Am 26. Juni 1914 wird in Sarajewo der österreichische Thronfolger Franz Ferdinand von einem serbischen Nationalisten ermordet. Damit war ein Vorwand gegeben, um das Völkergemetzel des Ersten Weltkriegs beginnen zu können. Jetzt ging es um die Neuaufteilung der Welt unter den imperialistischen Mächten. Für die Arbeiterbewegung sollte kein Stein auf dem anderen bleiben.
„Mit der heißesten Inbrunst unseres Herzens hoffen wir, daß sie siegreich fallen werden für die heilige Sache des deutschen Volkes…, Am 5. August 1914 offenbarte die Führung der österreichischen Sozialdemokratie ihr wahres Gesicht, als Friedrich Austerlitz im Leitartikel der Arbeiter-Zeitung mit dem Titel „Der Tag der deutschen Nation, den imperialistischen Eroberungskrieg bejubelte.
Kriegsbegeisterung
Schlagzeilen wie „Nach Paris!“, „Sturm! Hurra! Vorwärts!, folgten. Die sozialdemokratisch kontrollierten Gewerkschaften versicherten, daß „im Interesse des Kriegs, nicht gestreikt werde. Man vergewisserte der eigenen Bourgeoisie, daß man für die Dauer des Krieges innere Konflikte hintan halten würde. Die sogenannte „Burgfriedenspolitik, war aus der Taufe gehoben.
Die pazifistischen Resolutionen der II. Internationale, in denen bei jeder Konferenz der nahende Krieg verdammt wurde, waren nun vergessen.
Die langen Jahre des Aufschwungs, die dem Weltkrieg vorangegangen waren, hatten die Sozialdemokratie mehr und mehr ins System integriert – ein starker Parteiapparat hatte sich herausgebildet. Es gab mittlerweile eine ganze Schicht von Funktionären, denen zwar aus eigener Sicht die sozialistischen Ideale noch immer am Herzen lagen, die sich aber durch ihre Tätigkeit als Parlamentarier, Hauptamtliche usw. in einer sozial privilegierten Stellung befanden. Und ihre Positionen wollten sie nicht aufs Spiel setzen. Der Krieg war aus ihrer Sicht nur ein kurzes Wellental im unaufhaltsamen Aufstieg der Arbeiterbewegung. Mit revolutionären Abenteuern wollte man das Erreichte nicht gefährden. Eine reformistische Linie dominierte nun die Politik der Sozialdemo- kratie. Karl Renner war der personifizierte Ausdruck dieser Tendenzen: er träumte von einem aufgeklärten Absolutismus und lehnte den Sturz des Regimes kategorisch ab.
Um so gekränkter war man dann auch, als die Regierung den Reichstag am Vorabend des Krieges auflöste – weil man sich von der herrschenden Klasse übergangen fühlte und die Abgeordneten ihres Ansehens beraubt worden waren. Dafür war man davon befreit, über die Kriegskredite abstimmen zu müssen – eine Frage, die in Deutschland die Partei entzweite. Das Schweigen der österreichischen Sozialdemokratie angesichts der Expansionsbestrebungen der Habsburger auf dem Balkan in den Jahren zuvor läßt kaum Zweifel daran aufkommen, daß man auch in Österreich, wie in allen anderen Staaten, im Parlament für die Aufnahme von Kriegskrediten gestimmt hätte. Victor Adler bestätigte dies in kleinem Kreise wiederholte Male, auch wenn er die klar deutschnationalen Töne einiger Genossen zu dämpfen trachtete. Die Zweite Internationale zerfiel unter dem Donner der Kanonen und Gewehrsalven in den Schützengräben. Nur die russische, die bulgarische und die serbische Sozialdemokratie blieben bei ihrer konsequenten Anti-Kriegs-Politik.
Dabei war der Charakter des Krieges von Anfang an klar: Ein imperialistischer Krieg um die Neuaufteilung der Welt, in dem jeder Staat versuchte, sich seinen Anteil an Absatzmärkten und billigen Rohstoffen zu sichern. Diese Analyse ist entscheidend neben der eher irrelevanten Frage, wer angefangen hat – denn jeder einzelne Staat argumentierte mit dem Vorwand des „Verteidigungskrieges“. Und obwohl Serbien angegriffen worden war, stimmten die serbischen Sozialdemokraten gegen die Kriegskredite, um nicht die nationalistische, großserbisch orientierte Bewegung zu unterstützen.
Auch das Argument, der Krieg diene der Befreiung der unterdrückten Nationen im zaristischen Rußland, ist mehr als zynisch, wenn man sich die nationale Unterdrückung im Habsburger Völkerkerker vor Augen hält. Die reformistischen Tendenzen in der österreichischen Sozialdemokratie kamen aber gerade in der nationalen Frage am klarsten zum Ausdruck. Ihre Position der Verteidigung des Habsburgerstaates wies so schon vor 1914 den Weg auf die Schlachtfelder des Ersten Weltkrieges.
