Das folgende Dokument behandelt die Perspektiven für die Krise in Europa und ihre Auswirkungen auf Österreich für das Jahr 2012. Es stellt die politische Grundlage für unsere Arbeit in den kommenden Monaten dar.
Die Krise, der Klassenkampf und die Aufgaben der marxistischen Strömung
Die Krise in Europa hat sich in den letzten Monaten mit ungeheurer Geschwindigkeit vertieft. Die Existenz der Einheitswährung in seiner heutigen Form und damit das gesamte Projekt einer europäischen Integration auf kapitalistischer Grundlage sind durch diese Dynamik in Gefahr. Immer mehr zeigt sich, dass die Idee eines auf kapitalistischer Basis vereinigten Europas nichts anderes als eine reaktionäre Utopie der Bürgerlichen ist. Unter den Bedingungen der Krise erweist sich auch die reformistische Idee eines sozialen, solidarischen und gerechten Europa als Polit-Utopie.
Wie unsere Strömung von Anfang an betont hat, werden die nationalen Widersprüche in einer ernsthaften Krise an die Oberfläche treten. Und genau das sehen wir heute in der EU. Selbst die deutsche Kanzlerin Merkel kommt nicht mehr umhin, als angesichts der Lage in Griechenland und Italien offen über ein mögliches Zusammenbrechen des Euro zu reden.
Der Hintergrund dieser Euro-Krise liegt in der allgemeinen Krise des Kapitalismus. Wie bereits im Kommunistischen Manifest beschrieben, sehen wir heute die Rebellion der Produktivkräfte gegen die Produktionsbedingungen. Das private Profitprinzip ist unfähig eine weltweit vergesellschaftete Produktion harmonisch zu organisieren. Die fundamentale Ursache der Krise liegt in der Überproduktion. Da eine weitere Ausweitung des Marktes unmöglich ist (China, Indien, Russland sogar Afrika sind in den letzten 20 Jahren vollständig in dem Weltmarkt integriert worden), liegt die Lösung in der Zerstörung von Kapital, Waren, Produktivkräften, Kultur und Zivilisation. In diese Spirale sind wir heute eingetreten.
Die Periode, in die wir eingetreten sind, wird viel eher den 1920er und 1930er Jahren ähneln als der Boomperiode nach dem 2. Weltkrieg. Eine derartige ökonomische Erschütterung wird auch alle heute bekannten politischen und gesellschaftlichen Formationen erschüttern. Dabei halten wir fest: Weder wird es nie mehr wirtschaftliche Erholungsperioden geben, noch werden wir eine lineare Zunahme der Klassenkämpfe bis zum Sieg der Revolution sehen. Gesellschaftliche Prozesse brauchen Zeit, und das menschliche Denken ist zu triefst konservativ. Wir werden auf politischer Ebene wilde Zick-Zacks von rechts nach links sehen, v.a. aber wird jeder Versuch der Bürgerlichen ein ökonomisches Gleichgewicht herzustellen zur Erschütterung der sozialen und politischen Stabilität einer jeden einzelnen Nation führen. Dies sind die Bedingungen, in denen die reformistische Mehrheitsströmung der Arbeiterklasse vor unlösbare Probleme gestellt wird und der Marxismus eine historische Chance hat zur bestimmenden politischen Kraft in der Arbeiterklasse und darüber hinaus zu werden.
Wie Marx erklärte, erscheint jede Krise zunächst als Handelskrise. 2008 haben die Regierungen in den USA und Europa Unsummen in die Wirtschaft gepumpt (allein in der EU laut Van Rompuy 1240 Mrd. €), um einen Kollaps des Finanzsystems zu verhindern. Es war klar, dass damit die Krise nur verzögert wird, dass sie auf höherem Niveau zu einem späteren Zeitpunkt wieder ausbrechen muss. Genau das sehen wir jetzt seit Monaten, wo ganze Staaten vor der Pleite stehen. Durch die internationale Verwobenheit des Kapitalismus würde selbst die Pleite eines relativ kleinen Landes in der Peripherie von Europa, wie es Griechenland darstellt, einen Dominoeffekt sondergleichen nach sich ziehen und eine Reihe von Banken und anderen Staaten mit in den Abgrund reißen. 2012 steht die Refinanzierung von italienischen Staatsanleihen in der Höhe von 275 Mrd. Euro an. Es erscheint unvorstellbar, wie Italien diese Summe auf dem freien Markt aufbringen soll. Das allein schon wird die Krise in Europa auf einen neuen Höhepunkt bringen.
