen und zu festigen, ist die Spaltung der Arbeiterklasse. Das verhindert den gemeinsamen Kampf und damit auch die praktische Erfahrung, wer der wirkliche Unterdrücker ist.
Die ÖVP unter Sebastian Kurz versteht dies virtuos zu nützen. Der Bundesparteitag der ÖVP dauerte nur zwei Stunden, plus Bierzelt. Es gab keine Debatte, keine Anträge, nur Lobpreisungen an und eine 33-minütige Rede von Sebastian Kurz. Diese besteht aus Beziehungspflege zu innerparteilichen Machtzentren und Angriffen auf Arbeitslose und MigrantInnen.
Es ist greifbar, wie nackt dieser Mann hier eigentlich vor uns steht, umringt allerdings von einer Schar an Profiteuren, die keinen Wunsch auf offener Bühne zu formulieren brauchen, weil es ihnen sowieso gegeben wird. Und jene, die die ÖVP wählen sollen, werden mit dem niedrigsten Instinkt des Neids gegenüber dem Ärmeren bedient: Die ÖVP, die Partei der Superreichen, schützt euch vor Arbeitslosen und den Flüchtenden!
Der Rassismus, insbesondere die Hetze gegen Flüchtlinge, ist ein zentrales Element des türkisen Machterhalts. Ihnen werden von Regierung und bürgerlichen Medien so gut wie alle gesellschaftlichen Probleme umgehängt: Fehlende Arbeitsplätze und Wohnungen, Antisemitismus, Frauenfeindlichkeit, Kriminalität, mangelnde Ausstattung an den Schulen…
Während die Taliban in Afghanistan die Macht übernehmen, erhoben die Bürgerlichen zur wichtigste Frage, dass man weiter abschieben kann. Die „Krone“ erblödet sich sogar dazu, einen Talibansprecher zu interviewen, nur um ihn sagen zu lassen, dass gerne straffällig gewordene Asylwerber zu ihnen abgeschoben werden könnten, wo sie dann (nach Scharia-Recht) verurteilt würden.
Dabei sind zehntausende AfghanInnen in Österreich Teil der Arbeiterklasse, meist in extrem ausbeuterischen Jobs. Viele tausend Flüchtlinge mehr werden durch jahrelanges Zwischenparken in ungeklärten Asylverfahren in Schwebe gehalten. Weder SPÖ, noch die KPÖ in der Steiermark, bringen ein einziges Wort der Fürsprache für diese KollegInnen auf. Sie wagen nicht zu sagen, dass der ekelhafte Rassismus überwunden werden muss, weil er uns alle schwächt.
Diese Spaltungsmechanismen wiederholen sich in allen Fragen des Alltags und am Arbeitsplatz. Es gilt, im Kleinen wie im Großen diese Spaltung zu durchbrechen. Es gilt, die gemeinsamen Interessen der Arbeitenden herauszuarbeiten und ihnen einen praktischen Weg zu ebnen: egal ob Facharbeiterin oder Hilfsarbeiter, jung oder alt, in Lohnarbeit oder arbeitslos, Mann, Frau, hier geboren oder in Kabul. Alles aus dem Weg räumen, was einen gemeinsamen Kampf für unser Leben behindert. So, wie Bertolt Brecht ewig richtig dichtete:
„Unsre Herrn, wer sie auch seien,
sehen unsre Zwietracht gern,
denn solang sie uns entzweien,
bleiben sie doch unsre Herrn.“
Wien, am 1.9.2021
Aus dem Inhalt:
- Österreich
- Wohnen: Die arbeitenden Menschen werden aus der Stadt gedrängt
- Graz 2021: Schwarz-Blau raus, Rot-Rot rein!
- So kann es nicht weitergehen: Gemeinsames Statement der roten Jugendorganisation in Vlbg
- Achtung: „Arbeitsmarktreform“ kommt!
- Inflation und Löhne
- Betrieb & Gewerkschaft
- Gesundheitsbereich: Gemeinsam kämpfen statt spalten lassen!
- Leserbrief: Arbeiten, die niemand machen will
- Gastro-ArbeiterInnen verdienen mehr!
- „Erheben wir uns“ – Der Arbeitskampf bei GKN Florenz
- Umwelt
- Lobautunnel: Wirtschaft will Autobahnen
- Menschengemachte Unwetter
- Schwerpunkt
- Afghanistan: Der Imperialismus und die Machtübernahme der Taliban
- International
- Weltkongress 2021 – Lasst uns die Kräfte des Marxismus stärken!
- Labour Party: Sozialisten rein, Starmer raus!
- Kuba: Die Revolution verteidigen!
- Gesellschaft
- Drei Schweinchen im All: Kapitalistische Egomanie erreicht galaktisches Ausmaß
Die Ausgabe ist um 2€ bzw. 5€ Solipreis erhältlich beim Funke-Verkäufer/der Funke-Verkäuferin eures Vertrauens und hier im Funke-Shop – auch als Online-Version. Abobestellungen können >>hier<< vorgenommen werden.