Der Krieg im Gazastreifen ist ein grausames Blutbad an den Palästinensern, für das auch nach zwei Monaten kein Ende in Sicht ist. Florian Keller stellt die Frage: Was ist der Weg vorwärts?
Nach zwei Monaten Luftangriffen und einer wochenlangen Bodenoffensive der israelischen Armee meldete das Gesundheitsministerium im Gazastreifen fast 16.000 Tote, darunter fast 6.000 Kinder. Tausende weitere Menschen werden unter den Trümmern vermisst. Das ist ein in Zahlen gegossener Beweis eines Massenmordes.
Die Reaktion der bürgerlichen Medien und Politik hierzulande ist pure Heuchelei und zeigt deutlich die Position des westlichen Imperialismus auf, der die Verbrechen des israelischen Staatsapparates systematisch deckt und unterstützt, nachdem jahrzehntelang die Unterdrückung der Palästinenser totgeschwiegen wurde. So veröffentlichen „der Standard“ und Co. die Zahlen der Toten im Gazastreifen auch nur mit dem Zusatz, dass sie mit Vorsicht zu genießen seien, weil sie von der Hamas herausgegeben würden. Doch um das Ausmaß der Brutalität zu verstehen, reicht schon ein Blick auf die Quellen, die für diese Damen und Herren Journalisten „vertrauenswürdiger“ sein dürften.
So meldete Anfang Dezember die israelische Armee selbst, dass sie bisher mehr als 10.000 Luftangriffe auf den Gazastreifen geflogen hat: auf einen Streifen Land, der kleiner ist als das Stadtgebiet von Wien und mit 2,2 Mio. Einwohnern auch dichter besiedelt. Seit Beginn des Krieges haben die USA 15.000 zusätzliche Bomben an Israel geliefert, darunter über 5.400 Bomben des Typs Mark 84 mit fast einer Tonne Gewicht; außerdem 57.000 Artilleriegranaten. Übrigens: Laut eigener Aussage hat die israelische Armee vor Angriffen bisher ca. 25.000 Telefongespräche zur Warnung von Zivilisten geführt – d.h. selbst, wenn man dieser Zahl Glauben schenkt und nur Luftangriffe zählt, heißt das durchschnittlich zweieinhalb „gewarnte“ Personen für Angriffe, die oft ganze Häuserblocks in Schutt und Asche legen!
In diesem Krieg werden auch in größerem Ausmaß als jemals zuvor gezielt sogenannte „power targets“ bombardiert – öffentliche Gebäude, Infrastruktur und Hochhäuser, deren Zerstörung das Funktionieren der Gesellschaft beeinträchtigen sollen. Das israelische +972 Magazin berichtete über die Zielauswahl für Angriffe, dass diese teilweise auf Basis der ungenauen Ortung über Mobiltelefone funktioniert und einfach das gesamte Gebiet bombardiert wird, um Zeit zu sparen. Anonyme Quellen bestätigten dem Magazin außerdem, dass vom israelischen Armeegeheimdienst in zumindest einem Fall der Tod von hunderten Zivilisten genehmigt wurde, um einen einzelnen Hamas-Kommandanten zu töten. Das alles bedeutet, dass bisher mehr als 300 Familien den Verlust von 10 oder mehr (!) Familienmitgliedern zu beklagen haben – diese Zahl ist 15-mal höher bei den bisher schwersten Angriffen Israels 2014.
Gleichzeitig ist kein Ende für das Blutvergießen in Sicht. Nach den Angriffen am 7. Oktober erklärte die israelische Regierung, das Ziel sei die „Zerstörung der Hamas“. Doch dieses Ziel ist selbst für den Gazastreifen unmöglich zu erreichen, ohne die Palästinenser vollständig zu vertreiben. Diese Option wird zumindest von einem Teil der herrschenden Klasse und der zionistischen Rechten in Israel auch angestrebt. Sie verfolgen schon lange offen das Ziel einer „zweiten Nakba“, d. h. einer erneuten, Massenvertreibung von Hundertausenden Palästinensern, wie sie zur israelischen Staatsgründung stattgefunden hat. Doch selbst eine „unmittelbare“ Schwächung der Hamas hieße, dass die israelische Armee den ganzen Gazastreifen erobern und ein brutales Besatzungsregime über 2,2 Mio. Palästinenser errichten müsste.
