Was eine neuartige Grippe über die kapitalistische Diktatur in China und die Weltbeziehungen zeigt, beleuchtet Martin Gutlederer.
Im zentralchinesischen Wuhan ist eine neuartige Grippe ausgebrochen. Bisher werden die Todesfälle auf 2700 (Stand 25.2.) geschätzt. Zum Vergleich: In Österreich starben an der Grippe 2017/2018 2800 und 2018/2019 1400 Menschen. Die größte medizinische Gefahr liegt in der Möglichkeit einer Mutation des aufgetreten Virus und die hohe Ansteckungsgefahr.
In westlichen Medien wird mit einer Mischung aus Angst und Hoffnung über die Probleme, die durch das Virus in China manifest werden, geschrieben. Im Wall Street Journal (WSJ) wird China nun als der „echte kranke Mann“ in Asien bezeichnet. Das WSJ träumt einerseits davon, dass diese Krise die Rückkehr einer „unipolaren Weltordnung“ unter der Führung der USA bedeuten könne, gleichzeitig fürchtet man Stockungen in globalen Waren- und Lieferketten und damit den Ausbruch der bereits latenten neuen Weltwirtschaftskrise.
Corona-Beschleuniger
Epidemien testen die Tragfähigkeit eines Systems. Es zeigt sich, dass China am Rande seiner Belastbarkeit steht. Das totalitäre chinesische Regime ist seit den Protesten in Hongkong stark angeschlagen und steht politisch unter Druck. Diese Massenbewegung konnte nicht frontal unterdrückt werden, weil der Staatsapparat die Solidarisierung der eignen Arbeiterklasse in Festlandchina mit der Bewegung in Hongkong fürchten musste.
Gleichzeitig fällt das chinesische Wirtschaftswachstum so schwach aus wie seit 30 Jahren nicht mehr. Der Handelskrieg mit den USA ist eine starke Belastung, die Schulden explodieren, der Binnenmarkt stagniert. Daher reagiert die totalitär herrschende chinesische Führung auf den Ausbruch der Grippe mit massiver Härte, Repressionen – und auch viel Hysterie.
Noch am Tag bevor die Regierung den Ausbruch des Virus öffentlich verkündete, hat sie in Wuhan als Tourismus-Werbung ein Familien-Banquet mit über 10.000 Personen abgehalten. Unmittelbar darauf ist man dazu übergegangen, Hundertrausende in Quarantäne einzusperren, Fabriken im ganzen Land zu schließen und Städte abzuriegeln. Die lokalen Behörden stehen unter dem Druck der Zentralregierung, die Wirtschaft wieder hochzufahren. Alleine in der Kino-, Tourismus- und Gastronomiebranche gingen im ersten Quartal 2020 4,6% des BIP verloren.
Deshalb wird dem Virus der „Krieg“ erklärt, doch gleichzeitig fürchten die lokalen Eliten, dass sich das Virus weiter verbreiten könnte – und verzögern daher das Hinauffahren der Wirtschaft.
In diesen widersprüchlichen Befehlen und Signalen zeigt sich, dass der Griff der herrschenden Klasse auf die Gesellschaft nicht mehr allumfassend ist.
Der Zufall Corona-Virus ist jedoch nicht verantwortlich für all diese wirtschaftlichen, (geo-)politischen und sozialen Probleme, er treibt nur die systemimmanenten Widersprüche auf die Spitze: Während die Herrschenden widersprüchlich handeln, gehen sie gleichzeitig hart gegen unabhängige AktivistInnen vor.
Die Repressionen gegenüber Menschen, die über die Krankheitsrealität berichten, nehmen zu. Selbst der mittlerweile verstorbene Arzt und Entdecker des Virus wurde als „Unruhestifter“ von der Polizei verwarnt, allein weil er über die Existenz eines neuen Virus sprach. Gleichzeitig versucht ihn die nationale Bürokratie als Helden zu stilisieren und die Schuld der Krise auf die lokalen Behörden abzuwälzen. Dieser Zick-Zack löst Zorn bei den chinesischen Massen aus, der immer schwieriger unter Kontrolle zu halten sein wird und die Basis für massive Klassenkämpfe in China aufbereitet.
Westlicher Kapitalismus
Man darf sich jedoch keine Illusionen machen: Unsere Gesellschaft wäre einer derartigen Epidemie genauso wenig gewachsen wie das chinesische Regime.
„Österreich“ Titelblatt am 27.2.2020
Tagtäglich wird die Gesundheit der Menschen auf dem Altar des Profits geopfert. Wie in ganz Europa erleben wir auch in Österreich seit Jahren eine Zuspitzung des Arzneimittelmangels. Aktuell liegt der österreichischen Kartellbehörde eine fundierte Anzeige vor, dass der marktbeherrschende Großhandelskonzern Herba eine Verknappung bei Medikamenten erzeugt.
Eine derartige Epidemie würde in den USA oder Europa genauso verheerend sein wie in China, und wir wären den Pharma- und Gesundheitskonzernen völlig ausgeliefert, für die nur zählt, ob sich ein Mittel gegen Erkrankungen profitabel verkaufen lässt.
Der Konzern Novartis entwickelte ein heilendes Medikament für todkranke Kinder – der Preis für die einmalige Medikamentengabe liegt allerdings zwischen ein und zwei Millionen Euro. Auf die öffentliche Kritik reagierte der Konzern aktuell mit Verlosungen von Gratis-Behandlungen.
Letztlich ist es der Kapitalismus, der unsere Welt erst anfällig für Epidemien wie den Corona-Virus macht. Solange der Profit das Leitmotiv auch in der Medizin ist, wird es immer zu wenige Medikamente und Vorkehrungen für solche Ausbrüche geben.
Durch den ungezielten Masseneinsatz des hochprofitablen Medikaments züchten wir uns Antibiotika-Resistenzen heran. Der medizinische Fortschritt ist durch profitorientierte Forschungsinvestitionen gehemmt.
Stattdessen brauchen wir eine Entwicklung der Medizin nach rein gesundheitspolitischen Erwägungen – dies geht nur durch die Enteignung der profitorientierten Pharmakonzerne. Dies erst würde ermöglichen, die menschlichen Bedürfnisse in dem Mittelpunkt der gesellschaftlichen Entwicklung zu stellen.
(Funke Nr. 181/25.2.2020)