Alle Bereiche des menschlichen Daseins sollen der Profitlogik unterworfen werden. Dieser Trend geht auch am Gesundheitssystem nicht vorbei. Wir veröffentlichen eine Broschüre aus dem Jahr 2004.
Vorwort – Ohne uns geht nichts!
Alle Bereiche des menschlichen Daseins sollen der Profitlogik unterworfen werden. Dieser Trend geht auch am Gesundheitssystem nicht vorbei. Immerhin wurden in diesem Bereich allein in Österreich im Jahr 2002 laut Statistik Austria 16,8 Milliarden Euro umgesetzt. Sowohl die Träger der Gesundheitsfürsorge (Spitäler, Ambulanzen,..) als auch die medizinischen Dienstleitungen wurden bisher zum überwiegenden Teil aus öffentlichen Mitteln bzw. aus der solidarischen Sozialversicherung finanziert.
Private Investoren und ihre Vollstrecker in Regierung und Ministerien sehen in diesem Bereich nun die Möglichkeit gewinnbringend zu investieren. Etwa durch die Übernahme des Managements von Krankenhäusern durch private Geldgeber. Dabei soll nach der Maxime „Kostenbewusstsein (geringer Personalaufwand, geringe Verweildauer)“ vorgegangen werden. Um dies zu erreichen, wird ein „gesundheitspolitischer Paradigmawechsel“ gefordert, etwa, dass die „geschützte Werkstätte“ aufgelöst und durch „Cooptition und andere Formen des Wettbewerbs“ ersetzt wird. Die „Verantwortungsgesellschaft“ soll sich in eine „Anspruchsgesellschaft“ wandeln, so die Vorstellungen der Wirtschaftskammer.
Kaum verhüllt wird hier deutlich, dass die kommenden Gesundheitsreformen auf Kosten der Beschäftigten und der PatientInnen gehen sollen: private Betreiber für private Versicherte, die Verluste werden dabei weiter der Öffentlichkeit zufallen, die schlechteren Arbeitsbedingungen werden die Beschäftigten zu tragen haben.
Die vorliegende Broschüre zeigt auf, dass es auch anders geht, und liefert Beispiele wie KollegInnen international als auch in Österreich erfolgreich gegen Verschlechterungen in ihrem Bereich gekämpft haben. Den „Wir müssen sparen“-Papageien wollen wir eine kämpferische Alternative entgegensetzen.
Nicht zuletzt wollen wir den exemplarischen Kampf der Linzer KrankenpflegeschülerInnen vorstellen, die begonnen haben, sich in einem Aktionskomitee selbst zu organisieren. Ihnen ist es zu verdanken, dass wir uns so intensiv mit diesem Thema auseinandersetzen. Ihr Kampf gegen die Streichung ihrer Freifahrt im Herbst 2003 zeigt, dass solidarischer und konsequenter Widerstand Erfolg haben kann, und das wünschen wir ihnen auch in der aktuellen Auseinandersetzung um eine existenzsichernde Entlohnung!
Als MarxistInnen sehen wir unsere Rolle darin diesen Kampf aktiv zu unterstützen, zu vernetzen, überregional bekannt zu machen und mit einer sozialistischen Perspektive zu verbinden.
Wien und Linz, am 14.6.2004
Gesundheitsreform 2004 –
Rationalisierung und Entsolidarisierung
Nach den Reformen des Pensionssystems und der ÖBB ist die Gesundheitsreform das nächste große Projekt der Bürgerblockregierung. Ob damit auch wieder weitere gewerkschaftliche Auseinandersetzungen bevorstehen, ist ungewiss. Das Zurückdrängen der staatlichen Krankenversicherung, aber auch immer weiterreichendere Umstrukturierungen im stationären Sektor sind die zentralen Bestandteile dieser „Reform“. Doch sie ist nur ein weiterer negativer Höhepunkt einer bereits seit Jahren andauernden, immer beschleunigteren Demontage unseres Gesundheitssystems.
Gesundheitsreform…
Wohl als Versuch, dem Ganzen zumindest einen sozialpartnerpartnerschaftlichen Anstrich zu verleihen, fanden im Herbst 2003 die ersten „Runden Tische“ zum Thema Gesundheitsreform statt. Zwar verkündete Staatssekretärin Rauch-Kallat prompt danach erste Ergebnisse, nämlich die Abschaffung der Chefarztpflicht, sowie die Verbilligung von Selbstbehalten auf Generika, was aber ebenso prompt seitens der Krankenkassen bzw. der Pharmaindustrie wieder dementiert wurde.
So bleibt uns auch zu Beginn dieses Jahres ein weites Feld an Spekulationen erhalten, in welchem Ausmaß die Zerschlagung des weitgehend solidarisch funktionierenden Gesundheitssystems zugunsten eines vermehrt nach marktwirtschaftlichen Kriterien geführtes Systems geplant ist. Die Bandbreite reicht von der Einführung von Selbstbehalten bei jedem Arztbesuch bis hin zur Abschaffung der Pflichtversicherung zugunsten der privaten Versicherungspflicht.
Gesundheit ist vor allem mit dem sozialen Dasein eines Menschen, seiner sozialen Herkunft, Zugang zu Bildung und Einkommen sowie seines Geschlechts verbunden. Selbst ein hervorragendes Gesundheitssystem ist (nach WHO-Schätzungen) höchstens zu einem Viertel, die individuelle Lebensführung in diesem Zusammenhang überhaupt nur marginal daran beteiligt. Entscheidenden Anteil an Krankheit haben also schlechte Lebens- und Arbeitsbedingungen. Auf diesem Konsens basiert neben dem Solidarprinzip – alle geben nach ihrer Leistungfähigkeit und bekommen nach ihrem Bedarf – die zweite Säule der staatlichen Pflichtversicherung, der Parität der Krankenkassenbeiträge zwischen Kapital und ArbeiterInnenklasse, welche nun im Zuge der sich verschärfenden Krise und der neoliberalen Antwort zunehmend in Frage gestellt wird. Auf ideologischer Ebene wird Gesundheit immer mehr zu einer Sache der persönlichen Verantwortung gemacht, auf ökonomischer Ebene wird das altbekannte Lied der Standortsicherung im Sinne einer notwendigen Senkung der Lohnnebenkosten angestimmt. Mit diesem Argument wird seit Jahren an der Deckelung der Beiträge festgehalten und eine Beitragserhöhung rigoros abgelehnt. Dabei ist allein aufgrund der sinkenden Lohnquote das Prinzip der Parität schon reichlich durchlöchert, machen die Kosten der Krankenversicherung für Unternehmen im Schnitt nicht mehr als ein Prozent aus, sinken die Lohnnebenkosten seit zwei Jahrzehnten ohnehin kontinuierlich. Ziel auf Unternehmerseite, allen voran natürlich der boomenden Privatversicherungswirtschaft und der privaten Gesundheitsindustrie ist es, vergleichbar mit der Pensionsreform, nur noch eine rudimentäre staatliche Basisversorgung zu gewährleisten und darüber hinaus mit privaten Versicherungsleistungen neue Märkte zu erobern. Nach der Crashlandung der IT- Industrie gilt der private Gesundheitsmarkt als der Hoffnungsträger für einen wirtschaftlichen Aufschwung. Bislang macht sich der Erfolg eher bescheiden, doch unübersehbar bemerkbar: Betrug das Verhältnis der öffentlichen zu privaten Gesundheitsausgaben 1983 noch 76% : 24%, so verschob es sich bis 2003 immerhin auf 70% : 30%.
