Auf dem jüngsten Kongress der Kommunistischen Partei Chinas, der am 18. und 24. Oktober 2017 in Peking stattfand, nutzte Xi Jinping die Gelegenheit, die Welt wissen zu lassen, dass China eine „starke Macht“ ist, bereit zur Rückeroberung seiner rechtmäßigen Position als „Reich der Mitte“ – also als das Zentrum der Menschheit. Von Zhan Dou Zhe und Dan Morley.
Man könnte jedoch ein gewisses Unbehagen erkennen angesichts der wachsenden inneren Instabilität, die von der bevorstehenden Krise des Kapitalismus ausgeht. Für Medien und Politiker weltweit war der Kongress eine seltene Gelegenheit, einen Einblick in die Perspektiven und Prioritäten des chinesischen Staates zu bekommen. Die beiden Hauptpunkte des Kongresses waren Xi Jinpings Eröffnungsrede und die Ankündigung des neuen Ständigen Komitees des Politbüros, des führenden Gremiums im chinesischen Staat.
Beide wurden in den westlichen Medien ausschließlich durch das Prisma ihrer liberalen Sorgen um Xi’s zunehmender Machtkonzentration wahrgenommen, von der sie auch fürchten, dass sie China vom Kapitalismus weg und zurück zum Maoismus führt. Aber für diejenigen von uns, die nicht von liberalen Vorurteilen geblendet sind, ist klar, dass die Zentralisierung der Macht genau dem gegenteiligen Zweck dient: der weiteren Stärkung des Kapitalismus in ganz China.
Seit seinem Amtsantritt im Jahr 2012 ist Xi Jinpings Verwaltung durch seine markante Erhebung als herausragender Führer Chinas gekennzeichnet; seine hochkarätige Anti-Korruptions-Kampagne gegen mächtige Parteibosse; seine überflüssige Zitation von Mao; und die Beendigung von Privatisierungen staatlicher Unternehmen. Viele dieser Eigenschaften ließen einige im Westen glauben, dass Xi ein Programm verfolgt, welches in das Mao-Zeitalter einer verstaatlichten Planwirtschaft unter einer stalinistischen Parteidiktatur zurück geht.
In ihrem Spagat, einerseits China in eine kapitalistische Wirtschaft zu verwandeln, andererseits jedoch die alte Staatsmacht zu erhalten, muss die Partei gelegentlich gegen einzelne Kapitalisten, Konzerne und rivalisierende Bürokraten kämpfen, die sich nicht an die Spielregeln halten und die Stabilität des Systems gefährden. So auch im Fall von Guo Wengui, einem eigenartigen Immobilien-Tycoon, der vor Korruptionsuntersuchungen in China flüchtete und regelmäßig von seiner Penthouse-Wohnung in den USA aus korrupte chinesische Beamte wie Wang Qishan auf YouTube entlarvt.
Xi’s Anti-Korruptions-Kreuzzug könnte dazu dienen, „lose Kanonen“ oder andere Bedrohungen der Stabilität auszusondern. An und für sich birgt es jedoch auch das Risiko, die wachsende Instabilität zu verstärken. Aus diesem Grund stellt es eine dramatische Abkehr von der „hinter verschlossenen Türen“-Politik dar, die die Parteibürokratie nach dem Chaos der Kulturrevolution einleitete. Trotz all der hochtrabenden Rhetorik wird aus den Perspektiven, die Xi Jinping selbst auf dem Parteitag skizziert hat, klar, dass eine zunehmende Liberalisierung und Vertiefung des Marktes ganz oben auf der Agenda steht.
Das Ständige Komitee
Mit angehaltenem Atem erwarteten die kapitalistischen Medien und Politiker der Welt die Ernennung des neuen Ständigen Komitees des Politbüros. Dies ist eine seltene Chance für den Rest der Welt, hinter den roten Vorhang zu sehen. Seine Zusammensetzung würde zeigen, wie stark Xi ist und welche Linie er wahrscheinlich einnimmt.
In diesem Jahr, wie die westlichen Liberalen mit Sorge erwarteten, ist das neue Ständige Komitee in mehrfacher Hinsicht ein Bruch mit der Parteitradition. Die neue Mitgliederliste ist weniger ein Resultat von Fraktionskämpfen und kollektiver Herrschaft, sondern sie wird eindeutig von denen beherrscht, die Xi unterstehen. Es wurde festgestellt, dass keines der neuen Mitglieder des Ständigen Komitees als potenzieller zukünftiger Nachfolger von Xi betrachtet werden kann, noch ein Bruch mit der unausgesprochenen Parteitradition, dass ein künftiger Führer ein Teil des SK sein sollte, bevor er das Amt übernimmt. Dies schafft die Grundlage für Xi, um eine beispiellose dritte Amtszeit zu machen. Dieser Bruch mit der Tradition kann auch die Art und Weise, wie der SK gebildet wird, nachhaltig verändern, da Xis persönlicher Einfluss bei der Entscheidung über seine Zusammensetzung die traditionelle Linie untergräbt, wodurch vermittels Probeabstimmungen von Mitgliedern des Politbüros die Entscheidung gefällt wird.
