Wien Wahlen. Im Jänner träumten die bürgerlichen Strategen, Wien in einer Dirndl-Koalition von Grün-Türkis-Pink zu übernehmen. Inzwischen buhlen die Bürgerlichen (zähneknirschend) um die Juniorpartnerschaft in einer SPÖ geführten Regierung. Die Arbeiterklasse braucht eine eigene, von der Bourgeoisie unabhängige Position und Vorgehensweise, die jedoch von keiner wahlwerbenden Partei ausgesprochen wird. Die Funke-Redaktion bezieht Stellung.
Es war einmal eine Zeit als der Bürgerblock davon träumte Wien zu übernehmen. Die Grüne Sigi Maurer wollte die SPÖ als „progressive Leitpartei“ ablösen. In Wien könnte man, so die Überlegung, mit einer bürgerlich-liberalen Spitzenkandidatur die SPÖ verdrängen und die Bundeshauptstadt zu einer „normalen“ Stadt machen. Im Bund dominiert Türkis den Bürgerblock, im linken Wien würde Türkis die zweite Geige akzeptieren – Hauptsache man ist die im Bundeskanzler-Umfeld verhasste SPÖ los. So die Konzeption.
Diese Phantasien sind erst wenige Monate alt, und doch wirken sie heute wie aus einer anderen Zeit. COVID-19 machte alles anders und in dieser Krise konnte die SPÖ zeigen, dass sie eine Millionenstadt besser verwalten kann als eine Ischgler-Après-Ski-ÖVP. Gleichzeitig musste selbst der Bundeskanzler die „Sozialpartnerschaft“ wieder aus dem Grab heben, um Aspekte der Krise (etwa die Konzeptionierung und Umsetzung der Kurzarbeit) durch Einbindung der Arbeiterklasse-Apparate (v.a. Arbeiterkammer, Gewerkschaft) besser bewältigen zu können.
SPÖ-Wien kann Macht
Bürgermeister Ludwig steht einem Manager-Kabinett vor, das diese neuen Unsicherheiten im bürgerlichen Lager gekonnt pariert. Mit dem Gastro-Gutschein für Wiener holte man sich die schwarze Wirtschaftskammer ins Boot, mit Inseraten sichert man sich wohlwollende Berichterstattung vom liberalen Wochenblatt bis zu den Gratis-Blättern.
Die Stadtregierung ist aus roten City-ManagerInnen zusammengesetzt, die ihre jeweilige Wahlklientel in der Millionenstadt gut bedient. Das Drittel der Einwohner Wiens, die ohne Staatsbürgerschaft nicht wahlberechtigt sind, zählen nicht dazu. In unterwürfiger Treue gegenüber dem bürgerlichen Staat erklärt Ludwig, „dass das Wahlrecht …verbunden sein sollte mit der österreichischen Staatsbürgerschaft“ – was hinter die bisherige SP-Wien Position zurückgeht.
Der Finanzstadtrat Hanke steht für restriktive Finanzpolitik, der Bildungsstadtrat Jürgen Czernohorszky für progressive Schulreformen, andere für Hundezonen, etc. Die Aura der Macht lässt einen farblosen Bürgermeister im Licht des volksnahen Grantlers erscheinen. Über all dem schwebt der Mythos des „Roten Wiens“, der weit über organisierte sozialdemokratische Kreise hinaus WienerInnen mit positiven Gefühlen und Stolz erfüllt.
Die Bürgerlichen müssen in diesem Wahlkampf zähneknirschend politische Nischen bespielen. Die ÖVP setzt auf eine extrem rassistische Agenda gegen MigrantInnen und MindestsicherungsbezieherInnen, die Grünen auf improvisierte („pop-up“-)Radwege – beide bürgerlichen Parteien machen einen Defensivwahlkampf, der nicht auf die Breite abzielt, sondern auf die Mobilisierung von StammwählerInnen (beziehungsweise im Fall der ÖVP auch auf ehemalige FPÖ-WählerInnen).
Besser Bundesgesetze brechen, als die Armen!
Eine Verwaltung des Bestehenden ist für die Arbeiterklasse keine Perspektive inmitten der größten Krise seit Jahrzehnten. Die Arbeitslosigkeit in der Stadt wird hoch bleiben, die Wohnungspreise steigen ungebremst, die sozialen und gesundheitlichen Systeme arbeiten am Limit. Seit die SPÖ im Bund nicht mehr in der Regierung ist, ist es Linie der SPÖ-reagierten Länder, klar administrierbare Bundesregelungen zu fordern (etwa bei der Mindestsicherung oder jetzt bei der Corona-Ampel). Was es jedoch braucht ist eine Kommunalpolitik, die ein Widerstandsbollwerk gegen das autoritäre Spardiktat errichtet. Was wir brauchen, ist eine Allianz der Sozialdemokratie mit den Beschäftigten der Stadt Wien und der gesamten Arbeiterklasse der Region, um die kommenden Sparpakete und Kürzungen der Bundesregierung zu bekämpfen. Was kann das konkret heißen?
„Der Funke“ argumentiert (auch in der SPÖ-Wien) etwa dafür, dass die gesetzlich zwischen Bund und Ländern vereinbarten Obergrenze für die Gesundheitsausgaben (15a-Vereinbarung Zielsteuerung-Gesundheit) von der Stadtregierung nicht erneuert werden darf. Hier werden die Gesundheitsausgaben gesetzlich an die Wirtschaftsentwicklung gekoppelt, also ein gesetzliches Spardiktat zulasten der SpitalsmitarbeiterInnen und PatientInnen festgeschrieben. Gesundheit geht vor Profite!
