Regierungsprogramm. Penible Inszenierung und Schönsprech kennzeichnen die ersten Wochen der Regierung. Hinter dieser Kulisse schwingt die Abrissbirne. Von Emanuel Tomaselli
Jeder gesellschaftliche Bereich wird zugunsten des Kapitals umgekrempelt, jegliche Vermögensbesitzer (EigentümerInnen von Maschinen, Mietshäusern und Geld) werden gegenüber Arbeitenden, MieterInnen, Unterstützungsbedürftigen bevorteilt.
Zentrales Projekt ist die Zurückdrängung von kollektiven und individuellen Rechten für die Arbeiterklasse. Als erstes werden Arbeitslose angegriffen.
Die Höchstarbeitszeit von 12 Stunden am Tag und die 60 Stundenwoche soll auf Betriebsebene durchgesetzt werden. Alle konkreten Maßnahmen zielen auf das Ende der überbetrieblichen Arbeitszeitregulierung und der Geltungmachung von Überstunden. Für Beschäftigte heißt es in Zukunft: du hast keine Rechte, außer denen, die dir der Chef zu geben bereit ist. Auch Ruhezeiten, also die Pausen zwischen Arbeitsende und -anfang werden verkürzt, im Tourismus auf acht Stunden.
Das Arbeitsinspektorat und Arbeitnehmerschutzvorschriften sollen „entbürokratisiert“, „Toleranzschwellen“ eingeführt werden. Arbeiter- und Angestellten-Betriebsrat sollen zusammengelegt werden (was wahrscheinlich eine Verringerung von Betriebsräten bedeuten wird), die Jugendvertrauensräte sollen abgeschafft werden. Generell ist viel von „betrieblichen Absprachen“ die Rede. Das Vorhaben, dass 13. Und 14. Monatsgehälter gesetzlich abgesichert werden sollen, ist ein Hinweis darauf, dass das populärste gewerkschaftliche Argument für die Existenz von Kollektivverträgen entkräftet wird, und unterstreicht die strategische Orientierung der Regierung.
Es ergibt sich ein Gesamtbild: Das Zurückschrauben von Arbeitsschutz und die Kürzung von Rechtsansprüchen im Sozialstaat sowie die Verbilligung der Arbeitskraft im Niedriglohnbereich schafft einen großen prekären Sektor am Arbeitsmarkt.
Im Wohnungssektor eine „neue Fairness zwischen Mietern und Vermietern“ hergestellt werden, Verbot von Zuschlägen im Altbau aufgehoben werden (was in Wien eine Erhöhung um 10 % ergibt) und die innerfamiliäre Weitergabe günstiger Mietverträge, eingeschränkt werden. Der Dachausbau, dh. die Schaffung von Luxuswohnraum soll erleichtert werden. Gewisse (undefinierte) Gegenstände sollen nicht mehr rechtlich geregelt werden, sondern den „mündigen“ StaatsbürgerInnen Vermieter und Mieter zur Selbstregelung überlassen bleiben. Im sozialen Wohnbau sollen gestaffelte Mieten nach Einkommen eingeführt werden. Die Grundidee des Wohnbaues ist die Herstellung eines möglichst wenig regulierten Wohnmarktes.
Das Familienbild ist ultrareaktionär. Sie wird beschrieben als „Gemeinschaft von Mann und Frau mit gemeinsamen Kindern und ist die natürliche Keimzelle und Klammer einer funktionierenden Gesellschaft“. Kindern, deren Eltern sich etwa getrennt haben, wird damit abgesprochen eine Familie zu haben. Auch die gesellschaftliche Rolle der Frau ist definiert als „Erziehung, Pflege, Bildung, Wirtschaft, Umwelt oder in ehrenamtlichen Tätigkeiten“, ihre Rolle als Erbringerin von unbezahlten gesellschaftlichen Leistungen im Rahmen des Familienkäfigs wird festgeschrieben. Der Sinn ist klar – es soll ideologisch argumentiert werden, dass in einem zusammengekürzten Sozialsystem die arbeitenden Frauen in die Bresche springen müssen. Es wird sich zeigen wie diese Ideologie materiell durch Gesetze und die Kanalisierung gesellschaftlicher Mittel durchsetzt werden wird.
Andererseits wird die Körperschaftssteuer, die wichtigste Steuer auf Kapital, reduziert und eine Reihe von Maßnahmen gesetzt, die frisches Kapital auf den Finanzmarkt Wien schwemmen sollen. Dafür soll auf Gelder der Lohnempfänger (etwa aus der Abfertigungskassa) zugegriffen werden.
Hinter der angekündigten „Entrümpelung“ der Bürokratie steckt, den Rechtsschutz von unselbständig Beschäftigten, Konsumenten, Umweltschutz etc. auf die EU-weiten Mindestnormen zurückzustutzen. Nationale Gesetzte sind Ausdruck des Kräfteverhältnisses von Kapital und Arbeit, das in Österreich lange von der institutionalisierten Einbindung der Führung der Arbeiterbewegung in den Staatsapparat beeinflusst war. Für die Brüsseler Gesetzgebung hingegen sind die Gesetze nur Abbild der notwendigen Begrenzung des „Wettbewerbes nach unten“ der Nationalstaaten untereinander und damit viel direkter Ausdruck der Interessen von Banken und Konzerne. Was so einst als „europäischer Mindeststandard“ bezeichnet wurde, soll nun zur allgemeinen Rechtsnorm werden.
Das Leuchtturmprojekt „Familiengeld“ ist der Zuckerguss auf der Lawine an Verschlechterungen. In den Interessensgruppen des Kapitals, der Industriellenvereinigung, der Immobilienbranche und am Finanzmarkt herrscht Jubelstimmung.
Die Arbeiterbewegung muss sich zum Ziel setzen, diese Regierung gesamthaft zu Fall zu bringen. Die aktuelle Protestbewegung muss programmatisch und methodisch auf dieses Ziel ausgerichtet werden. Das Kundtun von abstraktem „Widerstand“ und die vage Hoffnung, die Sozialdemokratie irgendwann wieder in die Regierung zu bringen, sind viel zu wenig. Vereinzelte Kämpfe werden wenig Chance haben, Verschlechterungen zu verhindern. Hoffnung auf faule Kompromisse legen die Basis für Niederlagen. Kämpfe gegen Verschlechterungen auf allen Gebieten müssen mit dem Slogan geführt werden: „Keinen Schritt zurück“ und miteinander verknüpft werden. Es gilt jeden Kampf mit der Perspektive zu führen, die Amtsdauer dieser Abriss-Regierung möglichst kurz zu halten. Das legt die Basis dafür, dass die Arbeiterbewegung und die Jugend in die Offensive gehen kann: Für soziale Verbesserungen, für ein menschenwürdiges und selbstbestimmtes Leben und gegen das System des Kapitalismus, das diese Regierung erst hervorgebracht hat.