Proletenpassion. Seit Februar pilgert die Linke zum “Theater am Arsch der Welt” (Werk X) zur Neuinszenierung der Proletenpassion. Gernot Trausmuth und Marion Hackl haben mit MusikerInnen und SchauspielerInnen geplaudert.
Publikumsscheu sind die Mitwirkenden an der Proletenpassion ff. nicht. Sie holen sich, genau wie die TheaterbesucherInnen ihr Getränk an der Bar im Foyer. Genau dort entdecken wir auch Tim Breyvogel, einen der Schauspieler mit dem wir den Interviewtermin vereinbart haben. Er führt uns in die Garderobe. Die ist beengt und nüchtern und hat außer ein paar Sesseln und Spiegeln nicht wirklich was zu bieten. Trotzdem hält sich ein Großteil der Crew nach der Vorstellung noch hier auf. Während sich ein Teil noch über die Qualität der soeben beendeten Vorführung unterhält, stellt Tim uns den anderen vor. Bernhard (Schauspiel), Knarf (Musik), Elise (Musik), Oliver (Musik) und Didi (Musik) setzen sich zu uns, später stoßen auch noch Anna und Christina dazu. Wir reichen die aktuelle Ausgabe vom “Funke” herum, beantworten Fragen zur Herkunft des Titels und scherzen über den Untertitel.
Die Crew ist ein ziemlich bunter Haufen – von Burgtheater bis Hamburger Schule. Bei unserem ersten Gespräch präsentierte Tim das gesamte Team zwar als Kollektiv, doch anders als einst die „Schmetterlinge“ hatten sie nur wenig Zeit sich gemeinsam auf die Neuinszenierung vorzubereiten. Dementsprechend wurden viele Entscheidungen von Regisseurin Christine Eder und Eva „Gustav“ Jantschitsch (musikalische Leitung) bereits im Vorfeld getroffen – zum Beispiel auch darüber welche Teile der Ursprungsversion dem Rotstift zum Opfer fallen. Dies – so Tim – liege auch an den Rahmenbedingungen im Independent-Theaterbetrieb. Es herrsche beständiger Geldmangel, weswegen immer alles möglichst rasch und billig gehen müsse. Innerhalb von ein paar Monaten soll dann aus dem Nichts heraus ein Stück stehen.
Auf unsere Frage, warum sie eine Neuinszenierung der Proletenpassion gerade jetzt für wichtig halten, bekommen wir die Antwort, dass Christine Eder und Eva Jantschitsch die Idee dazu bereits zu Beginn der Wirtschaftskrise, angesichts des ganzen “Kapitalwahnsinns”, gehabt hätten. Sie alle finden das Stück in der jetzigen gesellschaftlichen Situation wichtig, haben das Gefühl, dass sich die Menschen wieder zu wehren beginnen und wollen mit der Neuinszenierung der Proletenpassion einen Beitrag dazu leisten. Der Wert der “Proletenpassion” liegt laut Knarf darin, dass sie eine wichtige “Bestandsaufnahme” liefert: “Die Analyse ist richtig, aber die Richtung ist offen, wohin es gehen soll. Wir müssen erstmal die Frage stellen, wer sind wir, die Linke, wer macht noch aller mit?” Das Fehlen einer starken Linken, die sich auf Inhalte einigen kann, wird als großes Manko gesehen. Denn: “Wenn man sich nicht zusammentut, kann man nichts bewegen.”
