Dieser Artikel aus „FalceMartello“, der Zeitschrift der marxistischen Strömung in Italien, beleuchtet die Position der Linken, vor allem der Rifondazione Comunista (PRC), gegenüber der Mitte-Links-Regierung von Romano Prodi, der auch die LinksdemokratInnen (DS) und die beiden Kommunistischen Parteien angehören und die von den großen Gewerkschaftsdachverbänden unterstützt wird. Bei allen Unterschieden halten wir das Beispiel Italien auch durchaus interessant für die Diskussion über die Perspektiven des Klassenkampfs in Österreich.
Der Weg von Rifondazione Comunista in die Regierung Prodi fordert von uns eine erneute, sorgfältige Untersuchung der Rolle der Partei und unseres Kampfes. Die Monate, die seit dem Amtsantritt der Regierung Prodi vergangen sind, bieten uns eindeutige Hinweise, Fakten und Ereignisse, die allen vor Augen sind und unser Ausgangspunkt sein müssen.
Das Erste, was ins Auge springt, ist die Schwierigkeit des PRC auf den Gebieten, auf denen wir in den vergangenen Jahren unsere Kämpfe geführt haben, ernsthafte Ergebnisse zu erzielen. Das Haushaltsgesetz, über das in diesen Wochen diskutiert wird, ist voller Geschenke an die Unternehmen (die, wie selbst Finanzminister Padoa Schioppa sagt, die Hauptnutznießer sind). Die Angriffe auf die Schule und die Universität rufen die Opposition von Lehrern, Schülern und Studenten hervor. Den Regionen und Kommunen werden die Mittel gekürzt, aber die Gelder für die Privatschulen sind unantastbar, während die Militärausgaben beträchtlich erhöht werden.
Der Aspekt, der uns am nachdenklichsten machen muss, ist allerdings, dass es bislang keinem der vom PRC geführten Kämpfe gelungen ist, den Widerstand der übrigen Mitte-Links-Union zu überwinden. In Sachen Afghanistan-Mission haben wir uns nicht durchgesetzt. Vom Kampf gegen die Prekarität ist nicht die Rede. Die Regierung bleibt fest in der sozialpartnerschaftlichen Politik der „guten Flexibilität“ verankert, mit der Fassino (Generalsekretär der DS) und Arbeitsminister Damiano (ebenfalls DS) hausieren gehen. Was die Wirtschaftspolitik anbelangt wurde der Vorschlag den Umfang des Haushaltsmanövers zu halbieren und es auf zwei Jahren zu verteilen, abgelehnt. Das vom Sozialminister Ferrero (PRC) erlassene Dekret gegen Zwangsräumungen (das durchaus kein entscheidendes Dekret war und sich darauf beschränkte die gravierendsten Notlagen zu beseitigen) wurde im Senat abgeschmettert. In punkto Immigration gehen nicht einmal die kleinsten Vorschläge durch, wie der der Legalisierung jener Immigranten, die bereits in Italien arbeiten und die eine Aufenthaltserlaubnis beantragt hatten, aber außerhalb der vom Bossi-Fini-Einwanderungsgesetz festgelegten Quoten blieben.
Das sind keine Meinungen. Das ist die harte Realität. Und die Regionalwahlen in Molise sind insbesondere für den PRC ein Grund zur Besorgnis, da er seinen einzigen 2001 gewählten Abgeordneten im Regionalrat verliert und nur auf 4.442 Stimmen kommt – verglichen mit 10.000 Stimmen bei den Parlamentswahlen (April 2006) sowie 6.640 Stimmen bei den letzten Regionalwahlen.
Diese Fakten sollten alle Militanten der Partei zu einer ernsthaften Reflektion veranlassen.
Der Zustand der Bewegung
Unser erstes Gebot muss es sein, von der Realität auszugehen, so wie sie ist und nicht wie wir sie uns wünschen würden. Ein Teil des PRC hat versucht dieses Grundprinzip zu ignorieren und hat als „Lösung“ vorgeschlagen, mit der Partei zu brechen. Es hat bekanntlich ein paar Abspaltungen von ehemaligen Angehörigen des Leitantrags von Progetto Comunista auf dem letzten Parteitag gegeben. Infolge dieser Abspaltungen finden verschiedene Versuche statt eine „neue, wirklich kommunistische Partei“ zu gründen, die sich gegen die Regierung Prodi wehrt. Dazu stoßen verschiedene Gruppierungen, einige Centri sociali, Teile der nicht CGIL-CISL-UIL angehörenden Gewerkschaften etc., die eine ähnliche Perspektive verfolgen.
