In den vergangenen Wochen erschienen mehrere Rezensionen von unserer Neuauflage von Karl Kautskys „Der Ursprung des Christentums“ im „Faktor“, der Zeitung der SJ Wien und von Hermann Dworczak.
Karl Kautsky „Der Ursprung des Christentums“ (Rezension)
Die GenossInnen des „Funken“ haben Kautskys „Der Ursprung des Christentums“ neu aufgelegt. Ein auch heute noch interessantes Buch, das aber ebenso die Grenzen eines Marxismus, der die aktive Seite, den subjektiven Faktor fast gänzlich ausklammert, zeigt.
Kautsky veröffentlichte sein Buch 1908. Er legt dar, wie in bewegten Zeiten rebellische, revolutionäre Bewegungen auch und gerade in der Religion einen entsprechenden Niederschlag finden können. Jede/r heutige Leser/in wird unmittelbar an den Islam denken, in dem sich aktuelle politische Entwicklungen widerspiegeln.
Kautsky schildert die Krisen des römischen Imperium ( der Sklavenhaltergesellschaft) bzw. der damaligen jüdischen Gesellschaft. In dieser Umbruchssituation entstanden im Judentum zahlreiche messianische Strömungen. Das Christentum war nur eine nur EINE von vielen. Im Vorwort zur deutschen Ausgabe von Alan Woods (S.15 ff) wird zu recht die Bedeutung der 1947 entdeckten Qumran-Schriftrollen hervorgehoben. „Die Qumran-Gemeinde war nicht christlich, aber die Parallelen zum Christentum sind offenkundig und von verschiedenen Experten aufgezeigt worden“(S.31).
Die urchristliche Gemeinde war gegen die römischen Besatzer und das jüdische Establishment -vor allem die Sadduzäer- gerichtet, aufrührerisch, rebellisch- in der Terminologie von Kautsky „kommunistisch“. Sie war durch praktische Solidarität gekennzeichnet: gemeinsame Mahlzeiten, Unterstützungsvereine etc.
All das findet- wenn auch nur sehr gebrochen- im Neuen Testemanet seinen Niederschlag. Am stärksten in der Offenbarung des Johannes. „Selig, wer diese prophetischen Worte vorliest und wer sie hört und wer sich an das hält, was geschriben ist: denn die Zeit ist nahe“.
Die „Erlösung“, das „Reich Gottes“ hat hier also einen sehr irdischen Charakter. Nach der Niederlage des jüdischen Aufstands 66-70 n. Chr. wird das „Heil“ zunehmend ins Jenseits verlegt.
Unter Kaiser Konstantin wird das Christentum Staatsreligion und verliert endgültig seine Sprengkraft. Das mit Paulus auch für Nicht-Juden („Heidenchristen“) geöffnete, pazifierte Christentum wird für die „Beladenen dieser Welt“ zunehmend eine „Quelle des Trostes“ .
Kautsky gibt einen fundierten Einblick in die Struktur der damaligen Gesellschaften bzw. deren allgemeine geistige Verfassung. Über die spezifische Initiativfunktion von Jesus erfährt man/frau kaum etwas. Er wird im wesentlichen als eine mythische Gestalt ( wenn nicht überhaupt seine Existenz in Frage gestellt wird) abgehandelt. Fast wäre man/ frau versucht, bei Kautsky von einem „Christentum ohne Jesus“ zu sprechen.
So heißt es in dem Kapitel “ Die Persönlichkeit Jesu“:“Wohl können auch einzelne Persönlichkeiten die Gesellschaft beeinflussen, und für das Gesamtbild ihrer Zeit ist die zeichnung hervorragender Individuen nicht zu entbehren. Aber an historischen Zeiträümen gemessen ist deren Einfluß nur ein vorübergehender, bildet er nur den äüßerlichen Zierat ( sic!), der am ehesten an einem Bau in die Augen fällt, und über seine Grundmauern nichts sagt“(S.61 f.).
Solch eine weitestgehende Leugnung der Rolle von Persönlichkeiten in der Geschichte ist typisch für einen objektivistischen Marxismus, der den -in die Geschichte- eingreifenden subjektiven Faktor, die bewußte Tat ausklammert.
Im spannenden Nachwort von Gernot Trausmuth „Ein Schiff für stille Buchten“ (S.384 ff), das das Leben und Werk von Kautsky beleuchtet, wird gezeigt, das diser sterile Objektivismus beim alten Kautsky nicht zufälliger Weise schließlich zum totalen Bruch mit dem Marxismus führte.
