Wir befinden uns heute inmitten einer der tiefsten Krisen, die der Kapitalismus je erlebt hat. Während die 99% für die Krise zur Kasse gebeten werden, häufen die 1% immer schneller und immer noch mehr Reichtum an. Das hohe Ausmass von Skandalen und Korruption im Establishment entfremdet Millionen von der traditionellen Politik. All dies verursacht ein Hinterfragen der kapitalistischen Gesellschaft. Viele suchen nach Alternativen zum existierenden System, und eine wachsende Zahl sucht die Antwort im revolutionären Sozialismus. Von Ben Gliniecki.
Für viele ist klar, gegen was wir kämpfen: Korruption, Krise und Abbaupolitik; aber es kann schwerer sein, auszudrücken oder sogar sich vorzustellen, für was wir kämpfen. Konkret: Wie könnte eine neue Gesellschaft funktionieren? Wie würden unsere individuellen Leben davon betroffen sein? Wie wird der Sozialismus aussehen?
Marxisten sind keine Wahrsager. Wir können die Zukunft nicht mit absoluter Sicherheit voraussagen und deshalb können wir nicht sagen, wie der Sozialismus genau aussehen wird. Zum Beispiel, wenn wir über die Familie unter dem Sozialismus sprechen, sagt Engels
„[die Ordnung der Geschlechterverhältnisse im Sozialismus] wird sich entscheiden, wenn ein neues Geschlecht [lies: Generation] herangewachsen sein wird […]. Wenn diese Leute da sind, werden sie sich den Teufel darum scheren, was man heute glaubt, daß sie tun sollen; sie werden sich ihre eigne Praxis und ihre danach abgemeßne öffentliche Meinung über die Praxis jedes einzelnen selbst machen – Punktum.“ Die Gesellschaft wird nicht von den Spekulationen vergangener Generationen gestaltet, sondern durch die Entscheidungen und Taten der Gegenwart.
Nichtsdestotrotz ist es doch möglich einige Schlussfolgerungen zu ziehen, wie der Sozialismus aussehen wird, da Marxisten wissenschaftliche Sozialisten sind, die eine materialistische Analyse an der Entwicklung von Geschichte und Gesellschaft anwenden. In anderen Worten, wir können Hypothesen aufstellen über die Zukunft, basierend auf Anhaltspunkten aus der Vergangenheit und Gegenwart. Dies ist keine exakte Wissenschaft – genau wie ein Arzt nicht sagen kann, wann ein Patient sterben wird oder ein Geologe nicht das Datum des nächsten Erdbebens oder Vulkanausbruchs sagen kann, so kann einE MarxistIn nicht exakt vorhersagen, wann eine Revolution ausbrechen wird oder welche spezifische Form sie annehmen wird. Aber genau wie man durch das betrachten eines Kindes ungefähr sagen kann, was für eine Art Erwachsener er oder sie möglicherweise wird, können wir durch das Betrachten der kapitalistischen Gesellschaft sehen, wie eine mögliche sozialistische Gesellschaft aussehen wird.
Schon jetzt können wir den Keim des Sozialismus im Kapitalismus sehen. Indem wir untersuchen, was für Widersprüche und Hürden der Kapitalismus – ein System des Privatbesitzes und der Produktion für Profit – der Gesellschaft aufbürdet, können wir sehen, was die Möglichkeiten für eine zukünftige, sozialistische Gesellschaft sein könnten; eine Gesellschaft, in welcher diese Hürden entfernt sind und in welcher die Produktion sich nach den Bedürfnissen der Menschen richtet.
Eine Wirtschaft ohne Profit
Wirtschaftliche Entwicklung ist die materielle Voraussetzung für die Entwicklung aller anderen Aspekte der Gesellschaft. Ohne genügende Entwicklung der Produktivkräfte – der Industrie und der Landwirtschaft; der Technologie und der Technik – wird eine Gesellschaft nicht über die materiellen Bedingungen verfügen und die nötigen Mittel um auf den Gebieten der Wissenschaft, Kunst, Kultur, Philosophie etc. voran zu kommen. Dies ist der fundamentale Grundsatz der marxistischen – also der materialistischen – Sicht der Geschichte.