Das diesem kleinen Archipel von Kräften (so heterogen und von heftigen internen Konflikten durchzogen er auch ist) gemeinsame, inspirierende Gedankengut ist es die Massen gegen die Regierung auf die Straße zu bringen.
Diese Strategie konkretisiert sich in diversen Demonstrationen: Am 29.September 2006 gegen die Prekarität, am 30.September gegen die Militärmissionen usw. Was ins Auge springt ist, dass die Beteiligung an diesen Mobilisierungen zwischen einigen Hundert und einigen tausend Leuten schwankt (die Multiplikationen der Zahlen, die in den offiziellen Erklärungen erscheinen, einmal weggelassen).
Wir reden hier von Zahlen, die ein ganz geringer Bruchteil der Demonstrationen sind, die wir in den Jahren der Regierung Berlusconi erlebt haben. Es wäre gut, sich zu fragen, warum das so ist.
Die Millionen Arbeiter (lavoratori) und Jugendlichen, die gegen den Krieg, für den Artikel 18 (Kündigungsschutz) und bei den Generalstreiks auf die Straße gegangen waren, sind weder verschwunden noch befriedet und auch nicht befriedigt. Und dennoch müssen wir den Tatsachen ins Gesicht sehen: Die Regierung Prodi kann sich, dank der Deckung, die sie von der Linksparteien und von den Gewerkschaftsführungen erhält, einer gewissen Autorität unter den Werktätigen erfreuen. Man kann mit Sicherheit nicht sagen, dass die Begeisterung überbordet, im Gegenteil. Aber es wäre der Gipfel des Infantilismus die Augen vor der Tatsache zu verschließen, dass die wichtigsten Sektoren der Regierung Zeit geben, um zu sehen, was sie tut. Der Appell, gegen die Regierung auf die Straße zu gehen, findet aus zwei simplen Gründen keinen Widerhall. Erstens: Es ist ganz klar, dass die Regierung nicht aufgrund von derart marginalen Mobilisierungen stürzen kann, mal ganz abgesehen davon, ob die inhaltlichen Plattformen, auf deren Grundlage sie gestartet werden, korrekt sind oder nicht. Zweitens: Es ist keine glaubwürdige Alternative zu erkennen. Wenn die Regierung morgen stürzt, können nur zwei Dinge geschehen: Entweder wird eine Regierung der Nationalen Einheit gebildet oder die Rechte kommt an die Macht. Keine dieser beiden Alternativen kann auf die Arbeiter irgendeine Anziehungskraft ausüben. Sie können in keiner Weise davon ausgehen, dass diese Ergebnisse bessere Bedingungen für die Verteidigung ihrer Rechte oder für das Führen offensiver Kämpfe schaffen.
Aus diesem Grund verfügen derartige Initiativen über keinerlei ernsthafte Expansionsfähigkeit. Sie richten sich fast ausschließlich an diejenigen, die bereits überzeugt sind. Die Genossen, die sich auf diesen Weg begeben haben, werden sehr bald merken, dass sie heiser werden, wenn sie mit voller Kraft „Nieder mit der Regierung!“ in die Wüste rufen. Aus dieser Strategie kann keine „wirkliche Kommunistische Partei“ entstehen, sondern nur hundert und eine Vielfalt an Gruppen, die sich untereinander bekriegen – mit der unvermeidlichen Begleiterscheinung von Polemiken, Spaltungen und Exkommunizierungen, die die besten Aktivisten nur abstoßen können.
Die Perspektiven der Regierung Prodi
Die Tatsache, dass die vielfältigen Demonstrationen nicht mehr zu sehen sind, hat einen Teil der Aktivisten zu vollkommen falschen Schlussfolgerungen verleitet. Mehr oder weniger offen theoretisieren viele darüber, dass die Mitte-Linke in Zusammenarbeit mit der CGIL den Klassenkampf für lange Zeit „narkotisieren“ könne.