In seiner ersten Amtszeit musste Xi eine SK-Liste mit hochrangigen Führern verschiedener Fraktionen wie Zhang Dejiang, Yu Zhengsheng und Zhang Gaoli teilen, was ihn dazu zwang, sich für seine Antikorruptionskampagne gegen rivalisierende Bürokraten stark auf Wang Qishan zu stützen. Die neue Vorschlagsliste des Ständigen Komitees sieht nun 5 neue Mitglieder vor (von 6 zu denen nicht Xi Jinping gehört), die von Xi unterstützt wurden oder mit seinen Ansichten völlig übereinstimmen.
Li Zhanshu, ein enger Vertrauer von Xi seitdem die beiden noch Bezirksfunktionäre in der Provinz Hebei in den 1980’ern waren, wird als einer von Xi’s stärksten Verbündeten im Parteisekretariat der letzten Zeit betrachtet. Wang Huning war Generalsekretär des Büros für die Vertiefung der Reformen – eines der neuen Zentralorgane, die von Xi geschaffen wurden, um seine Wirtschaftsreformen voranzutreiben. Er wurde in der jüngeren Vergangenheit oft als der wichtigste marktwirtschaftliche Theoretiker angesehen. Zhao Leji, der den scheidenden Wang Qishan als neuen Anti-Korruptions-Zar ablösen wird, beeindruckte Xi als Leiter der Organisationsabteilung der Partei mit seiner starken Unterstützung für Wangs Antikorruptionskampagne, insbesondere in seiner führenden Rolle das weitverbreitete Versagen von Parteimitgliedern bei der Errichtung ihrer Beiträge in Angriff zu nehmen.. Er wird mit der Gründung des National Control Committee als neues Organ zur Korruptionsbekämpfung beauftragt, wie es von Xi und Wang Qishan formuliert wurde. Wang Yang ist ein lautstarker „Reformer“, der die Vermarktung der Schlüsselprovinz Guandgong durchgesetzt hat und eng mit Li Keqiang (dem derzeitigen Premierminister) zusammengearbeitet hat. Das fünfte Rad am Wagen ist eindeutig Han Zheng, der Parteisekretär für Shanghai und weithin als Mitglied der Jiang Zemin Fraktion – der Shanghai Clique – angesehen.
Wir sollten auch beachten, dass Liu He, der ausgebildete Ökonom der Harvard-Universität und einer der engsten Berater Xi’s zur wirtschaftlichen Liberalisierung, ebenfalls ins Politbüro befördert wurde, eine weitere starke Stimme für die Liberalisierung und ein Xi-Verbündeter.
Aber Xi’s politische Konsolidierung ist nicht so sehr eine Demonstration übermenschlicher Staatskunst, sondern vielmehr das Fehlen einer Alternative, mit der die KPCh-Bürokratie als Ganzes konfrontiert ist. Nach Jahrzehnten des halsbrecherischen Wachstums ist die chinesische Gesellschaft an ihre Grenzen gestoßen. Zügellose Ungleichheit und Ungerechtigkeit, Umweltverschmutzung, Stress und enorme wirtschaftliche Widersprüche und Verschuldung ziehen die Gesellschaft in Dutzende verschiedener Richtungen und bedrohen das gesamte System. Die Bürokratie strebt danach, eine monolithische und äußerst mächtige politische Kontrolle zu etablieren, mit der jeder Dissens und jede Streikwelle unterdrückt werden kann, während heikle marktwirtschaftliche Reformen durchgeführt werden. Zu diesem Zweck wurde eine Gruppe von Technokraten und Vollstreckungsbeamten, die der Agenda von Xi für eine geordnete Marktwirtschaft vollständig untergeordnet sind, von Xi rücksichtslos gegen alle anderen Fraktionen durchgesetzt.
Die Verbürgerlichung der KPCh
Wenn man bedenkt, dass die chinesische Kapitalistenklasse durch die Unterstützung des stalinistischen Staatsapparats entstanden ist, hat sie keine andere Wahl, als die Kommunistische Partei ihren eigenen Bedürfnissen anzupassen – eine Sache, die die KPCh-Führung mitgemacht und gefördert hat. Mit jedem weiteren Jahr schreitet die zunehmend verbürgerlichte Klassenzusammensetzung der KPCh voran.
