Kurz nach der Angelobung der Großen Koalition bildete sich die Plattform „Wir sind SPÖ“. Es stellt sich derzeit die Frage, welchen Charakter diese Initiative haben soll. Soll „Wir sind SPÖ“ rein eine Internetplattform bleiben oder zu einem organisierten linken Flügel in der Sozialdemokratie werden? Wir veröffentlichen hier einen Diskussionsbeitrag zu dieser Frage.
Das Regierungsabkommen mit der ÖVP löste in den Reihen der Sozialdemokratie eine Welle der Entrüstung aus. Die Unverständnis über dieses Koalitionspapier reicht bis in den Parteivorstand, wo Gusenbauer nur eine Mehrheit bekam, indem er die Vorstandsmitglieder enorm unter Druck setzte und namentlich abstimmen ließ. Die SJ und der VSStÖ standen ab dem Zeitpunkt, wo der Kompromiss zu den Studiengebühren bekannt wurde, an vorderster Front im Kampf gegen die Politik der Parteiführung und die Große Koalition.
Wer jedoch glaubt, dass der Protest mit der Angelobung der Regierung zu Ende sein würde, der hat sich verrechnet. Die Jugendorganisationen haben mit ihrer teilweise sehr militanten Haltung erst den Ball ins Rollen gebracht. Vor allem die SJ wurde zu einem echten Referenzpunkt für alle jene Parteimitglieder und GewerkschafterInnen, die den Kurs von Alfred Gusenbauer ablehnen.
Mit der Gründung der Plattform „Wir sind SPÖ“ hat die SJ Wien einen weiteren wichtigen Schritt nach vorne gemacht. Dieses Projekt soll der Vernetzung der Parteilinken dienen. Die Präsentation der Plattform in der ORF-Sendung „Wir sind SPÖ“ hat den Startschuss für den Aufbau einer Parteilinken gegeben. Schon in den ersten Stunden meldeten sich Hunderte GenossInnen aus ganz Österreich bei den InitiatorInnen (SJ Wien, VSStÖ Wien und ehemalige AktivistInnen aus den Jugendorganisationen). Der Anfang ist gemacht. Jetzt stellt sich aber die Frage, welchen Weg „Wir sind SPÖ“ weiter beschreiten soll.
Dieses Projekt kommt nicht aus dem Nichts. Die SJ hat sich schon vor Monaten prinzipiell gegen eine Große Koalition ausgesprochen. Noch am Wahlabend organisierte eine Spontandemo gegen eine Koalition mit der ÖVP. Auf ihrem Verbandstag startete sie die Kampagne für eine SPÖ-Minderheitsregierung. Eine Forderung, die vor einigen Jahren noch unter ausgewiesenen SP-Linken kein Gehör gefunden hatte, korrespondierte plötzlich mit den Erwartungen großer Teile in Partei und Gewerkschaft nach einer Politik im Interesse der Lohnabhängigen und der Jugend. Das konkrete Verhandlungsergebnis hat die Warnungen, die aus der SJ gekommen waren, voll bestätigt. Dies und die entschlossene Haltung in den Tagen der Regierungsbildung geben der SJ eine enorme politische Autorität bei vielen SozialdemokratInnen.
Der Boden für die Herausbildung einer starken Parteilinken wurde also durch die objektiven Entwicklungen wie auch durch die Aktivitäten der SJ aufbereitet. Es kann kein Zweifel mehr bestehen, dass es die Grundlage für den Aufbau eines linken Flügels gibt. Jetzt stellt sich aber die Frage, wie dieses Projekt konkret aufgebaut werden kann und welchen Charakter dieser linke Flügel haben kann und soll.
Die Plattform „Wir sind SPÖ“ knüpft an der vorherrschenden Stimmung in weiten Kreisen der Partei und der Gewerkschaft an. Wir wurden verraten und verkauft. Man hat uns im Wahlkampf missbraucht. Wir lassen uns das nicht gefallen. Wir fordern die Einhaltung der zentralen Forderungen, für die wir auf der Straße und in unserem Umfeld für die SPÖ geworben haben. Wir holen uns die Partei zurück.
Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass Gusenbauer und die engste Parteiführung gegen den politischen Willen der eigenen sozialen Basis und der eigenen sozialdemokratischen FunktionärInnen gehandelt hat. Das Regierungsprogramm deckt sich nicht im Geringsten mit den Erwartungen und Forderungen der Lohnabhängigen und der Jugend. Und das wird von der Parteibasis nicht akzeptiert. Das wäre ein möglicher kleinster gemeinsamer Nenner, rund um den sich die unterschiedlichsten Strukturen und politischen Zusammenhänge in der SPÖ finden könnten.
Bei aller Breite dürfen wir aber nicht den Fehler begehen, der etwa die Linke in anderen sozialdemokratischen Parteien (SPD, italienische DS) auszeichnet, wo man mit linker Rhetorik die Einheit der Partei aufrechtzuerhalten versucht und in jeder wichtigen Konfliktsituation sich vor den Karren der rechten Parteiführung spannen lasst.
Der Grund warum die Partielinke in Deutschland im entscheidenden Punkt immer umkippt ist, dass sie im Wesentlichen keine Alternative zur Politik der Parteirechten hat. Wir konnten das in Deutschland auf spektakuläre Weise beobachten, als es die Führerin des linken Flügels Andrea Nahles schaffte, Franz Müntefering als Parteivorsitzenden zu stürzen nur um nachher vor dem selben freiwillig zu kapitulieren.
Die gleiche Schwäche sehen wir beim oberösterreichischen SPÖ-Chef Erich Haider, der zwar gegen das Koalitionsabkommen stimmt, im gleichen Atemzug im Interview in der ZIB 2 aber beteuert, dass nichts an einer großen Koalition vorbeiführt. Er kritisiert den Gusenbauer-Kurs, hat aber keine Alternative anzubieten. Am Schluss bleibt ihm nur übrig in einen allgemeinen Weltschmerz über die Boshaftigkeit der ÖVP zu verfallen.
Es ist zwar richtig in der jetzigen Situation zu versuchen, die SPÖ Linke auf der Basis eines kleinsten gemeinsamen Nenners, in Form der Wahlversprechen zu einen.
Gleichzeitig muss die SJ aber erklären wie diese Forderungen umsetzbar sind: Daher in Form einer Minderheitsregierung verbunden mit einer Mobilisierung der jungen und arbeitenden Menschen in Demonstrationen und Streiks. Die Forderungen sind nur umsetzbar, wenn die SPÖ den traditionellen Weg der Klassenzusammenarbeit verlässt und den Weg der sozialen Konfrontation mit den Bürgerlichen beschreitet.
Das bedeutet aber letztlich, dass ein linker Flügel, wenn er Zukunft haben will, mit der klassischen sozialdemokratischen Methodik der letzten 50 Jahre brechen und zu einer sozialistischen klassenkämpferischen Methodik finden muss.
Die SJ muss auf den Veranstaltungen und Konferenzen, die jetzt in Planung sind, auf alle Fälle eine sozialistische Perspektive und ein sozialistisches Programm zur Diskussion stellen. Die SJ ist der fortgeschrittenste Teil der Linken in der österreichischen Sozialdemokratie und muss versuchen die gesamte Parteilinke für sozialistische Ideen und Methoden zu gewinnen. Das heißt nicht, dass wir uns dann nicht mit anderen Kräften auf einem kleinsten gemeinsamen Nenner zur Organisierung konkreten Widerstands einigen, aber wir dürfen unsere Ideen nicht verstecken sondern müssen versuchen, das Bewusstsein der gesamten Parteilinken vorwärts zu treiben.
„Wir sind SPÖ“ sollte sich die Aufgabe stellen, all jene zu vernetzen, die gegen einen Bruch mit den Wahlversprechen sind und diese Meinung auch offen in der Partei vertreten. „Wir sind SPÖ“ muss dabei auch für jene offen stehen, die in den letzten Jahren aus Frust über die Politik der Parteiführung die SPÖ verlassen haben, jetzt aber wieder aktiv werden wollen (auch wenn sie derzeit kein Parteibuch haben).
