(Das Manuskript des folgenden Artikels wurde in Trotzkis Schreibtisch gefunden. Es stellt in keiner Weise einen fertigen Artikel dar, sondern lediglich einige Notizen für eine Arbeit über das im Titel angedeutete Thema, die Trotzki kurz vor seinem Tode zu Papier gebracht hatte.)
Zuerst veröffentlicht in englischer Sprache in der Zeitschrift Fourth International, Februar 1941
Es gibt in der Entwicklung, oder besser, in der Degeneration der gegenwärtigen Gewerkschaftsorganisationen der ganzen Welt einen allen gemeinsamen Zug: die Annäherung an die Staatsgewalt und das Verschmelzen mit ihr. Dieser Prozeß charakterisiert die unpolitischen Gewerkschaften in gleicher Weise wie die sozialdemokratischen, kommunistischen und „anarchistischen“. Allein diese Tatsache beweist schon, daß die Tendenz zum Verwachsen mit der Staatsgewalt nicht aus dieser oder jener Doktrin, sondern aus allgemein gesellschaftlichen Bedingungen entspringt, denen alle Gewerkschaften in gleicher Weise unterworfen sind.
Der Monopolkapitalismus fußt nicht auf Privatinitiative und freier Konkurrenz, sondern auf zentralisiertem Kommando. Die kapitalistischen Cliquen an der Spitze mächtiger Trusts, Syndikate, Bankkonsortien usw. sehen das Wirtschaftsleben von ganz denselben Höhen wie die Staatsgewalt und benötigen bei jedem Schritt deren Mitarbeit. Ihrerseits finden sich die Gewerkschaften in den wichtigsten Zweigen der Industrie der Möglichkeit beraubt, die Konkurrenz zwischen den verschiedenen Unternehmen auszunützen. Sie haben einem zentralisierten, eng mit der Staatsgewalt verbundenen kapitalistischen Widersacher zu begegnen. Für die Gewerkschaften – soweit sie auf reformistischem Boden bleiben, das heißt soweit sie sich dem Privateigentum anpassen – entspringt hieraus die Notwendigkeit, sich auch dem kapitalistischen Staate anzupassen und die Zusammenarbeit mit ihm zu erstreben.
Die Gewerkschaftsbürokratie sieht ihre Hauptaufgabe darin, den Staat aus der Umklammerung des Kapitalismus zu „befreien“, seine Abhängigkeit von den Trusts zu mildern und ihn auf ihre Seite zu ziehen. Diese Einstellung entspricht vollkommen der sozialen Lage der Arbeiteraristokratie und Arbeiterbürokratie, die beide um einen Abfallbrocken aus den Überprofiten des imperialistischen Kapitalismus kämpfen. Die Gewerkschaftsbürokraten leisten in Wort und Tat ihr Bestes, um dem „demokratischen“ Staat zu beweisen, wie verläßlich und unentbehrlich sie im Frieden und besonders im Kriege sind. Indem der Faschismus die Gewerkschaften in Organe des Staates verwandelt, erfindet er nichts Neues; er entwickelt nur die dem Imperialismus innewohnenden Tendenzen zu ihrer letzten Schlußfolgerung.
Die kolonialen und halbkolonialen Länder stehen nicht unter der Herrschaft eines einheimischen Kapitalismus, sondern unter jener des ausländischen Imperialismus. Diese Tatsache jedoch schwächt nicht, sondern im Gegenteil, stärkt das Bedürfnis nach direkten, täglichen praktischen Bindungen zwischen den kapitalistischen Magnaten und den ihnen im wesentlichen unterworfenen Regierungen der kolonialen und halbkolonialen Länder.
Soweit der imperialistische Kapitalismus in den Kolonien und Halbkolonien eine Schicht der Arbeiteraristokratie und Arbeiterbürokratie erzeugt, benötigt diese die Unterstützung kolonialer und halbkolonialer Regierungen: als Beschützer, Herren und manchmal als Schiedsrichter. Dies bildet die wichtigste soziale Grundlage für den bonapartistischen Charakter der Regierungen der Kolonien und der zurückgebliebenen Länder überhaupt. Dies ist in gleicher Weise die Ursache für die Abhängigkeit der reformistischen Gewerkschaften vom Staate.
