In den letzten Jahren verstärkten sich die Angriffe auf den 1. Mai. In Wien müssen seit letztem Jahr die Straßenbahnen auch am Vormittag wieder fahren, nachdem in den letzten 50 Jahren die gesamten Wiener Linien stillgestanden sind. Nun ist es an der Zeit, sich die Frage zu stellen, was an diesem Tag so besonders ist, wie er entstanden ist und warum es sich lohnt, ihn zu verteidigen.
In Australien und den USA bildete sich Mitte des 19. Jhs. eine Massenbewegung für die Einführung des Achtstundentages. 1884 beschloß die „Federation of organized Trade and Labour Unions“ auf ihrem Kongreß in Chicago, den Achtstundentag zwei Jahre später, am 1. Mai 1886, in den neuen Arbeitsverträgen durch Kampfmaßnahmen durchzusetzen. Der 1. Mai war in den USA ein traditioneller „moving-day“, an dem Arbeitsverträge erneuert und Arbeitsplätze gewechselt wurden. Am 1. Mai 1886 streikten dann 340.000 ArbeiterInnen in 12.000 Fabriken, Zentrum der Kämpfe war Chicago, wo 40.000 ArbeiterInnen im Ausstand waren. Am 3. und 4. Mai kam es dort zu Zusammenstößen mit der Polizei, wo 10 Arbeiter getötet wurden; 4 wurden dafür zur Verantwortung gezogen und gehängt. Es folgte weitere Repression durch den Staat, die die Bewegung zerbrechen ließ.
Der Kampf um den Achtstundentag…
1888 wurde die Achtstundenbewegung wiederbelebt, die „American Federation of Labor“ beschloß auf ihrem Kongreß in St. Louis, die ArbeiterInnen für die Verwirklichung des Achtstundentages wieder am 1. Mai 1890 zu mobilisieren. Dieses Vorhaben wurde von den französischen Gewerkschaften aufgenommen, die auf dem Internationalen Arbeiterkongreß in Paris im Juli 1889, dem Grüdungskongreß der 2. Internationalen, eine internationale Kundgebung am 1. Mai 1890 beantragten. Dieser Tag wurde beschlossen, wobei er nur als einmaliges Ereignis vorgesehen war. Schon im Herbst 1889 bereitete sich die österreichische Sozialdemokratie auf den 1. Mai vor und begann die Agitation in den sozialdemokratischen Zeitungen. Auf Versammlungen wurden Resolutionen beschlossen und lokale Organistationskomitees gebildet. Die Bewegungsfreiheit der ArbeiterInnenbewegung war durch die Behörden stark eingeschränkt – Versammlungen und Feste konnten grundlos verboten und Straßendemonstrationen vom Militär aufgelöst werden.
Die SozialdemokratInnen entschieden sich für eine allgemeine Arbeitsruhe am 1. Mai, um die Unentbehrlichkeit des Proletariats zu demonstrieren. Victor Adler: „Einen besseren Beweis, daß das ganze Wirtschaftsgetriebe nur von Arbeitern abhängt, gibt es nicht.“ Wert wird aber darauf gelegt festzustellen, daß kein Streik geplant sei. Bürgertum und Staatsapparat waren beunruhigt – erstmalig sollte es eine international koordinierte Kampagne der Arbeiterbewegung geben!