Wenn sich dieser Unmut in organisierter Form zum Ausdruck bringen lassen würde, dann wäre das von gewaltiger politischer Sprengkraft. Die ÖVP hat von Anfang gesagt, dass es ihr genügt, wenn Gusenbauer zu diesem Koalitionsabkommen steht. Die Frage ist, wie lange er gegen einen solchen Aufstand der Parteibasis er zu seinem Wort gegenüber der ÖVP stehen könnte. Schon jetzt fordern etliche SP-Strukturen und SpitzenvertreterInnen „Nachverhandlungen“ (z.B. bei den Studiengebühren). Wenn sich dieser Standpunkt durchsetzen würde oder von einer breit organisierten Kraft ernsthaft vorgetragen würde, dann würde die Große Koalition an den Rande des Abgrunds geführt bevor sie noch richtig zu arbeiten begonnen hat.
Die Plattform muss jetzt Veranstaltungen, Aktionskonferenzen etc. organisieren, wo alle zusammenkommen und diskutieren können, die diesen kleinsten gemeinsamen Nenner teilen. Resolutionen sollten dort verabschiedet werden, in denen das Regierungsabkommen politisch abgelehnt wird. Diese Resolutionen sollten dann von allen AktivistInnen in ihren Strukturen (Sektionen, Bezirksausschüssen,…) eingebracht und zur Diskussion gestellt werden. Damit würde dem jetzt vorhandenen Unmut eine politische Stoßrichtung gegeben werden.
„Wir sind SPÖ“ wurde in der Hitze des Gefechts geboren. Es liegt in der Natur der Sache, dass informelle Kanäle da eine sehr wichtige Rolle spielen. Was am Anfang notwendig war, um das Zeitfenster zu nutzen, darf aber nicht zur Regel werden. Die Plattform soll eine organisierte Form der Parteilinken werden. Das impliziert aber auch, dass es transparente Entscheidungsstrukturen braucht. Es kann nicht gehen, dass plötzlich einige „Promis“ auf informellem Wege alles bestimmen. Damit würde man einen zentralen Fehler der Sozialdemokratie übernehmen und die Plattform von Anfang an in eine Sackgasse führen. Viele GenossInnen haben der Sozialdemokratie den Rücken zugekehrt, weil sie sich von der SPÖ nicht mehr vertreten fühlten und darin kein Gehör fanden bzw. nicht mitentscheiden konnten, die eigene Führung nicht kontrollieren konnte. Die Plattform muss deshalb ein Vorbild in Sachen gelebter Demokratie sein.
Das heißt nicht, dass es sich um eine basisdemokratische Initiative handeln soll. Die Plattform braucht SprecherInnen, GenossInnen, die die Plattform nach außen vertreten können. Diese sollten aber bei den Treffen, Konferenzen gewählt werden und sollten auf den inhaltlichen Grundlagen der Plattform politisch agieren. So könne es nicht angehen, dass sich GenossInnen als SprecherInnen der Plattform hervortun und dann in ihrer eigentlichen Partei- oder Gewerkschaftsfunktion eine andere Linie vertreten. Dies wird vor allem dann von Bedeutung sein, wenn es gelingt eine derartige Breite zu erlangen, dass SpitzenvertreterInen aus dem Nationalrats- und Bundesratsklub, aus den Landesorganisationen oder aus dem ÖGB-Apparat die Plattform unterstützen werden. Diese GenossInnen werden dann nämlich unter einem gewaltigen politischen Druck stehen. Die Beschlüsse der Plattform müssen für diese GenossInnen bindend sein, denn nur so kann die Plattform politisch glaubwürdig bleiben und zu einem Sprachrohr der Opposition gegen diese Regierung werden, die auch außerhalb der Sozialdemokratie von der Masse der Lohnabhängigen und der Jugend wahrgenommen wird.
Den Worten müssen auf alle Fälle Taten folgen. Der sich nun artikulierende Protest muss konkrete Aktionsformen annehmen. Wir schlagen daher vor, dass als erster Schritt zu einer Aktionskonferenz eingeladen wird, wo die inhaltlichen Positionen sowie die weiteren praktischen Schritte zum Aufbau der Plattform wie auch einer außerparlamentarischen, sozialen Opposition diskutiert und beschlossen werden müssen.
