Dass diese Regierung die reinste Farce darstellt, war den meisten klar. Aber wer hätte im Herbst oder auch noch vor einem Monat gedacht, dass die Regierung platzt? Verloren ist in diesen Tagen, wer Ereignisse empirisch analysiert und wer Entwicklungen statisch und nicht sprunghaft versteht. Neuwahlen stehen am Plan. Nicht nur die Regierung ist am Ende, sondern auch das schwarz-rote Nachkriegsmodell.
Was ist passiert?
In den letzten Wochen ist der Druck des Parlamentsklubs, der SPÖ-Landesorganisationen und der FSG auf die Parteispitze immer stärker geworden. Der Untersuchungsausschuss in der „Causa Innenministerium“ war dabei nur ein Auslöser. Die meisten, die einen Untersuchungsausschuss wollten, sahen dies in Wirklichkeit bereits in Zusammenhang mit einer notwenigen Neuwahlstrategie.
Gabi Schaunig sagte bereits vor zwei Wochen, dass mit der ÖVP eine soziale Politik nicht möglich sei, der Landesgeschäftsführer der SPÖ Steiermark bezeichnete Schüssel als „Dollfuss des 21. Jahrhunderts“. Das ist nicht die Sprache der Großen Koalition.
Dahinter liegt, dass der Druck aus den Sektionen, Ortsgruppen und Betrieben auf die SPÖ-Landesorganisationen seit Weihnachten unaushaltbar groß geworden ist. Reale Pensionskürzungen bei PensionistInnen, die weniger als die Mindestpension erhalten, keine Pflegelösung und der Pleiten-, Pech- und Pannen-Einsatz im Tschad. Das ist einfach zuviel geworden. Die politische Strangulation der SPÖ durch die ÖVP in der
großen Koalition verlangte nach einem Befreiungsschlag.
180° Wende?
Seit Sonntag fährt die SPÖ-Spitze jetzt einen um 180° veränderten Kurs. Nicht nur, dass dem Untersuchungsausschuss grünes Licht gegeben wurde. Gusenbauer übernahm plötzlich mit der Forderung nach einem Vorziehen der Steuerreform auf 2009 die wichtigste Kernforderung von ÖGB und FSG.
Was Gusenbauer zur Steuerreform seit Sonntag von sich gibt, klingt zudem ganz anders als bisher. Jetzt ist plötzlich vom „Gusi-Fünfhunderer“ die Rede, mit dem der Durchschnittsösterreicher entlastet werden soll und von einer Mehrbesteuerung der Aktienbesitzer und Spitzenverdiener. Die Steuerreform, über die sich die SPÖ bisher nobel ausgeschwiegen hat, soll plötzlich die große Kurbel der Massenkaufkraft, des Inflationsausgleichs und der Umverteilung werden. Am Wochenende ist der Neoliberale Gusi in das Gewand eines Keynesianers im Sinne der wirtschaftspolitischen Abteilung der AK geschlüpft.
Auch die Idee, die Steuerreform zeitlich und inhaltlich mit der Gesundheitsreform zu verknüpfen, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Vor einer Woche verlangte Gusi noch die Einsparung von 1 Mrd. € durch Verringerung der Ärztezahl. Plötzlich liegt die Betonung auf steuerliche Abgleichung der Defizite. Schüssel sagt, nicht der Untersuchungsausschuss, wohl aber eine „populistische“ Steuerreform sei für ihn ein Koalitionsbruch. Gleichzeitig kann Gusenbauer unmöglich noch einmal umfallen ohne seine Abwahl als Bundesvorsitzender zu riskieren. Es geht jetzt nur noch darum dem Gegner die Schuld an den Neuwahlen zuzuschieben.
Die These von Schüssel
Schüssel behauptet, die FSG hätte Gusenbauer zur neuen Linie gezwungen, indem sie mit einem Sonderparteitag gedroht hat. Das ist durchaus plausibel. Wie sonst konnte es passieren, dass von dieser SP-Spitze, die im letzten Jahr als Tony Blair-Imitat aufgetreten ist, plötzlich FSG-Programm serviert wird?
