Laut der naiven schwarz-blauen Lesart ist Österreich ein gespaltenes Land, in dem die fleißigen Frühaufsteher und ORF-Alltagshelden nur von den arbeitsscheuen Schmarotzern und Langschläfern und natürlich Migranten in der sozialen Hängematte vom Wohlstand ferngehalten werden.
Das letztere Lager sammelt sich insbesondere unter der „rot-grünen Fremdherrschaft“ (FPÖ, Gudenus) im Roten Wien. Doch das Land ist keine von Seligen bevölkerte Insel. Das wird ein immer größerer Teil der ArbeiterInnen bestätigen, die jeden Euro zweimal umdrehen müssen, damit sie und ihre Familien den Alltag finanzieren können. Und Österreich teilt mit der „Außenwelt“ auch Entscheidenderes, als eine Grenze, hinter der die migrantische Gefahr lauert. Ganz im Gegenteil: Will man verstehen, was hierzulande wirtschaftlich und politisch passiert, muss man anerkennen, dass Österreich vollkommen vom kapitalistischen Weltmarkt abhängig ist – und die schwarz-blaue Regierung handelt aus keinem anderen Grund, als die Profitinteressen des österreichischen Kapitals auf genau diesem Weltmarkt zu verteidigen.
Wenn man die globalen Wetteraussichten für das Jahr 2019 mit einem Satz beschrieben sollte, könnte er in etwa lauten: Am Horizont der Weltwirtschaft sind dunkle Gewitterwolken aufgezogen. Zuerst einmal gilt das wirtschaftlich: Selbst im vergangenen Jahr, das für seine wirtschaftliche Hochkonjunktur gefeiert wurde, ging die Industrieproduktion in der Eurozone im November 2018 im Jahresvergleich um 3,3% zurück. Und alles deutet darauf hin, dass die Auswirkungen der Krise, sobald sie ausbricht, schwerer wiegen werden, als nach 2008.
Denn im Gegensatz zu damals sind viele der Maßnahmen, die normalerweise zum Gegensteuern gegen eine Krise verwendet werden, schon erschöpft. Zinssenkungen oder Konjunkturprogramme auf Pump sind in den meisten Wirtschaftsräumen ausgeschlossen. Und vor allem: 2008 waren sich die Reichen und Mächtigen dieser Welt noch größtenteils einig, wie auf die Krise reagiert werden sollte (Man erinnere sich an den O-Ton: „ja keine Wiederholung der Rezession nach 1929 mit seinem Protektionismus! Wir haben aus der Geschichte gelernt!“) Heute schrammen die USA unter der Führung von Donald Trump, aber mit Unterstützung eines Großteils des Kapitals, am Rande eines offenen Wirtschaftskrieges mit China.
Auf dem Weltmarkt wird der Raum immer enger, während die zuvor vielgepriesene Einigkeit unter dem Druck immer geringer werdender wirtschaftlicher und politischer Spielräume zerbröckelt. Das gilt insbesondere für die EU, die aus Perspektive des europäischen (auch des österreichischen) Kapitals absolut notwendig ist, um auf dem Weltmarkt gegen China und die USA konkurrenzfähig zu bleiben. Doch gleichzeitig steigen die Widersprüche innerhalb der EU immer stärker an. Politische Konflikte von Flüchtlingszahlen über den Brexit bis hin zu Auseinandersetzungen um Budgetvorgaben aus Brüssel ist die EU so uneinig wie nie zuvor. Um dem entgegenzuwirken bleibt den einzelnen Regierungen nur, die eigene Wirtschaft unter allen Umständen wettbewerbsfähiger zu machen, indem die Produktionskosten (und damit die Lohnkosten) gedrückt werden. Das ist der eigentliche Grund für den sozialen Kahlschlag der schwarz-blauen Regierung hierzulande.