Der Kapitalismus ist aufgrund seiner Widersprüche und der daraus resultierenden Anarchie und Ineffizienz nicht länger imstande, diesen grundlegendsten Aspekt der Gesellschaft zu entwickeln. Milliarden Pfund, Dollar, Euro, Franken etc. sind im Crash von 2008 verloren gegangen. Dieser wurde nicht durch individuelle Gier oder Ideologie verursacht, sondern durch die inhärenten Mechanismen des Kapitalismus selbst. Es folgte Stagnation der wirtschaftlichen Produktivkräfte auf globaler Ebene. Dies hat viele Länder in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung um Jahre oder gar Jahrzehnte zurückgeworfen – in Grossbritannien zum Beispiel bleiben die wirtschaftlichen Investitionen 25% unter den höchsten Werten vor der Krise und das Baugewerbe ist 10% niedriger.
Der Kapitalismus ist unfähig, die Kräfte der wirtschaftlichen Produktion in ihrem ganzen Potential zu entwickeln. Die Kapazitätsverwertung der Produktivkräfte in entwickelten Ländern liegt im Moment bei 70-80% und das sogar nach der Schliessung weiter Teile der Produktion und dem Verlust von Millionen von Stellen. Quer durch die Welt steht die durchschnittliche Kapazitätsverwertung bei 70%. Dies bedeutet, dass wir im Moment die Fähigkeit hätten, den globalen wirtschaftlichen Output um fast 50% zu erhöhen, einfach durch die Nutzung der existierenden Kapazität der Wirtschaft. Trotz der Tatsache, dass Leute auf der ganzen Welt dringend Essen, Unterkunft, Gesundheitsversorgung und andere grundlegende Güter benötigen, wird die Kapazität nicht ausgeschöpft. Tatsächlich sprechen viele bürgerliche Ökonomen heute von Überkapazität – das bedeutet, die Wirtschaft ist fähig, zu viel zu produzieren (aus der Sicht des Marktes) und es müsse noch mehr gekürzt werden, deshalb die Schliessungen und Stellenverluste.
Der Grund für diesen Widerspruch ist der Profit. Unter dem Kapitalismus wird die Wirtschaftskraft der Gesellschaft nur benutzt, um Güter zu produzieren, welche für Profit verkauft werden können; falls dies nicht getan werden kann wird nichts produziert. Die Besitzer der Produktionsmittel würden eher ihre Geschäfte ungenutzt lassen als mit Verlust zu produzieren, sogar wenn die Dinge, die produziert werden würden, verzweifelt gebraucht würden. Die kapitalistische Wirtschaft wird vom Profit und nicht vom Bedarf regiert und aus diesem Grund ist sie höchst ineffizient darin, den Bedarf der Gesellschaft zu decken, entgegen dem was die Verteidiger des Kapitalismus behaupten. Uns wird oft gesagt, dass der Kapitalismus das effizienteste aller Wirtschaftssystem sei – doch wenn das wahr wäre, warum stehen dann Fabriken und Büros ungenutzt und leer, obwohl sie eine Fülle an Gütern und Dienstleistungen produzieren könnten, welche die Gesellschaft braucht?
Wenn der Profit aus der Gleichung entfernt würde, gäbe es keine Grenzen, alle Produktionsmittel in ihrem vollen Umfang zu unserer Verfügung zu benutzen. Diese Idee einer Wirtschaft, die nicht durch Profit getrieben wird, gibt uns einen ersten Eindruck, wie Sozialismus aussehen wird.