Dennoch ist vor allem auf Grund der mangelnden gesellschaftlichen Akzeptanz der Weg von staatlicher Pflichtversicherung zur privaten Versicherungspflicht noch lang. Die derzeitige Strategie der Abwälzung der Kosten auf die Sozialversicherten ist, wie wir alle am eigenen Leib erfahren können, das Instrument der Selbstbehalte: Brillen, Heilbehelfe, Kurkosten, Zahnersatz, Krankenscheingebühr, Rezeptgebühr, Tagsatz bei Krankenhausaufenthalten, ….der Dschungel aus individuell zu finanzierenden Gesundheitskosten ist unübersehbar und wird ständig dichter: 2003 betrug der Anteil der Selbstbehalte der privaten Haushalte fünf Milliarden Euro, die bereits heute 40% der betroffenen Aufwendungen des gesetzlichen Leistungskatalogs ausmachen!
Neben dem Mythos von der individuellen Verantwortung für die eigene Gesundheit soll das Märchen von der Kostenexplosion im öffentlichen Gesundheitswesen fest in unser Bewusstsein eingeprägt werden. Dramatisch nach oben weisende Kurven von der Ausgabenentwicklung, die jede Grafik zu sprengen drohen, sollen unsere Einwilligung zu einem unsozialen Sparkurs sicherstellen. Tatsächlich sind, unter Berücksichtigung der Inflations- und Produktivitätsentwicklung, die öffentlichen Gesundheitsausgaben im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt seit nahezu 25 Jahren mit ca. 8% konstant. Das Problem der Finanzierung besteht vielmehr darin, dass den Krankenkassen zunehmend die Einnahmensbasis entzogen wird. Steigende Arbeitslosigkeit, Zunahme der prekären Arbeitsverhältnisse, sinkende Lohnquote, aber auch der Abzug von Mitteln aus der Arbeitslosenversicherung lassen eine dramatische Finanznot der Krankenkassen vorprogrammiert erscheinen. Seit Jahren in den roten Zahlen, werden aus den Rücklagen einzelner Bereiche Darlehen gewährt, von denen heute keiner weiß, in welcher Form die Rückzahlung erfolgen wird.
Neben dem Zurückdrängen der staatlichen Krankenversicherung sind massive Umstrukturierungen und Rationalisierungen im Krankenhausbereich das zweite Standbein neoliberaler Kostendämpfungsstrategie.
Umstrukturierungen der öffentlichen Krankenhäuser
Krankenhäuser als Kernbereich öffentlicher Gesundheitsversorgung werden zunehmend als gleichsam privatwirtschaftliche Unternehmen geführt, sowohl, was die Leistungserbringung als auch die Arbeitsorganisation betrifft. Im Folgenden wird vor allem auf Beispiele aus den Wiener Spitälern Bezug genommen, da sich aufgrund der Länderautonomie die Situation doch recht unterschiedlich darstellt.
Bereits im Vorfeld einer großen Umstrukturierung wurden in Wien fünf Krankenhäuser gesperrt, um zu einem Bruchteil ihrer ursprünglichen Größe in größere Krankenhäuser integriert zu werden. Auf diese Weise wurden bereits hunderte Akutbetten eingespart. Weitere Schließungen in den nächsten Jahren sind bereits beschlossene Sache.
2002 wurden die Wiener Gemeindespitäler aus dem ordentlichen Budget ausgegliedert und seither im Rahmen des Krankenanstaltenverbundes (KAV) als eigenständiges Unternehmen geführt. Der KAV, mit 32.000 Beschäftigten eines der größten Gesundheitseinrichtungen Europas, ist in drei Teilbereiche gegliedert – Krankenhäuser und Pflegeheime ,AKH sowie den Serviceeinrichtungen. Es fand hier also eine Spaltung in einen medizinischen Bereich, der derzeit wegen der mangelnden politischen Akzeptanz von Privatisierung gering betroffen ist (doch sollten die Begehrlichkeiten des GATS nicht außer Acht gelassen werden) und einen Servicebereich statt, der ein weites Feld an Privatisierungsmöglichkeiten bietet.
Seit Bestehen des KAV werden die einzelnen Krankenhäuser und Pflegeheime zunehmend, z. B. durch die Vorgabe bestimmter Einsparungsziele, gegeneinander in ein Konkurrenzverhältnis gebracht. Dem AKH steht voraussichtlich heuer in seiner Funktion als Universitätsklinik ein weiterer Privatisierungsschritt bevor. Private Geldgeber sollen zur Finanzierung des Forschungsauftrags herangezogen werden.
Ferner bringen Privatisierung und Umstrukturierung folgende Maßnahmen mit sich.
• Auslagerung profitbringender Bereiche (Outsourcing); Mit dem Argument der Kostenreduktion werden immer mehr Serviceleistungen an Private vergeben. So sind bereits seit Jahren Reinigung und Wäscheservice privatisiert. Weitere Bereiche wie Küche, Labordienste, Apotheke, Logistik oder Rechnungswesen sind auf dem besten Weg dazu.