Die Frage, wer für die Krisenkosten zu zahlen hat, beherrscht nun die öffentliche Debatte in allen Ländern. In den vergangenen Woche wurde klar, dass diese Krise nicht nur die sog. PIIGS-Staaten betrifft sondern die gesamte EU und darüber hinaus die Weltwirtschaft. Im November 2011 veröffentlichte Analysen von Kapitalströmen zeigen, dass es im Jahr 2011 zu ersten Umkehrungen der Fließrichtungen gekommen ist: Kapital kehrt in die Heimnationen zurück, das sind erstmals seit dem 2. Weltkrieg Gegentendenzen zu Globalisierung. Dies zeigt die Tiefe der Krise, denn „Globalisierung“ und Ausweitung des Welthandels war (neben der Kreditexpansion) die Haupttriebfeder des kapitalistischen Wachstums. Analysten reden davon, dass dies der „Beginn der Kernschmelze“ ist, die auch Länder wie die Niederlande oder Österreich und sogar Deutschland selbst bedroht. Dies ist ein deutliches Signal, dass „die Märkte“, sprich die Global Player des Finanzkapitalismus, kein Vertrauen in die Zukunft Europas haben. Die internationale Bankenwelt und bereits die ersten Notenbanken (wie die britische) bereiten sich längst auf ein „Eurogeddon“, ein Ende des Euro, vor.
Die Kapitalabflüsse aus Europa und seinen ökonomischen Randgebieten ins europäische Zentrum zeigen, dass die bürgerliche Politik eben nicht aus der Geschichte lernen kann. Kapitalzurückholungen, Währungseingriffe (etwa SFr) sind erste protektionistische Maßnahmen, die vermehrt zunehmen werden, und weitere Unsicherheiten in die globale wirtschaftliche Entwicklung bringen werden.
Die politischen Versuche den Euro zu retten, sind bisher kläglich gescheitert. Die Hebelung des EFSF im Oktober beschränkte sich auf eine Willensbekundung der EU, doch weder haben die einzelnen EU-Mitgliedsstaaten selbst das Geld für eine solche Maßnahme noch wollen andere Länder diesem Rettungsschirm zusätzliche „Feuerkraft“ zukommen lassen.
Auch der jüngste Gipfel am 8./9. Dezember brachte nicht den vorher posaunten „endgültigen Befreiungsschlag gegen die Krise“ (Sarkozy), im Gegenteil. Großbritannien scherte aus, was von Deutschland und Frankreich in Kauf genommen wurde. Aber unmittelbar bedeutender ist, dass die Staatsfinanzierung durch die Notenpresse auch nicht zustande kommen wird. Da sich schlussendlich in Deutschland die Eurobonds (also die gemeinsame Staatsfinanzierung) nicht durchsetzen lassen ließ, wählten Merkozy das Umwegvehikel IWF. Doch die USA von Obama abwärts blockieren eine dafür notwendige Kapitalerhöhung des IWF. Nun muss IWF-Chefin Lagarde eine Grand-Tour durch China, Indien, Brasilien und Mexiko (!) machen, um Gelder zur Finanzierung der europäischen Staats- und Bankenschulden aufzutreiben. Auch in Deutschland selbst ist der Widerstand nicht gebrochen, der Bundesbankpräsident lehnt die Vereinbarung in aller Öffentlichkeit ab.
Es zeigt sich, dass die Regierungen mit ihrer Politik dem Fortschreiten der ökonomischen Krise nur hinterherhinken und keine Lösungen parat haben. Ökonomische und politische Krise vertiefen sich auf diese Weise gegenseitig.
Deutschland, die größte Wirtschaftsmacht in der EU, will das europäische Einigungsprojekt unbedingt retten, weil dies die beste Möglichkeit darstellt, global zu konkurrieren. Doch längst ist die Debatte eröffnet, ob die Kosten dafür noch tragbar sind. Die Fliehkräfte in der EU haben eine derartige Kraft entwickelt, dass Deutschland sein Heil in einem Kerneuropa suchen könnte, wobei zum jetzigen Zeitpunkt klar ist, dass man aus historischen und politischen Gründen Frankreich unbedingt dabei haben will. Frankreichs Wirtschaft befindet sich zwar in der Krise und steht unter schwerem Beschuss der „Märkte“. Jedoch ein Nichteinbeziehen Frankreichs – der zweitwichtigsten Wirtschaftsmacht in der Eurozone mit wichtigen Positionen in EZB, IWF und der NATO – in ein Kerneuropa würde einem Aufbrechen der EU in zwei oder mehrere Teile gleichkommen. Somit wäre Deutschland gegenüber mächtigeren Wirtschaftsblöcken nicht konkurrenzfähig.