Kapitalismus = Armut inmitten von Überfluss
Die globale Arbeitslosigkeit liegt offiziell bei 200 Millionen; aber in Wirklichkeit liegt die Zahl der Arbeitslosen oder Unterbeschäftigten näher bei einer Milliarde. Diese Leute sind weder ohne Beschäftigung weil sie unfähig sind zu arbeiten, noch weil es keine Arbeit gibt, die getan werden muss, sondern einfach weil es nicht profitabel ist, sie anzustellen.
Währenddessen zeigen Statistiken von 2012, dass 24% der Menschen in Grossbritannien zwei Jobs haben, wovon 90% den zweiten Job brauchen, weil das Einkommen von nur einem Job nicht ausreicht. 2012 gab es einen Anstieg von 37.4% an Menschen, welche Rekrutierungswebsites beigetreten sind um nach einem Zweitjob zu suchen. Mit Inflation, Lohnstopps und Niedriglöhnen ist dies ein Trend, der sich in der Zukunft fortsetzen wird. Es ist ein eklatanter Widerspruch des Kapitalismus, dass manche Menschen gezwungen sind, für zwei Jobs zu arbeiten während Millionen arbeitslos bleiben – eine Absurdität geboren aus der Jagd nach Profit.
Ohne die Hürde des Profits könnte diesen Milliarden arbeitslosen und unterbeschäftigten Menschen ein produktiver Job gegeben werden. Jeder wäre imstande, zu einem höheren Standard in nur einem Job zu arbeiten und genügend Menschen wären übrig, um viele weitere Jobs zu erschaffen. Auf dieser Basis könnten die Produktivkräfte zusätzliche menschliche Arbeit erhalten und der wirtschaftliche Ertrag würde drastisch erhöht.
Es gibt weitere absurde Widersprüche dieser Art unter dem Kapitalismus. 6’500 Menschen allein schlafen auf Londons Strassen, ein Anstieg von 77% seit 2010; andere Formen der Obdachlosigkeit steigen ebenfalls an, Anträge von Haushalten für gesetzliche Obdachlosigkeit stiegen um 26% auf 111’960 in England, plus 38’500 Plätze in Hostels, die von Obdachlosen besetzt werden. Aber zur selben Zeit gibt es laut Regierunsangaben 610’000 leere Wohnungen in England. Warum gibt es eine steigende Epidemie von Obdachlosigkeit neben einer steigenden Zahl leerer Häuser? Häuser werden nur an Menschen verkauft oder vermietet, die es sich leisten können, dafür zu bezahlen, unabhängig davon, ob sie einen Ort zum Leben brauchen. Für die Kapitalisten ist es eine Frage des Profits, nicht des Bedarfs.
Die dadurch verursachte grauenhafte menschliche Verschwendung wird ergänzt durch die materielle Verschwendung durch Orte wie der Bishop’s Avenue in London, der zweitteuersten Strasse in Grossbritannien, wo ein Drittel der Wohnungen leer steht, wobei manche von ihnen baufällig geworden sind, weil sie für 25 Jahre unbewohnt blieben. Diese Häuser werden als Anlagen für Gewinn gehalten, nicht als Heim für Menschen um darin zu leben. Da sind 350 Millionen Pfund an Besitz, die in ein Ödland verwandelt wurden – das Resultat einer Wirtschaft, die auf Profitstreben basiert.
Solch eine Wirtschaft steht auch einer technologischen Entwicklung und den Einsatz von Maschinen im Weg. Maschinen kaufen keine Verbrauchsgüter, und deshalb muss die Bourgeoisie, wenn sie einen Markt für ihre Güter haben wollen, eine bestimmte Anzahl an Menschen als Arbeiter anstellen. Im Kapitalismus führt die Einführung von Maschinen und Technologie dazu, dass Arbeit verlagert wird, was in (technologisch bedingter) Massenarbeitslosigkeit für manche und intensiver Überarbeitung für die Übriggebliebenen resultiert. Ohne Profitzwang könnten Maschinen entwickelt werden, um die gefährlichen und dreckigen Jobs zu erledigen, die niemand anderes machen möchte, was durch die Automatisierung die Zeit vieler weiterer Menschen frei macht, sich mit anderen wirtschaftlich produktiven Tätigkeiten zu beschäftigen, sowie die wöchentliche Arbeitszeit zu reduzieren und dadurch echte Freizeit zu generieren. Die gezwungene Untätigkeit der Arbeitslosigkeit (oder Unterbeschäftigung), welche wir unter dem Kapitalismus sehen, würde ersetzt durch freiwillige Freizeit.
