GenossInnen des „Funke“ und der SJ waren vergangenes Wochenende bei der Protestaktion gegen die Schließung des Schmiermittelwerks von Shell in Wien-Lobau und berichten über ihre Eindrücke.
Es ist Samstag Nacht, es ist stockdunkel und eiskalt. Wir fahren eine langgezogene Straße entlang. Es riecht nach Benzin, und die großen Tanksilos ragen links und rechts in beeindruckender Größe empor. Am Ende der Straße sieht man Lichter und laute Musik schallt uns entgegen. Die Musik kommt aus dem Kampagnenbus der neuen Produktionsgewerkschaft PRO.GE. Man sieht uns heranfahren und kommt uns entgegen um uns herzlich zu begrüßen, nach einem kurzen Update führt man uns ins Zelt. 2 Partyzelte geben ein Dach über dem Kopf und ein wenig Schutz vor der eisigen Kälte dieser Nacht. Die KollegInnen sind gut ausgerüstet hier: Eine Gulasch- und Teekanone, einige Heizstrahler. Und wüssten wir es nicht besser, würden wir an-nehmen die ca. 15 Personen würden eine nette Party feiern. Aber der Schein trügt. Hier in bitterer Kälte vor den Werkstoren von Shell haben sich ArbeitnehmerInnen zusammengefunden, die es nicht hinnehmen wollen, dass ihr Werk geschlossen wird. Geschlossen, obwohl es Profite abwirft. Geschlossen, obwohl sich Shell noch vor kur-zem als „familienfreundliches Unternehmen“ feiern ließ.
Eine Gruppe von Arbeitern sitzt zusammen und zerbricht sich den Kopf, ob sie einen Job finden werden, wenn das hier alles aus ist. Jetzt, wo Wirtschaftskrise ist. Außerdem hatten manche von ihnen noch nie einen anderen Arbeitsplatz als in diesem Werk. Man sieht in ihren Gesichtern die Angst vor der Ungewissheit. Hinter jedem Gesicht verbirgt sich eine eigene Geschichte. Die alleinerziehende Mutter, die überlegt, ob sie vielleicht bei Nachbarn putzen könnte um sich und ihre Kinder zu erhalten. Das Paar, das sich den Traum von Eigenheim verwirklichen will und bald ohne Arbeit dasteht. Die meisten Beschäftigten sind zwischen 40 und 50 Jahre alt. Wo werden sie wohl einen Job bekommen? WelcheR ArbeitgeberIn wird noch in sie in-vestieren?
„Wenn du nicht den goldenen Löffel stiehlst, dann wirst du hier in Pension gehen“. Versprechungen, die nun wie Hohn klingen. Die Belegschaft wird vor vollendete Tatsachen gestellt. Schluss mit dem guten Miteinander zwischen Belegschaft und Firmenleitung. Die ArbeiterInnen haben Einschnitte hingenommen. Unbezahlte Überstunden um die Kosten niedrig zu halten. Schon vor einigen Jahren wurden KollegInnen entlassen. Sie sollten denken wie UnternehmerInnen – „einE MitarbeiterIn, die/der in der Freizeit an die Firma denkt“ – so sollten sie sein.
„Das Geheimnis Ihnen Geborgenheit zu vermitteln heißt, Sie so schnell über den Tisch zu ziehen, dass Ihnen die Reibungshitze wie Nestwärme vorkommt.“ lehrte man auf den internen Führungsseminaren. Suspekt kam ihnen das damals vor, aber nicht weiter bedenklich, schließlich war das Arbeitsklima gut. Heute wissen sie worauf sie sich gefasst machen mussten. Im Zweifelsfall, wenn die Firma vor der Ent-scheidung steht „Menschen oder Profite“ ist das freundschaftliche Verhältnis von einst nichts mehr wert. Sind die Opfer, die man in der Vergangenheit gebracht hat, plötzlich vergessen.
Sie wissen, dass nicht „ihre“ ManagerInnen schuld an der Misere sind und diese nur Instruktionen umsetzen. „Die erledigen die Arbeit von dressierten Affen“ – Aber mit diesem Gehalt? Ganz geheuer dürften dem Management die Aktionen vor den Werkstoren nicht sein, schließlich erstattet der Portier regelmäßig Bericht. Zumindest sind es nicht nur die ArbeiterInnen, die dieses Wochenende einen unruhigen Schlaf haben.