Diese Schlussfolgerung ist vollkommen falsch. Die Widersprüche manifestieren sich nicht nur in Form von Streiks, Demonstrationen und Straßenkämpfen. Eine Reihe von Ursachen kommen – wie wir sagten – zusammen und reduzieren den Aktivismus auf diesem Gebiet. Andererseits ist die Vorstellung, dass die Arbeiter immer auf den Barrikaden seien, um zu kämpfen, nichts als eine Karikatur. Die Massen kämpfen nur dann, wenn sie von den Umständen dazu gezwungen sind und vor allem wenn sie keine andere, mögliche Alternative dazu sehen. Jetzt, nach fünf Jahren Berlusconi räumen sie dieser Regierung einen gewissen Spielraum ein.
Die Widersprüche, die Erwartungen, die Hoffnungen und die Wut, die den Zyklus von Kämpfen der vergangenen Jahre nährten, bleiben aber bestehen. Sie sind nicht verschwunden. Eine der Formen, in denen sie sich unvermeidlich manifestieren werden, wird die Debatte und werden die Spaltungen sein, die in allen linken Organisationen sowie in den Gewerkschaften, die heute Prodi unterstützen, unvermeidlich auftreten werden.
Die Regierung Prodi geht einem unvermeidlichen Scheitern entgegen. Die Widersprüche des italienischen Kapitalismus erlauben es nicht, eine wirkliche Reformpolitik zu betreiben, die glaubwürdige Antworten auf die Erwartungen und die Bedürfnisse von Millionen Arbeitern geben kann. Die Wende, die Millionen bei den Wahlen versucht haben, wird es nicht geben. Dies bedeutet, dass an einem bestimmten Punkt, der nicht weit entfernt sein muss, die Arbeiter zu dem Schluss gelangen, dass die Vertreibung Berlusconis durch die Stimmabgabe nicht ausreichend war. Ein Teil kann der Desillusionierung verfallen oder den demagogischen Sirenengesängen der Rechten und sogar der extremen Rechten Gehör schenken, die Mehrheit aber kann sich das Ziel setzen, direkt zu intervenieren, um „sich Gehör zu verschaffen“, um der Hegemonie der bürgerlichen Positionen innerhalb der Regierung entgegen zu treten.
Die Bedeutung des 4.November
Dies scheint uns die vorherrschende Bedeutung der nationalen Demonstration vom 4.November 2006 gegen die Prekarität zu sein. Wenn diese Demonstration eine sehr viel größere Beteiligung aufwies als die oben genannten, so glauben wir, dass dies zu einem Großteil der Tatsache geschuldet ist, dass die Vorstellung, Druck auf die Regierung auszuüben, die linken Kräfte und die CGIL unter Druck zu setzen, um wirkliche Veränderungen zu erreichen, einem bedeutenden Teil der Linken glaubwürdig erschien.
Illusorische Hoffnungen? Zu einem Großteil ja. Erwartungen, die enttäuscht werden müssen? Sicherlich. Aber wir glauben, dass unser Platz innerhalb dieses Bewusstwerdungsprozesses ist, so mühselig er auch sein mag. Die Stellungnahmen der „erleuchteten Avantgarden“, von denen es hunderte gibt und die zum tausendsten Mal sagen, dass Prodi ein Bourgeois ist und dass der PRC dabei ist die Erwartungen seiner Basis zu verraten, um dann guten Gewissens schlafen zu gehen, interessieren uns nicht und bringen uns vor allem der Lösung unserer Probleme keinen Millimeter näher.
Die Teilnahme der Linksdemokraten (DS), der Partei der Italienischen Kommunisten (PdCI) und von Rifondazione, die allesamt der Regierung angehören, sowie die Unterstützung des Funktionärskörpers der CGIL hat bezüglich ihrer Zukunft ganz präzise Konsequenzen, weil sie impliziert, dass man bei einer beachtlichen Mobilisierung sich nicht darauf beschränken kann, weiterzumachen als ob nichts wäre, wie es Berlusconi hingegen tun konnte (auch dank der Bremserrolle, die die Führungen der Linken spielten, die alles taten, was möglich war, um den Kämpfen einen überwiegend demonstrativen Charakter zu geben und sich einer Zielsetzung, die Rechte durch die Kämpfe auf der Straße zu verjagen, verweigerten).