In Mexico wurden die Gewerkschaften durch ein Gesetz in halbstaatliche Einrichtungen verwandelt und nahmen dadurch, der Natur der Dinge entsprechend, halbtotalitären Charakter an. Die Verstaatlichung der Gewerkschaften wurde, nach dem Konzept der Gesetzgeber, im Interesse der Arbeiter durchgeführt, um ihnen Einfluß auf Regierung und Wirtschaftsleben zu sichern.
Aber soweit der Nationalstaat vom ausländischen Kapitalismus beherrscht wird und soweit dieser mit Hilfe einheimischer reaktionärer Kräfte in der Lage ist, die unbeständige Demokratie zu stürzen und durch eine offene faschistische Diktatur zu ersetzen, können die Gewerkschaftsgesetze leicht zu einer Waffe in der Hand der imperialistischen Diktatur werden.
Auf den ersten Blick könnte man versucht sein, aus dem eben Ausgeführten den Schluß zu ziehen, daß die Gewerkschaften in der imperialistischen Epoche aufhören, Gewerkschaften zu sein.
Sie lassen kaum Raum für Arbeiterdemokratie, welche in der „guten alten Zeit“, als in der Wirtschaft der freie Handel herrschte, den Inhalt des inneren Lebens der Arbeiterorganisationen darstellte. Wo keine Arbeiterdemokratie vorhanden ist, kann von einem freien Kampf um die Beeinflussung der Mitglieder keine Rede sein. Daher verschwindet das Hauptarbeitsgebiet für Revolutionäre innerhalb der Gewerkschaften.
Eine solche Stellungnahme wäre jedoch grundfalsch. Wir können weder das Feld, noch die Bedingungen für unsere Arbeit nach unseren Wünschen wählen. In einem totalitären oder halbtotalitären Staate ist es unendlich schwerer, um den Einfluß über die Arbeitermassen zu kämpfen, als in einer Demokratie. Dasselbe gilt für die Gewerkschaften, deren Entwicklung den Wechsel im Schicksal der kapitalistischen Staaten widerspiegelt. Wir können den Kampf um die Beeinflussung der Arbeiter in Deutschland nicht aufgeben, bloß weil das totalitäre Regime eine solche Arbeit ungeheuer erschwert. Wir können in genau der gleichen Weise nicht auf den Kampf innerhalb der vom Faschismus geschaffenen Zwangsorganisationen verzichten. Umso weniger können wir die systematische Arbeit innerhalb der Gewerkschaften totalitären oder halbtotalitären Charakters aufgeben, bloß weil sie direkt oder indirekt vom Staate abhängen oder weil die Bürokratie den Revolutionären die Möglichkeit freier Arbeit innerhalb der Gewerkschaften raubt. Es ist notwendig, den Kampf unter all den konkreten Bedingungen zu führen, die durch die vorhergehende Entwicklung geschaffen wurden, in sie eingeschlossen die Fehler der Arbeiter und die Verbrechen ihrer Führer.
In den faschistischen und halbfaschistischen Ländern ist es unmöglich, revolutionäre Arbeit zu leisten, außer im Untergrund. In den totalitären oder halbtotalitären Gewerkschaften ist es unmöglich, andere als konspirative Arbeit zu leisten. Wir müssen uns den konkreten Bedingungen innerhalb der Gewerkschaften eines jeden Landes anpassen, um die Massen nicht nur gegen die Bourgeoisie zu mobilisieren, sondern auch gegen das totalitäre Regime innerhalb der Gewerkschaften selbst und gegen die Führer, welche dieses Regime aufrecht erhalten. Die Hauptlosung in diesem Kampf lautet: Vollständige und bedingungslose Unabhängigkeit der Gewerkschaften vom kapitalistischen Staat. Dies bedeutet einen Kampf für die Umwandlung der Gewerkschaften von einem Organ der Arbeiteraristokratie in ein Organ der breiten, ausgebeuteten Massen.
Die zweite Losung lautet: Gewerkschaftsdemokratie. Diese zweite Losung entspringt unmittelbar aus der ersten und setzt für ihre Verwirklichung die vollkommene Freiheit der Gewerkschaften vom imperialistischen oder kolonialen Staate voraus.