Die Kongresse der KPCh, die alle fünf Jahre stattfinden, bieten eine gute Möglichkeit, diese Veränderungen zu bemessen. Neben den Hunderten von Delegierten, die Geschäftsleute sind, gab es 27 Delegierte, die formell private Unternehmen vertraten. Unter ihnen sind nicht nur CEOs oder Präsidenten von großen chinesischen Unternehmen, sondern auch Vertreter von multinationalen Konzernen wie Samsung und KPMG. People.com.cn selbst erkennt an, dass private Unternehmen mehr als 60 Prozent des chinesischen BIP ausmachen und 90 Prozent aller neuen Arbeitsplätze schaffen, um ihre Vertretung zu rechtfertigen und zu dem Schluss gelangen, dass die Ansichten dieser 27 Delegierten immer mehr Gewicht gewinnen.
Zur gleichen Zeit erlebten die reichsten 100 Mitglieder des Nationalen Volkskongresses (Chinas Parlament, das jährlich im Frühjahr zusammentritt) einen Anstieg ihres Reichtums um 64 Prozent während Xi’s erster Amtszeit mit einem kombinierten Vermögen von 507 Milliarden US-Dollar, ähnlich dem BIP von Belgien und der den Reichtum des US-Kongresses (der kaum für seine spartanischen oder antikapitalistischen Qualitäten bekannt ist) in den Schatten stellt. Die kürzliche Übernahme von Parteiorganisationen durch große private Unternehmen ist ein weiterer Beweis dafür, dass die chinesische Bourgeoisie die KPCh gründlich durchdrungen und für ihre Zwecke angepasst hat. Der KPCh-Kongress 2017 deutete darauf hin, dass die Partei durch die Intensivierung der Marktwirtschaft für kapitalistische Elemente geöffnet werden soll.
Offizielle Medien betonen offen und wiederholt die Tatsache, dass die Delegierten auf dem diesjährigen Kongress aus professionelleren und höher gebildeten Verhältnissen kamen – also eine euphemistische Ausdrucksweise dafür, dass diese Delegierten reicher und zwangsläufig pro-kapitalistischer sind. Der Eintritt von privaten Kapitalisten in die Partei- und Staatsstrukturen ist kaum ein neues und überraschendes Phänomen, sondern eines, das bis in die späten 1990er Jahre zurückreicht, als die Restauration des Kapitalismus näher rückte, wie auch die 2010’er Studie „Sources of social support for China’s current political order: The ‚thick embeddedness‘ of private capital holders“ von Christopher McNally und Teresa Wright bewiesen hat:
„Eine landesweite Studie aus dem Jahr 2000 ergab, dass 20 Prozent aller privaten Unternehmer KPCh-Mitglieder waren (Li, 2001, S.26), während die Parteimitgliedschaft im Jahr 2003 auf fast 34 Prozent gestiegen war (Tsai, 2005, S. 1140). Parteimitgliedschaft scheint besonders bei mittleren und großen Privatunternehmenseigentümern vorherrschend zu sein: In Umfragen aus den späten 1990ern waren 40 Prozent bereits Parteimitglieder, und mehr als 25 Prozent des Rests sind von der KPCh anvisiert worden und wollten beitreten (Dickson, 2003, S.111). Im Vergleich dazu waren ab 2007 nur 5,5 Prozent der gesamten Bevölkerung ein Mitglied der KPCh (Xinhua, 2007). „
„Es wird allgemein angenommen, dass private Unternehmer den höchsten Prozentsatz an KPCh-Mitgliedern pro Kopf eines sozialen Sektors ausmachen.“
Das wachsende Gewicht der kapitalistischen Klasse innerhalb der Partei, die wir heute unter Xi sehen, ist eine feststehende und unbestreitbare Tatsache. Es ist Teil dessen, was die Partei und der Staat geworden sind. Die KPCh kann diesem Gewicht nicht nur nicht widerstehen, sondern nimmt es auch bereitwillig an, wenn der Einfluss des Marktes auf die Gesellschaft allumfassend wird.
Fürs Erste kann die Bürokratie, besonders jene an der Spitze, eine gewisse Unabhängigkeit von der Bourgeoisie bewahren, die dennoch ihren Einfluss innerhalb der Partei verstärkt. Aber in dem Maße wie kapitalistische Macht und Einfluss zunehmen, schafft auch die Krise des Kapitalismus die Bedingungen dafür, dass die zunehmend mächtigere Arbeiterklasse in einen militanteren Kampf gegen den Kapitalismus eintritt. Aus diesen Gründen wird Xi gezwungen, bonapartistische Maßnahmen zu ergreifen, um die Partei zwischen der Arbeiter- und der Kapitalistenklasse im Versuch, die Widersprüche zu bewältigen, auszugleichen.