Die alte Tante SPÖ tickt wohl doch anders als die SPD oder die Labour Party. Weniger als irgendwo sonst dürfte die Abkoppelung der Parteispitze von den Gewerkschaften gelungen sein. Dass Gusenbauer die FSG aus dem Parlamentsklub geworfen hat, führt nur dazu, dass sie jetzt mit dem viel schärferen Mittel eines Sonderparteitags drohen müssen.
Aber auch der ÖGB tickt anders als anderswo. Um einer Streikwelle, wie sie im Rest von Europa zur Tagesordnung gehört, vorzubeugen, wird der ganze Unmut angesichts von Teuerungswelle und Reallohnverlusten mit der Forderung nach einer Steuerreform zur Entlastung der ArbeitnehmerInnen auf die politische Ebene verschoben. Der ÖGB beziehungsweise die FSG müssen so paradoxerweise, um den Deckel auf der Betriebsebene weiter drauf halten und die Sozialpartnerschaft mit den Wirtschaftsverbänden aufrechterhalten zu können, die Regierung, die den politischen Ausdruck der Sozialpartnerschaft darstellt, ins Wanken bringen. Verwinkelt aber doch, bahnt sich der Klassenkampf auch in Österreich seinen Weg.
Kann sich Gusenbauer halten?
Gusenbauer steht jetzt vor einem großen Problem. Er argumentiert den Kurswechsel folgendermaßen: die Regierung hat im Prinzip gut gearbeitet, aber in ein paar Punkten hat sich die ÖVP als Neinsager erwiesen: Pflege, Inflationsbekämpfung, Steuerreform.
Häupl, Voves & Co. sehen das aber anders: Häupl sagt zum Beispiel, die „Neue Mittelschule“, die Gusenbauer noch immer als Erfolg präsentiert, sei das beste Beispiel dafür, dass mit der ÖVP keine Politik zu machen sei. Voves meint gar, die Politikwende von Gusenbauer hätte schon zu Weihnachten kommen müssen.
Es ist sehr fraglich, ob die Bundesparteispitze, wenn der Neuwahltermin steht, die derzeitige Sprachregelung weiter aufrechterhalten kann, dass die Große Koalition prinzipiell gut für das Land und für die Sozialdemokratie war.
Es ist auch fraglich ob es gelingen wird, die FunktionärInnen noch einmal für einen Wahlkampf für die Person Gusenbauer zu mobilisieren.
Es ist gut möglich, dass sich der Unmut der FunktionärInnen und der Sektionen nur eindämmen lässt, wenn anstelle von Alfred Gusenbauer ein Mensch vom Stile eines Erich Haiders die Hebeln in der Löwelstraße in die Hand nimmt.
Aber selbst wenn Gusi selbst Bundesvorsitzender bleibt, ist die alte Hegemonie in der Partei zerstört. In den Ortsparteien, den Bezirks- und Landesorganisationen gärt es, der Josephinische Absolutismus der SPÖ ist dahin. Das Eigenleben ist erwacht, die Kritik ist erwacht, die Knospen des Frühlings haben bereits die Zementdecke der Bürokratie durchbrochen und frische Luft dringt herein.
Wie geht es weiter?
Das Scheitern der Koalition ist ein weiterer Schock für die österreichische Seele. Nicht nur die Regierung ist am Ende, das ganze schwarz-rote System ist am Ende. Die Sozialpartnerschaft auf parlamentarischer Ebene ist am Ende. Auf Jahre hinaus scheint eine weitere Koalition mit der ÖVP unmöglich. Für die SPÖ gibt es in Zukunft nur noch zwei Optionen: Opposition oder sozialdemokratisch geprägte Regierung.