Die nun einsetzende Rezession wird diesen Prozess noch vertiefen. Die Länder in Südeuropa kommen mit ihrer Austeritätspolitik nicht aus der Krise (Griechenland BIP 2011: – 5%). Mittlerweile sehen wir diese Entwicklung auch in Osteuropa (Ungarn, Slowenien,…). Dies sind wichtige Märkte für den österreichischen Kapitalismus, was die Krise hierzulande massiv beschleunigen könnte. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass das Exposure österreichischer Banken in Osteuropa größer ist als das jährliche Bruttoindlandsprodukt des Landes.
In der Zwischenzeit versucht die Politik in allen Ländern unter dem Druck des Finanzkapitals „Reformen“ umzusetzen und die Staatsfinanzen zu sanieren. Seit Beginn der Krise, als es notwendig war ohne parlamentarische Debatte die Bankenrettungspakete zu beschließen, hat sich gezeigt, dass die bürgerliche Demokratie in Wirklichkeit eine „Diktatur der Finanzmärkte“ darstellt. In Griechenland und Italien ist mit der Einsetzung von „Expertenregierungen“, denen offene Repräsentanten des Finanzkapitals voranstehen, die Demokratie mittlerweile sogar offiziell auf Urlaub geschickt worden. Weniger Demokratie, mehr Reformen – lautet der Grundsatz der Bürgerlichen.
Diese Regierungen sind keine bonapartistischen Regime, keine Herrschaft des Schwertes, aber mit den herkömmlichen parlamentarischen Gepflogenheiten ließe sich die Krise nicht lösen.
In Ländern wie Österreich funktioniert dieser Prozess noch in verschleierter Form, wenn Parlamentarier höchst komplexe Sachverhalte binnen kürzester Zeit ohne Vorbereitung und ohne demokratischen Meinungsbildungsprozess beschließen sollen. Das war jedenfalls der Plan der Bundesregierung im Fall der sog. Schuldenbremse.
Neben der Sanierung der Staatsfinanzen in Form von Angriffen auf das öffentliche Pensions- und Gesundheitssystem sehen wir immer stärkere Versuche die Löhne zu drücken. Lohnkürzungen und Nulllohnrunden stehen im öffentlichen Dienst in allen Ländern auf der Tagesordnung, selbst in Österreich ist dies mittlerweile ein beherrschendes Thema. Doch auch im privaten Sektor erleben wir Angriffe auf das Kollektivvertragsrecht. Das „Modell Marchionne“, dem Chef des italienischen Autokonzerns FIAT, wird so zum Vorbild nicht nur für die gesamte italienische Industrie sondern für die Bürgerlichen in ganz Europa werden.
Diese Krise ist mehr als sinkende Kennziffern der Wirtschaftsleistung sondern hat unmittelbare Auswirkungen auf die sozialen und politischen Prozesse in allen Ländern. Die Versuche das wirtschaftliche Gleichgewicht wieder herzustellen, sind eine offene Kriegserklärung an die ArbeiterInnenklasse. Die letzten Monate haben gezeigt, dass dies auf Widerstand der ArbeiterInnen stößt und zu einem Wiederaufschwung des Klassenkampfs führt. Es ist an der Zeit sich Gedanken über die Perspektive einer Revolution in Europa zu machen.
In den letzten Jahren sahen wir bereits revolutionäre Prozesse in Lateinamerika und in der arabischen Welt. In all diesen Fällen spielte die ArbeiterInnenklasse eine entscheidende Rolle im Kampf gegen Imperialismus, für Demokratie und soziale Gerechtigkeit. Diese Entwicklungen sind eine offene Bestätigung für das Konzept der permanenten Revolution. In Europa ist aufgrund der historischen Entwicklung das Gewicht der Arbeiterklasse jedoch noch viel höher.