• Einführung der Leistungsorientierten Krankenhausfinanzierung (LKF); seit 1997 gilt österreichweit im stationären Bereich die LKF. Das heißt, für die Behandlung einer bestimmten Diagnose gibt es entsprechend ihrer Punktezahl, die sich aus notwendigen Arbeitsminuten, Medikamenten, durchschnittlicher Aufenthaltsdauer u. v. m. zusammensetzt, eine bestimmte Summe Geld. Mit diesem System wird einem marktorientiertem Umgang mit Krankheit Tür und Tor geöffnet.
Tatsächlich ist bei ungefähr gleichbleibendem Personalstand die durchschnittliche Verweildauer zwischen 1998 und 2002 von 8,6 auf 7,5 Pflegetage bei gleichzeitigem Anstieg der Zahl der Aufnahmen von 370.000 auf über 400.000 gesunken, was nichts anderes als eine deutliche Arbeitsintensivierung für Krankenhausbeschäftigte bedeutet.
Der Mangel an Personal ist seit Jahrzehnten untrennbar mit dem Arbeitsalltag v. a. des Pflegepersonals verbunden. Relativ neu, aber immer verbreiteter ist die Strategie, in sensiblen Bereichen wie Intensivstationen auch in öffentlichen Spitälern private Pflegeleistungen dazuzukaufen. Österreichweit gibt es bereits 5000(!) Pflegepersonen, die über Poolfirmen ihre Arbeitskraft verkaufen. Der Rest ist alt und wohlbekannt: massive Überstundenbelastung, der Kampf um das Sperren systemisierter Betten, die Akzeptanz suboptimaler Pflege, die Flucht aus dem Beruf, das Erfinden einer neuen Zulage, das Werben um KollegInnen aus dem Ausland – ohne Rücksicht auf das dortige Gesundheitswesen (z. B. 70 % des philippinischen Diplompersonals arbeitet im Ausland !).
Auf gewerkschaftlicher Seite herrscht, vorsichtig ausgedrückt, große Ratlosigkeit.
Die Pläne des ÖGB
In der Frage der Gesundheitsreform lassen sich sicherlich Rückschlüsse aus dem Vorgehen bei der Pensionsreform ziehen. Zentrales Moment für die Mobilisierung war die Tatsache, dass die ÖGB – Führung von den Verhandlungen ausgeschlossen war. Es galt, Stärke zu demonstrieren, um an den Verhandlungstisch zurück zu dürfen. Die Inhalte selbst waren, von einigen kosmetischen Korrekturen abgesehen, zweitrangig.
Bei der Gesundheitsreform hat es nun den Anschein, dass den Spitzengewerkschaftern ein paar Sesseln am runden Tisch reserviert sind. Angesichts des bewiesenen „Reformwillens“ bei ÖBB und Pensionen ist also zu befürchten, dass es zu überhaupt keiner größeren Mobilisierung gegen eine weitere Demontage des Gesundheitswesen kommen wird.
In den Krankenhäusern selbst hat sich angesichts der verschlechternden Arbeitsbedingungen vielerorts Resignation breitgemacht. Der Handlungsspielraum engagierter KollegInnen und PersonalvertreterInnen ist gegen Null gesunken – doch sind die Themen brisanter denn je.
Das Spitalspersonal hat in den letzten Jahrzehnten europaweit zu Hunderttausenden bewiesen, dass es kämpfen kann. Vielleicht ist es in Österreich das Vorbild der Eisenbahner, das die Friedhofruhe in den Spitälern beendet und eine neue Runde im Kampf um bessere Arbeitsbedingungen und ein solidarisches Gesundheitssystem eingeläutet wird.
Anna Leder, FSG-Zorn
Streiks im Gesundheitswesen
Ende der 80er Jahre kam es in Westeuropa zu einer Kettenreaktion von Arbeitskämpfen im Gesundheitswesen: es begann mit einem Streik der britischen Krankenhausbeschäftigten Anfang 88; es folgten im September die Koordination des französischen Krankenpflegepersonal. Im Jänner 89 kam es zu Streiks in belgischen Krankenhäusern; in den Niederlande waren es zuerst die Ärzte, dann das Pflegepersonal, das in Streik trat, zu Beginn 89 gab es in Italien gewerkschaftlich organisierte Streiks, im Mai 89 nahmen in Deutschland bis zu 50000 GesundheitsarbeiterInnen an Warnstreiks teil. Auch in Österreich kam es in diesem Zeitraum zu einem beachtlichen Arbeitskampf des Pflegepersonals.
Vor allem die Koordination der französischen KrankenhausarbeiterInnen gilt bis heute als Vorbild für einen groß(artig)en, außerordentlich demokratisch geführten Arbeitskampf.
Es begann im März 88, das britische Krankenpflegepersonal streikt zu dieser Zeit gegen Lohnverluste und für mehr professionelle Verantwortlichkeit, als in Paris eine Demonstration mit dem Ziel, ein Dekret, das die Zugangsbestimmungen zur Krankenpflegeausbildung nach unten nivelliert, zu kippen. 3000 Pflegepersonen demonstrieren, das Dekret wird zurückgenommen. Doch für fünf (!) der Teilnehmerinnen, GewerkschaftsaktivistInnen aber auch `Basispersonen`, ist dies nicht genug. Die jahrzehntelang aufgestaute Unzufriedenheit in diesem Beruf, die geringe gesellschaftliche Anerkennung gepaart mit niedrigen Gehältern und erschöpfenden Arbeitsbedingungen sind für sie der Grund, `weitermachen` zu wollen. Sie schreiben ein erstes Flugblatt und verschicken es an 60 KollegInnen, ebenfalls Teilnehmerinnen der Demonstration. Ziel der soeben entstandenen Koordination ist es, bis November landesweit bekannt und anerkannt zu sein. Trotz des ausdrücklichen Versuchs, Unterstützung von Gewerkschaftsseite zu erlangen, ist diese vorerst gleich null.