Xi’s starkes Regime bedeutet Bonapartismus
Wie ausführlich berichtet wurde, hat die Abschlusszeremonie des Parteikongresses Xi Jinpings „Theorie“ des „Sozialismus mit chinesischen Merkmalen in der neuen Ära“, was auch der „Xi Jinping-Gedanke“ genannt wurde, in die Parteiverfassung aufgenommen. Dies macht ihn zum zweiten Parteiführer, der seine eigenen „Gedanken“ in die Verfassung geschrieben hat, während er noch am Leben ist und als Präsident dient – der erste ist Mao Zedong. Dies, kombiniert mit der anerkannten Eliminierung von prominenten KPCh-Bürokraten („fangende Tiger“), deutet darauf hin, dass in China etwas im Gange ist.
Was bedeuten diese dramatischen Veränderungen und Manöver? Viele Stalinisten im Westen ziehen hoffnungsvolle Schlussfolgerungen, dass Xi angeblich die Reinkarnation von Mao Zedong wäre, und dass er Chinas kapitalistische Rückentwicklung völlig rückgängig machen und zu den glorreichen Tagen der verstaatlichten Planwirtschaft zurückkehren wird, doch dies ist offensichtlich eine Phantasie, wie die obigen Zahlen zur Parteizusammensetzung zeigen. Was steht also hinter dem Plan und warum werden Xi’s Gedanken in die Verfassung geschrieben?
Es ist nichts weniger als eine Stärkung und Konzentration des Bonapartismus des chinesischen Staates. Bonapartismus ist, wenn der Staat ein hohes Maß an Autonomie von der herrschenden Klasse gewinnt. Dies wird gemeinhin als Diktatur bezeichnet, aber die Bedeutung ist wissenschaftlicher und genauer, denn sie besagt, dass diese Diktatur dadurch erreicht wird, dass die beiden Hauptklassen gegeneinander ausbalanciert und gegeneinander ausgespielt werden. Obwohl dies die Bourgeoisie ihrer direkten politischen Macht beraubt, werden die größeren Repressionskräfte des Staates dazu benutzt, das kapitalistische Wirtschaftssystem letztlich zu verteidigen. Der Bonapartismus rettet quasi den Kapitalismus vor den Kapitalisten.
Genau das passiert in China. In der vergangenen Zeit haben wir viele chinesische Großunternehmen gesehen, die auf Druck des Staates kommunistische Parteizellen aufgebaut haben, was viele zu der Annahme verleitet hat, dass dies eine Zunahme staatlicher Einmischung in das Funktionieren des Kapitalismus und sogar Feindseligkeit gegenüber diesem System darstellt. Einige haben spekuliert, dass dies ein Beleg für einen Plan zur Renationalisierung wäre. Tatsächlich ist der Anteil privater Unternehmen mit einer Parteizelle allein im Jahr 2016 um 16,1 Prozent angestiegen.
Während die Parteizellen der Unternehmen das Management tatsächlich in eine Art politische Führungsrolle bringen, sind sie in viel stärkerem Maße Organe der direkten Kontrolle über die jeweilige Gewerkschaft des Unternehmens (sollte es eine geben), da per Gesetz alle Unternehmensgewerkschaften unter die Führung der Parteizellen des Unternehmens gestellt sind. Die Verbreitung von Parteizellen bietet dem Management selbst auch einen Kanal, um am politischen Leben der Partei teilzunehmen, was ihnen sowohl Einfluss als auch ein gewisses Maß an politischem Schutz bietet, beispielsweise bei Korruptionsprozessen. Arbeiter, die Parteimitglieder sind, genießen automatisch Vergünstigungen und werden für Beförderungen priorisiert, wodurch eine Schicht privilegierter Arbeiter geschaffen wird, die sie ihren Kollegen gegenüberstellen können. Solche Zellen werden daher benutzt, um beide Klassen politisch zu kontrollieren – letztlich aber viel mehr die Arbeiterklasse, zum Vorteil der Kapitalistenklasse.
Die Partei reagiert zwar auf Beschwerden aus der Arbeiterklasse, aber alle Versuche, Streitigkeiten außerhalb des juristisch zulässigen Rahmens beizulegen, werden scharf unterdrückt. Was das System am wenigsten tolerieren kann sind unabhängige und koordinierte militante Aktivitäten der Arbeiterklasse. Das System der „Shang Fang“ oder die Meldung von Beschwerden an die Regierung wurde erweitert und vom Staatsbüro für Briefe und Anfragen überwacht. In den letzten 5 Jahren hat die Provinz Sichuan allein 3,8 Millionen Anfragen bearbeitet, die dazu führen könnten, dass angezeigte lokale Beamte entlassen werden könnten oder Druck auf Privatunternehmen ausgeübt wird, um ihre ArbeiterInnen zu bezahlen.
