Zum 44. Mal jährt sich am 12. Mai der internationale Tag der Pflege. Ein Beitrag zu den Herausforderungen des Berufstandes von Margarita Wiegele im Namen der Liste Solidarität im Krankenanstaltenverbund Wien.
Jedes Jahr rückt das WHO-Regionalbüro für Europa bestimmte Punkte besonders in den Vordergrund. Stets mit dem propagierten Ziel die Pflege zu stärken. Das Motto am 12. Mai dieses besonderen Jahres, nämlich dem Jahr der Pflegenden und der Hebammen, lautet „Nursing the World to Health“. Dieses Motto könnte angesichts der COVID-19 Pandemie nicht treffender sein. Es soll hervorheben, wie wichtig professionelle Pflege für die Menschen auf der ganzen Welt ist.
Die Frage der Professionalität und die Frage, wie wir unsere realen Arbeitsbedingungen erleben, sind keine getrennten Fragen. Gute Arbeitsbedingungen sind eine grundlegende Voraussetzung dafür, professionell zu arbeiten. Die Bedingungen unter denen wir arbeiten bringen viele von uns an die Grenzen dessen, was wir unter optimaler Pflege verstehen.
Es stellt sich die Frage, sind wir überhaupt in der Lage wirklich – dem neuesten pflegewissenschaftlichen Standard entsprechend – professionell zu arbeiten, wenn wir Arbeitsbedingungen ausgesetzt sind, die nicht dem entsprechen, was wir eigentlich erwarten würden?
Können wir in unserer täglichen Arbeit angemessen und sicher handeln, wenn wir – wie Medienberichten zu entnehmen ist – unsere Schutzausrüstung nicht so einsetzen können, wie wir es für richtig halten?
Und wer bestimmt, was „angemessen“ und „professionell“ bedeutet?
Wenn wir versuchen diese Fragen zu beantworten erkennen wir, dass sich ein Widerspruch auftut zwischen dem Sparzwang im Gesundheitswesen und unserem Anspruch an uns selbst und unserem Verständnis dessen, wie wir für unsere PatientInnen pflegen und arbeiten möchten. Ganz besonders spürbar ist dieser Widerspruch im Bereich des Einsatzes der persönlichen Schutzausrüstung, wo sich viele von uns vor den Kopf gestoßen fühlen, wenn sie mit Rationierung und strengen Vorgaben zur Anwendung der persönlichen Schutzausrüstung konfrontiert werden.
Was Professionalität bedeutet ist davon abhängig, welche Interessen vertreten werden. Die der Beschäftigten oder derjenigen, die bereits jetzt wieder von der Reduktion von Akutbetten träumen?
Es dürfte kaum jemandem von uns entgangen sein, dass der Begriff Professionalität im Zuge der Pandemie von politischen Verantwortungsträgern und auch von unserer eigenen Gewerkschaftsführung an uns herangetragen wird: Professionalität in der Pflege zeichne sich angesichts der aktuellen Geschehnisse vor allem dadurch aus „durchzuhalten“, „standhaft zu bleiben“ und „unsere Verantwortung als Pflegenden auch unter einem erhöhten Infektionsrisiko zu erfüllen“.
Wie stehen wir zu diesen Aussagen? Gehen wir mit ihnen konform und übernehmen wir dieses Verständnis von Professionalität widerspruchslos?
Grundsätzlich sind alle diese Aussagen nichts Neues für uns im Gesundheitswesen. Die Anforderung an uns, auch in belastenden Situationen „standhaft“ zu bleiben und unsere Arbeit auch unter erschwerten Umständen verantwortungsvoll und gewissenhaft zu erledigen, ist ebensowenig neu wie die Tatsache, dass wir in unserer Arbeit einem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt sind. All diese Dinge sind Realitäten unseres Arbeitsalltags. Es ist nicht notwendig, dass uns jemand diese Realität erklärt. Wir Arbeitenden kennen sie sehr gut. Was es aber klarzustellen gilt ist, dass wir all diesen oben genannten Anforderungen, die unser Beruf mit sich bringt, vielerorts unter Bedingungen gerecht werden müssen, die uns unsere ohnehin herausfordernde Arbeit noch zusätzlich erschweren.
Wenn wir unsere Arbeitsbedingungen kritisieren oder uns gegen sie zur Wehr setzen indem wir zum Beispiel unser Arbeitsmaterial oder das Ausmaß des Personaleinsatzes in Frage stellen, bedeutet das nicht, dass wir uns über unsere Arbeit und die damit einhergehenden hohen Anforderungen beschweren. Wir dürfen nicht zulassen, dass schlechte Arbeitsbedingungen hinter dem Vorwand der Professionalität und der Verantwortung versteckt oder kaschiert werden. Die Verantwortung, die wir Pflegenden tragen bedeutet nicht, dass wir uns mit schlechten Arbeitsbedingungen abzufinden haben. Ganz im Gegenteil, es ist unsere Pflicht für gute und sichere Arbeitsbedingungen Sorge zu tragen.