Der Profit steht im Kapitalismus der Verteilung sowie der Produktion im Weg. Die berühmt-berüchtigten „Berge“ und „Seen“ von überschüssigen Nahrungsmitteln, die in der EU produziert werden, erreichten 13’476’812 Tonnen Getreide, Reis, Zucker und Milchprodukte und 3’529’002 Hektoliter Alkohol/Wein in 2007. Während diese überschüssigen Nahrungsmittel sich auftürmen und die Landwirtschaftspolitik der EU benutzt wird, um Bauern dafür zu bezahlen, nicht zu produzieren, sterben jedes Jahr sechs Millionen Kinder an Unterernährung. Es gibt keinen logischen Grund, fruchtbares Land in manchen Ländern nicht zu nutzen um Nahrung zu produzieren um sie an Menschen in kargeren Umgebungen zu verteilen. Der einzige Grund es nicht zu tun ist, weil es nicht profitabel ist und weil die enorme Hürde des Nationalstaats eine echte internationale Lösung verhindert. Unter dem Kapitalismus wird es vorgezogen, Nahrungsmittel zu verschwenden, als jene zu ernähren, die sie am dringendsten benötigen.
Eine Planwirtschaft
Uns wird oft gesagt, dass Wettbewerb das Geheimnis der kapitalistischen Effizienz ist; aber in Wahrheit führt Wettbewerb zu hoher Verschwendung. Zum Beispiel gibt es eine signifikante Verdoppelung der Arbeit zwischen Unternehmen im gleichen Bereich – was bedeutet, dass Zeit und Geld zweimal in die selben Dinge investiert werden. Nehmen wir als Beispiel Supermärkte: wenn die Verteilung von Gütern von einer einzigen Organisation ausgeführt würde, dann würde der Prozess durch die Grössenvorteile günstiger und durch die zentrale Planung effizienter werden.
Wettbewerb zwingt die Unternehmen auch, durch Werbung die Nachfrage für ihre Produkte zu erzeugen. Handelsgeheimnisse und Urheberrechte bedeuten, dass die besten Ideen und Innovationen nicht so vollständig weitergeführt werden wie sie könnten und führen zu teuren Gerichtsverfahren, wie die berühmt-berüchtigte Apple-Samsung-Fälle über Mobiltelefone, welche wieder die Preise für gewöhnliche Menschen hochdrücken. Statt die weltbesten und klügsten Köpfe zusammen zu bringen um die Dinge zu produzieren, die die Gesellschaft braucht, werden Wissenschaftler, Ingenieure und Designer aufgeteilt auf verschiedene Unternehmen und gegeneinander in Konkurrenz gesetzt, was zu völlig unnötiger Duplikation von Aufwand und Ressourcen führt.
Jedenfalls ist echter Wettbewerb im Zeitalter des Imperialismus, der höchsten Stufe des Kapitalismus, eine Art Mythos. 2012 wurde aufgedeckt, dass Barclays, UBS, Citibank, RBS, DB und JP Morgan ihre Zinsfüsse abgesprochen haben um grössere Profite zu machen. In den vergangenen Jahren bei British Airways und Virgin Atlantic in der Luftfahrt; Grolsch, Bavaria und Heineken in der Brauerei; und Sainsbury’s, Asda und anderen Supermärkten: alle wurden bei Preisabsprachen zwecks höherer Profite erwischt. Der Grund für diese Skandale ist, dass diese Unternehmen erkennen, dass die Planung ein effizienterer Weg ist, eine Wirtschaft zu führen, als sie der Anarchie des freien Marktes zu überlassen.