Im April gibt es eine erste Vollversammlung. 80 Anwesende vertreten 22 Häuser der Pariser Region. Es entstehen Ausschüsse zu Lohnfragen, zu Arbeitsbedingungen und zur Ausbildung. Bei der nächsten Vollversammlung im Juni wird ein Forderungsprogramm beschlossen, in dessen Mittelpunkt die Forderung nach 2000 Francs Lohnerhöhung für alle steht. Ein Streikbeschluss für den 29.September wird gefasst. Der Streikaufruf verbreitet sich in den nächsten Monaten, teils auf offiziell gewerkschaftlichen, aber großteils auf informellen `Koordinationskanälen´ in ganz Frankreich. Eine Petition zu den Forderungen erreicht bis Ende August 50.000 Unterschriften. Im September sind bereits 500 KrankenhausarbeiterInnen bei der Vollversammlung anwesend.
Am 29. September ist es soweit: das Krankenpflegepersonal tritt landesweit in Streik. Zu diesem Zeitpunkt sind 90% von ihnen in der Koordination organisiert. In Paris gehen 20.000 Pflegepersonen auf die Straße, auch in vielen Provinzstädten finden Demonstrationen statt. Erst jetzt beginnen die CFDT (damals sozialdemokratisch), die CFTC (christlich-sozial) und FO (besonders wirtschaftsfreundlich ), sich halbherzig der Bewegung anzuschließen, werden jedoch jeweils an das Ende des Demonstrationszuges verwiesen. Bei der am Abend stattfindenden Vollversammlung nehmen bereits 2000 Menschen teil. Der sozialdemokratische Minister Evin, der nur mit den Gewerkschaften verhandeln will, sieht sich nun gezwungen, auch die Koordination in die Verhandlungen einzubinden.
Ab diesem Zeitpunkt beginnt sich die Bewegung, die frau bis dahin wegen der ausschließlichen Konzentration auf das Diplompersonal durchaus als berufständisch bezeichnen kann, zu verbreitern. Pflegehelferinnen, therapeutisches Personal, aber auch das Reinigungspersonal beginnt sich in der Koordination zu organisieren.
Am 8.10 findet die erste nationale Vollversammlung mit nahezu 900 Delegierten (jedes Krankenhaus wählt drei Delegierte) aus 48 Städten statt. Angesichts der inakzeptablen Angebote Evins wird am 10. Oktober der Streik wieder aufgenommen, die Bewegung steuert ihrem Höhepunkt zu: Am 13.10. ziehen bei einer neuerlichen Demonstration 100.000 (in Worten: hunderttausend ) KrankenhausarbeiterInnen durch Paris! Bei einer gewerkschaftlichen Gegendemonstration(!) nehmen gerade einmal 15.000 Personen teil. An diesem Abend finden weitere Verhandlungen statt. Der später unterzeichnete Tarifvertrag liegt hier erstmals vor. Noch zögern die Gewerkschaftsführer, im Hinblick auf die entschlossene Basis, zu unterschreiben. Bei der nächsten nationalen Koordination werden die Angebote Evins einstimmig abgelehnt und eine Weiterführung des Streiks beschlossen. Die Streikbewegung ist jedoch an einem Wendepunkt angelangt. Während in Paris und einigen anderen Städten weitergestreikt wird, bröckelt in weiten Landesteilen die Streikfront. Am 22.10., bei einer weiteren Demonstration mit 30-40.000 TeilnehmerInnen, wird an die Gewerkschaftsführungen appelliert, den Tarifvertrag nicht zu unterzeichnen, diese (außer der CGT) unterzeichnen jedoch bereits zwei Tage später den Pakt mit Evin. Es bleiben 500 Francs Lohnerhöhung, Schaffung neuer Dienstposten und die 50%ige Bezahlung der Streiktage. Noch immer kämpft ein großer Teil der Streikenden weiter. Beim Versuch, im Rahmen eines Gipfeltreffens zu Präsident Mitterand (SP) vorzudringen, werden sie mit Tränengas auseinandergetrieben. Ein weiterer 24-stündiger Streik und eine weitere Demonstration mit 30.000 auf der Straße können das Ende nicht mehr aufhalten: am 5. November wird bei einer nationalen Koordination der Streikabbruch beschlossen. Aller Beschlüsse zum Trotz, den Streik in absehbarer Zeit wieder aufzunehmen, war damit das Aus für die Koordination besiegelt.
Die Bewegung bestach zunächst durch ihren massenhaften und repräsentativen Charakter. Während nur 5% des Spitalspersonals gewerkschaftlich organisiert waren, schaffte es die Koordination, 90% hinter sich zu vereinigen. Die Erklärung für diese nahezu unvorstellbare Geschlossenheit liegt in der demokratischen Funktionsweise der Bewegung. Sie gab den Beteiligten das Gefühl, dass dieser Kampf wirklich der ihre war. Das Muster der Koordination, anfangs auf das Pflegepersonal beschränkt, war ein Modell, das andere Berufsgruppen mit ihren eigenen Forderungen sehr schnell auf sich anwenden konnten. Es gab lokale, regionale und bald auch nationale Koordinationen, die sich auf in Belegschaftsversammlungen gewählte VertreterInnen stützen, die jederzeit abgewählt werden konnten. Jeder Streikbeschluss, jeder Verhandlungsvorschlag wurde in den Häusern zur Abstimmung gebracht. Diese Organisationsweise zeigte den Willen, permanent die Kontrolle über den Kampf zu bewahren und das Bemühen, eine größtmögliche Anzahl von Betroffenen einzubeziehen.
Es war aber auch ein Kampf, der im speziellen die Handschrift von Frauen trug. Das Pflegepersonal, zu 90% weiblich, hat mit dieser Organisationsweise ein Gegenmodell zum streng hierarchischen, auf geschlechtlicher Arbeitsteilung (männliche Medizin v. weibliche Pflege) beruhenden Arbeitsalltag geschaffen. Aber auch die männerbündlerischen Strukturen der Gewerkschaftsapparate wurden auf den Kopf gestellt. Eine Quotenregelung mit maximal 25% Männeranteil in allen Foren wurde innerhalb der ersten Wochen beschlossen. Tausende Frauen hatten in diesem Rahmen die Möglichkeit, das Wort zu ergreifen, sich einzubringen und eine´ Lehrzeit des Kampfes´ zu absolvieren. Enorm diszipliniert ablaufende Versammlungen, gut vorbereitet, pünktlich begonnen und meist am frühen Nachmittag angesetzt, bot auch für dreifach belastete Frauen eine realistische Teilnahmemöglichkeit. Die Lebendigkeit dieses Kampfes ließ jeden von der Gewerkschaftsführung ausgerufenen Aktionstag alt aussehen.
