Eine erste Einschätzung der gestrigen Nationalratswahlen aus marxistischer Sicht.
Die SPÖ ist wie schon 2006 stimmenstärkste Partei und erhielt 29,7% (-5,6%). Ihre Verluste sind teilweise dramatisch (vor allem in den Industriestädten und in mehreren Wiener ArbeiterInnenbezirken). Dies ist das schlechteste Wahlergebnis, das die Partei nach 1945 bei Nationalratswahlen eingefahren hat. Gemessen an den zweistelligen Einbrüchen bei den Landtagswahlen in Niederösterreich und Tirol zeigt sich aber, dass die Sozialdemokratie gerade noch das Schlimmste abwenden hat können.
Ohne den Kurswechsel in den letzten Wochen vor der Wahl (verstärkte Einbindung der FSG, Bruch des Stillhalteabkommens mit der ÖVP und 5-Punkte-Paket gegen Teuerung) wäre die SPÖ der Wahlverlierer Nr. 1 gewesen. In Wirklichkeit haben die sozialdemokratischen GewerkschafterInnen die SPÖ zur stimmenstärksten Partei gemacht. Indem Faymann sich noch einmal auf die FSG stützte, hat er es geschafft die Kernschichten der Sozialdemokratie wieder zu mobilisieren.
Dies darf aber nicht darüber hinweg täuschen, dass die ArbeiterInnenbewegung nach 18 Monaten Großer Koalition extrem geschwächt ist und nur knapp einer Todeskrise entgangen ist. Abgesehen von den echten Hochburgen der organisierten Klasse in den Großbetrieben, wird die SPÖ von den ArbeiterInnen nicht mehr automatisch als „ihre Partei“ gesehen. Bei den Jungen ist dieser Prozess schon ganz besonders weit fortgeschritten.
Es ist diese Krise der Sozialdemokratie, die der FPÖ und Jörg Haiders BZÖ ein Revival ermöglichte. Vor drei Jahren war das gespaltene „Dritte Lager“ dem politischen Ende nahe. Durch ihre Rolle als Mehrheitsbeschaffer für den Kurs von Wolfgang Schüssel hatte sich die FPÖ als „Retterin des kleinen Mannes“ völlig diskreditiert. Nur dank des politischen Ausverkaufs der SPÖ-Spitze in der Großen Koalition konnte HC Strache wieder mit seiner Mischung aus sozialer Demagogie, plumpem Rassismus und Österreich-Patriotismus punkten. In seiner Rolle als einer, der „es denen da oben reinsagt“, wurde er zum Sprachrohr für eine weit verbreitete, diffuse Proteststimmung. Wenn nun angesichts des „Rechtsrucks“ moralische Entrüstung aufbrandet, so sollte eins klar sein: Die Ursache für den neuerlichen Aufstieg der Blauen ist eindeutig in der sozialen Frage zu finden. Der Unmut über Teuerung, sinkenden Lebensstandard usw. findet aber keinen Ausdruck in Form einer kämpferischen ArbeiterInnenbewegung. Das Vakuum, das SPÖ und ÖGB hinterlassen, füllt Strache gekonnt mit seinen reaktionären Losungen.
Wem Strache zu sehr poltert und rülpst, der hat im gereiften Jörg Haider und dem BZÖ eine wählbare Alternative gefunden. Haider wurde von den bürgerlichen Medien gezielt als „Zünglein an der Waage“ aufgebaut wenn nicht neu erfunden. Sein Credo lautete „Nein zur Großen Koalition“ (sprich: Keine Koalition mit den Roten!). In einer zukünftigen Bürgerblockregierung unter Führung der ÖVP könnte er eine durchaus staatstragende Rolle spielen.
Die führende Kraft des bürgerlichen Lagers, die ÖVP, hat bei diesen Wahlen mächtig Federn lassen müssen. Minus 8,6% bedeuten auch für die Schwarzen einen historischen Tiefstand. Molterer inszenierte sich bewusst als die Kraft der Vernunft in schwierigen Zeiten. Die bürgerliche Ideologie von Nulldefizit hat aber keine Zugkraft mehr. Die soziale Frage ist längst zu brennend und für jeden einzelnen so direkt spürbar, dass eine Partei, die darauf keine Antwort zu geben bereit ist, einfach zerrieben werden muss. Die ÖVP mag sich gemeinsam mit den Grünen, die sich noch nie so offen als bürgerliche Partei ausgaben wie in diesem Wahlkampf, als Stimme der Vernunft präsentieren, aber es zeigt sich, dass das Kapital in dieser Gesellschaft längst eine kleine Minderheit darstellt, der es immer schwerer fällt andere soziale Gruppen (öffentlich Bedienstete, Landwirte usw., Kleingewerbetreibende, freie Berufe) rund um sich zu gruppieren. Darin liegt Ursache für die historische Krise der ÖVP.