Genau die Anwesenheit solcher riesigen multinationalen Monopole in jeder Branche mit nur einer Hand voll Firmen, die den Markt dominieren, zeigt, wie sich der freie Wettbewerb in sein Gegenteil kehrt, genau wegen der gesteigerten Produktivität und Effizienz, die durch das Produzieren in solchen Massen erreicht werden kann. Innerhalb jeder Firma gibt es ein immenses Level an Planung, Koordination und Kooperation, alles um die Effizienz zu steigern, im Namen des grossen Profits. Unterdessen bleibt zwischen den Firmen die Anarchie des Wettbewerbs und der unsichtbaren Hand bestehen, was zu enormer Ineffizienz und Verschwendung auf gesellschaftlicher Ebene führt.
Als Beispiel führt James C. Leontiades im Buch Multinational Corporate Strategy; Planning for World Markets das Elektronikunternehmen Texas Instruments an – eine multinationale Organisation, welche alle ihre Tätigkeiten von ihrem Hauptsitz in Dallas aus plant. Der Grad der zentralisierten Kontrolle des Multinationalen ist erkennbar an den Elementen der Strategie, über welche im Hauptsitz entschieden wird. Diese beinhaltet:
- Eine regionale und globale Analyse der Konkurrenz.
- Ein Kern an Produktdesigns, die auf der ganzen Welt standardisiert sind.
- Zentralisierte und koordinierte Forschung und Entwicklung um kostspielige Doppelläufe zu verhindern.
- Weltweit Rationalisierte Produktion um die grössenbezogene Effizienz auf internationaler Ebene maximal zu nutzen.
- Globale Preispolitik.
Hier sehen wir den Keim einer neuen Gesellschaft innerhalb der alten. Eine sozialistische Gesellschaft würde die Möglichkeiten der Planwirtschaft umarmen; aber natürlich wären wir imstande, im Interesse der Bedürfnisse von vielen zu planen anstatt des Profits einiger Weniger. Das ist die Grundlage einer Gesellschaft des Überflusses, in welcher alle Kräfte der wirtschaftlichen Produktion und Investition rationell und demokratisch geplant werden im Interesse der Mehrheit. Der erste Schritt in diese Richtung wird die Enteignung der Führungsspitze der Wirtschaft sein – also der Boden, die Banken, die Mittel und die Infrastruktur der grössten Unternehmen – um alle unter die demokratische Kontrolle der Arbeiterklasse zu stellen als Teil der Planwirtschaft.
Das Resultat einer Planwirtschaft kann man sehen in der Transformation Russlands in den fünfzig Jahren zwischen 1913 und 1963, nach der Russischen Revolution von 1917 – trotz dem enormen Entwicklungsbruch, welche die stalinistische Bürokratie verursachte. In diesem Zeitraum entwickelte sich das Land, das wirtschaftlich rückständiger war als Bangladesch heute, zur zweitmächtigsten Nation der Welt. Die Industrieproduktion wurde 52 mal grösser, verglichen mit sechs mal in den USA und zwei mal in Grossbritannien. Die Arbeitsproduktivität stieg um 1310%, verglichen mit 332% in den USA und 73% in Grossbritannien.
Die Lebenserwartung in Russland verdoppelte sich und die Kindersterblichkeit schrumpfte um den Faktor neun. Und das Land hatte mehr Ärzte pro 100’000 Einwohner als Italien, Österreich, Westdeutschland, die USA, Grossbritannien, Frankreich, die Niederlande und Schweden. Wenn das im Russland des 20. Jahrhunderts erreicht wurde, welches ein rückständiges, fast feudales Land war zu dieser Zeit und von zwei Weltkriegen und einem Bürgerkrieg verwüstet worden war, sowie unter der stalinistischen Bürokratie litt, stellt euch vor, was eine demokratisch geplante Wirtschaft in Grossbritannien und dem Rest der wirtschaftlich entwickelten Welt des 21. Jahrhunderts erreichen könnte.