Innerhalb der Bewegung gab es viele gewerkschaftlich aktive KollegInnen verschiedener Fraktionen. Ihre Erfahrung und ihr Wissen trug wesentlich zum Erfolg des Arbeitskampfes bei. Doch ihre Führungen waren zu keinem Zeitpunkt bereit, die Koordination ernsthaft zu unterstützen. Viel zu radikal und bedrohlich war diese Bewegung, die sich weder Inhalte noch Formen des Kampfes von oben diktieren ließ. Solange die Regierung die Gewerkschaftsführungen als Hauptverhandlungspartner anerkannte, sahen sie ihre Legitimität nicht bedroht. Nach Streikende kam es sogar vor allem in der damals sozialdemokratischen CGFT zu massenhaften Ausschlüssen von in der Koodination engagierten Kolleginnen !
Zur Radikalisierung des Kampfes trug auch das Verhalten der Regierung bei. Anfangs signalisierte sie noch `schulterklopfend´ Verständnis für die Forderungen, um konkret gleichzeitig lächerliche Angebote zu machen. Premierminister Rocard (SP) verstieg sich sogar dazu, die Beschlüsse der Koordination als `hysterisch´ abzustempeln. Das kam nicht gut an bei einer Berufsgruppe, die um Würde kämpfte und von der Legitimität ihrer Forderungen überzeugt war. Letztendlich war das Ergebnis dann doch ein mieser Kompromiss, der in keinem Verhältnis zur Breite dieser Bewegung stand.
Auch in Österreich, v. a. in den Wiener Gemeindespitälern, gab es ungefähr im gleichen Zeitraum eine Bewegung des Krankenpflegepersonals. Das Ausmaß und die Radikalität sind zwar nicht mit Frankreich vergleichbar, dennoch war sie für österreichische Verhältnisse bemerkenswert. Anlass war der Abbau der damals üblichen 48-Stundenwoche und damit drohender Einkommensverluste im Frühjahr 87. Es entstand eine ´Aktionsgemeinschaft gegen Einkommensverluste (APE)´. Eine von der APE organisierte Informationsveranstaltung ließ die FSG – Führung wütend ihren Alleinvertretungsanspruch als Interessensvertretung für sich reklamieren. Eine Unterschriftenaktion mit immerhin 2000 Unterschriften und eine Demonstration, die trotz einer enormen Hetzkampagne seitens der G.d.G. über 400 Pflegepersonen auf die Strasse brachte, stoppte zunächst den geplanten Mehrstundenabbau bis zum Verhandlungsende, die einen teilweisen Gehaltsausgleich durch die Anhebung von Zulagen brachten.
Fast zwei Jahre später waren es die Morde im Pflegeheim Lainz, die die APE wieder auf den Plan rief. Diesmal waren die Forderungen, Organisationsstrukturen und die Breite der Bewegung wesentlich umfassender. Die Forderungen- mehr Gehalt- mehr Personal- mehr Mitbestimmung wurde von dezentralen Spitälergruppen sowie einem Plenum getragen. Erstmalig beteiligten sich auch Krankenhäuser aus den Bundesländern. Es gab Arbeitsgruppen zu verschiedenen Themen, darunter auch der Frage des Streiks, da die Erfahrung gezeigt hatte, dass auf die Straße zu gehen nicht genug war. Die Gewerkschaftsführung reagierte wiederum mit Einschüchterung und Verleumdung. Trotzdem gelang es der APE im Juni 89, 3000 Pflegepersonen zu einer Demonstration zu mobilisieren. Angesichts der Größe der Bewegung entschloss sich die Gewerkschaftsführung in letzter Minute zur Teilnahme, um sich auch gleich frech an die Spitze des Zuges zu stellen und bei der Abschlusskundgebung eine Besoldungsreform anzukündigen. Obwohl der Mehrheit der APE die Forderungen viel zu wenig weit gingen, sie weitere Kampfmaßnahmen, die Einbindung in die Verhandlungen bzw. Urabstimmungen verlangte, war die Bewegung mit der Ankündigung einer Reform an einem Wendepunkt angelangt.
Im Herbst gab es dann noch eine Demonstration mit 4500 TeilnehmerInnen, diesmal von der G.d.G. organisiert. Es galt, die bereits beschlossene Besoldungsreform, verhandelt hinter geschlossenen Türen, abzusegnen. Symbolträchtig verlief diese Demo allemal: wählte die Gewerkschaftsführung die Nebenfahrbahn, so wurde sie von den DemonstrantInnen überholt, indem diese die gesamte Ringstraße als Marschroute beanspruchte. Auch die Schlusskundgebung verlief für den Apparat kläglich. Anstatt für den `Verhandlungserfolg` beklatscht zu werden, erkämpften sich die über den miesen Abschluß wütenden TeilnehmerInnen das zunächst abgelehnte Mikrofon bzw. Rederecht .Der Führung blieb nur das fluchtartiges Verlassen der Demonstration übrig. Und doch blieb sie siegreich, die Bewegung des Pflegepersonals war mit diesem Tag beendet.
Perspektiven für heute
Pensionsreform und ÖBB- Reform haben gezeigt, dass Streiks auch in Österreich wieder ein Thema sind. So beeindruckend sie in ihrer Durchführung waren, so zweifelhaft ist das Ergebnis, das sie gebracht haben. Im Fall der Pensionsreform waren es kosmetischen Änderungen der Regierungsvorschläge. Im Fall der ÖBB stehen wir vor einer zerschlagenen Bahnstruktur, damit auch vor der Zerschlagung von einer der bedeutendsten Fachgewerkschaften und ein akzeptabler Kompromiss bei den Dienstrechtsverhandlungen ist fraglich. Was beide Streiks kennzeichnet, ist die mangelnde demokratische Kultur und die bürokratische Begrenzung, was die Dauer, aber auch die Inhalte betrifft. Ausrufung und Ende wurden von oben angeordnet, eine Ausweitung auf weitere Betriebe tunlichst verhindert.
