Der österreichische Konzern Mayr-Melnhof will seinen Standort im Schweizer Deisswil schließen. Die Belegschaft kämpft nun für ihre Arbeitsplätze. Ein Flugblatt des „Wiener Solinetzwerk_Arbeitskämpfe“, das der „Funke“ unterstützt.
Als er in Wien das Flugzeug bestieg, hatte sich Wilhelm Hörmanseder, CEO der Mayr-Melnhof Karton AG – Europas grösster Kartonhersteller – die Sache wohl etwas einfacher vorgestellt. Vermutlich glaubte er, es wür-de genügen, mit einer dreisten Lüge vermeintliche Sachzwänge zu schaffen und so 255 Familien um ihre Arbeit und ihr Brot zu bringen. Die Beschäftigten der Karton Deisswil (CH) waren in die Betriebsferien geschickt worden, um sie nach ihrer Rückkehr vor vollendete Tatsachen zu stellen: Wegen der „drastisch gestiegenen“ CO2-Abgaben, die in der Schweiz bezahlt werden müssten, sei ihre Fabrik nicht mehr rentabel und müsse per sofort geschlossen werden, verkündete der Manager aus Wien der geschockten Belegschaft.
Lügen haben kurze Beine…
Nach wenigen Tagen wich das ungläubige Entsetzen bei den Beschäftigten der traditionsreichen Kartonfabrik, von denen viele in zweiter oder dritter Generation dort arbeiten, einer grenzenlosen Wut und Enttäuschung. Dies umso mehr, als bekannt wurde, dass in Wirklichkeit die Kartonfabrik Deisswil von der CO2-Abgabe befreit ist! Mayr-Melnhof hatte gelogen, um von den wahren Gründen für die Schließung abzulenken: Man wolle sich – hieß es an einer Pressekonferenz – «auf Hochleistungsstandorte konzentrieren» und die Investitionen auf «Projekte mit kurzfristigem Payback konzentrieren». Das schnelle Geld, die kurzfristige Rendite, das ist das Einzige, was die Mayr-Melnhof-Gruppe interessiert, die im Kri¬senjahr 2009 den Gewinn auf 230 Millionen Euro steigern konnte. Und auch bei Karton Deisswil, die in den Augen von Mayr-Melnhof zuwenig rentabel ist, wurde im letzten Quartal 2009 ein Überschuss von über 17 Millionen Euro erzielt.
1990 hatten die Raubritter aus Wien die Kartonfabrik Deisswil übernommen. Statt in diesen 20 Jahren zukunftsweisende Investitionen vorzunehmen, rühmte man lieber die Deisswiler für die geringsten Krankheitsabsenzen innerhalb der MM-Karton Gruppe. «Das Herzblut haben wir gegeben, um mit den alten Maschinen noch rentabel produzieren zu können. Dafür bekommen wir jetzt den Tritt!», wird in der Gewerkschaftszeitung „work“ ein Arbeiter zitiert. «Ausgepresst wie eine Zitrone» seien sie worden.
Die Deisswiler wehren sich
Rund 500 Personen haben am Samstag, 17.04.2010, vor der Kartonfabrik für die Wiederaufnahme der Pro-duktion demonstriert. Aufgerufen dazu hatten einige Tage zuvor über Facebook (inzwischen zählt die Face-book-Gruppe über 2´750 Mitglieder!) drei junge Deisswiler. Unterstützung erhält die Belegschaft auch von den Arbeitern der Officine, die vor zwei Jahren erfolgreich gegen die Schließung der SBB-Werkstätten in Bellinzona gekämpft haben. „Wir müssen einfach Nein sagen, der Rest wird folgen“, empfiehlt Streikführer Gianni Frizzo den Beschäftigten der Karton Deisswil.
Das Ziel, eine Menschenkette um die ganze Kartonfabrik herum zu bilden, wurde am letzten Samstag zwar nicht erreicht. Dazu wären weit über 1000 Personen nötig gewesen. Dafür haben wir jetzt die Menschenkette symbolisch bis nach Wien verlängert und demonstrieren heute vor der Zentrale der MM-Karton Gruppe gegen die Arbeitsplatzkiller der Mayr-Melnhof! Wir solidarisieren uns mit den Beschäftigten der Kartonfabrik Deisswil, weil wir auch hier in Wien immer wieder von Werkschließungen betroffen sind. So soll beispielsweise nach dem Willen der Shell-Manager das Werk in Wien-Lobau Ende 2010 geschlossen werden. Ob Continental, Shell oder Mayr-Melnhof, es ist der gleiche Kampf gegen die Profitgier der Kapitalbesitzer und ihrer Manager! Ob Deisswil oder Wien, die ArbeiterInnen aller Länder haben die gleichen Interessen! Gemeinsam sind wir stärker!
Bericht von der Solidaritätsaktion vor der Mayr-Melnhof Zentrale am 23. April 2010
Am Freitag, 23. April 2010 hat das „wiener solinetzwerk_arbeitskämpfe“ vor der Konzernzentrale der Mayr-Melnhof Gruppe gegen die Schließung der Kartonfabrik Deisswil (CH) demonstriert. In einem Flugblatt begründen die AktivistInnen ihre Aktion: „Wir solidarisieren uns mit den Beschäftigten der Kartonfabrik Deisswil, weil wir auch hier in Wien immer wieder von Werkschließungen betroffen sind. So soll beispielsweise nach dem Willen der Shell-Manager das Werk in Wien-Lobau Ende 2010 geschlossen werden. Ob Continental, Shell oder Mayr-Melnhof, es ist der gleiche Kampf gegen die Profitgier der Kapitalbesitzer und ihrer Manager! Ob Deisswil oder Wien, die ArbeiterInnen aller Länder haben die gleichen Interessen! Gemeinsam sind wir stär ker!“ An der Kundgebung am Brahmsplatz im 4. Bezirk hat außerdem ein Mitglied der Schweizer Gewerkschaft Unia einen Offenen Brief der Nachkommen des ehemaligen Besitzers der Kartonfabrik an die heutigen Betreiber, die Mayr-Melnhof Gruppe, verlesen, worin u.a. steht: „Ihre Begründungen rechtfertigen in keiner Art und Weise, 253 treue und einsatzbereite Mitarbeitende per sofort zu entlassen! Die Monteure mussten ihre Reparaturarbeiten von einer Stunde auf die andere niederlegen. Wie können Sie ein so menschenverachtendes Vorgehen mit Ihrem Gewissen vereinbaren?“ Wie den Schweizer Medien zu entnehmen ist, werden die Proteste gegen die Schliessung der traditionsreichen Kartonfabrik Deisswil auch in Wien weitergehen.
Anlässlich der Hauptversammlung der Mayr-Melnhof Karton AG am kommenden Mittwoch, 28. April um 10 Uhr im Grand Hotel am Kärnter Ring 9 werden über 100 Beschäftigte der Kartonfabrik aus der Schweiz anreisen, ums sich Gehör zu verschaffen. «Ich erhoffe mir, dass sich die Konzernleitung zumindest mit uns an einen Tisch setzt, um über alles zu reden», hat Manfred Bachmann, Präsident der Betriebskommission (Betriebsratvorsitzender), anlässlich einer Betriebsversammlung unter Applaus verkündet. Das „wiener solinetzwerk_arbeitskämpfe“ ruft dazu auf, die Aktion der Schweizer KollegInnen am nächsten Mittwoch tatkräftig zu unterstützen.