Während über die Großbetriebe allgemein eine Entlassungswelle hereinbricht, durch die oft über hundert ArbeiterInnen auf einmal ihren Job verlieren, stellt sich die Situation in Kleinbetrieben oft etwas anders dar. In Vorarlberg wissen wir von einer kleinen Druckerei mit einer nur knapp zweistelligen Anzahl an MitarbeiterInnen. Um sich die Abfertigung zu ersparen, setzt der Unternehmer deshalb auf direktes Mobbing, um sie zu veranlassen, selbst zu kündigen. Wir sprachen mit einem Drucker über die Situation in seinem Betrieb.
Funke: Gib uns doch bitte erst einmal einen Überblick über die Situation.
D: Heute, am 8. September, wurde bei uns die Kurzarbeit noch einmal auf Mitte März verlängert. Wir wissen nicht, wann das abgerechnet oder geprüft wird. Wir wissen nur eines, der Chef ist im Urlaub. Er ist 2018 fünfmal im Urlaub gewesen, auf Galapagos usw., solche Sachen. Keine Billigurlaube. Letztes Jahr ist er viermal im Urlaub gewesen. Dafür ist das Personal von 26 Personen vor fünf Jahren auf jetzt 11 reduziert worden. Die einzigen, die nicht gekündigt worden sind, sind die mit Abfertigung Alt, weil er sich da Geld erspart.
F: Du hattest ja gesagt, dass er am Vortag noch gesagt hat: Die Kurzarbeit wird nicht verlängert.
D: Ja. Er hatte gesagt, dass wir natürlich im vierten Quartal wieder ganz normal in die Arbeit starten. Da war ich noch Produktionsleiter (seither bin ich degradiert worden) und habe meinen Leuten gesagt: „Geht nicht auf das ein – da müsst ihr Fenster putzen, Rasen mähen und so weiter.“ Das geht einfach nicht, oder? Dann hat er gesagt: „Wenn ihr nicht wollt, dann müsst ihr selber kündigen“, und er würde uns schon dazu bringen, dass wir freiwillig gehen. Als wir gesagt haben, wir machen da nicht mit, hat er einen Billigstdrucker aus Ungarn eingestellt. Die haben ja Meisterbriefe bis zum Abwinken. Ich weiß nicht, drucken sie die selbst? Und das ist jetzt der neue Produktionsleiter. Wenn er sieht, dass jemand zehn Minuten nichts tut oder einfach auf Arbeit wartet, dann wird ihm eine halbe Stunde abgezogen. Kein Scherz: Er muss Meldung machen, und jetzt geht’s nur noch so. Jetzt sind wir also langsam bei der Stasi gelandet. Wenn das AMS uns prüfen würde, bin ich mir zu 99% sicher, dass sie uns zusperren würden. Wir haben für die ersten drei Monate, für 11 Mitarbeiter, 11.600 € vom AMS an Förderung bekommen. Auf meinem Lohnzettel sind die Eigenleistung und die AMS-Leistung verzeichnet, damit ich auf die 80% komme. Das macht im Schnitt, das haben wir uns in der Firma ausgerechnet, bei den höheren und bei den kleineren Einkommen, 1200€ pro Mitarbeiter aus. Mal 10 – hochgerechnet 15.000€, das sind 45.000 € auf drei Monate. 116.000 € hat er angesucht. Ich frage mich, wie das geht. Dann arbeiten wir mehr, was man eigentlich abrechnen muss. Ich bin offiziell 10% angestellt, den Rest zahlt das AMS.
F: Was hast du gearbeitet seit März?
D: Seit März bin ich im Schnitt bei etwa 18 Stunden in der Woche statt den 7,5. Aber am Lohnzettel steht immer das Gleiche, nämlich die 7,5 und der Rest vom AMS. Er hat die komplette Förderung eingestrichen. Sie haben ihm das Geld vorgeschossen, dann muss er aber zurückzahlen. Ich glaube aber nicht, dass er dazu imstande ist. Und dann wird er hoffentlich zugesperrt. Denn alle leiden unter dem Knaben.
F: Wie sehen das die anderen MitarbeiterInnen, wären die auch froh?