Hinsichtlich des Gesundheitswesens werfen die weiter oben beschriebenen Erfahrungen, aber auch eine Demonstration, die Ende 03 in Wien stattfand, ein bezeichnendes Licht auf das, was wir von unserer Gewerkschaft erwarten dürfen. Anlass war der `Pflegeskandal` im Geriatriezentrum Wienerwald. Erstmal gab es Verhandlungen hinter verschlossenen Türen. Dann wurde sehr kurzfristig zur Demonstration aufgerufen, nicht einmal tausend Menschen kamen. Zum Demoabschluss ließen sich führende GdG- Vertreter stolz für das Verhandlungsergebnis Beifall spenden: eine Pflegezulage für die Beschäftigten der städtischen Pflegeheime. Nichts gegen diese Zulage an sich, aber wäre die Riesenempörung, die der Umgang mit diesem `Skandal` mit sich brachte, für eine Mobilisierung weit über die Langzeitpflege hinaus genützt worden, hätte dies durchaus ein Startsignal für eine weitaus breitere Bewegung der Krankenhausbeschäftigten sein können, an Missständen am Arbeitsplatz mangelt es ja nicht. Doch wieder einmal wurden uns die Spielregeln` von oben´ diktiert: wer wie wofür wie lange kämpft.
Mangelnde Gewerkschaftsdemokratie und die allzu große Bereitschaft, den Regeln der Sozialpartnerschaft zu folgen, sind aber nur ein Hindernis auf dem Weg zu einer Bewegung im Gesundheitswesen.
Zurzeit ist es unmöglich, von `der´ Gesundheitsreform zu sprechen. Einem ersten runden Tisch im Herbst 03 folgte- kein weiterer. Was folgte, waren nur Dementis erster Ergebnisse (Abschaffung der Chefarztpflicht, Begrenzung der Pharmapreise auf EU- Durchschnittsniveau). Derzeit konzentriert sich von Regierungsseite alles auf die Schwächung der Krankenkassen, mit dem Ziel die Selbstverwaltung in Frage zu stellen. Die Verteidigung der Selbstverwaltung als zentrale historische Errungenschaft der ArbeiterInnenbewegung kann aber nur eine Angelegenheit der gesamten Gewerkschaftsbewegung, vergleichbar mit der Pensionsreform, sein.
Die Arbeitsituation im Gesundheitswesen selbst ist vor allem eines: zunehmend uneinheitlich. Im Unterschied zur ÖBB gehen hier die Verschlechterungen sehr schleichend vor sich. So haben zum Beispiel Einsparungen bei den Personalkosten verschiedenste Auswirkungen. Für einen Bereich bedeutet es eher die Nichtnachbesetzung von KollegInnen in Karenz, Ausbildung o.ä.; andere sind mit Bettensperren konfrontiert (Akutbettenabbau ist ein zentraler Kostendämpfungsfaktor). Die heurige Grippewelle, bzw. höhere Unfallzahlen lieferten mit den reihenweise notwendigen Gangbetten und horrenden Wartezeiten ein `beeindruckendes´ Bild von bereits überrationalisierten Bereichen. Private Pflegeeinrichtungen sind mit einem drastisch niedrigerem Lohnniveau als der öffentliche Bereich sowie einer rasanten Zunahme prekärer Dienstverhältnisse (Pooldienste) konfrontiert. In Wien wurde vor kurzem der extramurale Bereich aus dem öffentlichen Budget in den Fonds soziales Wien ausgegliedert. Und manche Krankenhäuser warten überhaupt aufs Zusperren, andere `nur´ auf die Auslagerung einzelner Bereiche.
Neben dieser Uneinheitlichkeit liegt sicher auch im Denken vieler KollegInnen ein Problem im Aufbau einer Bewegung. In den 70igern war eine Verdoppelung der öffentlichen Gesundheitsausgaben noch Ausdruck für die Lebensqualität einer Gesellschaft – die Ware Arbeitskraft stand eben hoch im Kurs. Heute werden Gesundheitsausgaben nur noch als Lohnnebenkosten abgehandelt, die es im Zuge eines verschärften Konkurrenzkampfs gesenkt werden müssen. Wie obszön es ist, menschliche Grundbedürfnisse Kapitalinteressen unterzuordnen, scheint auch vielen Spitalsbediensteten nicht mehr aufzufallen. Heute wie in den 80er Jahren ist das Pflegepersonal mit der Hälfte der Krankenhausbeschäftigten, aber auch wegen seiner zentralen Stellung im Arbeitsalltag weiterhin die wichtigste Berufsgruppe jedes Arbeitskampfs im Gesundheitswesen.. Damals war es vor allem die Forderung nach mehr professioneller, aber auch gesellschaftlicher Anerkennung, die das Pflegepersonal so beeindruckend bewegte. Doch diese Anerkennung ist seither vielfach in Qualitätsmanagementzirkeln oder unter Papierbergen von Pflegeplanung und –dokumentation verkommen, ohne dass sich die Arbeitsbedingungen entscheidend verbessert haben. Von der damaligen Aufbruchsstimmung ist daher nicht mehr viel übrig.
Es gibt also eine Reihe von objektiven und subjektiven Gründen, die einen größeren Arbeitskampf, bzw. Streiks in absehbarer Zeit sehr unwahrscheinlich erscheinen lassen. Aber es gibt sehr wohl eine Anzahl KollegInnen, die wissen, dass demokratische und kämpferische Strukturen notwendig sind, sollen die Angriffe aufs Gesundheitswesen erfolgreich abgewendet werden. Und da gut Ding eben Weile braucht, sollten wir schleunigst beginnen, diese Strukturen aufzubauen. Dass das funktionieren kann, führen uns zurzeit die Linzer KrankenpflegeschülerInnen vor, die sich geschlossen in einem Kollektiv organisiert haben, um für ein gerechtes Gehalt anstatt des Almosentaschengelds zu kämpfen. Wenn auch noch in `Kinderschuhen`, so treten sie damit in die ehrenwerten Fußstapfen der `Koordination d`infermieres`, der Aktionsgemeinschaft Pflegepersonal und weiterer ungezählter Kämpfe der KrankenhausarbeiterInnen.
Also: Bildet 1, 2, 3 Kollektive!