Kuba taugt auch als gutes Beispiel für den Erfolg der Planwirtschaft, trotz seiner begrenzten Arbeiterdemokratie. Die Lebenserwartung (gemäss den Statistiken des Human Development Reports der UNO von 2005) zur Zeit der Geburt in Kuba liegt heute bei 77.7 Jahren (1959, zur Zeit der Revolution, betrug sie 62 Jahre), fast gleich wie die USA (77.9 Jahre) und weit höher als im benachbarten Haiti, wo sie nur 59.5 Jahre beträgt, und wesentlich höher als in der regionalen kapitalistischen Macht Brasilien (71.7 Jahre). Die Lese- und Schreibfähigkeit bei Erwachsenen in Kuba ist 99.8%, während sie in Brasilien bei lediglich 88.6% liegt, und sie ist auch höher als in Chile (95.7%) und Costa Rica (94.9%).
In Wahrheit, laut demselben UN-Report, hat Kuba den vierthöchsten Index der Menschlichen Entwicklung (HDI) in Lateinamerika. Wenn wir die Statistiken für die Kindersterblichkeit anschauen (Totgeburten pro 1000 Lebendgeburten), so ist die Situation in Kuba (5.93 heute gegenüber 78.8 1959) laut dem CIA World Factbook von 2008 viel besser als sogar in den USA (6.3), Chile (7.9), Costa Rica (9.01) und Brasilien (26.67), nicht zu sprechen von Haiti, wo die Quote bei 62.33 Totgeburten pro 1000 Lebendgeburten liegt. Diese Zahlen sollten uns nicht verwundern, da, laut der Weltbank, Kuba das Land mit den zweitmeisten Ärzten pro 1000 Einwohner ist (5.91), während die USA bei nur 2.3 liegen, Brasilien bei 2.06, Chile bei 1.09, Costa Rica bei 1.32 und Haiti bei knapp 0.25.
Nochmals, dies war ein wirtschaftlich rückständiges Land 1959, als Castros Revolution stattfand. Seine Geschichte war dominiert durch fremde Mächte, benutzt als Spielplatz für US-Kapitalisten und als Monokultur für Zucker. Die Fortschritte seither waren nur möglich durch die Planwirtschaft, frei von imperialistischer Herrschaft.
Arbeit, Löhne und Geld
Das Resultat solcher Planung, kombiniert mit rationeller Verteilung der Arbeit auf alle, die fähig sind zu arbeiten (anstatt dass einige Leute zwei oder drei Jobs haben, während andere arbeitslos sind, wie es unter dem Kapitalismus geschieht) würde, die Verkürzung des Arbeitstages ohne Lohnverlust bedeuten. Hinweise darauf kann man in der besetzten Flasko Fabrik in Brasilien finden. Seit 2003, als die Fabrik erstmals besetzt und die Arbeit demokratisch geplant wurde, wurden die Arbeitsstunden von 40 Stunden pro Woche auf 30 Stunden gekürzt, ohne Lohnverlust oder Produktivitätsrückgang.
Mit der Entwicklung der Technologie, die immer mehr und mehr Arbeit durch Maschinen und digitalisierte Abläufe ersetzt, könnten die Arbeitsstunden sogar noch weiter gekürzt werden. Zum Beispiel waren 1870 70-80% der US-Bevölkerung in der Landwirtschaft beschäftigt, während es heute nur 2% sind. Aber trotz dem Rückgang der Beschäftigten in der Landwirtschaft, hat sich der Ertrag gewaltig erhöht. Von 1950 bis 2000 wurde der landwirtschaftliche Ertrag massiv erhöht.