Foto: Thomas Lentsch
Es ist höchste Zeit, dass der hohe Grad an Verantwortung, den wir jeden Tag erfüllen, auch gesellschaftlich und politisch abgebildet wird, damit wir dieser Pflicht auch gerecht werden können. Zum Beispiel in der Form einer Ausweitung der Entscheidungsgewalt der Beschäftigten, denn wir sind diejenigen, die die Konsequenzen der getroffenen Entscheidungen zu tragen haben. Die Beschäftigten des Gesundheitswesens handeln im Gegensatz zu den einsparungswütigen ExpertInnen und PolitikerInnen nämlich flächendeckend verantwortungsvoll!
Uns einfach mal schnell als „Helden“ zu deklarieren reicht nicht aus, um uns, die Pflege, als politischen und gesellschaftlichen Partner anzuerkennen. Dazu braucht es Veränderung, die von den Beschäftigten selbst in die Hand genommen wird. Die Politik hat hier seit langer Zeit versagt. Dieses Versagen haben wir in den letzten Jahrzehnte am eigenen Leib zu spüren bekommen. Hier geht es nicht darum, einzelnen Stations- oder Bereichsleitungen die Schuld zu geben, denen diese Politik oft ebenso aufgezwungen wird wie uns, sondern um einen weltweit durchgesetzten Sparzwang und eine Politik für Profite anstatt für die Gesundheit der Menschen. Um uns ein Bild davon zu machen, wie hart uns diese Konsequenzen treffen können, brauchen wir nur einen Blick über die Grenzen hinaus in unsere Nachbarländer werfen, falls einigen unter uns unsere eigene Situation noch nicht beispielhaft genug für eine verfehlte Sparpolitik ist.
Gibt es jetzt, wo wir als systemrelevant anerkannt wurden und als „HeldInnen“ bezeichnet werden mehr Bewusstsein seitens der Politik darüber was die Pflege braucht?
Lassen wir sie selbst darauf antworten. Der, von den Medien als „Gesundheitsexperte“ bezeichnete, ehemalige Rechnungshofpräsident Franz Fiedler geht davon aus, dass ein Abbau von Akutbetten in Österreich kein Problem darstellen werde und umsetzbar sowie notwendig sei. Davor sprach sich bereits die ehemalige Gesundheitsministerin Maria Rauch-Kallat für den Abbau von Intensivbetten aus.
Während die ganze Welt in einer gesundheitlichen Katastrophe gigantischen Ausmaßes steckt, erscheint es unseren Politikern und Politikerinnen ein erstrebenswerter Weg, weiter einzusparen und Betten zu reduzieren. Dieser Weg drückt ganz klar die Interessen des Profites aus und er stellt eine ernsthafte Bedrohung für uns ALLE im Gesundheitswesen dar.
Aktiv für eine Verbesserung unserer Arbeitsbedingungen einzutreten bedeutet gleichzeitig, politisch Position zu beziehen, um uns vor solchen Wahnsinnigkeiten zu schützen. Damit unsere Stimme und unsere Bewegung für ein gerechtes, faires und sicheres Gesundheitssystem stärker werden und unsere Forderungen schlussendlich auch umgesetzt werden, ist es notwendig, dass wir uns organisieren und selbst aktiv werden.
Wir brauchen eine starke, demokratische & kämpferische Gewerkschaft, in der die Stimme und Aktivität von uns Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nicht als die Sozialpartnerschaft störend abgewimmelt, sondern ernst genommen wird. Nur so können Arbeitsbedingungen herbeigeführt werden, die uns ein stetiges, sicheres, gesundes und professionelles Arbeiten ermöglichen. Solche Arbeitsbedingungen sind Voraussetzung dafür, dem diesjährigen Motto „Nursing the World to Health“ gerecht zu werden.
So wie der 12. Mai als Tag der Pflege international ist, ist es auch unser Kampf. Unsere Erfolge und Erfahrungen als Bewegung für bessere Arbeitsbedingungen werden auch international Auswirkungen haben. Denn auch wenn das Ausmaß der Belastung durch die COVID-19 Pandemie in den einzelnen Ländern dieser Welt unterschiedlich hoch ist, so ist der Charakter dieser Belastungen dennoch derselbe. Unsere Kollegen und Kolleginnen in den Ländern, die besonders heftig von der Krise betroffen sind haben wenig davon, wenn wir ihnen nur unser Mitgefühl aussprechen. Solidarität bedeutet mehr als Mitgefühl. Solidarität bedeutet aktiv zu werden und sich für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen einzusetzen.
Ab Minute 01:12:35 – IMT-Genosse Adam Pal über Situation & Kämpfe im Gesundheitsbereich in Pakistan
Bessere Arbeitsbedingungen für jeden und jede Einzelne von uns, ganz gleich welcher Berufsgruppe wir angehören, ganz gleich ob wir stationär, ambulant oder in der mobilen Pflege arbeiten und ganz gleich aus welchem Land wir kommen und in welchem Land wir arbeiten. Solidarität ist für uns keine Floskel, sie ist eine Kraft die uns alle miteinander verbindet und uns stark macht. Unsere Professionalität heißt in diesem Sinne gegen den Sparzwang zu kämpfen – wie er sich etwa in der 15a B-VG Zielsteuerung-Gesundheit ausdrückt, welche die Gesundheitsausgaben an das Wirtschaftswachstum koppelt – und für ein System, das ein menschliches Gesundheitssystem ermöglicht.