Mit anderen Worten: Die Gewerkschaften der gegenwärtigen Epoche können nicht einfach Organe der Demokratie sein, wie sie es im Zeitalter des freien Kapitalismus waren; sie können nicht weiterhin politisch neutral bleiben, das heißt, sich darauf beschränken, den Tagesbedürfnissen der Arbeiterklassen zu dienen.
Sie können nicht mehr anarchistisch sein, das heißt, den entscheidenden Einfluß des Staates auf das Leben von Völkern und Klassen ignorieren. Sie können nicht mehr reformistisch sein, da die objektiven Bedingungen keinen Raum mehr für ernsthafte und dauernde Reformen lassen. Die Gewerkschaften unserer Zeit können entweder als Hilfsinstrumente des imperialistischen Kapitalismus dienen, um die Arbeiter unterzuordnen, sie zu disziplinieren und die Revolution zu verhindern, oder sie können im Gegenteil die Instrumente der revolutionären Bewegung des Proletariats werden.
Die Neutralität der Gewerkschaften gehört ebenso vollständig der Vergangenheit an wie die freie bürgerliche Demokratie.
Aus dem Vorhergehenden folgert ganz klar, daß trotz fortschreitender Degeneration der Gewerkschaften und trotz ihres Verwachsens mit dem imperialistischen Staat die Arbeit innerhalb der Gewerkschaften nicht nur nichts von ihrer Wichtigkeit einbüßt, sondern als eine Notwendigkeit nach wie vor bestehen bleibt und in gewissem Sinne für jede revolutionäre Partei sogar noch wichtiger denn je wird. Die Sache, um die es nach wie vor geht, ist hauptsächlich der Kampf um den Einfluß auf die Arbeiterklasse. Jede Organisation, Partei oder Fraktion, die sich den Gewerkschaften gegenüber eine ultimatistische Stellungnahme erlaubt, das heißt, der Arbeiterklasse im Wesen den Rücken zuwendet, bloß weil ihr deren Organisationen nicht gefallen, ist zum Untergang bestimmt. Und es muß gesagt werden, sie verdient den Untergang.
Insofern die Hauptrolle in zurückgebliebenen Ländern nicht von einheimischem, sondern von ausländischem Kapital gespielt wird, nimmt die nationale Bourgeoisie, vom Standpunkt ihrer gesellschaftlichen Lage gesehen, eine weit unbedeutendere Stellung ein, als ihr auf Grund der industriellen Entwicklung entsprechen würde. Insofern das ausländische Kapital nicht Arbeiter einführt, sondern die eingeborene Bevölkerung proletarisiert, beginnt das nationale Proletariat bald die wichtigste Rolle im Leben des Landes zu spielen. Unter diesen Umständen ist die Regierung, so weit sie dem ausländischen Kapitalismus Widerstand zu leisten versucht, gezwungen, sich mehr oder weniger auf das Proletariat zu stützen. Auf der anderen Seite werden von den Regierungen jener zurückgebliebenen Länder, die es für unvermeidlich oder gewinnbringender halten, Schulter an Schulter mit dem ausländischen Kapital zu marschieren, die Arbeiterorganisationen vernichtet, und es wird ein mehr oder weniger totalitäres Regime gebildet.
So entziehen die Schwäche der einheimischen Bourgeoisie, das Fehlen einer Tradition von Selbstverwaltung in den Gemeinden, der Druck des ausländischen Kapitalismus und das relativ schnelle Anwachsen des Proletariats einem beständigen demokratischen Regime jede Grundlage. Die Regierungen zurückgebliebener, d.h. kolonialer und halbkolonialer Länder nehmen früher oder später einen bonapartistischen Charakter an; sie unterscheiden sich voneinander dadurch, daß die einen versuchen, sich in demokratischer Richtung zu orientieren und ihre Stütze unter den Arbeitern und Bauern finden, während die anderen der Militär- und Polizeidiktatur sehr ähnliche Regime errichten. Dies bestimmt gleicherweise das Schicksal der Gewerkschaften. Sie stehen entweder unter dem besonderen Schutz des Staates, oder sie sind grausamen Verfolgungen ausgesetzt. Der Schutz von seiten des Staates wird durch zwei Aufgaben bestimmt, die ihm gestellt sind: die erste ist, die Arbeiter näher an sich heranzuziehen und so eine Unterstützung für den Widerstand gegen übermäßige Anmaßungen von seiten des Imperialismus zu gewinnen; zur gleichen Zeit sollen die Arbeiter selbst dadurch diszipliniert werden, daß sie unter die Kontrolle einer Bürokratie gestellt werden.