Regierungsvertreter der europäischen Staaten kamen zusammen, in Österreich trafen die Behörden Sicherheitsvorkehrungen, das Militär wurde bereitgestellt um einzugreifen und Bürgerwehren wurden gebildet. Viele Unternehmer gaben den Tag für die ArbeiterInnen frei, nachdem nicht genügend Polizei und Militär zur Verfügung stand, um alle Fabriken zu „schützen“. Nachdem es im April zu „Arbeiter-Excessen“ (= Arbeitskämpfen) gekommen war, erwägt die Regierung sogar die Einführung des Standrechts. Victor Adler über die Stimmung vor dem 1. Mai 1890: „Der Schrecken war dem Bürgertum in die Glieder gefahren… Der Wiener Wissenschaftliche Klub beschloß, seine gewohnte Frühjahrsreise abzusagen, weil man doch am 1. Mai nicht Weib und Kind im Stich lassen konnte. Andere wieder entschlossen sich, vor dem gefürchteten Tage mit ihren Familien aus Wien zu flüchten.“
…der Schrecken für die Bourgeoisie
Trotz Repression von Staat und Unternehmern wurde der 1. Mai 1890 in Österreich ein überwältigender Erfolg: In Wien gab es 60 Versammlungen, wo über den Achtstundentag diskutiert wurde, 100.000 ArbeiterInnen trafen sich am Nachmittag im Prater; in Steyr beteiligten sich 9.500 ArbeiterInnen, weiters gab es Kundgebungen im steirischen Murtal, in Leoben, im Süden Niederösterreichs, in Nord- und Westböhmen, in Mähren, in Tirol… Friedrich Engels schrieb anerkennend: „Freund und Feind sind einig darüber, daß auf dem ganzen Festland Österreich, und in Österreich Wien, der Festtag des Proletariats am glänzendsten und würdigsten begangen wurde.“ Der 1. Mai war Ausdruck dessen, daß die ArbeiterInnen zu dieser Zeit schon in Bewegung waren, mit den zentralen Bedürfnissen nach Lohnerhöhung und der Verkürzung der Arbeitszeit. Nachdem die Arbeiterschaft um 1890 nur in geringem Ausmaß politisch und gewerkschaftlich organisiert war, bot der 1. Mai der Sozialdemokratie nun die Gelegenheit zu zeigen, daß sie sehr wohl eine Massenbasis besaß. Durch die gewaltige Demonstration wuchs das Ansehen der Partei unter den ArbeiterInnen und das Selbstbewußtsein der ArbeiterInnen wurde gesteigert, vor allem durch das Bewußtsein um den internationalen Kampf und die internationale Solidarität. Rosa Luxemburg schreibt: „Die Maidemonstration ist das vorzüglichste Mittel, die Massen zu sammeln, sie aufzurütteln, sie aufzuklären, sie mit Kampfesmut zu erfüllen, das vorzüglichste Mittel, die Macht der klassenbewussten Arbeiterschaft sichtbar zu entfalten und den Gegnern vor Augen zu führen.“ Vor allem die Organisationen der ArbeiterInnenbewegung konnten gestärkt werden. Im Jahresbericht der Polizei für 1890 wurde vermerkt: „Es wurden im verflossenen Jahre in den Ländern der österreichischen Monarchie gegen einhundert Arbeitervereine, davon dreißig in Wien allein gegründet… Die Vereinsgründungen fanden zumeist nach dem 1. Mai statt.“
Der erkämpfte Feiertag
Nach dem großen Erfolg der internationalen Kundgebung wurde beim Brüssler Kongreß der 2. Internationale 1891 beschlossen, am 1. Mai jedes Jahr zu feiern – damit wurde der Kampftag in Österreich etabliert. Der 1. Mai mußte aber immer wieder erkämpft werden, die ArbeiterInnen waren deswegen von Lohneinbußen, Entlassungen und Aussperrungen betroffen. Zu Auseinandersetzungen mit der Polizei kam es öfters, wenn ArbeiterInnen vor die Betrieben zogen, wo ihre KollegInnen arbeiten mußten, um sie zur Arbeitsniederlegung zu bringen. Bezeichnend für die Haltung des Bürgertums ist der Kommentar Karl Luegers, christlich-sozialer Bürgermeister von Wien: „Betrachten sie gefälligst die Leute, die am 1. Mai in den Prater hinunter wandeln; das, meine Herren, sind lauter Lumpen.“ Am nächsten Maiaufmarsch wurde daraufhin immer wieder „Hoch die Lumpen!“ gerufen.