Auf der anderen Seite werden unabhängige Arbeiteraktivisten sofort verhaftet, wie jene, die Ende 2015 in den Fabrikstreiks in Guangdong aktiv waren. Der nationale Walmart-Arbeiterstreik im Jahr 2016 erhielt auch stillschweigende Zustimmung von der offiziellen Gewerkschaft, die gleichzeitig die Führung des Streiks der ausländischen Einflussnahme beschuldigte. Der Staat lehnt die Wut der Arbeiterklasse ab um die Widersprüche des Kapitalismus zu bewältigen, und zwar insbesondere deswegen, weil der Staat den Erhalt höherer Löhne für die Arbeiter gesichert sehen will, um die Binnennachfrage in der Wirtschaft anzukurbeln. Der Staat muss auch zeigen, dass er auf seine Missstände reagiert, denn sein Anspruch auf Legitimität beim Aufbau des Kapitalismus besteht letztlich nur darin, dass er den Lebensstandard erhöht und das Leben der Massen verbessert. Aber er wird niemals unabhängige Aktivitäten der Arbeiterklasse tolerieren.
Die Partei konnte ihre beherrschende Stellung innerhalb der Gesellschaft vor allem deshalb behaupten, weil der chinesische Kapitalismus – ohne die Förderung eines starken Staates, der tatsächlich für die Existenz des Kapitalismus in China verantwortlich ist – ansonsten völlig unfähig wäre, sich selbst zu entwickeln. Aus diesem Grund kann sich die KPCh in Abwesenheit einer schweren Wirtschaftskrise immer noch zwischen den Klassen ausbalancieren und gleichzeitig den chinesischen Kapitalismus entwickeln.
Nach Jahrzehnten des Wachstums ist eine schwere Wirtschaftskrise jedoch genau das, was China erwartet. Xi Jinping und die chinesische herrschende Klasse wissen, dass diese Krise unweigerlich einsetzen wird. Sie unternehmen alle möglichen Versuche, den Tag des Jüngsten Gerichts aufzuhalten, aber tief im Inneren wissen sie, dass er unausweichlich ist. Sie sind sich des starken Anstiegs der Schulden bewusst. Es sind in erster Linie diese tiefsitzenden wirtschaftlichen Probleme und die Verschärfung des Klassenkampfes, die Xi’s Machtkonzentration inspiriert haben: die Beseitigung der rivalisierenden Fraktionen durch die Antikorruptionskampagne, die Intensivierung der Propagandamalerei von Xi und der KPCh als sogenannte „marxistische“ Vorkämpfer der arbeitenden Massen und die enorme Ausweitung des Sicherheitsapparats auf unzähligen Ebenen.
Der wahre Grund für die Anti-Korruptions-Kampagne
In den vergangenen vier Jahren hat Xi mit seiner Antikorruptionskampagne die gesamte Parteibürokratie bis ins Mark erschüttert, was den Eindruck erweckte, dass niemand innerhalb der Partei, egal wie mächtig, von der Parteidisziplin befreit wäre. Die hochrangige Antikorruptionskampagne entfernte in der Tat einige sehr mächtige Partei- und Militärführer, allen voran das ehemalige Mitglied des Ständigen Komitees, Zhou Yongkang, der enorme Kontrolle über die staatlichen Ölunternehmen hatte, sowie den hochrangigen General Xu Caihou. Im Vorfeld des 19. Kongresses der Kommunistischen Partei sahen wir auch die bisher größte Anzahl an Mitgliedern, die aus dem Zentralkomitee ausgeschlossen wurden, darunter auch Sun Zhengcai, welcher das prominenteste Mitglied des Ständigen Komitees war. Der Stabschef der Armee, Fang Fenghui, wurde Berichten zufolge ebenfalls in Untersuchungshaft genommen.
Wir müssen verstehen, dass die Säuberung bestimmter Bürokraten keine grundlegende Änderung in der Politik des Staates darstellt, sondern vielmehr die Eliminierung derjenigen, die die Fähigkeit von Xi, seine Politik durchzusetzen, behindern könnten. Xi befürchtet, dass in der kommenden Krise die Existenz von Fraktionen in der Bürokratie zu Spaltungen führen oder die zentrale Autorität der Partei in einer bereits angespannten Situation untergraben könnte. Eine wirtschaftliche oder soziale Krise wird das alte Regime bis an seine Grenzen auf die Prüfung stellen, weshalb sich das Regime schlichtweg keine unzuverlässigen Elemente leisten kann.