Doch diese Politik löst auch immer entschlosseneren Widerstand aus. In Frankreich werden die Gelbwestenproteste seit Jahresbeginn wieder stärker, zehntausende gehen jedes Wochenende auf die Straße. Das kann auch der Einsatz von massiver Polizeigewalt nicht verhindern. Wir erinnern uns: In Frankreich ist der liberale „Retter der europäischen Werte“ Emmanuel Macron an der Macht. Schließlich war Macron gezwungen, eine ganze Reihe von Zugeständnissen an die Gelbwesten zu machen und hat damit für alle sichtbar bewiesen, dass in Zeiten der kapitalistischen Krise nur ein äußerst entschlossener gemeinsamer Kampf der Arbeiterklasse den Kürzungswünschen des Kapitals etwas entgegensetzen kann.
Und damit endet die Liste der Klassenkämpfe, die zum Jahreswechsel tobten, nicht einmal ansatzweise. Selbst die Liste in Europa ist eindrucksvoll: In Ungarn finden Massenproteste gegen das neue Arbeitszeitgesetz statt (Siehe Seite 10). In Serbien gehen Zehntausende gegen die Regierung auf die Straße, in Bosnien gibt es große Demonstrationen über die ehemaligen Bürgerkriegsgrenzen hinweg gegen die Verschmelzung von Mafia und Politik. In Albanien findet eine wochenlang andauernde Studentenbewegung statt, in Litauen ein beispielloser Lehrerstreik. In einer Reihe von Ländern haben Ableger der Gelbwestenbewegung Demonstrationen organisiert. Selbst für unser Nachbarland warnte der Vizekanzler Olaf Scholz von der SPD: „Es gibt auch in Deutschland ein nicht zu unterschätzendes ‚Gelbwesten‘-Potenzial“.
Und diese Dynamik inklusive Klassenkämpfe bleibt nicht an der Grenze Europas stehen. Bis zu 200 Millionen Menschen (!) beteiligten sich am 8. und 9. Jänner am wahrscheinlich größten Streik der Menschheitsgeschichte in Indien gegen die arbeiterfeindliche Politik der rechten Modi-Regierung. Neben Beschäftigten im öffentlichen Dienst und der Privatwirtschaft, inklusive einer großen Anzahl informell Beschäftigter, beteiligten sich auch Millionen armer Bauern an den Streiks – ganze Landesteile des Subkontinentes waren lahmgelegt.
Dass hierzulande die Medien nur am Rande (in Bezug auf Ungarn), extrem verzerrt und unehrlich (etwa im Falle von Frankreich) oder gar nicht (im Falle von Indien) über solche Bewegungen berichteten, ist nicht nur bezeichnend für den jämmerlichen Zustand des österreichischen „Journalismus“. Es spiegelt auch den Fakt wider, dass es auch in Österreich „ein nicht zu unterschätzendes ‚Gelbwesten‘-Potenzial“ gibt. Der schlafende Löwe der Arbeiterklasse in Österreich soll unter keinen Umständen geweckt werden, indem zu ausführlich darüber berichtet wird, wie kollektiv und solidarisch über alle nationalen, religiösen und ethnischen Grenzen hinweg gekämpft (und gewonnen!) werden kann. Die Medienkonzerne sind lieber die willigen Gehilfen der Strategie von schwarz-blau, die Zerstörung unseres Lebensstandards möglichst widerstandslos voranzutreiben.
Die Politik der Führung der Arbeiterbewegung spielt der Regierung dabei in die Hände, indem sie getreu der Doktrin der Sozialpartnerschaft (und der Bibel) bei jedem Schlag gegen die Arbeiterklasse auch die andere Wange (der ArbeiterInnen selbst natürlich) hinhält. Stattdessen braucht es eine Politik, die die gesellschaftliche Realität anerkennt, die sich überall entwickelt: Nur mit einer revolutionären Perspektive und einem sozialistischen Programm kann die Arbeiterbewegung die kommenden Klassenkämpfe gewinnen.
Wien am 15. Jänner 2019
Aus dem Inhalt:
- Steuerreform
- SPÖ
- Kollektivvertragsverhandlungen in der Sozialwirtschaft
- Pflege
- Solidarität mit Arbeiter- und Studierendenaktivisten aus China
- Buchkritik „Die neue ArbeiterInnenklasse“
- Über die Geschichte der österreichischen Rätebewegung & Wie kann die Arbeiterklasse die Macht erobern?
- Proteste in Ungarn
- Berichte aus der Schule
u.v.m.
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