Eingedenk dieser Schranken ist eine kritische Lektüre des Buches von Kautsky unbedingt sinnvoll. Wie gesagt: Religion spielt bis zum heutigen Tag eine immense Rolle. Über ihre widersprüchliche Rolle im Verlaufe der Geschichte (sie erschöpft sich bekanntlich nicht in der Funktion des „Opium des Volkes“- siehe etwa ihre Rolle im deutschen Bauernkrieg/Thomas Münzer/ etc.) sollten schöpferische MarxistInnen umfassend Bescheid wissen.
Hermann Dworczak
Karl Kautsky „Der Ursprung des Christentums“
Jüngst machte sich Maria Fekter Sorgen über den immer stärker werdenden Hass gegen Reiche. Sie sollte froh sein, dass sie mit Werner Faymann und nicht mit einem Vertreter der urchristlichen Gemeinde in einer Regierung sitzen muss.
Die urchristliche Botschaft vom Erlöser, der das Reich Gottes auf Erden bringen wird, brachte vor 2000 Jahren die Hoffnung der Menschen auf eine Gesellschaft ohne Unterdrückung zum Ausdruck und wurde dadurch eine materielle Kraft, die den Gang der Geschichte nachhaltig prägte. Die Ursprünge des Christentums gehören zu den faszinierendsten Kapiteln der Menschheitsgeschichte. Das Bild, das wir vom Entstehen dieser Religion in der Schule oder in den Medien vermittelt bekommen, ist noch immer jenes von der Strahlkraft des Jesus von Nazareth, der mit seinen Predigten und Wundern die Massen in seinen Bann zog.
Karl Kautsky, der bedeutendste marxistische Theoretiker der frühen Sozialdemokratie, lieferte 1908 mit seinem „Ursprung des Christentums“ eine bahnbrechende Arbeit, mit der er die Mythen rund um Jesus und das frühe Christentum zu tiefst erschütterte.
Durch die Untersuchung der heidnischen und frühchristlichen Quellen, die von der Persönlichkeit Jesu berichten, kommt Kautsky zu dem Schluss, dass der historische Kern der vorliegenden Erzählungen im günstigsten Falle darin besteht, dass zur Zeit des Kaisers Tiberius ein Prophet hingerichtet wurde, von dem die anfangs wohl sehr unbedeutende Sekte der Christen ihren Ursprung nahm. Einer von vielen, die gegen die römische Herrschaft rebellierten und die Rolle des Messias einzunehmen versuchten.
Die Voraussetzungen für das Entstehen des Christentums sieht Kautsky im Niedergang der römischen und der jüdischen Gesellschaft. Er zeichnet das Bild einer Gesellschaft, in der ökonomischer, politischer und in der Folge wissenschaftlicher und moralischer Verfall vorherrschten. Auf dieser Grundlage wurden der Erlösergedanke, Wundergläubigkeit, Todessehnsucht, Unterwürfigkeit zu Massenphänomen. Aus sich heraus konnte die krisengeschüttelte römische Gesellschaft keine neue Welt mehr gestalten, dazu bedurfte es anderer Elemente, die ihr durch das rebellische Judentum zugeführt wurden.
Mit seiner Darstellung des Zusammenhangs zwischen der ökonomischen Funktion als Handelsvolk und den religiösen und philosophischen Vorstellungen sowie dem nationalen Bewusstsein des jüdischen Volkes liefert Kautsky die besten Argumente gegen den Vorwurf, die marxistische Methode sei von einem „plumpen Materialismus“ geprägt.
Im von den unteren Klassen getragenen jüdischen Befreiungskampf gegen die römische Fremdherrschaft wurzelte die sich herausbildende christliche Gemeinde, die zu Beginn eine rein proletarische, von Klassenhass beseelte Organisation war. Dies zeigt sich in ihrem Monotheismus, im Messiasglaube und im Kommunismus des Konsums.
Das Christentum, wie wir es aus dem Neuen Testament kennen, ist das Produkt der Vermischung dieser widerständigen jüdischen Kultur mit jener der absterbenden hellenistisch-römischen Welt im 2. Jahrhundert unserer Zeitrechnung.
Einher ging dies, wie Kautsky zeigt, mit der Herausbildung einer Bürokratie in der christlichen Gemeinde, die er als einen der ersten utopischen Vorläufer des modernen Sozialismus verstand. Der Aufstieg der Kirche zu einer mächtigen Herrschaftsmaschinerie war somit geebnet.
Nun liegt dieser marxistische Klassiker neu aufgelegt wieder vor. Wer die Geschichte und seine großen Zusammenhänge verstehen lernen will, der wird in diesem Buch die nötige Methode finden.
Manuel Reichetseder, Faktor – Zeitung der SJ Wien