Das muss das Denken der FunktionärInnen, der AktivistInnen, der Mitglieder, aber auch der sozialdemokratischen WählerInnen nachhaltig verändern. Unter der schwarz-blauen Regierung war das ganze Denken der SPÖ darauf ausgerichtet, auf rein parlamentarischem Weg eine Rückkehr in die Vergangenheit zu schaffen und den alten Normalzustand wiederherzustellen. Auch viele Menschen teilten diesen Wunsch oder zumindest die Illusion einer Wiederkehr schwarz-roter Gemütlichkeit. Diese Perspektive hat sich – wie wir immer und immer wieder betont haben – als Illusion erwiesen. Mit der ÖVP ist keine „Politik mit sozialer Handschrift“ möglich.
Damoklesschwert Bürgerblock
Auch Schüssels Hoffnungen sind auf Neuwahlen gerichtet. Es gibt das Gerücht der schwarze Alt-Kanzler arbeite an einer Wiedervereinigung des Dritten Lagers. Das ist durchaus wahrscheinlich. Wenn jetzt Wahlen stattfinden, wenn die SPÖ sich nicht einer kompletten politischen Neuausrichtung ihrer Führung unterzöge, und sich das Dritte Lager eint, dann wäre er wohl der große Profiteur der Neuwahl und würde wie ein Phönix aus der Asche steigen.
Mit Hilfe einer geeinten FPÖ kann die ÖVP zur zweiten Phase des Bürgerblocks ausholen. Vielleicht sogar mit Schüssel selbst an der Spitze. Das wäre dann wirklich der „Dollfuss des 21. Jahrhunderts“. „Schüssel 3 – Die Rückkehr“ nach „Schüssel 2 – Der Feind in meinem Bett“ und „Schüssel 1 – die Wende“ würde die Verwandlung Österreichs in ein turbokapitalistisches Alpen-Singapur abzuschließen versuchen. Eine Steuerreform als reine Entlastung der Superreichen, die hundertprozentige Durchsetzung der europäischen Dienstleistungsrichtlinie, also die Privatisierung der öffentlichen Dienstleistungen als angebliche Inflationsbekämpfung und eine Gesundheitsreform à la ÖVP, die wir uns besser gar nicht versuchen vorzustellen.
Ein neuer Bürgerblock wäre eine Provokation für die gesamte ArbeiterInnenbewegung und die Jugend. Anders als in den Jahren 2004-6 hätte eine von der Sozialdemokratie angestrebte parlamentarische Perspektive dann jedoch wenig Anziehungskraft. Harte, von sozialpartnerschaftlichen Illusionen gereinigte Arbeitskämpfe bis hin zu Massenstreiks, Jugendproteste und soziale Bewegungen wären die Folge, die sowohl die Bewegung gegen Schwarz-Blau aus dem Jahr 2000 als auch den Pensionsabwehrkampf vor fünf Jahren in den Schatten stellen würden.
Diesmal würden die Jugendlichen und die Lohnabhängigen von Anfang an versuchen der Regierung auf der Straße eine Niederlage zu bereiten. Wir dürfen bei all dem nicht vergessen, dass auch das Damoklesschwert einer Wirtschaftskrise über unseren Köpfen schwebt. Dies gießt zusätzliches Öl ins Feuer, weil wirtschaftliche Turbulenzen die Aggression des Kapitals auf die Spitze treiben werden.
Spaltung in zwei Lager
Der parlamentarische Weg dürfte in der kommenden Periode noch weniger Erfolge versprechen als in den letzten Jahren. Die Phantasie wird angespornt und beflügelt werden. Neue Wege müssen angedacht werden. Die österreichische ArbeiterInnenbewegung tritt in eine Phase, in der der außerparlamentarische Kampf zwangsweise eine größere Rolle spielen wird müssen. Das schwarz-rote Regierungssystem bildete in Österreich seit 1945 die Grundlage der gesamten Sozialpartnerschaft. Die „Sozialpartnerschaft Neu“, welche im letzten Jahr von der ÖGB-Spitze als vorbildhaft bezeichnet wurde, wird mit dem Ende der Großen Koalition ebenfalls ausgedient haben. Im bürgerlichen Lager werden jetzt wieder die radikalen Stimmen den Ton angeben. Gleichzeitig wird es Versuche geben, die ChristgewerkschafterInnen gegen die sozialdemokratische Mehrheit im ÖGB einzusetzen, um die Gewerkschaften zu spalten und zu schwächen. Warum die schwarz-rote Koalition im ÖGB dann noch aufrechterhalten, wenn dieses System in der Regierung endgültig tot ist?