Sun Zhengcai, der frühere Gouverneur von Chongqing, war ein treffendes Beispiel für einen prominenten Bürokraten, dessen Korruption so tiefgehend und weit verbreitet war, dass er die Partei und ihr kapitalistisches Programm bedrohte. Kurz vor seiner Inhaftierung vor dem Parteitag wurde bekannt, dass Sun eine obskure IT-Firma mit Kapital und Verbindungen versorgt hat, um sich im Namen der „One Belt One Road“ -Initiative an die litauischen und kasachischen Zentralbankchefs zu wenden in der Hoffnung, dadurch immensen Profit zu erzielen.
Xu, ein führender General in der Armee, wurde wegen Handelsaktionen für Bargeld für schuldig befunden. Fang Fenghui, Stabschef der Armee, wurde beschuldigt, enge Beziehungen zu US-Militärs unterhalten zu haben. Am bekanntesten ist, dass Zhou Yongkang, der im Ständigen Komitee war, seine Position an der Spitze der China National Petroleum Corporation (staatlicher Ölkonzern und gemessen am Kapitalumsatz der viertgrößte Konzern der Weltwirtschaft, Anmkerung des Übersetzers) eingenommen hatte, um Milliarden an Bestechungsgeldern zu gewinnen und Familienmitglieder zu bereichern. Vor Zhou’s Inhaftierung traf Xi auf prominente Parteichefs und Ex-Führer, vor allem Jiang Zemin, um sie auszuloten und festzustellen, dass Zhou’s Korruption und Dekadenz die Stabilität des gesamten Systems gefährde.
Zügellose Korruption ist eine inhärente Schwäche totalitärer Staatsbürokratien wie China. Es gibt auch keine demokratischen „Sicherheitsventile“, mit denen sich die enormen Widersprüche der Gesellschaft austoben könnten. Konkurrierende kapitalistische Interessen müssen in jedem Staat um Einfluss ringen, nicht zuletzt auch in einem so mächtigen Staat wie China. Die Phantasie der Einstimmigkeit und Harmonie im Staatsapparat wird ständig durch diese Faktoren bedroht. Xi hat dies erkannt und versucht, es in einem riesigen und letztlich nicht gewinnbaren Spiel von „whack-a-mole“ auszumerzen.
Dies erstreckt sich nicht nur auf die Spitze der Bürokratie, sondern auf die gesamte Partei. Die KPCh, welche die einzige und mit dem Staat verschmolzene Partei ist, konzentriert in sich eine Vielzahl verschiedener sozialer Kräfte. Jeder, der die Karriereleiter erklimmen möchte, schließt sich der Partei an. Darum ist es eine Funktion der Partei, als eine Art ausgeklügelte Netzwerkorganisation zu dienen. Aus diesem Grund hat die KPCh im letzten Jahr begonnen, strengere Kriterien für die Mitgliedschaft einzuführen, um ihre eigene Verfaulung einzudämmen.
„Forschungsergebnisse legen nahe, dass viele dieser Neukömmlinge ihre Parteimitgliedschaft nicht als politische Berufung, sondern als Abkürzung für eine stabile wirtschaftliche Beschäftigung sehen (viele Jobs im öffentlichen Dienst und regierungsgebundene Unternehmen sind für Parteimitglieder reserviert) oder einfach als eine weitere Möglichkeit, ihre Überlegenheit gegenüber ihren Klassenbrüdern zu beweisen. Im Jahr 2015 ergab eine Umfrage an einer Mittelschule, dass nur ein Sechstel der für die Partei Beauftragten dem „Dienst am Volk“ nachkomme, und nur ein Viertel konnte sagen, dass sie einen „sehr starken“ Wunsch hatten, akzeptiert zu werden. „(The Economist, 23.11.17).
Die zentrale Bürokratie ist repräsentativer für jene Teile Chinas, wo der Kapitalismus stärker entwickelt ist, gegenüber anderen regionalen Bürokraten, die mehr auf die Propagierung und Kontrolle regionaler Staatsunternehmen angewiesen sind. Die Autorität des Staates neigt ständig dazu, an den Rändern auszubrechen. Die Parteiführung befürchtet, dass grassierende Korruption, vor allem in regionalen Provinzen, Risse im Regime enthüllen könnte, die die Massen zu ihrem Vorteil nutzen und eine Massenbewegung auslösen könnte, die das gesamte Regime umgehend bedrohen würde. Daher wurden präventiv Beispiele für eine große Anzahl korrupter Beamter hervorgezogen, um sowohl den breiteren Apparat zu disziplinieren als auch die Illusion zu schaffen, dass nicht die gesamte Bürokratie ein Parasit der Arbeiterklasse ist, sondern nur wenige korrupte Teile der Bürokratie. Gleichzeitig beseitigt der Korruptionsskandal auch die politischen Rivalen von Xi.
