Francois Hollande, der neue Präsident Frankreichs, gilt für viele in der Sozialdemokratie als Hoffnungsträger für eine Ankehr vom Neoliberalismus. Eine erste Bilanz über seine Regierungspolitik zieht Greg Oxley aus Paris.
Seit dem Amtsantritt von François Hollande in Mai, ist die Zahl der Arbeitslosen jeden einzelnen Monat angestiegen. Mittlerweile überschreitet sie die 3 Millionen Grenze. Rechnet man nun die Anzahl der Beschäftigten hinzu, welche sich nur durch wenige Stunden Arbeit ihr Überleben sichern können und die als Arbeitssuchende registriert sind, so steigt die offizielle Zahl auf 4,5 Millionen. Geschätzte 1 Million weitere Menschen in Frankreich haben keine Arbeit, sind jedoch nicht registriert und haben auch somit kein Recht auf Arbeitslosengeld.
Die Chancen, dass dieser Trend in absehbarer Zeit aufhört, sind sehr gering. Citroën-PSA streicht 8000 Stellen. Air France plant ebenso den Abbau von 5000 Stellen. Alcatel-Lucent, Sanofi, SFR, Bouygues Telecom, Hewlett-Packard, Conforama, Doux, Groupama, Puma, Castorama, Novandie, Nouvelles Frontières… Die Liste der Konzerne die den Abbau von Arbeitsstellen ankündigen ist endlos. Allein in der Bauindustrie sollen 35,000 Stellen im Laufe des Jahres gestrichen werden.
Die Hollande-Regierung macht den Eindruck völliger Hilflosigkeit. Und in Wahrheit ist dies mehr als nur ein Eindruck. Hollande und seine Minister sind die freiwilligen Gefangenen des Kapitalismus in der Epoche des Niedergangs dieser Gesellschaftsform. Es stimmt, die Reichen werden immer reicher, für sie gibt es keine Krise! Aber ihr System wird nur noch auf Kosten des Restes der Gesellschaft überleben.
Während seiner Wahlkampagne behauptete Hollande, dass er die Situation der arbeitenden Bevölkerung verbessern könnte und gleichzeitig die Interessen der Kapitalisten verteidigen würde. Das ist eine Utopie- oder, um es deutlicher zu formulieren, nur ein weiteres Beispiel für das doppelte Spiel, das die Führer der Sozialistischen Partei versuchen zu spielen.
Den Kapitalisten der MEDEF (Arbeitgebervereinigung, Anm.) versprach Hollande die „Arbeitskosten“ zu reduzieren und Maßnahmen zu ergreifen, um den Profit zu steigern um ihre Geschäfte wettbewerbsfähiger zu machen. Das bedeutet, dass die Ausbeutungsrate so oder so steigt. Im Kapitalismus ist der Schlüssel zur Wettbewerbsfähigkeit die Maximierung der Produktivität, bei gleichzeitiger Minimierung der Löhne. Doch gleichzeitig verspricht er, den Lebensstandard der Arbeiter zu verteidigen. Damit verhält er sich in diesem Punkt genauso widersprüchlich wie im Bezug auf die Staatsausgaben. Feierlich erklärte er, die „Austerität“ abzulehnen, doch setzt sich dann für die Europäischen Abkommen ein, die gerade eben fordern, dass die öffentlichen Ausgaben dieses Jahr um weitere 10 Billionen Euro gekürzt werden, und das nach den bereits harten Einschnitten seines Amtsvorgängers Sarkozy.
Diese verlogene Heuchelei kann seine wahren Ziele betreffend etwas Verwirrung stiften, aber nicht für eine lange Zeit. Wir wissen, dass Arbeiter sehr geduldige Menschen sind, sogar wenn sie leiden müssen. Sie wollen denen glauben, die behaupten ihre Rechte zu verteidigen. Aber diese Geduld hat zwangsläufig Grenzen. Es gibt Zeichen dafür, dass sich die Dinge schon in diese Richtung bewegen. Und wenn die Grenzen erst erreicht sind, wird es eine umso heftigere Reaktion der sozialen Unzufriedenheit und Massenbewegungen der Französischen Arbeiterklasse geben.