Österreich driftet zurück in die Vergangenheit, als die Spaltung in zwei antagonistische politische Lager alles bestimmte. Die ÖVP agiert bereits seitdem Schüssel Parteiobmann geworden ist wie eine geschlossene Faust und daran wird sich auch nichts ändern. Jetzt ist es höchst an der Zeit das Lager der ArbeiterInnenbewegung zu formieren. Wecken wir den schlafenden Riesen ÖGB! Partei und Gewerkschaft müssen wieder als Siamesische Zwillinge auftreten! Formieren wir eine Faust.
Wir können nicht noch einmal 6 Jahre Bürgerblock abwartend in der Hoffnung auf eine parlamentarische Lösung verbringen. Wir müssen den Widerstand gegen das Kapital organisieren. Wir müssen durch eine soziale Offensive in den Betrieben, Schulen und Unis eine Mehrheit in diesem Land erobern. Seit 1995 ist die ÖVP wie eine Faust des Kapitals, die sich gegen die Organisationen der ArbeiterInnenbewegung richtet, mit dem Ziel diese ein für alle Mal zu besiegen. Wir müssen aus unserem Lager genau so eine Faust schmieden, die sich gegen das Kapital richtet mit dem Ziel dieses niederzuringen.
20 Jahre kapitalistische Offensive sind genug
Was möglich sein kann, zeigt sich am Beispiel Deutschland. Durch massive Streiks kombiniert mit dem offensiven Auftreten der Linkspartei ist es zu einem Linksruck in der SPD und darüber hinaus in der gesamten Gesellschaft gekommen. Manager und Kapitalisten sind dort zum allgemeinen gesellschaftlichen Feindbild geworden. Es zeigt sich dort, dass das Privatkapital kein guter Wirtschafter ist. Eine Stimmung, die in Deutschland und vielen anderen Ländern längst einen progressiven politischen Ausdruck gefunden haben, die existiert auch in Österreich bisher weitgehend nur unter der Oberfläche: 20 Jahre Turbokapitalismus sind genug. Es ist Zeit für eine wirkliche soziale Wende. Es ist Zeit für einen neuen Sozialismus. Grundversorgung, Banken, Monopole in die Hände der Bevölkerung. Die Produktion bleibt in Österreich, Betriebe, die abwandern wollen, müssen vergesellschaftet werdn. Alle Bereiche der Gesellschaft mit Demokratie durchfluten, und zwar mit der Demokratie der Beschäftigten. Nur auf diese Weise können wir die Sicherheit der Existenz garantieren!
Dieser weit verbreiteten Stimmung gilt es auch hierzulande eine Stimme und einen organisierten Ausdruck zu geben.
Die Linke aufbauen – Jetzt!
Momentan bewegt sich die SPÖ in die richtige Richtung. Gleichzeitig werden wir unser Lager nicht erfolgreich in einen Lagerwahlkampf führen können, wenn der Sandkasten-Kanzler an der Spitze der Sozialdemokratie steht. Wir brauchen eine Führung an der Spitze von SPÖ und ÖGB, die der sozialpartnerschaftlichen Logik den Rücken kehrt und unsere Bewegung zu einer Faust gegen Kapital und ÖVP ballt.
Zu diesem Zweck müssen wir einen linken organisierten Flügel in der SPÖ aufbauen. Dieser Flügel hat die Aufgabe in Schulen, Unis, Betrieben, in SJ und SPÖ eine soziale Offensive zu starten, die Linke zu organisieren, die SPÖ vor sich her zu schieben, eine linke Mehrheit in der Bevölkerung zu erzeugen und letztlich die Führung in der ArbeiterInnenbewegung für sich zu beanspruchen.
Im Aufbau einer starken Linken sehen wir in der kommenden Periode unsere zentrale Aufgabe. Dazu brauchen wir auch Dich!