Marktwirtschaft mit KP-Charakter
Xi’s mit Spannung erwartete Rede war dreieinhalb Stunden lang und wurde deswegen für viele internationale Medien zum Schwerpunkt. Mindestens drei Stunden davon waren jedoch mit leeren Plattitüden gefüllt, wie „unsere Partei muss für den Lebensunterhalt der Menschen kämpfen“; „Wir müssen den chinesischen Traum und die große Wiederbelebung der chinesischen Nation verwirklichen“; „Wir müssen streng mit uns selbst sein und die Korruption bekämpfen“; ebenso wie blanke Lügen wie „in unserem Land ist die herrschende Klasse die Koalition der Arbeiter und Bauern“; „Wir haben hart gearbeitet, um die marxistische Theorie zu studieren und zu entwickeln.“
Nur etwa eine halbe Stunde der Rede hatte tatsächlich einen Inhalt, und innerhalb dessen verbrachte Xi die meiste Zeit damit, über die Vertiefung der Marktwirtschaft und der Liberalisierung der Wirtschaft zu sprechen (mit gelegentlichen Punkten über die Notwendigkeit, auch starke Regulierungsmechanismen insbesondere auf dem Wohnungsmarkt zu haben), während Sozialausgaben gestärkt würden. Er skizzierte auch Pläne zur Stärkung der Macht der Zentralregierung bei der Umsetzung ihrer Politik auf nationaler Ebene, um die „politische Führung“ der Partei über das Land stärker hervorzuheben, sowie die Privatisierung großer staatseigener Industrien zu stoppen und diese „wettbewerbsfähig für den Markt“ zu verwalten. Sorgfältig ausgewählte Soundbits wie „Wir müssen die Globalisierung zu erhöhen, Liberalisierung und Öffnung verbessern“ und „Handelsreformen vertiefen, Zerschlagung von administrativen Monopolen, Verbot von Marktmonopolen, zum Wohle eines perfekten marktüberwachenden Systems“ fassen die Richtung zusammen, wohin China nach Xi’s Willen gehen soll.
Trotz des utopischen Versprechens der KPCh, eine Marktwirtschaft ohne systemische Risiken aufzubauen, kann Chinas kapitalistische Wirtschaft der fundamentalen Überproduktionskrise des Kapitalismus nicht entkommen. Dies zeigt sich in der Verlangsamung des Wachstums seit etwa 2014, dem starken Anstieg der Verschuldung sowie gelegentlichen Schocks an den Aktienmärkten. Die Partei, die diese Fakten nicht ignorieren kann, muss über Xinhua verkünden, dass sie sich der Probleme bewusst ist und Wege finden wird, mehr private Investitionen anzuregen.
Die KPCh versucht dieses Ziel zu erreichen, indem sie zunächst jene Beschränkungen aufgibt, die sie zuvor ausländischen Unternehmen auferlegt hatte, nämlich in China zu operieren. Wie Xinhua versprach: „Alle Unternehmen, die an der Grenze unseres Landes registriert sind, werden auf die gleiche Weise betrachtet und gleich behandelt. Wir werden auf einer neuen Art der Verwaltung von Auslandsinvestitionen auf der Grundlage des neuen auf Aufzeichnungen beruhenden Systems bestehen, was den Investitionsnutzen weiter erhöhen wird.“ Das Aufzeichnungssystem bezieht sich in diesem Fall auf eine Überarbeitung der juristischen Schritte, die ausländische Unternehmen durchführen mussten, um legal zu arbeiten, was typischerweise ein bis drei Monate dauert.
China ist bekannt für seine vielen Restriktionen und Anforderungen an ausländische Unternehmen, zum Beispiel, dass diese Joint Ventures mit chinesischen Unternehmen eingehen und ihre Technologie mit ihnen teilen müssen. Das neue vorgeschlagene System wird den Registrierungsprozess für ausländische Unternehmen drastisch vereinfachen und es ihnen ermöglichen, schneller auf den chinesischen Markt zu kommen. Dies verspricht auch, dass der Staat nicht in die Entscheidungen einzelner Unternehmen eingreifen wird, wie diese ihre Investitionen einsetzen. Dies deutet darauf hin, dass die KPCh jetzt genügend Vertrauen in die größeren chinesischen Unternehmen hat, um mit ausländischen Unternehmen ohne die Unterstützung des Staates zu konkurrieren, aber auch, dass sie mit Nachdruck darauf drängen, ausländische Investoren nach China zu locken, um die Wachstumsrate über Wasser zu halten.