Letzten Juli, als PSA (der größte Französischer Automobilkonzern, Anm.) die Schließung ihrer Fabrik in Aulnay-sous-Bois nördlich von Paris verkündete, erklärte Hollande, dies sei „inakzeptabel“. Doch nichtsdestotrotz akzeptierte er die Schließung und beschränkte seine Reaktion darauf, höflichst anzufragen ob die Besitzer der Fabrik die Anzahl der Arbeitsplätze, die sie zu vernichten gedenken, nicht verringern könnten. Zwei Tage später veröffentlichte die rechtsgerichtete Zeitung „Le Figaro“ freudig einen Artikel mit dem Titel: „Hollande erkennt seine Unfähigkeit an, die Schließung von Aulnay zu verhindern.“
Diese „Unfähigkeit“ ist ein Ergebnis der Weigerung, ernsthafte Maßnahmen gegen die Kapitalisten zu ergreifen. PSA sollte verstaatlicht und die Jobs damit gesichert werden. Viele Arbeiter der Fabrik haben ihr Schicksal schon akzeptiert. Doch alle ihnen müssen sich von der Regierung betrogen fühlen. Erfahrungen wie diese gehen nicht spurlos an den Arbeitern – ob innerhalb oder außerhalb der betroffenen Industrien – vorbei. Sie werden rechtzeitig die notwendigen Schlussfolgerungen ziehen.
In Bezug auf das Bildungssystem versprach Hollande, in den 5 Jahren seiner Amtszeit 60.000 Arbeitsplätze in Schulen zu schaffen. Doch bislang schuf er nur 1000 Stellen – was einen Nettoverlust von 13.000 bedeutet, da Sarkozy für dieses Jahr bereits 14.000 Jobs gestrichen hatte, bevor er sein Amt verlor.
Es ist wenig überraschend, dass die Unterstützung für Hollande laut Meinungsumfragen rapide abnimmt.
Am 9. September trat er im Fernsehen auf, um seine angeknacksten Umfragewerte zu verbessern. Er sagte, er würde erwarten, dass die Wirtschaft sich „nächstes Jahr“ von der gegenwärtigen Krise erholt. Das ist, gelinde gesagt, eine gewagte Behauptung. Spanien, Italien, Großbritannien, Griechenland und andere Länder stecken tief in der Rezession. Die deutsche Wirtschaft bewegt sich in die selbe Richtung. Frankreichs Bruttoinlandsprodukt „wächst“ dieses Jahr um 0%. Die Nachfrage für industrielle Güter ist stark zurückgegangen. Der Kern der französischen Wirtschaft, die Industrie, macht nicht mehr als 12% des BIP aus, im Vergleich zu den 22% von Deutschland. Die Handelsbilanz von 2011 war negativ, um sage und schreibe 75 Milliarden Euro. Kürzungen der öffentlichen Ausgaben, wachsende Arbeitslosigkeit, die Einschränkung des Kredits, fallende Investitionen und Privatkonsum bedeuten, dass der Markt schrumpft, sowohl in Frankreich als auch im Rest von Europa. Und die Auswirkungen der Situation in Spanien und Italien werden in Frankreich erst in der Zukunft in vollem Umfang spürbar werden.
Woher wird also das Wachstum „nächstes Jahr“ kommen? Offenbar ist Hollandes „Optimismus“ nicht mehr, als ein Mittel um Zeit zu gewinnen. Die Wahrheit ist, dass er nicht den Hauch einer Ahnung hat, wie er die Probleme angehen soll, für die er im Zuge seiner Wahlkampagne eine Lösung versprochen hat.
Die steigende Intensität der sozialen Auseinandersetzungen in Griechenland und Spanien wird nicht auf diese beiden Länder beschränkt bleiben. Vielmehr werden sie in der nächsten Periode auf Frankreich übergreifen. Weder die Kapitalisten noch ihre „moderateren“ Steigbügelhalter, die viele Führungspositionen in der Arbeiterbewegung besetzen, können einen Weg aus der Krise anbieten. In dem Maße aber, wie die Gesellschaft weiter und weiter zurückgeworfen und die früheren Errungenschaften der Arbeiterbewegung mehr und mehr zerstört werden, so werden auch neue revolutionäre Bewegungen vorbereitet. Anstatt sich bloß auf Abwehrkämpfe gegen die unmittelbarsten Auswirkungen des System zu beschränken, wird die arbeitende Bevölkerung sehr bald den Schluss ziehen das System selbst anzugreifen. Die Massenversammlungen während der Wahlkampagne rund um den Kandidaten der Front de Gauche (Linksfront, Anm.), Jean-Luc Mélenchon, von denen einige mehr als 100.000 Menschen anzogen, waren ein Indiz für die Radikalisierung der fortgeschritteneren Teile der Arbeiterbewegung. In der nächsten Periode werden ähnliche Prozesse in der gesamten Arbeiterbewegung stattfinden. Wenn das passiert, können revolutionäre Ideen eine Massenbasis in Frankreich finden, so wie sie es in der Vergangenheit getan haben. Doch diesmal wird dies in einem nie dagewesenen Ausmaß geschehen, und der Sozialismus wird nicht mehr nur eine Idee oder ein Programm sein, sondern zu einer Massenbewegung werden, die die Welt verändern wird.