Anna Leder, FSG-Zorn. 5.3.04
Krankenpfleger warnen:
Der nächste Anschlag auf unsere Gesundheit
Die Probleme, die das Gesundheitssystem betreffen, sind wohl vielen
geläufig. So hat der jüngste Skandal um das Lainzer Pflegeheim einmal mehr gezeigt, dass Personalmangel ein Klima der ständigen Überforderung für die PflegerInnen schafft. Mit sehr negativen Auswirkungen: fehlende Motivation, Frustration, Burn-Out…
Damit kann keine ausreichende Pflege mehr gewährleistet werden, was zu gefährlichen Situationen führt. Die Bedingungen für das Pflegepersonal müssten also dahingehend verbessert werden, dass durch angemessene Entlohnung und erträglichere Arbeitsbedingungen wieder mehr Menschen den Pflegeberuf ergreifen. Die Bundesregierung denkt aber offenbar in eine ganz andere Richtung. Sie hat jüngst beschlossen, KrankenpflegerschülerInnen ab jetzt nur mehr für die halbe Ausbildungszeit Freifahrt zu gewähren.
Das Sozialministerium hat unter der Federführung von Ursula Haubner (FPÖ) ein Modell erarbeitet, nach dem KrankenpflegeschülerInnen nur mehr für die Zeit des theoretischen Unterrichts Freifahrt zugestanden wird. Die dreijährige Ausbildungszeit besteht jedoch zu gut der Hälfte aus Praktika, die für die Erlernung dieses Berufes mindestens genauso relevant sind wie die Theorieblöcke. Deshalb ist es vollkommen absurd, nur für einen Teil der Freifahrt aufzukommen.
Das System ist krank
KrankenpflegeschülerInnen zählen nicht gerade zu den Großverdienern. Es gibt in Österreich wahrscheinlich keine oder nur sehr wenige Krankenpflegeschulen, die ihren Zöglingen während der Ausbildungszeit so viel Taschengeld ausbezahlen, dass es zum Leben reichen würde. Die meisten Taschengeldtarife liegen weit unter dem Existenzminimum, denn jede Schule kann die Höhe dieses Betrages selbst bestimmen. Weit davon entfernt, die Ausbildungszeit jemals ohne der finanziellen Hilfe seitens der Eltern oder des Sozialamtes bestreiten zu können, sind die KrankenpflegeschülerInnen nun auch noch gezwungen, einen nicht geringen Teil ihres bescheidenen Einkommens wieder in den Kauf von Fahrscheinen zu investieren.
Man muss schon sagen, das ist ein starkes Stück: Einerseits zu beteuern, dass man sich darum kümmern wolle wieder mehr Pflegekräfte auszubilden, andererseits aber gleichzeitig kaltblütig Sparmaßnahmen gegen die Auszubildenden durchzusetzen. Bravo Schwarz-Blaue Bundesregierung! Das zeigt uns einmal mehr, wessen Interesse sie in Wahrheit vertreten! Sie halten es nicht für notwendig die (jungen) Menschen, die in den Krankenhäusern unersetzliche Dienste leisten, finanziell zu unterstützen. Da ist es schon wichtiger, sich für den Ankauf von Kriegsgeräten zu engagieren.
Somit sind wir gezwungen, uns selbst zu unserem Recht zu verhelfen. Der große Unmut unter den KrankenpflegeschülerInnen muss zu einem Kampf gegen eine Politik führen, die gerade die finanziell schwächsten Gesellschaftsmitglieder unaufhörlich zur Kassa bittet. Ansätze für solch einen Kampf haben sich z.B. in Linz schon gezeigt, wo sich Anfang November ein SchülerInnenkomitee gebildet hat, an dem sich alle sechs Linzer Krankenpflegeschulen beteiligen. Ziel dieser Aktionsgemeinschaft ist es, einer breiteren Öffentlichkeit die Empörung über die neoliberale Kürzungswut kundzutun. Wir werden uns nicht das Recht nehmen lassen, für unsere Anliegen auf die Straße zu gehen. Beim ersten Vernetzungstreffen wurde ein Aktionskomitee gewählt, mit je zwei VertreterInnen pro Schule, das nun weitere Protestaktionen, unter anderem eine Demo gegen die Kürzung der Freifahrt, organisieren soll. Bei diesem Treffen wurde klar, dass es unter den KrankenpflegeschülerInnen eine große Protestbereitschaft gibt. Wir werden alles versuchen, um die Neuregelung der Freifahrten rückgängig zu machen.
Aber uns ist auch bewusst, dass wir alleine wenig erreichen können. Unser Ziel ist es, uns mit GewerkschafterInnen, wie z.B. den Voest-ArbeiterInnen, den EisenbahnerInnen usw. zu vernetzen, um gemeinsam gegen eine Politik zu kämpfen, die nur die neoliberale Logik eines kranken kapitalistischen Wirtschaftssystems zur Grundlage hat. Die SchülerInnen der SJ Römerberg haben sich bereit erklärt, auch an den Linzer Schulen für unsere Protestaktionen zu mobilisieren. Von unserer Gewerkschaft erwarten wir uns, dass sie unseren Widerstand jetzt aufgreift, aktiv unterstützt und ausweitet.
Martin Wieland, AKH Linz
Christoph Kastenhuber, DKH Linz
Erfolgreicher Protest gegen Sparpolitik
Wie wir in unserer letzten Ausgabe berichteten, wurde den KrankenpflegeschülerInnen in einer Nacht-und Nebel-Aktion vom Bundesministerium für Soziales die Freifahrten für Praktikumszeiten gestrichen. Für die Hälfte ihrer Ausbildungszeit sollten die Fahrtkosten nicht mehr bezahlt werden. Unsere Antwort: Protest!
Ein Aufschrei ging durch die Schülerschaft. Die Sekretariate der Schulen konnten den SchülerInnen keine Hilfe bieten, da diese genauso überrumpelt und hilflos waren. Einzelne SchülerInnen schrieben Protestbriefe und machten Unterschriftenlisten für ihre Schulen.
Anfang November wurde auf Initiative mehrerer SchülerInnen ein Treffen für alle Linzer KrankenpflegeschülerInnen einberufen. Zirka 50 KollegInnen aus allen sechs Krankenpflegeschulen folgten diesem Aufruf. Beim Treffen diskutierten wir die Gründe für die Kürzung, warum überhaupt gespart wird und wo sonst in der Gesellschaft gerade Sozialabbau betrieben wird.