Die seit zwei Jahrzehnten exponentiell steigenden Mietpreise müssen durch despotische Eingriffe ins Wohnungseigentum gelöst werden, durch Mietzinsobergrenzen, Leerstandsabgaben mit schließlicher Enteignung von Leerstand. Ein massives Gemeindebauprogramm muss den privaten Wohnungsmarkt untergraben. Niemand in Wien soll darauf angewiesen sein, von Miethaien ausgebeutet zu werden.
Eine solche Schubumkehr der politischen Dynamik verlangt eine Kombination von Politik im Parlament und sozialen Mobilisierungen in den Straßen und den Betrieben – denn die Bourgeoisie würde solche Vorstoße nicht unbeantwortet lassen. Voraussetzung dafür ist ein Bruch mit der sozialpartnerschaftlichen Logik in der Arbeiterbewegung.
Ein Plan für die Arbeiterbewegung
Diese politische Positionen sind momentan in der Wiener SPÖ nicht mehrheitsfähig und werden von den roten Stadtmanagern auf den Parteikonferenzen offen bekämpft. AktivistInnen der Arbeiterklasse können die Mehrheitsverhältnisse in der Sozialdemokratie nicht einfach ignorieren, sondern müssen ihr mit offenem Visier entgegentreten. Wien hat eine rot dominierte/s Verwaltung und Management, eine rot dominierte Gewerkschaft (younion), weite Teile der Gesellschaft werden von roten Organisationen (von den Kinderfreunden bis zum Pensionistenverband) mitgestaltet. Spontane Bewegungen (wie zuletzt Black Lives Matter) werden von SozialdemokratInnen dominiert, und auch in der „radikalen Linke“ geht ohne die Beiträge der roten Organisationen wenig. Daraus ergibt sich eine einfache Analyse: Wer Politik in und für die Arbeiterklasse machen will, kommt nicht daran vorbei, die Dominanz der reformistischen SPÖ-Führung offen herauszufordern.
Mit diesem Verständnis intervenierten wir in der Bewegung der Wiener KrankenpflegerInnen, und konnten damit einen bescheidenen Beitrag leisten, diese völlig selbstkontrollierte Bewegung von über 1.000 aktiven KrankenpflegerInnen zu einem Teilerfolg zu führen. In der Bewegung gab es zwei Konzeptionen: eine Idee war, völlig unabhängig von der Gewerkschaft eine zivilgesellschaftlich-medienorientierte Bewegung zu lancieren und die neoliberalen NEOS (und kurzweilig die Liste Pilz) als politischen Bündnispartner zu akzeptieren.
Wir hingegen argumentierten dafür, Druck auf die (SPÖ-dominierte) Gewerkschaft aufzubauen, die SPÖ politisch in die Pflicht zu nehmen, mit bürgerlicher Politik zu brechen und, dass sich die kämpfenden PflegerInnen durch dauerhafte Strukturen und bei den Personalvertretungswahlen fest in den Krankenhäusern und der Personalvertretung verankern.
Zweiteres setzte sich in der Praxis durch, erwies sich als die korrekte Orientierung, um eine Lohnverbesserung für tausende Kolleginnen durchzusetzen (Kosten für die Stadt Wien: ca. 30 Mio. pro Jahr), und ermöglichte es, klassenkämpferische Politik an den Krankenhäusern zu verankern. Wir glauben, dass diese Erfahrung verallgemeinert werden soll, um in kommenden sozialen und politischen Kämpfe den klassenkämpferischen Pol der Bewegung weiter zu stärken. Das heißt: Die SPÖ nicht ignorieren, sondern ihre Rolle als die traditionelle und dominierende Arbeiterpartei herausfordern, indem wir sie direkt in die Verantwortung nehmen.
Bürgerliche Politik durchbrechen
Nach den Wahlen wird die SPÖ in Koalitionsverhandlungen mit der ÖVP und den Grünen treten. Wir argumentieren dafür, dass diese Verhandlungen transparent geführt werden und die Mitglieder der Partei über das Abkommen in einer Urabstimmung befinden sollen. Wir argumentieren dabei für eine Minderheitsregierung der SPÖ, die durch Mobilisierungen der Arbeiterklasse gestützt wird. Die Zeit nach Bewältigung der aktuellen, akuten Wirtschaftskrise – spätestens aber ab 2022 – wird von neuen sozialen Angriffen der Bürgerlichen auf die Errungenschaften der Arbeiterbewegung geprägt sein. Die roten Manager werden es als alternativlos sehen, die Krisenkosten auf die Arbeiterklasse abzuwälzen, die Diktatur der leeren Kassen winkt ums Eck. Die sozialen und politischen Konflikte und Kämpfe werden in Wien in den kommenden Jahren stark zunehmen.
Was man am 11. Oktober mittels eines Kreuzes bewerkstelligen kann, ist es, die politische Verantwortung in diesen kommenden Klassenkämpfen klar zu benennen, indem man die SPÖ möglichst stark macht. Als dominante politische Macht in der Arbeiterklasse wird sie von dieser in die Pflicht genommen werden. Wie der Kampf der KrankenpflegerInnen zeigte, kann man dann gewinnen, wenn die ArbeiterInnen mutig gegen bürgerliche Politik und reformistische Konterreform der Stadtmanager in Konflikt tritt. So werden sich die sozialen Kräfte zusammenballen und jene politischen FührerInnen formen, die eine sozialistische Alternative für unsere Klasse aufbauen können.
(Funke Nr. 186/10.9.2020)