Die Bourgeoisie ist sich dieser Situation wohl bewusst. Wenn sich die Unternehmerorgane darüber beklagen, dass der Haushalt „von „Prodi, Bertinotti und Epifani“ verfasst wurde, tun sie das nicht, weil sie wirklich denken, dass die Regierung „die Reichen weinen“ lässt, sondern weil sie sich der Schwäche bewusst sind, die einer Regierung innewohnt, die wenn sie z.B. ohne die Unterstützung der CGIL da stände in der Gefahr schweben würde, binnen weniger Tage gestürzt zu werden.
Deshalb tun sie alles, um jedes Reformvorhaben zunichte zu machen, auch die kleinsten, auch diejenigen, die als solche der Bourgeoisie keine wirklichen Probleme bereiten würden. Weil sie ihren politischen Effekt fürchten, weil sie befürchten, dass – wenn die Hoffnungen auf eine Veränderungen bestätigt werden – die Dämme vor einer Welle von Forderungen in der ganzen Gesellschaft (von den Prekären bis zu den Immigranten, von den Obdachlosen bis zu den Schülern und Studenten) brechen. Deshalb reden die Zeitungen jeden Tag von den verschiedenen parlamentarischen Manövern zum Entwurf hypothetischer neuer Mehrheiten zur Änderung des Wahlgesetzes, zum Klarmachen des Rettungsbootes für den Fall, dass die Regierung Prodi sich als nicht vertrauenswürdig oder als zu zögerlich bei der Erfüllung der Forderungen der Herrschaften erweisen wollte.
Hier liegt der Widerspruch, an dem wir ansetzen müssen. Wir waren und sind gegen die Politik Prodis und seiner Koalition. Wir haben jede Mobilisierung, die sich das Ziel setzte den negativen Auswirkungen seiner / ihrer Politik entgegen zu treten, unterstützt und werden das auch weiterhin tun. Das werden wir am 17. November am Aktionstag der Schulen und Universitäten tun. Unser Ziel ist allerdings nicht nur, zu betonen, dass wir damit nichts zu tun haben, zu erklären, dass wir damit nicht einverstanden sind und eine weiße Weste haben. Unser Ziel ist es nicht, dass einige mehr oder weniger große Avantgarden mit Prodi brechen, sondern dass die gesamte Arbeiterbewegung mit Prodi bricht, dass die Linke und vor allem der PRC ihre Unabhängigkeit und Eigenständigkeit zurückgewinnen und dass sich die Arbeiter die CGIL wieder aneignen, damit sie die notwendigen Kämpfe mit Kohärenz führt.
Die Debatte im PRC
Es handelt sich nicht um eine Utopie. Über eine Tatsache sollte man nachdenken: Alle Linksparteien weisen Spaltungslinien auf. Die DS gehen in eine Debatte über die Bildung der Demokratischen Partei (zusammen mit den linken Christdemokraten und Liberalen der Margarite), die sie zerreißen könnte. Der PdCI hat eine Spaltung erlebt. Rifondazione ist nach einer heißen Debatte, die auf allen Ebenen der Partei geführt wurde und durchaus nicht zu Ende ist, Mitglied der Mitte-Links-Union geworden. Diese Spaltungslinien sind nicht zufällig. Sie sind ein Zeichen für den Widerspruch zwischen den Erwartungen an die Mitte-Links-Union und ihrem realen Handeln als Regierung.
In der CGIL werden die Spaltungen noch deutlicher sein. Die FIOM wurde von der Mehrheit hart kritisiert, weil sie Demo am 4.November in Rom mitorganisiert hat. Das ist aber erst der Anfang: Glaubt irgendjemand ernsthaft, dass die Arbeiter, Prodi oder Epifani zuliebe, eine neue Gegenreform bei den Renten oder die Verwüstung dessen, was vom Tarifvertragssystem noch übrig ist, stillschweigend akzeptieren, ohne auch nur den Mund aufzumachen? Es ist klar, dass es so nicht laufen kann. Entweder beschließt die Führung der CGIL selbst sich diesen Projekten in den Weg zu stellen oder es wird sich an einem bestimmten Punkt unvermeidlich eine Opposition von unten bilden, ausgehend von den kämpferischsten Vertrauensleuteversammlungen (RSU’en), Ortskartellen und Branchengewerkschaften.