In Griechenland und Spanien, wo der Prozess unter dem Eindruck des arabischen Frühlings und aufgrund der Tiefe der Krise in diesen Ländern bereits besonders weit vorangeschritten ist, schien anfangs diese These widerlegt zu werden. Junge Menschen, die trotz akademischem Abschluss arbeitslos sind bzw. unter völlig prekarisierten Bedingungen arbeiten müssen, spielten in den Bewegungen von der Plaza del Sol bis zum Syntagma-Platz eine Schlüsselrolle. Doch schon bald erwies sich, dass diese Bewegungen nur Vorboten größere Ereignisse waren, die angesichts der verheerenden Rolle der Führungen der traditionellen Organisationen der Arbeiterbewegung (Sozialdemokratie, Linksparteien, Gewerkschaften) vorpreschten und einer gesellschaftlichen Notwendigkeit einen ersten Ausdruck gaben. In allen großen Kämpfen sehen wir, dass unterschiedliche Schichten der Klasse mit unterschiedlicher Geschwindigkeit und teilweise mit unterschiedlichen Methoden die Bühne der Geschichte betreten. Der Klassenkampf ist kein mechanischer Prozess, der immer nach demselben Muster abläuft. Natürlich können einzelne Belegschaften oder Teile der Klasse schneller voranschreiten als andere und sich früher radikalisieren. Doch sobald die schweren Bataillone der Arbeiterklasse aufwachen und aktiv zu kämpfen beginnen, spielen die Organisationen und Traditionen, die die Klasse in jedem Land hervorgebracht hat, eine entscheidende Rolle und geben dem Klassenkampf eine bestimmte Form. Sobald der Prozess eine bestimmte Tiefe erreicht hat, werden die traditionellen Organisationen der Klasse (v.a. die Gewerkschaften) das zentrale Konfliktfeld, wo die Auseinandersetzung in der Klasse um Methoden und Programm für den Klassenkampf ausgetragen wird. Hier kommt es zu den entscheidenden Umgruppierungsprozessen in der Arbeiterbewegung, hier entscheidet sich die Frage von Reform oder Revolution.
Österreich ging neben Deutschland im europäischen Vergleich relativ gestärkt aus dem ersten Kapitel der Krise. Das zeigten alle ökonomischen Indikatoren und liegt im unterschiedlichen („intelligenteren“ wenn man so will) Akkumulationsregime der deutschsprachigen Bourgeoisien: die investierten im Jahrzehnt vor der Krise auch in die Produktivität ihrer Industrie und scheuten nicht den Konflikt mit der Arbeiterklasse (Hartz IV, Pensionsreformen). Damit haben sie sich deutliche Standortvorteile gegenüber den PIIGS-Staaten geschaffen, wo die Bourgeoisie mit billigem Geld hauptsächlich singuläre Sektoren (Bankgeschäfte, Immobilien) bediente. Die grundlegenden Widersprüche wirkten aber auch im vergangenen Jahr weiter. Österreich wird daher in der nächsten Welle der Krise nicht verschont bleiben. Schon jetzt wird dies deutlich spürbar. Wichtige Konzerne beginnen das Abflauen der Weltwirtschaft bereits zu spüren. Dazu kommen die allgemeinen Auswirkungen der Euro-Krise. Und dann hängt noch das Damoklesschwert einer Bankenkrise in Osteuropa über dem österreichischen Kapitalismus. Während in der ersten Phase der Krise die nationalen Unterschiede dominierten, werden jetzt die Gemeinsamkeiten der europäischen Krise zum dominierenden Faktor der gesellschaftlichen Auseinandersetzung werden.
Mit der Debatte um die Schuldenbremse ist der Konflikt um die Sanierung der Staatsfinanzen eröffnet. In den nächsten Jahren drohen Sparpakete in der Höhe von mindestens 2 Mrd. Euro. Die Finanzministerin Fekter spricht sogar von höheren Beträgen. In „Speed kills“-Manier versuchte die Bundesregierung dies auf ähnliche Weise durchzuboxen wie 2008/9 das Bankenrettungspaket. Die Schuldenbremse wäre die in der Verfassung festgeschriebene Grundlage, auf der zukünftig Sparpakete durchgepeitscht werden sollten. Die Angriffspunkte seitens der Bürgerlichen liegen offen auf dem Tisch: Pensionen, Gesundheit, öffentliche Dienste, ÖBB.