Der Monopolkapitalismus ist immer weniger gewillt, sich mit der Unabhängigkeit der Gewerkschaften abzufinden. Er verlangt von der reformistischen Bürokratie und der Arbeiteraristokratie, welche die Brosamen von seiner Festtafel auflesen, daß sie sich vor den Augen der Arbeiterklasse in seine politische Polizei verwandeln. Kann das nicht erreicht werden, so wird die Arbeiterbürokratie vertrieben und durch die Faschisten ersetzt. Aber alle Anstrengungen im Dienst des Imperialismus können sie auf die Dauer nicht vor der Vernichtung retten.
Die Verschärfung der Klassengegensätze innerhalb eines jeden Landes und die Verschärfung der Feindschaft zwischen den verschiedenen Ländern schaffen eine Situation, in welcher der imperialistische Kapitalismus eine reformistische Bürokratie nur dulden kann (d.h. bis zu einer bestimmten Zeit), wenn diese direkt als kleiner, aber aktiver Aktionär seiner imperialistischen Unternehmung dient: als Teilhaber seiner Pläne und Programme sowohl innerhalb des Landes als auch in der Weltarena. Der Sozialreformismus muß sich, um sein Dasein zu verlängern – aber nur, um es zu verlängern, und nichts mehr – in Sozialimperialismus verwandeln. Denn auf diesem Wege gibt es im allgemeinen keinen Ausweg.
Soll dies heißen, daß unabhängige Gewerkschaften in der imperialistischen Epoche im allgemeinen unmöglich sind? Es würde grundsätzlich falsch sein, die Frage so zu stellen. Unmöglich sind die unabhängigen oder halbunabhängigen reformistischen Gewerkschaften. Voll und ganz möglich sind aber revolutionäre Gewerkschaften, welche nicht nur nicht Aktionäre der imperialistischen Politik sind, sondern welche sich den direkten Sturz der kapitalistischen Herrschaft zur Aufgabe stellen. Im Zeitalter des imperialistischen Verfalls können die Gewerkschaften nur dann wirklich unabhängig sein, wenn sie sich bewußt werden, daß sie in ihrer Tätigkeit die Organe der proletarischen Revolution sind. In diesem Sinne ist das vom letzten Kongreß der Vierten Internationale angenommene Übergangsprogramm nicht nur das Programm für die Tätigkeit der Partei, sondern in seinen Grundzügen auch das Programm für die Tätigkeit der Gewerkschaften. [1*]
Für die Entwicklung der rückständigen Länder ist ihr kombinierter Charakter eigentümlich. Mit anderen Worten: die letzten Errungenschaften imperialistischer Technik, Ökonomie und Politik werden in diesen Ländern mit traditioneller Rückständigkeit und Primitivität kombiniert. Diese Regel kann auf den verschiedensten Entwicklungsgebieten kolonialer und halbkolonialer Länder beobachtet werden, einschließlich des Gebietes der Gewerkschaftsbewegung. Der imperialistische Kapitalismus arbeitet hier in seiner zynischsten und unverhülltesten Form. Er bringt die vollendetsten Methoden seiner tyrannischen Herrschaft auf jungfräulichen Boden.
In der Gewerkschaftsbewegung der ganzen Welt ist in der letzten Periode ein Ruck nach rechts und die Unterdrückung der inneren Demokratie zu beobachten. In England wurde die Minoritätsbewegung innerhalb der Gewerkschaften (nicht ohne die Hilfe Moskaus) unschädlich gemacht; die Gewerkschaftsführer sind heute, besonders auf dem Gebiet der auswärtigen Politik, die gehorsamen Agenten der Konservativen Partei.