So qualvoll und kompliziert das auch sein mag, die Entwicklung des Verhältnisses zwischen der Arbeiterbewegung und dieser Regierung ist unvermeidlich vorgezeichnet: Von den Hoffnungen zur Kritik, von der mehr oder weniger vertrauensseligen Erwartung zu einem neuen Protagonismus, von der Delegierung des Kampfes zur Verteidigung unserer Interessen. Dieser Prozess kann, aufgrund vieler Faktoren, mehr oder weniger schnell vor sich gehen. Aber dies wird die Richtung sein.
Von diesem Standpunkt aus bekommt die parteiinterne Debatte innerhalb von Rifondazione Comunista eine strategische Bedeutung. Auf dem Parteitag 2005 unterstützten mehr als 40% der Mitglieder die verschiedenen Leitanträge der Opposition. Heute, über ein Jahr nach jenem Parteitag, sieht das Bild erheblich anders aus: Wie gesagt, hat sich ein Großteil des ehemaligen Leitantrags 3 von der Partei abgespalten. Der größte der Oppositionsbereiche „l’Ernesto“, der 2005 auf eine Unterstützung von ca. 26% kam, macht heute eine wirkliche und wahrhaftige Phase der politischen Zersetzung durch. Ein Teil hat mit diesem Bereich gebrochen und sich der Mehrheitsströmung angeschlossen. Ein anderer Teil, zu dem auch Senator Claudio Grassi angehört, hat eindeutig immer mehr die Neigung ein System des ruhigen Lebens innerhalb der Partei zu suchen und dämpft seine Kritik, während andere Genossen die Möglichkeit eines Abkommens mit der Parteimehrheit ablehnen und eine radikalere Opposition betreiben möchten. Dieser Prozess erfasst die Partei auf lokaler Ebene in großem Ausmaß. Insbesondere in Regionen wie Sardinien und Kalabrien, wo „l’Ernesto“ auf eine besonders starke Unterstützung zählen konnte, kann man die Übertritte von Aktivisten dieses Bereiches zur Mehrheit nicht zählen.
Es ist vielleicht nicht abwegig, daran zu erinnern, was wir diesbezüglich vor einigen Monaten schrieben: „Aus dem PRC auszutreten, ist ein großer Fehler, eine Entscheidung, die einer Partei, die in den kommenden Jahren unvermeidlich harte Debatten erleben wird, aktive Kräfte entzieht. Dies umso mehr als die Perspektivkrise auch die übrigen parteiinternen Minderheiten im PRC – „l’Ernesto“ und „ERRE“ – erfasst. Beide befinden sich nämlich in einer stark widersprüchlichen Situation. Sie werden (angesichts ihrer Vertretung in den Parlamentsfraktionen) unvermeidlich aufgefordert werden die Entscheidungen der Mitte-Links-Union mit zu tragen, vor allem aber werden sie durch ein grundlegendes Problem in Schwierigkeiten gebracht: Da der Parteitag und auch die Wahlen nunmehr seit langem vorüber sind, ist es nicht mehr der Moment für taktische Unterscheidungen oder allgemeine Proklamationen. Die auf dem Parteitag von Venedig beschlossene Linie verfügt nicht nur über eine Mehrheit, sondern sie ist voll wirksam. Man kann sie akzeptieren und vielleicht versuchen diese oder jene Schattierung zu beeinflussen oder man kann ihr entgegen treten – wie wir der Meinung sind, dass man es tun muss – und eine Alternative vorschlagen. Halbheiten verurteilen zur Gefahr der politischen Konfusion und der organisatorischen Ausfransung.“ („Falce Martello“ Nr. 192, April 2006)
Hier fügen wir nur hinzu, dass die Krise, die innerhalb von „Ernesto“ aufbricht, eine positive Kehrseite haben kann, wenn sie es ermöglicht, dass die aktivsten und kämpferischsten Kräfte hervortreten, von denen es in jenem Bereich eine ganze Menge gibt, und sich von der Vormundschaft einer Führung befreien, innerhalb derer der Institutionalismus stets die Vorherrschaft besaß.