Wir zeigen den KollegInnen den Film vom Arbeitskampf gegen die geplante Schließung der Schweizer Bundesbahnwerkstätten in Bellinzona. Der Film zeigt Arbeiter, die den Betrieb besetzen und so um ihre Arbeitsplätze kämpfen. Er zeigt ihre Emotionen und Ängste, und wie sie ihr Ziel, den Erhalt ihrer Werkstätte, erreicht haben. Immer wieder kommen Fragen: „Haben diese Arbeiter heute immer noch ihre Jobs?“ oder „Wer trägt in so einem Fall die Verantwortung, die Geldstrafen?“. Eine Kollegin macht das Angebot, dass der Film auch auf der nächsten Betriebsversammlung gezeigt wird.
Auf der letzten Betriebsversammlung hat sich die Belegschaft sehr kampfbereit gezeigt, ein Streikbeschluss wurde gefasst. Doch was ist daraus geworden? Eine Straßenblockade, die keine ist, weil man alle ankommenden LKWs nach kurzer Zeit durchlässt. An einem Wochenende, an dem kaum Betrieb ist. Bis Montag Morgen geplant, bereits am Sonntag Nachmittag beendet. Die Gewerkschaft hätte von einer wirklichen Blockade der Werkstore abgeraten. Die Polizei habe keine Genehmigung erteilt, weil eine derartige Aktion entgegen dem „öffentlichen Interesse“ ist. Und für alle Geschäftausfälle und die dadurch entstehenden Schadenersatzansprüche würde der Betriebsrat zur Rechenschaft gezogen werden. Aber ist es den tatsächlich entgegen dem öffentlichen Interesse wenn ArbeiterInnen gegen eine drohende Werks-schließung und den Verlust ihrer Arbeitsplätze kämpfen wollen?
Als wir spät in der Nacht die Protestaktion verlassen, bleiben noch immer rund 10 KollegInnen vor Ort, die heute nicht in einem warmen Bett ihre Nachtruhe finden, sondern auf Feldbetten und Matten in ihren Noch-Arbeitsräumlichkeiten.
Am nächsten Morgen ist es immer noch eisig kalt. Wir zeigen noch einmal unsere Solidarität mit der Shell-Belegschaft. Die Stimmung ist angespannt. Wie viele Menschen werden die Abschlusskundgebung heute unterstützen? Es ist 14 Uhr und rund 100 Personen haben sich vor dem Werk eingefunden. ArbeiternehmerInnen, Familienangehörige, GewerkschafterInnen, Menschen, die von dem Arbeitskampf hörten und ihre Solidarität zeigen wollen. Auch ein paar StudentInnen waren gekommen. Eine Reihe von Personen richten Grußworte an die Anwesenden. Eine Nationalratsabgeordnete, Rainer Wimmer, der Vorsitzende der PRO.GE, der Betriebsrat der OMV, dessen Belegschaft ebenfalls vor einem Arbeitskampf steht. Wir verlesen die Resolution der Sozialistischen Jugend Österreich. Sie alle wollen sich künftig in Soli-darität üben mit der Belegschaft des Schmiermittelwerks von Shell. Diese Botschaft stößt auf reges Interesse und Wohlwollen bei den anwesenden ArbeitnehmerInnen. Der Arbeiterbetriebsrat und ein anderer Gewerkschafter nehmen einige „Funke“ und verkaufen sie an die herumstehenden KollegInnen. Es wird noch rege diskutiert.
Zum Schluss sind sich die KollegInnen einig: „Wir streiken, wenn Shell nicht auf unsere Forderungen eingeht.“ Welche Forderungen das genau sind, was das eigentliche Ziel dieses Kampfes sein soll und wer entscheidet, ob diese Ziele erfüllt wurden, das ist nicht ganz klar. Ein besserer Sozialplan? Aber klingt das nicht nach Aufgeben? Was hat man noch zu verlieren? Sollen wir aufs Ganze gehen und das Undenkbare fordern?
Die MitarbeiterInnen haben jedenfalls gezeigt, dass sie bereit sind für Ihre Interessen einzustehen. Für den Erhalt des Werks! Für den Erhalt der Arbeitsplätze! Für die Existenzgrundlage von 80 Familien! Dafür verdienen sie unsere volle Solidarität!