Wenn eine Analyse der Wahlen der letzten 10 Jahre etwas zeigt, dann die Tatsache, dass Wahlen nicht viel mehr als Momentaufnahmen gesellschaftlicher Stimmungen sind. Jeder dieser Urnengänge brachte erdrutschartige Stimmenverschiebungen. Instabilität ist längst zum Kennzeichen für das politische System in Österreich geworden. Dieses Wahlergebnis ist somit weniger ein Zeichen für den „Rechtsruck“ sondern vielmehr verwirrter Ausdruck dafür, dass immer größere Teile der Bevölkerung einen Ausweg aus der sozialen und politischen Krise suchen. Der Widerspruch zwischen den Interessen der überwältigenden Mehrheit in dieser Gesellschaft und einer Politik, die sich gänzlich der Logik des kapitalistischen Systems als letzter Wahrheit unterordnet, wird mehr und mehr zu einer offenen Krise des politischen Systems selbst. Einen Ausweg kann es nur geben, wenn wir es schaffen aus den Reihen der ArbeiterInnenbewegung wieder eine Kraft aufzubauen, die eine Alternative zu diesem System präsentieren kann.
Nachtrag: Was wurde aus der KPÖ und der „Linken“?
Mit großen Ansagen war die österreichische Linke in diesen Wahlkampf gegangen. Die KPÖ sah sogar erstmals die Chance gekommen, mit ein wenig Glück erstmals seit 50 Jahren wieder in den Nationalrat einziehen zu können. Und dann war noch das Wahlbündnis „Linke“, das sich aus vier Gruppen (ATIGF, KI, LSR und SLP) und einigen EinzelkämpferInnen à la Hermann Dworczak formiert hatte.
Eine Alternative links von der Sozialdemokratie wollten die beiden Gruppierungen auf dem Wahlzettel darstellen. Abgesehen von dem wenig aussagestarken Attribut „Links“ war davon aber nicht viel zu sehen. Die KPÖ präsentierte sich ohnedies betont moderat. Ein wenig mehr Umverteilung und gleiche Rechte für alle – darauf reduziert sich der „Kommunismus“ der KPÖ. Auch die „Linke“, in der immerhin „TrotzkistInnen“ und StalinistInnen den Ton angeben, hatte den politischen Weichspüler eingeschaltet und formulierte ein Wahlprogramm, das alles nur keine politische Alternative zur Sozialdemokratie darstellt.
Mit anderen Worten: diese beiden Listen waren für die österreichischen Lohnabhängigen so nützlich wie ein Kropf. Dies sollte sich auch im Wahlergebnis widerspiegeln. Die KPÖ verlor 13.000 Stimmen (-0,24%). Die „Linke“, die in fünf Bundesländern eine Kandidatur schaffte, erhielt zwischen 0,04% und 0,13%. Nur rund 1900 Menschen konnten sich für diese Form des linken Reformismus erwärmen. Diese Wahlergebnisse der Linken sind in Wirklichkeit katastrophal und können durch nichts schön geredet werden.
KPÖ und „Linke“ lieferten einmal mehr den Beweis, dass es außerhalb der organisierten ArbeiterInnenbewegung (und das ist in diesem Land bis dato die Sozialdemokratie) nichts gibt. Der Aufbau einer starken Linken ist heute tatsächlich ein Gebot der Stunde. Diese Gruppierungen haben aber weder die notwendige Übergangsprogrammatik, die politischen Methoden noch die soziale Verankerung und organisatorischen Stärken dieser Aufgabe gerecht zu werden. Es führt unter den gegebenen Bedingungen nichts an einer geduldigen Arbeit in den Reihen der ArbeiterInnenbewegung auf der Grundlage der Ideen und Methoden des Marxismus vorbei. Alles andere führt linke AktivistInnen, auch wenn sie es noch so gut meinen und sich moralisch noch so sehr im Recht sehen, in eine Sackgasse.