Neben dieser internen Strategie skizzierte der Kongress neue Pläne für eine externe Strategie, um die Überproduktionskrise in der chinesischen Wirtschaft hinaus zu zögern: in der Form einer aggressiveren imperialistischen Investitionspolitik in anderen Ländern von und für chinesische Unternehmen. Die Politik des One Belt One Road (die wir zuvor in unseren beiden Artikeln „philippinischer Präsident Rodrigo Duterte orientiert auf China – aber warum?“ und „Pakistan: Die beständig wachsende Macht Chinas“ analysiert haben) ist der größte Akt der Wirtschaftsdiplomatie seit dem Zweiten Weltkrieg und ein unmissverständliches Zeichen der Bestrebungen des aufkeimenden chinesischen Imperialismus, eine aufkochende Krise des chinesischen Kapitalismus zumindest vorübergehend zu vermeiden.
China produziert jetzt die Hälfte aller Stahl- und Aluminiumprodukte der Welt. Shenzhen wird schnell zu einem weltweiten Zentrum für die Tech-Industrie. In jeder Hinsicht hat die enorme Expansion der chinesischen Produktivkräfte die Grundlage für eine enorme Überproduktionskrise geschaffen (China und die Weltwirtschaft 2016: „Schlussverkauf“).
In Wirklichkeit ist die chinesische Wirtschaft für eine Krise längst überfällig, die mit der Weltwirtschaftskrise 2008 hätte erreicht werden sollen. Wie wir wissen, rettete China den Weltkapitalismus in jenem schicksalhaften Jahr mit einem enormen fiskalpolitischen Stimulus: dem größten in der Weltgeschichte. Aber das wurde mit kapitalistischen Mitteln, das heißt mit Schulden erreicht, und wie Marx und Engels im Kommunistischen Manifest erklärten, verursachen solche Methoden in der Zukunft nur noch größere Krisen. Die Gesamtverschuldung der chinesischen Wirtschaft hat sich seit 2008 auf 22 Billionen Pfund vervierfacht!
In einer Stellungnahme hat der IWF darauf hingewiesen, dass „der Anteil der Staatsverschuldung am Bruttoinlandsprodukt bis 2022 von 235 Prozent auf fast 300 Prozent steigen würde. Zuvor verkündete der in Washington ansässige IWF, welcher regelmäßige Jahresberichte über seine Mitgliedsländer veröffentlicht, die Verschuldung würde bei 270 Prozent des BIP ihren Höhepunkt erreichen … China benötigte 2016 dreimal so viele Kredite, um das gleiche Wachstum wie im Jahr 2008 zu erzielen … Seit 2008 ist die Verschuldung des privaten Sektors gegenüber dem BIP um 80 Prozentpunkte auf rund 175 Prozent gestiegen, und diese großen Steigerungen sind international mit starken Wachstumsverlangsamungen und oft Finanzkrisen verbunden … China hat jetzt einen der größten Bankensektoren der Welt. Mit 310 Prozent des BIP liegt der chinesische Bankensektor über dem Durchschnitt der fortgeschrittenen Volkswirtschaften und wächst fast dreimal so schnell wie der Durchschnitt der Schwellenländer.“ (The Guardian, 15.8.17).
Nach Jahrzehnten eines überwältigenden Wachstums hat sich China grundlegend verändert. Alle Widersprüche des Kapitalismus haben sich in das chinesische Gefüge eingebettet, und China ist wiederum in das Zentrum einer krisengeschüttelten Weltwirtschaft eingebettet. Die Verlangsamung der Wirtschaft, die wachsende Unzufriedenheit und Militanz der Arbeiterklasse, die Explosion der Schulden auf ein völlig unhaltbares Niveau und der Übergang zu imperialistischen Aktivitäten drücken allesamt die Komplexität der chinesischen Gesellschaft und die Unausweichlichkeit einer immanenten Krise aus. China auf dieser Grundlage aufrecht zu erhalten gleicht dem Versuch von auf Stäbchen drehenden Tellern, und Xi braucht alle Hände an Deck, um sicherzustellen, dass sich diese Teller im Interesse des Kapitalismus weiter drehen. Das ist die Lehre des 19. Kongresses der Kommunistischen Partei Chinas und der Unterordnung der Partei unter Xi’s Willen.
Erstveröffentlichung am 30. November 2017 auf In Defence Of Marxism
Übersetzung aus dem englischen Original: Kristof Sebastian Roloff