Die SPÖ-Spitze akzeptiert diese Logik und fordert nur als Beiwerk die Einführung von Vermögenssteuern. In Griechenland oder Italien wurden solche Steuern ebenfalls eingeführt. Die Idee, dass damit dem sozialen Kettensägenmassaker der Anschein sozialer Ausgewogenheit gegeben werden könnte, verpuffte jedoch im Nichts. „Zukunftsinvestitionen“ sind mit dieser Maßnahme schon gar nicht zu finanzieren. Die SPÖ-Führung spielt somit die Rolle eines offenen Agenten der Bürgerlichen. Sie hat kein alternatives Programm zu den bürgerlichen Parteien. Sie wird den Rammbock gegen die Arbeiterklasse abgeben und, wenn sie ihre Schuldigkeit getan hat, ebenso ausgespuckt werden wie ein Papandreou oder Zapatero.
Die einzige Partei, die sich vom parlamentarischen Einheitsbrei abhebt, ist die FPÖ mit ihrer nationalistischen Propaganda. Ihre Hetze gegen „faule Griechen“ und ihre Kritik an der EU erscheint vielen als einzige glaubwürdige Opposition. Solange die bürokratische Betondecke, die auf der ArbeiterInnenklasse liegt, nicht durch neue Klassenkämpfe zersprengt wird, wird die FPÖ mit diesem Kurs punkten und bei Wahlen auf einen Erfolg zusteuern. Die SPÖ-ÖVP-Koalition ist nur sehr eingeschränkt handlungsfähig. Einen Frontalangriff auf die ArbeiterInnenklasse wird diese Regierung nicht schaffen. Weder die SPÖ noch die ÖVP in ihrer derzeitigen Verfasstheit ist dazu imstande. Die Führungskrise der etablierten politischen Kräfte ist augenscheinlich. Je tiefer die Krise wird, desto stärker wird auch im bürgerlichen Lager der Ruf nach Veränderung. Das offensive Auftreten von Maria Fekter ist wohl Ausdruck dafür, dass es auch in der ÖVP Kräfte gibt, die sich angesichts dieser Tatsachen in Stellung bringen. Neuwahlen (ob vorgezogen oder zum geplanten Termin) könnten das bisherige politische System gewaltig durcheinander rütteln und aufbrechen, ähnlich wie wir das schon 1999/2000 gesehen haben. Die FPÖ wird dabei eine wichtige Rolle für die Strategien der Bürgerlichen spielen.
Aus marxistischer Sicht ist der entscheidende Konflikt aber jener zwischen der Führung der Sozialdemokratie und ihrer sozialen Basis in der ArbeiterInnenklasse, der vermittelt wird durch die FSG. Dass es nur wenige Tage nach Beginn der Debatte um die Schuldenbremse brauchte, dass die FSG-Spitze sich öffentlich gegen Faymanns Pläne stellte, ist äußerst signifikant. Dies zeigt, dass der Schuldenabbau nicht so schnell durchs Parlament gewunken werden kann, wie sich dies der Kanzler gewünscht hat. Das wird im Gegenzug die Konflikte mit der ÖVP weiter schüren.
An allen entscheidenden Knotenpunkten der österreichischen Geschichte kam es zu Versuchen von Teilen der ArbeiterInnenklasse die Macht der Bürokratien in der organisierten ArbeiterInnenbewegung zu durchbrechen. Das zieht sich wie ein roter Faden vom Jännerstreik 1918 über 1927 (nach dem Schattendorfer Urteil kam es zu spontanen Protesten, die Parteiführung versuchte, diese mit allen Mitteln unter ihre Kontrolle zu kriegen) und den Parteitag von 1933 zu den Februarkämpfen 1934 und dann zum Oktoberstreik 1950. Auf solch einen Knotenpunkt steuern wir unter den Bedingungen der Krise neuerlich zu. Auf die damit einhergehenden politischen und ökonomischen Auseinandersetzungen müssen wir uns vorbereiten.