Die sehr optimistische Perspektive dieser Bereiche, die der Ansicht sind, dass sie dadurch, dass ihre Repräsentanten im Parlament vertreten sind, die Linie der Partei beeinflussen könnten, hat sich als falsch erwiesen und die Konditionierten sind sie selbst. Die „Rebellion“ bei der Abstimmung über Afghanistan legte sich unter dem Druck der Vertrauensabstimmung wieder. In Sachen Libanon unterstützt „l’Ernesto“ die Militärmission, während Cannavò von Sinistra Critica („Kritische Linke“, die ital. Sektion der „IV.Internationale“) sich darauf beschränkte, den Saal zu verlassen. Nun stellt sich dasselbe Problem beim Haushalt erneut: Cannavò erklärt heute, dass er ihm, so wie er ist, nicht zustimmen würde. Was aber geschieht im entscheidenden Moment und vor allem im Senat, wo die Mehrheit der Mitte-Links-Union bekanntermaßen äußerst knapp ist?
Das Problem muss an der Wurzel gepackt werden: Die parlamentarische Vertretung hat dann Sinn, wenn sie mit einer politischen Perspektive verbunden ist und dieser untergeordnet wird. Wenn man diese grundlegende These aus dem Blick verliert, landet man am Ende unvermeidlich bei einer reinen Imagelogik, für die die Frage nicht mehr lautet, wie das parlamentarische Terrain für einen politischen Kampf genutzt werden kann, sondern wie man „die Reputation“ eines Abgeordneten oder eines Senators „retten“ kann. Es ist daher nicht erstaunlich, dass auch innerhalb des Bereiches von Sinistra Critica eine sehr konfuse Debatte über die Zukunft des PRC und der eigenen Komponente entwickelt hat. Man spricht vom „Ende des Zyklus der kommunistischen Neu/be/gründung“ (rifondazione comunista) und vom „Beginn eines Zyklus der Neuzusammensetzung einer Regierungslinken“, von Perspektiven der „Neuzusammensetzung der klassenbewussten Linken“ und von der Schaffung einer Assoziation, die „innerhalb und außerhalb des PRC“ sein sollte. Doppeldeutige Formulierungen, die in jede Richtung gezogen werden können und die insbesondere unter den jüngeren Genossen Verwirrung stiften.
Unsere Aufgabe muss eine andere sein. Die Kräfte, die sich in unserem Kampf auf und vor dem Parteitag wieder erkennen (und die seit damals bedeutend gewachsen sind) würden zu nichts dienen, wenn sie in einem rein propagandistischen oder Image-Kampf gefangen wären oder wenn sie in einer sinnlosen Debatte eingesetzt würden, ob man im PRC bleiben oder ihn verlassen soll. Als ob die historischen Prozesse vom Willen dieser oder jener kleinen Gruppe abhingen. Die Zukunft des PRC wird sich im Klassenkampf entscheiden, beim unvermeidlichen Aufbrechen gigantischer Widersprüche, die diese Regierung anhäuft und die sich in erster Linie über ihrer Linken entladen werden.
Dies ist die Perspektive, dies ist das Szenario, in das wir uns anschicken zu intervenieren. Wir werden nicht erlauben, dass die Sprachrohre der herrschenden Versessenheit aufs Mitregieren (governismo) uns in irgendein Indianerreservat sperren und noch weniger werden wir uns selbst in ein solches einsperren. Wir haben ein Gespür für das Maß und wissen, dass unser Einfluss noch begrenzt ist. Das sollte uns allerdings nicht zu einer oberflächlichen / verkürzten oder nur auf das Bekenntnis setzenden Vorstellung von unseren Aufgaben verleiten. Die marxistische Tendenz im PRC besitzt nur dann eine Existenzberechtigung, wenn sie sich das Ziel setzt, morgen zur Mehrheit und zur führenden Kraft in der Partei und in der Arbeiterbewegung zu werden. Wir haben bis jetzt unsere Fähigkeit zur Intervention sowohl in die politische Debatte als auch im praktischen Kampf, in der täglichen Aufbauarbeit in den Betrieben, unter den Schülern und Studenten, unter den Immigranten und in den Stadtteilen gezeigt. Auf der Höhe der Aufgaben, die uns von der organisatorischen und strategischen Krise der kommunistischen Neu/begründung (rifondazione comunista) gestellt werden, werden wir nur dann sein, wenn wir eintauchen in den Fluss, der entsteht.
Claudio Bellotti (Redaktion „FalceMartello“), 15.11.2006, www.marxismo.net
Anmerkung der Redaktion: Die Übersetzung stammt von *Rosso (Gewerkschaftsforum Hannover).