Der linke Flügel hat dann eine Berechtigung wenn er konsequent in der SPÖ für einen Kurswechsel kämpft und wenn er in den Betrieben, Unis usw. den Widerstand zu organisieren imstande ist. Wenn er diese Rolle nicht spielen kann und einen inkonsequenten Weg geht, dann wird das einen umso demoralisierenderen Effekt haben. Viele, die jetzt bei „Wir sind SPÖ“ mitmachen wollen oder uns mit großem Wohlwollen verfolgen, könnten dann völlig enttäuscht sein und überhaupt keine Perspektive mehr sehen. Die Verantwortung, die „Wir sind SPÖ“ nun hat, ist insofern eine sehr große.
Ein Wort sei hier auch noch zu den Aktionsformen gesagt, die „Wir sind SPÖ“ bzw. die SJ in der kommenden Zeit einsetzen sollte. Die militanten Aktionen von relativ kleinen Gruppen wie in der Löwelstraße oder beim Museumsquartier waren gut und wichtig, jetzt habe diese aber keine Bedeutung mehr. Es kann auch nicht darum gehen, dass wir nur in der SPÖ wirken und Gremienarbeit machen. Jetzt müssen wir raus und die Menschen über die anstehenden Angriffe (Arbeitszeit, Flexibilisierung, Kündigungsschutz Lehrlinge,…) informieren und organisieren. Von unten muss gesellschaftlicher Druck erzeugt werden. Die SJÖ hat in diesem Sinne auch die Idee eines „Jugendvolksbegehrens“ aufgebracht. Dieser Vorschlag ist nicht prinzipiell abzulehnen. Ein Volksbegehren kann, solange es keine reale Massenbewegung gibt, durchaus ein Instrument sein, auch wenn damit viele Unsicherheiten verbunden sind. Der Zeitpunkt, wo dieses Volksbegehren vorgeschlagen wurde, war sicher nicht geschickt gewählt. Vielmehr hätte man in dieser Situation, wo das gesamte mediale Interesse auf die SJ gerichtet war, zum Aufbau eines linken Flügels aufrufen sollen. Diese Chance wurde leider vertan und die Initiative in diese Richtung musste erst mühsam von unten in Angriff genommen werden.
Das Volksbegehren kann einen Sinn machen, wenn es als Hilfsinstrument gesehen wird, um den linken Flügel und eine außerparlamentarische Opposition aufzubauen. Dazu braucht es Aktionskonferenzen, Massenversammlungen und den Versuch Massenaktionen zu organisieren. Z.B. Demos zum Startschuss des Volksbegehrens. Uns muss auch bewusst sein, dass dieses im Parlament sofort schubladisiert würde. Wenn dann kann es also nur einen Sinn machen, wenn man damit die Unzulänglichkeiten des bürgerlichen Parlamentarismus aufzeigen will. Eine große Gefahr besteht darin, dass die SJ sich auf den Standpunkt zurückzieht, dass jetzt eh bald „Wählen mit 16“ kommt (was aber sicher in den nächsten Monaten der Fall sein wird), die SJ eine Jugendkampagne mit niedrigem Profil macht und sich so in der SPÖ einen Platz an der Sonne reserviert um bei zukünftigen Wahlkämpfen genügend Budget einen Jugendwahlkampf zu bekommen. Sollten solche Überlegungen gewälzt werden, dann waren die Proteste der vergangenen Tage völlig umsonst und wir würden schon bald eine Wiederholung des Werdegangs der SJ-Seilschaften aus den 70er und 80er Jahren beobachten können.
Ein Schlüssel zum Erfolg von „Wir sind SPÖ“ wird sein, ob es gelingt, sich in der Gewerkschaft zu verankern und auch dort kritische AktivistInnen/BetriebsrätInnen zu vernetzen. Gerade angesichts der sozialpartnerschaftlichen Haltung der gesamten Gewerkschaftsführung (auch von Haberzettl und Katzian), die die Gewerkschaftsbewegung in Passivität halten soll, ist es absolut notwendig eine klassenkämpferische Strömung im ÖGB aufzubauen. Die Voraussetzungen sind angesichts der Ergebnisse des ÖGB-„Reformprozesses“ und der freundschaftlichen Beziehung von Hundstorfer & Co. gegenüber der Großen Koalition notwendiger denn je.
Wir waren seit Jahrzehnten noch nie so nah am Aufbau eines erfolgreichen linken Flügels in der österreichischen Sozialdemokratie. Alle Bedingungen sind vorhanden zum Gelingen dieses Projekts. Packen wir es an und holen wir uns die Partei zurück!