Bis zur Wahlrechtsreform 1907 wurde am 1. Mai die Einführung des allgemeinen, gleichen und direkten Wahlrechts – für Männer – gefordert und sozialpolitische Forderungen erhoben. Darüberhinaus gab es Solidaritätsbekundungen für ArbeiterInnen anderer Länder, die sich im Kampf befanden, zum Beispiel 1905 für russische Revolution. In den Jahren vor dem ersten Weltkrieg wurden die Aufmärsche am 1. Mai unter dem Slogan „Krieg dem Kriege!“ Kundgebungen gegen Militarismus und Kriegshetze und für internationale Solidarität – was aber für die Führung der österreichischen Sozialdemokratie nur ein Lippenbekenntnis bleiben sollte, mit ihrer Burgfriedenspolitik und der Zustimmung zu den Kriegskrediten 1914. Mit dem Zusammenbruch der 2. Internationalen und dem Beginn des 1. Weltkriegs wurde die Maifeier der „Notwendigkeit der Anpassung an den Zwang des Tages“ untergeordnet und auf die Kundgebung verzichtet. Not, Hunger, Kriegsmüdigkeit und revolutionäre Stimmung wuchsen im Lauf des Krieges an. Die Februarrevolution in Rußland mit dem Aufruf der Arbeiterräte den 1. Mai zu feiern, bestärkte zahlreiche ArbeiterInnen, auf eigene Faust den 1. Mai 1917 für arbeitsfrei erklären. Unter dem Druck beschließt aber die Parteiführung schließlich in den letzten Apriltagen, den 1. Mai zu feiern. In diesem Jahr werden die Versammlungen zu einer riesigen landesweiten Massenaktion vor allem von Frauen gegen den 1. Weltkrieg und für sofortigen Frieden. Spontane Umzüge werden von der Polizei mit Gewalt verhindert. Auch am 1. Mai 1918 – nach dem Jännerstreik – wird Frieden und der Achtstundentag gefordert, zum ersten Mal wieder mit dem Versuch, dem Tag einen internationalen Charakter zu geben. Aber nur in Rußland, Österreich-Ungarn und den neutralen europäischen Ländern konnte eine allgemeine Arbeitsruhe durchgesetzt werden.
1919 beschloß der Nationalrat, den 1. Mai zum Staatsfeiertag in Österreich zu erklären, damit war die Maibewegung legal. „Ein für allemal dem Bürgertum abgetrotzt, braucht er nicht alljährlich neu erobert zu werden…“ Auch unter den Bedingungen der austrofaschistischen Dikatur ließen es sich die ArbeiterInnen nicht nehmen, den 1. Mai zu feiern. Trotz des Verbots gingen 1933 auf den Hauptstraßen Wiens und den österreichischen Industriestädten tausende ArbeiterInnen auf „Mai-Spaziergänge“, vorbei an Stacheldrahtsperren und Maschinengewehren. Zufällig hatten viele Spaziergänger rote Taschentücher mit.
Der Austrofaschismus versuchte in darauffolgenden Jahr, den 1. Mai zur „Tag der Verfassung“ und der Huldigung der Stände umzumodeln. Der Großteil der Bevölkerung ging nicht zu diesen Aufmärschen, hingegen kam es zu Blitzdemonstrationen in den Arbeiterbezirken, im Wienerwald wurden Versammlungen abgehalten, auf Schornsteinen und Lichtmasten wurden rote Fahnen aufgezogen. Der Nationalsozialismus änderte den Charakter des Tages zum „Tag der deutschen Arbeit“.
Auch heute noch ist der 1. Mai der wichtigste Kampftag der ArbeiterInnen. Gerade jetzt, in Zeiten verstärkten Sozialabbaus und Angriffen auf hart erkämpfte Rechte. Wichtig ist es aber, nicht nur große Töne zu spucken, sondern wie in den ersten Jahren der Maikundgebung offensive und konkrete Forderungen zu stellen und bereit sein, für diese wirklich zu kämpfen.