In Frankreich war kein Platz für die unabhängige Existenz stalinistischer Gewerkschaften; sie vereinigten sich mit den sogenannten anarcho-syndikalistischen Gewerkschaften unter der Führung von Jouhaux, und als Ergebnis dieser Vereinigung fand ein allgemeiner Ruck der Gewerkschaftsbewegung nicht nach links, sondern nach rechts statt. Die Führerschaft der C.G.T. ist die direkteste und offenste Agentur des französischen Imperialismus.
In den Vereinigten Staaten hat die Gewerkschaftsbewegung in den letzten Jahren eine äußerst stürmische Entwicklung durchgemacht. Die Gründung der CIO ist der unwiderlegliche Beweis für die revolutionären Tendenzen innerhalb der arbeitenden Massen. Im höchsten Grade bezeichnend und bemerkenswert ist jedoch die Tatsache, daß die neue „linke“ Gewerkschaftsorganisation, kaum gegründet, auch schon in die eiserne Umarmung durch den imperialistischen Staat fiel. Der Kampf zwischen den Leitungen der alten und der neuen Föderation kann weitgehend auf den Kampf um Roosevelts und seines Kabinettes Sympathie und Unterstützung reduziert werden.
Nicht weniger bezeichnend, wenn auch in anderem Sinne, ist das Bild der Entwicklung oder Degeneration der Gewerkschaftsbewegung in Spanien. Aus den sozialistischen Gewerkschaften wurden alle diejenigen führenden Elemente ausgeschlossen, die in irgend einer Weise die Unabhängigkeit der Gewerkschaftsbewegung verkörperten. Was die anarcho-syndikalistischen Gewerkschaften angeht, so wurden sie in Instrumente der bürgerlichen Republikaner umgewandelt: die anarcho-syndikalistischen Führer wurden konservative bürgerliche Minister. Die Tatsache, daß sich diese Verwandlung unter den Bedingungen des Bürgerkriegs vollzog, schwächt ihre Bedeutung nicht. Der Krieg ist die Fortsetzung einer gleichbleibenden Politik.
Er beschleunigt Entwicklungen, legt ihre Grundzüge frei, zerstört alles, was morsch, falsch oder zweideutig ist und bringt alles Beständige ans Tageslicht. Der Ruck der Gewerkschaften nach rechts wurde durch die Verschärfung der internationalen und der Klassengegensätze bedingt. Die Führer der Gewerkschaften fühlten, verstanden oder man gab es ihnen zu verstehen, daß es nicht mehr an der Zeit war, Opposition zu spielen. Jede oppositionelle Bewegung innerhalb der Gewerkschaften, besonders innerhalb ihrer Spitzen, droht eine stürmische Bewegung der Massen zu veranlassen und dem nationalen Imperialismus Schwierigkeiten zu bereiten. Hieraus entspringt der Ruck nach rechts und die Unterdrückung der Arbeiterdemokratie innerhalb der Gewerkschaften. Der Grundzug, die Annäherung an das totalitäre Regime, geht durch die Arbeiterbewegung der ganzen Welt.
Man sollte sich auch an Holland erinnern, wo die reformistische und die Gewerkschaftsbewegung nicht nur bedeutende Stützen des imperialistischen Kapitalismus waren, sondern wo die sogenannte anarcho-syndikalistische Organisation ebenfalls unter der Kontrolle der imperialistischen Regierung stand. Der Sekretär dieser Organisation, Sneevliet, war trotz seiner platonischen Sympathien für die Vierte Internationale als Abgeordneter im holländischen Parlament äußerst daran interessiert, nur nicht den Zorn der Regierung auf seine Gewerkschaft fallen zu lassen.
In den Vereinigten Staaten hat das Arbeitsministerium mit seiner linksgerichteten Bürokratie die Aufgabe, die Gewerkschaftsbewegung dem demokratischen Staate unterzuordnen, und es muß gesagt werden, daß bis heute diese Aufgabe mit einigem Erfolg bewältigt wurde.
