Das Schuberttheater im 9. Bezirk arbeitet in einem Stück von Simon Meusburger und Nikolaus Habjan, das 2012 mit dem Nestroypreis ausgezeichnet wurde, auf berührende Art und Weise einen Teil der Österreichischen Geschichte auf.
Friedrich Zawrel wächst in den 1930er Jahren in Wien unter sehr schwierigen Umständen auf. Sein Vater ist Alkoholiker und die Mutter kann die Familie alleine fast nicht ernähren. Die Familie wird als „nicht mehr förderungswürdig“ eingestuft und nach der Delogierung kommt Zawrel zum ersten Mal in ein Heim. Nach mehreren Fluchtversuchen von seiner Pflegefamilie, die ihn nicht haben will, sondern ihn nur mit seinem kleinen Bruder mitaufgenommen hat, landet er schließlich in der Krankenanstalt Am Spiegelgrund. In dieser zweitgrößten „Kinderfachabteilung“ des Deutschen Reiches werden kranke, behinderte und vermeintlich erblich belastete Kinder und Jugendliche „behandelt“. Dort fanden zwischen 700 und 800 Euthanasiemorde an Kindern statt. In einem Gutachten wird Zawrel vom Anstaltsarzt Dr. Heinrich Gross als „erbbiologisch und sozial minderwertig“ eingestuft, er wird gefoltert und mit zahlreichen „medizinischen“ Versuchen gequält. Er kann schließlich kurz vor seiner geplanten Ermordung mithilfe einer Krankenschwester fliehen.
Viele Jahre später begegnen sich Folterer und Opfer noch einmal. Friedrich Zawrel, dem von der Republik Österreich eine Ausbildung verwehrt wird, kann sich nur als Kleinkrimineller über Wasser halten. Dr. Gross hingegen, der sich wie viele andere ehemalige Nationalsozialisten über den Bund Sozialistischer Akademiker rehabilitierte, konnte wieder in den Dienst der Stadt Wien treten und ist eine anerkannte Persönlichkeit geworden. Seine medizinischen Forschungen an den Kindergehirnen der ermordeten Kinder aus der ehemaligen Nazieinrichtung haben ihm zahlreiche Auszeichnungen eingebracht. Er ist mittlerweile auch Parteimitglied der SPÖ, erhält das Bundesverdienstkreuz für Wissenschaft und Kunst und ist der einflussreichste Gerichtsgutachter der Republik. In dieser Funktion begegnet er auch seinem ehemaligen Opfer wieder. Er soll für Zawrel, der wegen eines Überfalls angeklagt ist, das Gerichtsgutachten schreiben. Nachdem er diesen als ehemaliges „Spiegelgrund-Kind“ erkannt hat zitiert er sich mit den Worten „erbbiologisch und sozial minderwertig“ selbst und sorgt damit dafür, dass Zawrel für viele Jahre in der Justizanstalt Stein landet.
Erst 2000 kommt es durch massive Bemühungen Zawrels zu einem Gerichtsverfahren gegen Gross, das aber wegen seiner angeblichen Demenz eingestellt wird. Er gibt an sich an nichts erinnern zu können, was in einem Gutachten des Psychiaters Reinhard Haller bestätigt wird. Allerdings kommen an dieser Beurteilung schnell Zweifel auf, da Gross in Anschluss an das Verfahren Interviews in einem Kaffeehaus gab in denen er unter anderem über den Zweiten Weltkrieg erzählte.
Zawrel verarbeitet seine Erlebnisse bis heute. Seine Erinnerungen und Erzählungen sind ein Zeitdokument von unschätzbarem Wert. Sie sind Grundlage für zahlreiche Publikationen, Dokumentationen und Filme und er hält außerdem immer wieder Vorträge an Schulen.
Auch das Figurentheaterstück „F.Zawrel – Erbbiologisch und sozial minderwertig“ des Schuberttheaters entstand in enger Zusammenarbeit mit Zawrel selbst. Seine sehr persönlichen Gespräche mit Puppenspieler Nikolaus Habjan und Regisseur Simon Meusburger dienten als Grundlage für dieses Projekt. Habjan schlüpft in dem Stück nicht nur in die Rolle von Zawrel, sondern auch in die des Arztes Gross. Dabei lässt das Figurenspiel sonst kaum zeigbare Gewalt auf der Bühne zu, sprengt die Grenzen des Darstellbaren. Es ist faszinierend, wie Habjan seine Figuren zum Leben erweckt und dabei hinter ihnen verschwindet. Es ist ein Stück erlebbarer Zeitgeschichte, die bis in die Gegenwart reicht, nachdenklich stimmt und aufzeigt welche Rollen Tätern und Opfern auch nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in Österreich noch zuteil wurden.