Nach einer vernichtenden Wahlniederlage müssen sich die konservativen Tories jetzt auf die Oppositionsbänke verabschieden. Der neue Premierminister ist – mit einer großen Mehrheit im Parlament – Labour-Chef ‚Sir‘ Keir Starmer. Es wird eine Regierung der sozialen Angriffe sein. Die britische Arbeiterklasse muss sich auf harte Kämpfe einstellen. Von Willy Hämmerle
Nach 14 Jahren Sparprogrammen, Anti-Arbeiter-Politik, Brexit-Chaos und ständigen Skandalen wurden die Tories an den Wahlurnen völlig zerschmettert. Mit 244 verlorenen Sitzen (121 sind noch übrig) und über 7 Millionen verlorenen Stimmen (im Vergleich zur Wahl von 2019) ist es die größte Niederlage aller Zeiten für die einst so zuverlässige Partei der britischen Kapitalisten.
Erdrutschsieg?
Für Starmers Labour Party sieht es auf den ersten Blick nach einem überwältigenden Sieg aus. Allerdings: Obwohl sie ihre Sitze mehr als verdoppeln konnte (auf 411), hat die Partei nur 33,7% der Stimmen erhalten und tatsächlich über eine halbe Million Stimmen verloren. Noch nie gab es mit einem so niedrigen Stimmenanteil eine Mehrheit im Parlament, erst recht keine so deutliche. Grund dafür ist das britische Wahlsystem. So hat z.B. die weit rechtsstehende „Reform UK“-Partei von Nigel Farage mit 14,3% der Stimmen nur 5 Sitze erhalten.
Rechnet man die Nichtwähler dazu, konnte Starmer gerade mal ein Fünftel der Bevölkerung davon überzeugen, das Kreuz bei Labour zu machen. Eine kurz vor den Wahlen veröffentlichte Umfrage wirft ein Licht auf die Motivation der Labour-Wähler: 48% gaben als Hauptgrund für ihre Stimme an, dass sie die Tories loswerden wollen. 5% sagten, dass sie die Partei hauptsächlich für ihre Politik wählen, und 1% nannten die Führungsqualitäten von Starmer (YouGov, 3.7.2024).
Labours ‚Erdrutschsieg‘ kommt also hauptsächlich durch den Zusammenbruch der verhassten Tories und das Wahlsystem zustande, nicht wegen einer Begeisterung für die Partei. Dazu kommt eine sehr niedrige Wahlbeteiligung (59,9%), die darüber hinaus einen Hinweis über die Stimmung in der Bevölkerung gibt: Eine breite Schicht sieht keinen großen Unterschied zwischen den Parteien und lehnt das gesamte politische Establishment ab. „Es ist, als ob man sich eine Geschlechtskrankheit aussuchen müsste“, fasste es eine Krankenpflegerin in einem Straßeninterview zusammen.
Regierung der Bosse
Das ist auch kein Wunder, denn in vielen zentralen Fragen passt kein Blatt zwischen die Tories und Labour. Völlige Einigkeit herrscht über die Unterstützung für Israels Krieg gegen die Palästinenser. Der tiefe Unmut gegen diese Politik drückte sich in fünf Wahlkreisen darin aus, dass sich unabhängige Pro-Palästina-Kandidaten (darunter auch der ehemalige Labour-Vorsitzende Jeremy Corbyn, der von der Starmer-Clique aus der Partei gemobbt wurde) gegen Labour durchsetzen konnten. So viele wie noch nie.
Starmer versprach zu Beginn seines Vorsitzes soziale Reformen (zum Beispiel die Abschaffung der Studiengebühren, einen „Green Deal“ oder einen „National Care Service“, also eine öffentliche Daseinsfürsorge), nur um kurze Zeit später zurückzurudern und sie auf den St. Nimmerleinstag zu verschieben: Jetzt sei erstmal Sparen angesagt. Folgerichtig führte er einen energischen Kampf gegen den linken Parteiflügel rund um seinen Vorgänger Corbyn und gab sich größte Mühe, sich als verlässlichen Partner für Big Business zu präsentieren – mit großem Erfolg. Die großen Zeitungen der britischen Kapitalisten riefen zur Wahl von Labour auf, z.B. die Financial Times:
„Diese Woche wird Labour unsere Unterstützung haben. Diese Generation der Tories hat ihren Ruf als Partei der Wirtschaft verspielt. Sir Keir Starmer ist besser geeignet, die Führung zu übernehmen, die das Land braucht.“ (30.6.2024)
Starmer stellt sich völlig in den Dienst des Kapitalismus, der weltweit in der tiefsten Krise seit 100 Jahren steckt. Das bedeutet, dass harte Angriffe auf die Masse der britischen Bevölkerung bevorstehen. Die Arbeiter in Großbritannien werden die kommende, im Wahlprogramm bereits angekündigte Spar- und Kürzungspolitik nicht akzeptieren. Die Zeichen stehen auf Klassenkampf. Wir können mit Sicherheit davon ausgehen, dass diese Regierung eher früher als später in eine Krise gerät, aus der sie nicht herauskommen wird. Dabei wird Starmers Labour noch verhasster werden als die Tories.
Polarisierung: Zeit für die Revolutionären Kommunisten!
Das Wahlergebnis zeigt also nur ein sehr beschränktes Bild über die wahre Stimmung in der Gesellschaft, die sich im Verlauf der kapitalistischen Krise weiter polarisieren wird. Ein Anzeichen dafür ist der Erfolg des rechten Demagogen Nigel Farage, der selbst ins Parlament einzieht und dessen Partei nach Wählerstimmen den dritten Platz erreicht hat.
Auf der Linken möchten wir die Kandidatur von unserer Genossin Fiona Lali, führendes Mitglied der Revolutionary Communist Party (RCP), hervorheben, die in Stratford & Bow (einem Arbeiterbezirk in Ostlondon) mit einem offenen, revolutionär-kommunistischen Programm knapp 1800 Stimmen erreicht hat (4,1%). Dieses Ergebnis ist bemerkenswert, denn es drückt nicht nur eine vage Unzufriedenheit aus, sondern eine komplette Ablehnung des Kapitalismus und die Offenheit einer ganzen Schicht für einen revolutionären Sturz dieses Systems.
Im Zentrum der Kampagne standen nicht Wählerstimmen, sondern politische Inhalte. Das Ziel war, die Ideen des revolutionären Kommunismus in breiten Schichten bekannt zu machen, weit über den Wahlkreis hinaus. Das war ein voller Erfolg. Über Social Media erreichte die Kampagne 6,5 Millionen Leute. 500 meldeten sich freiwillig, um die Kampagne zu unterstützen und viele traten der Partei bei. Nicht als Karteileichen, sondern als aktive Kämpfer für die sozialistische Revolution. „Wir sind Revolutionäre, keine Politiker!“ war der Slogan auf den Straßen – und im Gespräch stellten die Genossen klar: „Viel wichtiger als diese Wahlen ist, was du nach den Wahlen tun wirst.“
Der Erfolg der Kampagne zeigt das Potenzial, das hinter der brodeln den Unzufriedenheit steckt. Unter der Oberfläche kocht Wut, die keinen richtigen Ausdruck findet. Was es braucht, ist eine starke Revolutionäre Kommunistische Partei, die diese Wut organisieren kann. In Großbritannien – und in Österreich
(Funke Nr. 225/8.07.2024)