Als wir zum Ergebnis kamen, dass wir die Kürzung nicht akzeptieren wollen und dass es einen allgemeinen Trend darstellt, Sozialleistungen zu kürzen, entschlossen wir uns, Protestaktionen zu starten. Als erstes schrieben wir einen Protestbrief, den wir an das Ministerium, an hohe Vertreter der Politik und diverse Interessensvertretungen schickten. Zweitens planten wir eine Demonstration, die sich unter Einbindung anderer Berufsgruppen gegen den voranschreitenden Sozialabbau richten sollte. Um diese Aktionen zu planen und zu koordinieren, wählten wir ein Aktionskomitee, das sich aus zwei VertreterInnen pro Schule zusammensetzte. Das Komitee traf sich einmal pro Woche in den Räumen der Personalvertretung des AKH-Linz.
Immer wiederkehrende Falschmeldungen in Zeitungen erschwerten die Arbeit des Aktionskomitees. Mitten im zügigen Organisieren der Protestaktionen wurde von Staatssekretärin Ursula Haubner (FPÖ) über die OÖ-Nachrichten die Rücknahme der Kürzungen verkündet – natürlich ohne Benachrichtigung des Aktionskomitees und ohne die zuständigen Beamten konkret anzuweisen.
Das Aktionskomitee hielt aufgrund unserer Erfahrung mit den bürgerlichen Medien an seinem Kurs fest, solange die Zusage nicht schriftlich klar vorlag.
Am Kurs festzuhalten hieß vor allem, die schon angemeldete Demonstration nicht abzusagen. Schließlich rangen sich die Verantwortlichen des Ministeriums doch dazu durch, die Zusage per Email an alle österreichischen Verkehrsunternehmen schriftlich festzuhalten. Doch das Aktionskomitee blies aus taktischen Gründen die Demonstration auch jetzt nicht sofort ab.
Als das im Ministerium bekannt wurde, kam ein Anruf von einem hohen Beamten, der fragte, warum wir noch immer demonstrieren wollen, wenn unsere Forderungen nun doch erfüllt sind.
Nach diesem Anruf war es klar, wem der Sieg zuzuschreiben ist. Frau Haubner gefiel diese Kampfbereitschaft der KrankenpflegeschülerInnen wohl nicht sonderlich. Das Aktionskomitee sagte die Demonstration dann beim nächsten Treffen ab, lud aber zu einer Diskussionsveranstaltung ein, bei der vor allem die Notwendigkeit betont wurde, dass wir uns dauerhaft organisieren müssen.
Diese Schlacht ist gewonnen, aber der nächste Schlag lässt nicht lange auf sich warten. Mit der anstehenden Gesundheitsreform stehen die nächsten Angriffe auf unsere Gesundheit ins Haus. Selbstbehalte, (Teil-) Privatisierung und die Reduktion von Leistungen werden in den nächsten Monaten zur Wirklichkeit werden.
Um den Kampf dagegen zu führen, brauchen wir eine starke Kampforganisation. Der gewerkschaftliche Widerstand gegen die Angriffe auf unser Gesundheitssystem sollte so organisiert werden, dass in den Betrieben Aktionskomitee gebildet werden, die den Widerstand der Betroffenen vorbereiten können.
Momentan, wo die Reform noch in Planung ist, müssen wir die Zeit nutzen, um die KollegInnen davon zu überzeugen, dass diese drohenden Verschlechterungen Teil der kapitalistischen Logik sind. Nützen wir diese Zeit und rüsten wir uns, damit wir bei der nächsten Kürzung gleich wissen, was wir zu tun haben.
Kastenhuber Christoph, DKH Linz
Wieland Martin, AKH Linz
Wir wollen mehr!
Aktionskomitee der Linzer KrankenpflegeschülerInnen
Die Linzer KrankenpflegschülerInnen machen wieder mobil. Nach unserem erfolgreichen Kampf gegen die Kürzung der Freifahrt im letzten Herbst haben wir uns jetzt wieder zu einem Aktionskomitee zusammengeschlossen. Wir haben entschieden, dass wir es nicht mehr länger hinnehmen wollen, für ein kleines „Taschengeld“ unersetzliche Dienste im Krankenhaus zu leisten.
Mehr als die Hälfte unserer dreijährigen Ausbildung verbringen wir in der Praxis, wo wir fest im Stationsalltag integriert sind. Die Dienstpläne der Krankenhäuser, Altenheime, Tageszentren usw. stützen sich zu einem nicht geringen Anteil auf den kontinuierlichen Zufluss von KrankenpflegeschülerInnen, die besonders ab dem 2. Ausbildungsjahr nahezu alle wesentlichen Ausbildungen auf einer Station selbst übernehmen dürfen bzw. sollen.
Ohne KrankenpflegeschülerInnen würde der Arbeitsdruck auf den Stationen zweifelsohne enorm zunehmen!
Ist es dann nicht ungerecht, wenn wir für diese unsere Leistung, durchschnittlich nur 200 – 400 Euro je nach Ausbildungsjahr und Krankenhausträger bekommen?
Dass im Gesundheitssystem Billigstarbeiter-Innen beschäftigt werden, die sich ohne der Unterstützung ihrer Eltern oder der Sozialhilfe nicht erhalten könnten?
Wir jedenfalls empfinden dies als Ungerechtigkeit und wollen nun mittels des Aktionskomitees – das momentan SchülerInnen von 3 Linzer Schulen vereint – in nächster Zeit folgende Forderung an die jeweiligen Trägereinrichtungen der Krankenpflegeschulen richten:
– Wir fordern ab dem 2. Ausbildungsjahr einen monatlichen Arbeitsentgelt in der Höhe des Existenzminimums. (Euro 643,54 netto nach dem Ausgleichszulagenrichtsatz)
– Der Lohnbezug soll nicht mehr „Taschengeld“ sondern „Entgelt“ heißen und auch eine Arbeitslosenversicherung mit sich
bringen
– Die Höhe des Entgelts im 1. und im 3. Ausbildungsjahr sollte mit einem kleinen Ab- bzw. Zuschlag gleicherart angehoben werden.
Wir wissen, dass unsere Forderung mit allen erdenklichen Kostenargumenten bekämpft werden. Aber: Unsere Pflegearbeit mit dem Existenzminimum zu honorieren, muss einfach leistbar sein!
Es liegt dann an uns, mit starken und kollektiven Aktionen unsere Interessen durchzusetzen!
Aktionskomitee der
Linzer KrankenpflegeschülerInnen