Der Krieg ist anders als in der Vergangenheit: Für die israelische herrschende Klasse und die politische Spitze (insbesondere Netanjahu selbst) steht viel auf dem Spiel, nachdem immer mehr Details bekannt werden, dass die Hamas vom israelischen Staatsapparat in der Vergangenheit nicht nur geduldet, sondern sogar unterstützt wurde und verschiedenste Warnungen vor einem kommenden Angriff ignoriert wurden. Die israelische Gesellschaft selbst ist von massiven Widersprüchen durchzogen. So führte der Waffenstillstand Ende November auch nicht zu einer dauerhaften Waffenruhe, wie das bei früheren Kriegen im Gazastreifen der Fall war. Im Gegenteil: Die israelische Armee ließ am Ende des einwöchigen Waffenstillstandes Ende November verlautbaren, dass nach der Vertreibung von über einer Million Palästinenser aus dem Norden des Gazastreifens jetzt auch eine „Evakuierung“ aus großen Teilen des Südens stattfinden soll und die israelische Armee hat angekündigt, die Stadt Chan Yunis zu umzingeln. So müssen weiterhin tausende Palästinenser für die Stabilität des Kapitalismus in Israel sterben.
Der westliche Imperialismus ist dabei die wichtigste Stütze, die die Fortsetzung des Massenmords ermöglicht. Doch die intelligenteren und weitblickenderen Teile der herrschenden Klasse und der westlichen Politik (und dazu gehört sicherlich nicht die österreichische Bundesregierung) haben Angst davor, dass die Verbrechen der israelischen Armee eine neue Intifada (Massenaufstand) der Palästinenser und einen zweiten arabischen Frühling provozieren könnten. Auch in vielen westlichen Ländern hat es Massendemonstrationen gegeben, oft die größten seit Jahren oder Jahrzehnten. Daher mahnen immer mehr von ihnen (etwa Biden, Macron etc.) öffentlich zur „Zurückhaltung“ oder fordern sogar eine Waffenruhe, ohne aber materiell die Unterstützung von Israel auch nur einen Millimeter zurückzufahren.
Die internationale Solidarität der Arbeiterklasse mit den unterdrückten Palästinensern und die klare Positionierung gegen den imperialistischen Krieg (und damit gegen die Interessen der eigenen Kapitalisten!) ist daher der einzige Weg vorwärts. Die belgischen Transportarbeitergewerkschaften ACV Puls, BTB, BBTK und ACV-Transcom machten Anfang November den Anfang, indem sie in einer gemeinsamen Erklärung festhielten, dass ihre Mitglieder keine für Israel bestimmten Militärlieferungen mehr bearbeiten würden. Die Hafenarbeitergewerkschaft in der katalonischen Hauptstadt Barcelona (Spanien) ging daraufhin sogar noch einen Schritt weiter: Sie erklärte, dass gar keine Militärlieferungen mehr bearbeitet werden würden, solange der Krieg weiter andauert.
Der Kapitalismus steckt weltweit in einer Sackgasse – der Krieg in Gaza ist letztendlich nur ein Symptom dieser tiefen Krise eines Systems, das keinen Weg mehr nach vorne für die Menschheit bietet. Besatzung, imperialistischer Krieg und Ausbeutung können nur beendet werden, indem das Problem an der Wurzel bekämpft wird: Durch eine Intifada, eine Revolution der Arbeiterklasse und Jugend, die eine sozialistische Föderation des Nahen Ostens in einer sozialistischen Welt erkämpft!
(Funke Nr. 219/06.12.2023)