Der Metallerstreik in diesem Herbst stellt einen Zäsurpunkt in der Entwicklung des Klassenkampfs in Österreich dar. Ein signifikanter Teil der Gewerkschaftsbürokratie hat die Büchse der Pandora mit dieser Mobilisierung geöffnet. ÖGB-Präsident Foglar und Sozialminister Hundstorfer haben alle Kraft noch einmal in die Waagschale geworfen, um diese Büchse wieder zu schließen und die soziale Friedhofsruhe zu verlängern. Damit haben sie zwar diesen Streik abdrehen und einen völligen Streikerfolg verhindern können, doch die Geister, die gerufen wurden, konnten nicht zur Gänze wieder eingesperrt werden. Und unter den Hammerschlägen der objektiven Ereignisse ist der Versuch eine Sozialpartnerschaft, die keine Resultate bringt, stabil aufrechtzuerhalten, ein Ding der Unmöglichkeit. Auch die österreichische Arbeiterklasse wird auf Angriffe mit Gegenwehr reagieren. Die Form dieser Gegenwehr wird nicht zuletzt davon abhängen, welche vorbereitenden Prozesse es schon zuvor in den traditionellen Organisationen gab. In einzelnen Gewerkschaften (Metaller, Eisenbahner) sehen wir, dass Kollegen an die Spitze gekommen sind, die für einen kämpferischeren Kurs stehen. In anderen Sektoren gibt es zumindest eine Minderheit unter den FunktionärInnen und BetriebsrätInnen, die einen Kurswechsel für notwendig erachten und mehr Gewerkschaftsdemokratie fordern und die Gewerkschaft als Kampforganisation verstehen.
Die SPÖ-Spitze, die durch den geschichtslosen Werner Faymann verkörpert wird, kann ihre Rolle nur wahrnehmen, solange diese Tendenzen in der ArbeiterInnenbewegung nicht offen an die Oberfläche treten. Entscheidend ist, ob in der ArbeiterInnenbewegung Kanäle sich auftun, wo sich der Unmut unter den KollegInnen manifestieren kann. Dieser Unmut nährt sich aus den Bedingungen einer neuen Normalität, die seit Beginn der Krise in verstärktem Ausmaß in den Betrieben Einzug hält (Leiharbeit, All-in-Verträge, steigender Leistungsdruck,…) und ergänzt wird durch eine allgemeine Zukunftsangst und sinkenden Lebensstandard durch höhere Preise, Mieten usw. Kämpferische Betriebsräte, Teile der Bürokratie, die verstanden haben, dass sich etwas ändern muss, oder Betriebsräte, die unter dem Druck der eigenen Belegschaft einen Schritt nach vorne machen müssen, können unter diesen Bedingungen eine Dynamik lostreten, die die gesamte Lage transformieren kann. In Einzelfällen können sogar einzelne marxistische Kader, die an der richtigen Stelle die nötige Vorbereitungsarbeit geleistet haben, diese Rolle einnehmen.
Die Zahl der betrieblichen und gewerkschaftlichen Konflikte wird in der nächsten Zeit stark zunehmen. Das ist der Beginn eines Prozesses, in dem auch in der österreichischen Arbeiterbewegung große Veränderungen absehbar sind. Die Differenzierungsprozesse, die wir seit langem schon beobachten, werden sich beschleunigen.
Eine besondere Bedeutung kommt in diesen kommenden Prozessen den Jugendorganisationen der ArbeiterInnenbewegung, der Gewerkschaftsjugend und noch mehr der SJ, zu. Schon heute sehen wir, dass sich ein erster Sektor in diesen Organisationen radikalisiert und nach politischen Alternativen zum Reformismus Ausschau hält. Die SJ-Spitze setzte in den letzten beiden Jahren verstärkt auf einen Kurs, der sie nicht zu sehr in Konfrontation mit der SPÖ bringen konnte, diese Entwicklung wird sich unter den Bedingungen der Krise aber wieder umkehren. Die Grundlage dafür ist, dass die SJ-Führung in Worten an seinem linken Programm festgehalten hat und es in vielen Bundesländern ein Strukturwachstum gab. Diese neuen Mitglieder werden sich unter den neuen Bedingungen schnell radikalisieren. Die SJ wird somit mit größter Wahrscheinlichkeit jugendlichem Protest einen politischen Ausdruck geben können und gleichzeitig als Katalysator für die Durchsetzung eines klassenkämpferischen Programms in den Massenorganisationen (Gewerkschaft und Partei) wirken.
Dass dies keine leeren Worte sind, sieht man in der Geschichte der SJ und ihrer Vorläuferorganisationen. Der Höhepunkt dieses politischen Agierens ist sicherlich der Jännerstreik 1918, der ohne die politische und methodische Vorbereitungsarbeit der linken Sektoren des „Verbandes jugendlicher Arbeiter“ in dieser Form nicht stattgefunden hätte. Auch heute hindert die SJ nur die programmatische und methodische Unschärfe und das daraus folgende mangelnde Vertrauen in die Kraft der ArbeiterInnenklasse und der eigenen Organisation eine derartige Rolle anzustreben.
