„In den letzten Tagen gab es mehrere Nachrichten aus Italien und England, in denen von Suiziden innerhalb der Gruppe der Pflegekräfte berichtet wurde. Zu dieser furchtbaren Entwicklung möchte ich Folgendes anmerken.”
Unsere Leute, also die Kolleginnen und Kollegen, die im Pflegebereich arbeiten, zerbrechen regelmäßig an den Bedingungen, unter denen sie ihre Arbeit erbringen müssen. Dass es in so einer endgültigen Form passiert, kann ich selbst kaum fassen. Die Lage spitzt sich in einem Ausmaß zu, das nicht mehr zu ertragen ist. Der Druck wird zu hoch.
Bereits vor der Pandemie waren Pflegekräfte mit Arbeitsbedingungen konfrontiert, die es nicht oder kaum möglich machten, dem bestehenden Betreuungsaufwand angemessen entgegentreten zu können. Umstände, unter denen wenige Pflegepersonen eine unverhältnismäßig hohe Patientenzahl zu versorgen haben, sind seit vielen Jahren keine Seltenheit. Bis heute stellt dieses Missverhältnis zwischen Betreuungsaufwand und Personalressourcen ein hohes Risiko für die Gesundheit der zu betreuenden Patienten dar. Denn medizinisch-pflegerische Probleme, wie zum Beispiel die Entstehung von Dekubitalgeschwüren (umgangssprachlich als „Wundliegen“ bezeichnet), Mangelernährung oder Komplikationen im Heilungsverlauf, wie die Pneumonie, gehen mit diesem Missverhältnis Hand in Hand. Diese Problematik hinterlässt jedoch nicht nur Spuren bei den zu betreuenden Patienten. Auch die betreuende Berufsgruppe selbst erleidet in diesem Zusammenhang Schäden. Überlastung, Depression und diverse schwere körperliche Schäden sind die Folge.
Die Gefährdung der psychischen und physischen Integrität der Pflegekräfte durch die bestehenden Arbeitsbedingungen war bereits vor der Pandemie weitläufig massiv. Die Pandemie gibt uns den Rest.
Denn die Kombination aus den ohnehin schon belastenden Arbeitsbedingungen und den zusätzlichen Belastungen und Gefährdungen, die jetzt im Zuge der Pandemie auf uns einwirken, lässt selbst die professionellste Pflegekraft einknicken. Landesweit, und auch über unsere Grenzen hinaus, scheint das Thema der Persönlichen Schutzausrüstung (PSA) und deren strenge Rationierung im Dienst, als besonders belastend und gefährlich wahrgenommen zu werden. Besonders da oft Unklarheit darüber herrscht, ob die zu betreuenden Personen mit dem SARS-CoV2 infiziert sind oder nicht.
Trotz der etlichen Aufschreie der Pflege wird unser Leben jetzt weiter bewusst einer Bedrohung und Gefährdung ausgesetzt. Deshalb appelliere ich an alle meine Kolleginnen und Kollegen, die sich bis heute zurückgehalten haben, die der Meinung waren, „man müsse sich abfinden“, „man könne doch eh nix ändern“, und ganz besonders richte ich mich an die, die der Meinung sind, es sei jetzt der falsche Zeitpunkt, um für eine Verbesserung unserer Arbeitsbedingungen zu kämpfen – Genau jetzt ist dieser Zeitpunkt! Denn es geht um euer Leben, um das Leben eurer Kolleginnen und Kollegen und um das Leben eurer Patientinnen und Patienten. Die Zeiten, in denen man meinte, man könne die Entscheidung, ob man einfach hinunterschluckt oder ob man beginnt sich zu wehren, ginge nur einen selbst etwas an, sind vorbei. Diese Entscheidung haben wir jetzt alle zu treffen. Wir können vor dieser Entscheidung nicht weiter davon laufen.
Zusammenfassend ist dazu zu sagen, dass die Unterdrückung der im Gesundheitsbereich arbeitenden Menschen und die Ausbeutung ihrer Ressourcen durch das bestehende System mit jedem Tag zunehmen und dramatische Formen annehmen. Die Auswirkungen des profitorientierten Denkens auf die Arbeitenden werden immer spürbarer und direkter. Wir alle nehmen das wahr.
Ich will mit diesem Beitrag unterstreichen, dass es sich hier nicht um ein akutes Geschehen handelt, sondern um eine generelle Krise des Gesundheitssystems, die sich unter dem Kapitalismus seit Jahren zuspitzt. Das wird ganz deutlich, sieht man sich den Umgang seitens der politischen Führung mit allen relevanten Fragen im Zusammenhang mit dem Schutz von Gesundheit und Leben der Arbeitenden an. Dieser zeigt ganz deutlich auf, dass es nur wir Arbeitenden selbst sein können, die für einen adäquaten Umgang in Bezug auf diese Fragen Sorge tragen können.