D: Alle, die unter die Abfertigung Alt fallen. Wir sind Leibeigene. Wir verdienen pro Jahr immer weniger, da wir keine Indexanpassung mehr haben. Arbeitsbedingungen werden leider nicht mehr Monat für Monat, sondern Woche für Woche immer schlechter, weil er uns behandelt wie den letzten Dreck. Frauen haben mit Weinkrämpfen zu kämpfen, mit Attacken, wo sie mich zu Hause anrufen und heulen, weil sie nicht mehr schlafen können, weil sie Magenweh haben. Das ist nicht nur beleidigend. Er will Menschen wirklich kaputt machen, weil er uns die Abfertigung nicht zahlen will.
F: Seit 2014 gibt es ja keinen Drucker-Kollektivvertrag mehr. Wie ist das im Betrieb besprochen worden?
D: Prinzipiell bist du als Vorarlberger kein Gewerkschafter im Betrieb, weil wir einfach „anders ticken“. Wenn du sagst, seit 2014 gibt es keinen KV mehr – wüsste ich jetzt nicht. Es wird schon stimmen. Es hat sich nicht einmal jemand von der Gewerkschaft bei uns gemeldet, nicht einmal das. Unterstützung kommt gar keine.
F: Gibt es Solidarität unter den MitarbeiterInnen?
D: Voll! Es ist der neue ungarische Drucker, der es noch nicht überrissen hat, weil der Chef dem alles mögliche versprochen hat. Er hat aber noch nichts bekommen. Die anderen sind alle auf meiner Seite, weil ich früher die ganze Produktionsleitung gemacht hab. Und wir haben Gott sei Dank vieles schriftlich.
F: Du bist alleinerziehender Vater. Wie kommst du zurecht?
D: Die Wohnung ist abbezahlt bei mir. Ich hab nur die Betriebskosten als Fixkosten. Sogar das Bankkonto ist im Plus. So kann ich leben. Und ich hab ein Sparbuch. Das hab ich eigentlich angelegt für meine Tochter, die jetzt Matura macht, damit sie studieren geht und den Führerschein macht. Das Sparbuch hab ich jetzt im ersten Halbjahr ausgelutscht.
F: Du sagst, dass ihr euch als Leibeigene fühlt.
D: Ist das schlimm formuliert? Leibeigene? Wir fühlen uns wirklich so. Wir arbeiten jetzt nur so viel, damit man uns nicht fristlos rauswerfen kann. Das ist tragisch, weil wir seit über 25 Jahren viele Sachen der Firma zuliebe gemacht haben, wenn es geheißen hat, wir stehen im Moment nicht so gut. Da haben wir gesagt, ja wir tun jetzt mehr, das war kein Problem. Es ist auch ein Dank gekommen – und wenn es nur ein Danke war, verbal. Jetzt kriegst du gar nichts mehr. Jetzt ist es nur noch Arschkante hoch drei. Ich glaube, dass das System uns nichts bieten kann. Der Karren ist im Moment komplett verfahren. Nicht umsonst gibt es immer mehr Reiche und Arme, und die Mittelschicht bricht weg. Und deshalb hab ich eigentlich wieder Ehrgeiz bekommen, politisch etwas zu tun. Auch wegen meiner Tochter. Die lebt noch viel länger als ich. Damit sie nicht mit ihren Mitschülern mitschwimmt und schon gar nicht mit der FPÖ. Oder mit einem Kurz, der in seinem Leben noch nie arbeiten oder eine Familie erhalten musste. Der hat sein Geld immer bekommen, und zwar viel. Er kennt die Sorgen nicht, die 95% der Familien haben. Die einen sind die Reichen und die anderen sind sowieso komplett arm, aber das checkt er nicht – und woher auch. Das ist kein böser Vorwurf. Er ist einfach ein Büblein. Und da ist es wichtig, und das war mein Anreiz, in der SPÖ wieder mitzutun. Es ist nicht so wichtig, dass jeder ein Eigenheim hat. Es ist wichtig, dass jeder leben kann. Und das wäre erstrebenswert.
(Funke Nr. 188/11.11.2020)