Im österreichischen Vorarlberg wird gewählt – SPÖ-Kandidat wirbt mit Lenin. Ein Gespräch mit Lukas Riepler. Dieses Interview erschien in der heutigen Printausgabe der deutschen Tageszeitung „Junge Welt“.
Sie gehen als Kandidat der Sozialdemokratischen Partei Österreichs (SPÖ) am 20. September in die Landtagswahlen von Vorarlberg, dem kleinsten Bundesland Österreichs. Ihr Programm unterscheidet sich aber wesentlich von dem der Mutterpartei SPÖ.
Das ist richtig. Wir glauben nicht an eine Lösung grundlegender Probleme wie Arbeitslosigkeit, Armut oder der Bildungsmisere im Kapitalismus, weil der selbst das Problem ist. In diesem Wahlkampf verfolgen wir nur ein Ziel: Wir wollen vor dem Hintergrund der größten Wirtschaftskrise seit den 30er Jahren Stimme für alle Lohnabhängigen und für die arbeitende und studierende Jugend sein.
Der Wahlkampf an sich ist eine Fortsetzung jener Schulstreik- und Jugendbewegung, die wir im Frühjahr in Solidarität mit den von Arbeitszeitverlängerung betroffenen Lehrerinnen und Lehrern losgetreten haben. Damals hatten wir die größte Schulstreikbewegung Vorarlbergs und auch ganz Österreichs initiiert. Dieser Bewegung wollen wir im Landtag ein Sprachrohr geben.
Welche konkreten Forderungen haben Sie jetzt?
Wir fordern etwa eine Landesauffanggesellschaft für Pleitebetriebe, damit von Kündigung betroffene Arbeiter auf eigene Initiative ihre Arbeitsplätze erhalten können. Wir verlangen einen Mindestlohn von 1500 Euro, landeseigene Lehrwerkstätten und den Anspruch auf ganztägige Kinderbetreuung vom ersten Lebensjahr an.
Sie haben Ihren Wahlkampf mit dem Konterfei Lenins beworben und kassierten dafür Schelte und Rücktrittsforderungen. Wie ist es dazu gekommen?
Das Konterfei Lenins bewarb ein Fest mit dem Titel »Back In The USSR«, das wir im Bregenzer Wald veranstalteten, der konservativsten Region Vorarlbergs. Die Vorarlberger Medien, dominiert von einem einzigen Konzern, der die wesentlichen Print-, Online- und Radiomedien bei sich monopolisiert, nahm das zum Anlaß, eine Kampagne gegen uns zu starten. Auf diesen Zug wiederum sprangen alle anderen Parteien von der rechtsextremen FPÖ bis zu den Grünen auf, um die SPÖ und auch uns zu attackieren. Davon lassen wir uns aber nicht sonderlich beeindrucken.
Lenin steht stellvertretend für die russische Revolution von 1917, in der sich die Arbeiter und Bauern vom zaristischen Regime befreiten. Sie ist das erste Beispiel in der Geschichte dafür, daß Arbeiter und Bauern sehr wohl ihre Geschicke ohne Ausbeutung durch einen Grundherrn oder Unternehmer selbst in die Hand nehmen können. Diese Tatsache ist der Grund für die wüsten Reaktionen des Vorarlberger Bürgertums.
Sie kandidieren mit dem radikalsten Programm, das die österreichische Innenpolitik in den letzten Jahren gesehen hat. Gleichzeitig setzt die SPÖ da, wo sie an der Regierung ist, aber die Politik des Kapitals um. Wie paßt das zusammen?
Trotz ihrer bürgerlichen Führung ist die SPÖ die einzige Partei, in der der Einfluß der Gewerkschaften und die Traditionen der Arbeiterbewegung nach wie vor eine Rolle spielen. In der SPÖ erwacht daher langsam ein lebendiges Spiel der Kräfte: Die Führung versucht, aus der Sozialdemokratie eine weitere Volkspartei zu machen, während an der Basis der Wunsch wieder größer wird, daß wir uns jener Methoden und jener Politik erinnern müssen, die die Sozialdemokratie groß gemacht haben: Die SPÖ muß wieder ein Instrument des politischen Kampfes der Lohnabhängigen sein. Die Sozialistische Jugend steht für den Aufbau eines linken Flügels.
Vorarlberg scheint kein guter Boden für die Linke zu sein. Seit den 70er Jahren koaliert die Österreichische Volkspartei (ÖVP) trotz absoluter Mehrheit mit der rechtsextremen FPÖ. Die SPÖ kratzt kaum an der 20-Prozent-Marke.
Historisch gesehen hat sich die Arbeiterbewegung bei uns immer schwer getan, aus der konservativen Umklammerung zu entkommen. Und das, obwohl Vorarlberg das am stärksten industrialisierte Bundesland Österreichs ist. Unsere Schwäche ist zugleich die Stärke der ÖVP. Unseren Wahlkampf sehen wir daher auch als wichtigen Beitrag, die Arbeiterbewegung in diesem Bundesland organisatorisch zu stärken und vor allem in der Jugend zu verankern.
Das Gespräch führte Samuel Stuhlpfarrer.
Das Interview auf der Homepage der „Jungen Welt“ findet sich hier