Krieg und die Arbeiterbewegung
Wie hätte die Sozialdemokratie in dieser Situation anders handeln können? Ihre staatstragende Position hatte verheerende Auswirkungen auf die ArbeiterInnen: In den Krieg gehetzt, in den Ohren die nationalistischen Parolen ihrer Führer, wurden sie in einen „vorpolitischen Zustand, versetzt, wie Leo Trotzki 1914 schrieb. Klar ist, dass Krieg immer einen Rückschlag für die Politik von Arbeiterparteien bedeutet: In der Phase der Mobilmachung für den Krieg – die Phase, in der das Kräfteverhältnis eindeutig auf Seiten des Staates ist – sind Aktionen wie ein Generalstreik nicht nur nicht möglich, sondern meistens kontraproduktiv, weil sein Scheitern vorprogrammiert ist. Weit davon entfernt, so etwas überhaupt in Betracht zu ziehen, meinte Otto Bauer nach Kriegsausbruch aber, daß es die erste Pflicht der GenossInnen sei, „alles, was den Behörden einen begründeten Anlaß oder Vorwand zur Unterdrückung geben könnte, zu vermeiden“, um „unsere Organisation aufrecht zu erhalten“. Die Parteimitglieder wurden so zur völligen Passivität verdammt. Mit dieser Politik des Durchtauchens rettete man zwar die Organisationen der Arbeiterbewegung, diese verloren aber immer mehr an innerem Leben. Die Mitgliedszahlen sanken dramatisch. Teilweise, weil viele Arbeiter ebenfalls an die Front mußten, andererseits aber auch durch die Unzufriedenheit mit der Burgfriedenspolitik der Führung.
Krieg hat immer außergewöhnliche gesellschaftliche Auswirkungen. Durch die Mobilmachung kamen Bevölkerungsschichten, die bisher kaum eine politische Rolle gespielt hattem, wie Handwerker, Kleinbauern und „Lumpenproletarier, in die Armee. Der Krieg weckte in diesen Schichten, die kaum in Berührung mit sozialdemokratischer Agitation gekommen waren, Hoffnungen auf eine Änderung ihrer miserablen Lebenssituation. Das Aufleben dieser Erwartungen auf eine Verbesserung ihrer Lage ist vergleichbar mit den Hoffnungen in einer Revolution, wobei sich ihr politisches Erwachen aber in Patriotismus äußerte und über die Armee kanalisiert wurde. Auch große Teile der Arbeiterschaft wurdeb in diesen Strom mit hinein gezogen. Daher war in dieser Situation eine wirksame Aktion nicht möglich, nachdem die Arbeiterbewegung so isoliert ist war sonst nie. Mit einer konsequenten Oppositionspolitik hätte die Sozialdemokratie bei einem Stimmungsumschwung sofort wieder mit einer Massenunterstützung rechnen können. Der Krieg schlug sich auch sehr bestimmend auf das Bewusstsein der ArbeiterInnen selbst nieder. Der Imperialismus verlangte von den ArbeiterInnen für die „nationale Verteidigung, unbedingte Hingabe – für die Arbeiterklasse bedeutete dies aber in erster Linie die Verteidigung dessen, was sie mit eigenen Händen geschaffen hatten. Damit ging die Arbeiterklasse durch die „Schule des Krieges“: Auf einmal waren die bisher gültigen Normen des bürgerlichen Staates außer Kraft gesetzt, für einen „höheren Zweck, sollten sie alles geben. Mit dem Appell, daß das Schicksal der Nation von jedem einzelne abhänge, bekam jeder und jede mit, daß das eigene Schicksal, das der Arbeiterklasse und der ganzen Nation tatsächlich in der eigenen Hand liegt. Wie sich 1918 zeigen sollte, war da der Weg zur Revolution nicht mehr weit.
Neue Arbeiterklasse
Die Kriegsbegeisterung sollte auch schon schnell der Ernüchterung weichen. Der Feldzug gegen Serbien war kein Spaziergang, sondern hatte sich zu einem regelrechten Weltbrand entwickelt. Aber nicht nur in den Schützengräben zeigte sich schon bald das wahre Gesicht des Krieges. Auch in den Fabriken blies nun ein rauher militärischer Wind. Der Staat griff nun im Hinblick auf die Kriegsproduktion viel direkter in die Wirtschaft ein. Das Kriegsleistungsgesetz (KLG) aus dem Jahre 1912 wurde nun angewandt. Unter „KLG gestellte, Betriebe standen unter Heeresverwaltung. Wer „den Betriebszweck störende Handlungen, (k.u.k Bürokratensprache für Streiks und Sabotage!) setzte, dem drohte nun die Anwendung des Militärstrafgesetzes. Wer sich weiter illegal politisch betätigte, mußte damit rechnen, schon bald an der Front zu stehen. Arbeiterschutzbestimmungen wurden nun zugunsten der Unternehmen beseitigt.
Das Bild der österreichischen Arbeiterklasse veränderte sich während des Krieges völlig. Massen von neuen (meist ungelernten) ArbeiterInnen, die im Regelfall noch keine gewerkschaftliche Erfahrung hatten, standen nun in den Fabrikshallen. Der weibliche Anteil an der Arbeiterklasse stieg nun rasant an. Gerade die Frauen waren gemeinsam mit den jugendlichen ArbeiterInnen auch die Hauptopfer der verschärften Ausbeutung. Kein Wunder, daß diese Gruppen späterhinauch zu den radikalsten Teilen der Klasse gehörten. Durch die Kriegsproduktion entstanden nun riesige Fabriken, in denen sich eine gänzlich neue Arbeiterklasse formierte. Wenn auch die alten Strukturen der Arbeiterbewegung mit Kriegsausbruch einen schweren Rückschlag erlitten, entwickelten sich hier die Bedingungen für eine revolutionäre Massenbewegung.