Und welches Publikum schaut sich die “Proletenpassion ff.” nun an? Da gibt es die NostalgikerInnen, die noch einmal in Jugenderinnerungen schwelgen wollen, während der Vorführung schon mal die Faust erheben, inbrünstig mitsingen und sich sehr dankbar zeigen; für die Neuinszenierung und vor allem auch dafür, dass die Proletenpassion dadurch nicht “verhunzt” wurde. Wovor einige – wohl jene, die die Musik von Gustav zuvor nicht kannten – Angst hatten. Und dann sind in den später folgenden Aufführungen auch die Jungen gekommen: Die seien nachdenklicher, gingen nicht so mit, würden auch kaum klatschen. Dies liege aber nicht daran, dass das Stück bei ihnen nicht ankäme, sondern viel mehr daran, dass es soviel Stoff zum Nachdenken in sich berge. Außerdem seien es gerade die jüngeren ZuschauerInnen, die mehr Härte und Radikalität einfordern würden. Bernhard erzählt er habe, wenn er nach der Vorführung mit den Jüngeren aus dem Publikum spricht, die Erfahrung gemacht, dass diese dann an ihn herantreten und die Frage in den Raum stellen: “Wie ist das jetzt mit dem Aufstand? Was machen wir jetzt? Welchen Beitrag bist du bereit zu leisten? Wann, wenn nicht jetzt?” Und die Regiehospitantin Christina erklärt, was aus ihrer Sicht den großen Wert der “Proletenpassion” ausmacht: “Unsere Generation weiß, was alles falsch läuft. Aber wie kann es anders gehen? Deshalb ist es so cool zu sehen, was alles in der Geschichte geschehen ist. Revolution kann eben passieren.”
Während des Gesprächs kommt gut zum Ausdruck, dass einige Themen trotz Ressourcenmangel in der gesamten Crew heiß diskutiert wurden. Wie zum Beispiel die Rede von Georgi Dimitroff zum Faschismus, die so Knarf “beinhaltet zwar einige wichtige Aussagen, wie die Notwendigkeit, die Banken zu zerschlagen. Gleichzeitig vertritt sie diese These, dass der Faschismus rein das Produkt von Krupp und Thyssen war. Und das ist natürlich Quatsch.” Knarf meint auch mit scherzhaftem Unterton, dass er lieber Wilhelm Reich vorgetragen hätte. In mehreren Wortmeldungen wird die Einschätzung spürbar, dass die Masse der Bevölkerung sich zu leicht manipulieren lasse und damals (beim Nationalsozialismus) auch mitgemacht habe. Bernhard lenkt die Diskussion wieder ins Jetzt: “Die Krupps und Thyssens, die gibt es heute noch immer. Das Geld regiert auch heute.” Auch der aktuelle Part der Neuinszenierung war im Team Diskussionsgegenstand. Wie sehr sollten sie zu aktuellen Themen Stellung beziehen? Zu welchen? Und mit welcher Haltung? Darauf konnten und wollten sie allerdings keine gemeinsame Antwort finden. Der Schlussteil der Neuinszenierung beschäftigt sich vor allem mit Systemkritik. Warum die sozialen, revolutionären Bewegungen der Gegenwart nicht thematisiert werden, erklärt Oliver ganz offen: “An dieser Aufgabe sind schon die Schmetterlinge gescheitert. Zu Fragen der Geschichte ist das Urteil einfacher. Zu dem, was heute passiert, fehlt uns oft noch die Klarheit.” Elise fügt hinzu: “Ich würde es falsch finden, heutige Bewegungen darzustellen, weil das schon viel darüber vorgeben würde, was wir für richtig halten.”
Dass Veränderung stattfinden muss, darin sind sich alle einig, auch darin, dass dies nur geht, wenn die Menschen ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Sie haben nicht die Illusion, dass sie mit dem Stück die Revolution lostreten werden, und sie haben auch nicht den Anspruch der von den “Schmetterlingen” besungenen “Kampfpartei”, die “wir gründen müssen”, gerecht zu werden. Vielmehr wollen sie die BesucherInnen dazu anregen, aktuelle Situationen selbst einzuschätzen und dann selbst in die Geschichtsschreibung endlich aktiv einzugreifen und ihren Teil zur Geschichte der Beherrschten, der sozialen Kämpfe und Bewegungen beizutragen. Wenn eine Umwälzung der gesellschaftlichen Zustände gelingen soll, dann hilft aus ihrer Sicht kein blindes Vertrauen in eine Partei oder Führung. Dann muss jeder und jede Einzelne von uns selbst nachdenken, Verantwortung übernehmen und aktiv werden. Fehler sind dabei durchaus erlaubt. Denn, wie Bernhard zum Abschluss betont: “Wir lernen im Vorwärtsgehen.”