Anfang dieses Jahrs schickte meine Schulleitung eine Einladung für den Kongress der Gewerkschaft Younion aus. Weil ich große Illusionen in Gewerkschaften hatte, meldete ich mich sofort an und reiste am 25. April mit Zeitungen und Notizbuch aus meinem Kaff nach Wien. Am Kongress musste ich feststellen, dass dort keine motivierten Pflegeschüler vorzufinden waren; die Anwesenden wurden hergezwungen, da dieses Event in den Wiener Ausbildungsstätten als Pflichtschulzeit gewertet wurde. Von Sophie Schellenbacher
Jeder, inklusive Veranstalter, dem ich erzählte, ich wäre aus freien Stücken allein aus Niederösterreich angereist, behandelte mich, als wäre ich von allen guten Geistern verlassen. Als ich beim Check-in fragte, was zu zahlen wäre für die Selbstfinanzierung des Kongresses, wurde ich schief belächelt und mit einem Geschenkssackerl weitergeschickt. Nach einer kurzen Begrüßung wurden wir erst mit einem inhaltslosen Video und dann mit einer oberflächlichen Präsentation über die Motivationsgründe, Pfleger zu werden, beglückt. Dann kam ein spannender, aber völlig unpolitischer Vortrag von einem deutschen Professor, der im Endeffekt nicht mehr war als dreiste Werbung für Bücher, die er in der Pause verkaufte. Auch die darauffolgenden Präsentationen hatten diesen Charakter, was dazu führte, dass vereinzelte Gruppen einfach den Raum verließen.
In der Mittagspause habe ich mir die Infotische angeschaut, sie hatten nur Werbung für Versicherungen usw. zu bieten und selbst der Tisch der Gewerkschaft war statt mit politischem Programm mit Gutscheinen, Gewinnspielen und Geschenken gefüllt. Als ich fragte, warum ich Gewerkschaftsmitglied werden sollte, konnte man es mir kaum erklären, außer man bekomme halt Vorteile. Mit der Frage des geschlossenen Lorenz-Böhler-Spitals wurde ich auf einen bärtigen Mann verwiesen. Er war sichtlich irritiert und meinte alles sei geregelt; der Betrieb könne „normal“ mit Container Spital aufrechterhalten werden und die Angestellten wären anderswo hin verteilt.
Der Kongress gipfelte in einem Vortrag mit dem Titel „Stark für andere, Stark für dich: jetzt bist du dran“, worauf ich mich eigentlich besonders freute. Aber es war eine Präsentation mit einer Polizistin, einer Psychologin und einer Selbstbehauptungstrainerin die Atemübungen vormachte. Es war wie bei einer Selbsthilfegruppe, weshalb ich mittendrin schließlich gegangen bin.
Unpolitisches Werbe- und Gutscheinmaterial, sowie Atemübungs-Workshops werden keinen einzigen Arbeiter und Jugendlichen begeistern, der Gewerkschaft beizutreten und dort aktiv zu sein. Den ganzen Kongress über war deutlich spürbar, dass es die Gewerkschaftsführung auch nicht im Geringsten interessiert, die anwesenden Arbeiter und Jugendlichen für die Perspektive gemeinsamer solidarischer Kämpfe für echte Verbesserungen in der Pflege zu begeistern.
Dafür müssen sich die Gewerkschaften grundlegend verändern. Wir brauchen eine Gewerkschaftsführung, die die Arbeiterklasse organisiert und aktiviert. Wo über Gewerkschafts- und Kollektivvertragsgrenzen hinweg solidarisch gekämpft wird, und der Eigennutz verschiedener Cliquen von Bürokraten weg ist.
Das wird nicht von selbst kommen. Wir müssen dafür kämpfen, dass die Gewerkschaften wieder Kampfinstrumente der Arbeiterklasse werden.
(Funke Nr. 224/30.05.2024)