Die Nationalisierung der Eisenbahnen und Ölfelder in Mexiko hat natürlich nichts mit Sozialismus zu tun. Sie ist eine staatskapitalistische Maßnahme in einem rückständigen Lande, das sich auf diese Weise einerseits gegen den ausländischen Imperialismus, andererseits gegen das eigene Proletariat zu verteidigen sucht. Die Verwaltung von Eisenbahnen, Ölfeldern usw. durch Arbeiterorganisationen hat nichts gemein mit der Kontrolle der Arbeiter über die Industrie, denn im wesentlichen liegt die Verwaltung in den Händen der Arbeiterbürokratie, welche unabhängig von den Arbeitern, dagegen aber vollständig abhängig vom bürgerlichen Staate ist. Diese Maßnahme seitens der herrschenden Klasse verfolgt das Ziel, die Arbeiterklasse zu disziplinieren, sie im Dienste der allgemeinen Staatsinteressen, welche sich bei oberflächlicher Betrachtung mit den Interessen der Arbeiterklasse selbst zu vermischen scheinen, zu mehr Fleiß anzuspornen. Tatsächlich besteht die ganze Aufgabe der Bourgeoisie darin, die Gewerkschaften als Organe des Klassenkampfes zu liquidieren und durch eine Gewerkschaftsbürokratie als dem Organ des bürgerlichen Staates zur Führung der Arbeiterklasse zu ersetzen. Unter diesen Umständen besteht die Aufgabe der revolutionären Vorhut darin, den Kampf für die vollständige Unabhängigkeit der Gewerkschaften und die Kontrolle der Arbeiter über die augenblickliche Gewerkschaftsbürokratie zu führen, welche in eine Verwaltungsbehörde der Eisenbahnen, Ölfelder usw. umgewandelt worden ist.
Die Ereignisse der letzten Periode (vor dem Kriege) haben mit besonderer Klarheit gezeigt, daß der Anarchismus, welcher in der Theorie stets nur ins Extrem gesteigerter Liberalismus ist, in der Praxis nichts weiter als friedliche Propaganda innerhalb der demokratischen Republik darstellte, deren Schutz er benötigte. Wenn wir die individuellen terroristischen Anschläge usw. beiseite lassen, bot der Anarchismus als System der Massenbewegung und der Politik lediglich Propagandamaterial unter dem friedlichen Schutz der Gesetze. In Krisenzeiten haben die Anarchisten stets genau das Gegenteil dessen getan, was sie in Friedenszeiten gelehrt hatten. Darauf verwies schon Marx in bezug auf die Pariser Kommune. Und das wiederholte sich in weit größerem Ausmaß bei den Erfahrungen der spanischen Revolution.
Demokratische Gewerkschaften im alten Sinne des Wortes, das heißt, Körperschaften, wo im Rahmen ein und derselben Massenorganisationen verschiedene Tendenzen mehr oder weniger frei kämpften, können nicht mehr länger bestehen. Es ist ebenso unmöglich, die alte Arbeiterdemokratie zurückzubringen, wie es unmöglich ist, den bürgerlich-demokratischen Staat wieder herzustellen; ihr Schicksal widerspiegelt das seine. Es ist eine Tatsache, daß die klassenmäßige Unabhängigkeit der Gewerkschaften hinsichtlich des bürgerlichen Staates unter den gegenwärtigen Bedingungen nur durch eine vollkommen revolutionäre Führung, das heißt, nur durch die der Vierten Internationale gesichert werden kann. Diese Führung kann und muß natürlich den Gewerkschaften das Höchstmaß der unter den augenblicklichen konkreten Bedingungen vorstellbaren Demokratie sichern. Aber ohne die politische Führung der Vierten Internationale ist die Unabhängigkeit der Gewerkschaften unmöglich.
Anmerkung des Übersetzers
1*. An dieser Stelle ließ Trotzki auf der Seite Platz frei, um weiter auf das Verhältnis zwischen Gewerkschaftsarbeit und dem Übergangsprogramm der Vierten Internationale einzugehen. Es ist anzunehmen, daß hier eine militärische Ausbildung unter Kontrolle der Gewerkschaften befürwortet wurde. Es geht um folgende Vorstellung: entweder dienen die Gewerkschaften als gehorsame Diener, um für die imperialistische Armee zu rekrutieren, oder sie bilden die Arbeiter aus zur Selbstverteidigung und zur Revolution.