Die bolivarische Revolution ist an der finalen Weggabelung angelangt. Die Reformen des vergangenen Jahrzehnts haben den Lebensstandard der Massen dramatisch verbessert, stellten aber keinen Bruch mit der kapitalistischen Produktionsweise dar, und jetzt stoßen sie auf immer deutlicher sichtbare Schranken, erklärt Sandra Sassulitsch.
Einerseits sorgt die wirtschaftliche Sabotage der Bourgeoisie für nie dagewesene Inflationsraten und zerstört den Lebensstandard, den sich die Massen erkämpft haben. Auf der anderen Seite ist die reformistisch-versöhnlerische Politik der Regierung unfähig, einen Ausweg aus der Krise aufzuzeigen. Stattdessen gießt sie Öl ins Feuer, indem sie der Bourgeoisie immer größere Zugeständnisse macht.
Unter diesen Bedingungen schreitet die Bourgeoisie nun erneut zum Aufstand gegen die Regierung. Diese Aufstandsversuche haben bereits über 90 Personen das Leben gekostet. Am 27. Juni erreichten sie einen traurigen Höhepunkt, als ein Polizist einen Helikopter entführte und die Gebäude des Innen- und Justizministeriums, sowie des Obersten Gerichtshofs mit Granaten und Maschinengewehren angriff, während er andere dazu aufrief, mitzumachen und die Maduro-Regierung zu stürzen.
Der Aufruf der Regierung zu einer konstituierenden (verfassungsgebenden) Versammlung wird von den fortgeschrittensten Teilen der Massen begeistert begrüßt. Sie sehen darin eine Möglichkeit, die Revolution voranzutreiben, die gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Änderungen zu vertiefen und zum Sozialismus voranzuschreiten. So wäre es möglich, die Pläne der Bourgeoisie und des Imperialismus zu durchkreuzen. Diese Schicht organisiert sich in verschiedenen örtlichen, regionalen und nationalen Organisationen, um Alternativkandidaten zur Bürokratie vorzuschlagen, die ein fortschrittliches Programm verteidigen.
Dennoch ist sichtbar, dass die wirkliche Absicht der bolivarischen Führung nicht darin besteht, die Konstituante zu nutzen, um die sozialistische Revolution abzuschließen, sondern vielmehr darin, zu versuchen, mit einem Sektor der nationalen Bourgeoisie und der MUD, ihrer politischen Vertretung, zu einer Übereinkunft zu gelangen.
Trotz der fortschrittlichen Forderungen der Regierung, wie die Aufnahme der Sozialreformen in die Verfassung und die Ausweitung der partizipativen und direkten Demokratie, sieht man ihre versöhnlerische Zielsetzung deutlich an ihrem Slogan, eine „Wirtschaft jenseits des Erdöls“ aufzubauen. Damit meint sie die Verfestigung der Politik der Klassenzusammenarbeit zwischen Bourgeoisie und Regierung.
Daher wird die Konstituante nicht fähig sein, die Widersprüche zu lösen, die der Wirtschaftskrise zugrunde liegen. Daran ändern auch verzweifelt-panische Ankündigungen wie die folgende nichts, die von Maduro einen Tag vor dem Helikopterangriff gemacht wurde: Sollte „das Land in Chaos und Gewalt versinken und die bolivarische Revolution untergehen, würden wir zurückschlagen. Was wir nicht durch (Wahl-)Stimmen erreichen konnten, werden wir durch Waffen erreichen.“
Die venezolanische Bourgeoisie wird von Faschisten wie dem „politischen Gefangenen“ Leopoldo Lopez angeführt, die entschlossen sind, zum Sturz der Regierung und der Zerschlagung der Arbeiterbewegung bis zum Äußersten zu gehen. Eine Politik des Dialogs mit diesen Leuten kann die Revolution nur in den Untergang führen.
Doch die venezolanischen Massen sind nicht dieselben wie 2002, als sie durch ihre Aktion einen Putsch gegen den damaligen Präsidenten Hugo Chavez abwehrten. Seit Jahren werden sie von der bolivarischen Revolution enttäuscht. Die Ursache dessen ist das Verhalten der Bürokraten und Reformisten in der bolivarischen Bewegung, der Korruption der Staats- und Parteibeamten, den Angriffen auf die revolutionäre Initiative der Massen usw. Verschärft wird all das durch die Unfähigkeit oder den fehlenden Willen der Regierung, die notwendigen Maßnahmen dagegen zu ergreifen. Das würde voraussetzen, der Oligarchie – den Bankern, Kapitalisten und Großgrundbesitzern – schwere Schläge zu versetzen. Stattdessen geht die Regierung den entgegengesetzten Weg: Sie macht Konzessionen, gibt ihnen Dollar zu günstigen Preisen und ruft sie auf, zu investieren und produktiv zu sein. Das genügt aber der Kapitalistenklasse nicht, die ihre Sabotagekampagne fortsetzt und weiterhin mit Unterstützung des US-Imperialismus versucht, die Regierung zu stürzen.
Nur eine der beiden historischen Kräfte wird sich am Ende durchsetzen können. Die Konterrevolution kann nur abgewehrt werden, indem die sozialistische Revolution vollendet wird, indem die Kommandohöhen der Wirtschaft unter Arbeiterkontrolle enteignet werden. Der bürgerliche Staat muss abgebaut und durch einen Arbeiterstaat ersetzt werden, der sich auf die Arbeiterräte und Kommunen stützt, der revolutionäre Arbeiter- und Volksmilizen aufbaut und den faschistischen Vormarsch zerschlägt. Das arbeitende Volk muss sich an die Spitze des Kampfes stellen und diese Entwicklung sofort, bis zur letzten Konsequenz umsetzen. Nur so können der Faschismus und die Konterrevolution besiegt werden.