MarxistInnen stehen für eine Einheitsfront aller Jugendorganisationen der ArbeiterInnenbewegung gegen die Krise auf der Grundlage eines sozialistischen Programms. Die positiven politischen Entwicklungen in der SJ und der Gewerkschaftsjugend sind bemerkenswert. Unter dem Eindruck der Krise waren sie gezwungen, eine wissenschaftliche Erklärung der Krise anzunehmen. Es kommt jedoch nicht darauf an, was Funktionäre bei Reden in Sitzungen oder Konferenzen sagen, sondern wie sie sich in sozialen Auseinandersetzungen verhalten werden. Das Programm der Jugendorganisationen entspricht noch nicht den objektiven Notwendigkeiten. Am deutlichsten wurde dies in der Zustimmung des Landesvorsitzenden der SJ Steiermark zum brutalen Sparpakt der Landesregierung. Aber auch in politischen Alltag nimmt man noch Rücksicht auf das, was man hinlänglich als „realistische Politik“ versteht. Als realistisch gilt, was im real existierenden Parteiapparat als gerade noch politisch akzeptabel gilt (und dieser Spielraum wird immer enger), und/oder was von bürgerlichen ExpertInnen (Schulmeister, Attac, etc.) an utopischen Anti-Krisenkonzepten geliefert wird. Ausgehend von einer marxistischen Krisenanalyse gilt es aber ein sozialistisches Programm weiterzuentwickeln und zum Handlungsmaßstab der täglichen Verbandspolitik zu machen. Den reformistischen Halbheiten wie dem Ruf nach einer Reichensteuer als alleinige Antwort auf die Krise setzen wir auf der Grundlage unserer Perspektiven und einem dialektischen Verhältnis von Reform und Revolution ein Programm von Übergangsforderungen entgegen, das tatsächlich die Krise an der Wurzeln packen würden:
• Nein zur Schuldenbremse und zu Sparpaketen!
• Verzicht auf Zinszahlungen und einen Schuldenerlass für alle Staaten! Entschädigung soll es nur für KleinsparerInnen und bei erwiesener sozialer Bedürftigkeit geben!
• Um den Staat vor dem Bankrott und Millionen von ArbeitnehmerInnen vor dem sozialen Kahlschlag zu retten, muss das Banken- und Finanzsystem, das auch die meisten Industriekonzerne kontrolliert, verstaatlicht und unter die Kontrolle der ArbeiterInnenbewegung gestellt werden.
• Eine vergesellschaftlichte Zentralbank würde Kredite nicht zum Zweck der Renditemaximierung vergeben, sondern die Kapitalvergabe im Sinne der Allgemeinheit optimieren, also zum Beispiel Gelder an demokratisch organisierte, sozial sinnvolle Projekte vergeben bzw. Betriebe, die sich im Eigentum der Bank befinden, zum Wohle der Gesellschaft führen. So würde sie die Grundlage für eine Planung der Wirtschaft legen.
• Angesichts des internationalen Charakters der Krise braucht es auch eine internationalistische Antwort der ArbeiterInnenbewegung. Die Menschen verstehen zusehends, dass die EU nicht viel mehr als eine Diktatur des Finanzkapitals und ein reaktionäres Projekt darstellt. Doch ein Ausstieg aus dem Euro und der EU würde keines der Probleme lösen. Jeglicher nationalistischer Logik halten wir die Idee einer Vereinigung Europas auf der Grundlage einer sozialistischen Planwirtschaft entgegen.
In der österreichischen Tradition kann ein solches Programm nur durch die Rückeroberung der Macht für die ArbeiterInnenklasse in der SPÖ erfolgen. Die breiteste Organisierung der ArbeiterInnenklasse liegt in den durch Betriebsräte und Gewerkschaften organisierten Belegschaften. Eine österreichweite Betriebsrätekonferenz, die die SPÖ-Spitze auf ein Wahlprogramm festlegt, die Umsetzung kontrolliert und bei Widerstand der bürgerlichen Parteien im Parlament mit den Kampfmethoden der ArbeiterInnenklasse (Streik) außerparlamentarischen Druck macht, wäre eine kaum zu bremsende Macht. So könnten nicht nur politische Reformen erzwungen werden (unter dem Motto „Eure Krisen zahlen wir nicht“), sondern auch die Machtfrage in der Gesellschaft gestellt werden.