Zum Beispiel: die durchschnittliche Menge an Milch, die pro Kuh produziert wird, erhöhte sich von 5’314 Pfund auf 18’201 Pfund pro Jahr (+242%); der durchschnittliche Ertrag an Mais stieg von 4 Tonnen auf 15.5 Tonnen pro Hektare (+292%); und jeder Bauer produzierte im Jahr 2000 im Schnitt 12 mal so viel Ertrag pro Arbeitsstunde wie ein Farmer im Jahr 1950. Diese Entwicklung der Produktivität kann hauptsächlich auf die Mechanisierung, die Entwicklung neuer Dünger und anderer technischen Fortschritte zurückgeführt werden. Weitere Entwicklungen dieser Art in anderen Sektoren können ähnliche Resultate erreichen, was die Länge des Arbeitstages angeht. Aus diesem Grund könnte man die Arbeitserfordernisse für jede Person einmal auf Lebenszeitbasis festlegen anstelle von Tages-, Wochen- oder Monatsbasis.
Marxisten werden oft gefragt, was der Anreiz zu arbeiten in einer sozialistischen Gesellschaft wäre. Der Anreiz zu arbeiten im Kapitalismus besteht in der Form, dass die Menschen arbeiten müssen um Geld zu verdienen um ihr Leben zu leben. Deshalb verlangen Menschen die Freiheit zu Arbeiten – um zu leben. Im Sozialismus andererseits geht es um die Freiheit von der Arbeit. Der Anreiz zu arbeiten im Sozialismus wird sein, dass wir daran arbeiten eine Gesellschaft zu errichten, in welcher wir frei sind von der Notwendigkeit zu arbeiten. Diese Freiheit könnte erreicht werden durch die gemeinsamen Leistungen der Gesellschaft, die Wirtschaft und Produktionskräfte in einem solchen Mass zu entwickeln, dass nur sehr wenig menschliche Arbeit nötig wäre um sie am laufen zu halten, was uns befreit, unsere Leben zu leben wie wir möchten.
Kapitalisten haben ein sehr enges, inkorrektes Verständnis davon, was Menschen anreizt, Dinge zu tun – sie sehen alles als eine Frage von Geld, entgegen der Tatsache, dass es viele Dinge gibt, die alle tun (z.B. Hobbys), welche nur dadurch motiviert sind, dass wir sie gerne tun; Dinge, die uns als Menschen entwickeln, uns einen Sinn geben und uns helfen, Bindungen mit anderen zu bilden.
Dennoch gibt es einige Kapitalisten, die dies selbst erkennen. Eine Harvard Business School Professorin, Teresa Amabile, hat ein Buch geschrieben mit dem Titel Das Fortschrittsprinzip, welches argumentiert, dass es ein Gefühl von Fortschritt und Vorwärtskommen, sowohl beruflich als auch privat, das Menschen bei der Arbeit wirklich motiviert. Gemäss Alfie Kohn, einem Sozialwissenschaftler der Harvard Business Review, weist der kapitalistische Managementjargon auf vier Faktoren hin, die Menschen motiviert oder anreizt hart zu arbeiten: persönliches Wachstum, Anerkennung, Verantwortung und herausfordernde Arbeit – finanzielle Belohnung ist verdächtig abwesend auf dieser Liste. Es sind diese Anreize, die der Sozialismus in den Vordergrund schieben würde, über finanziellen Gewinn.
Anstelle davon, uns von unserer Arbeit zu entfremden, wird der Sozialismus uns eine echte Beteiligung an der Wirtschaft und Gesellschaft erlauben, indem er sie zu unserem kollektiven Eigentum macht. Die Arbeit selbst, nicht nur die Löhne daraus, werden darum einen direkteren Zweck haben und klar zu unserem Vorteil und dem Vorteil anderer um uns sein, anstatt für Bonzen in entfernten Vorstandsetagen. Der Präsident einer von Venezuelas besetzten Fabriken bezeugte dies als er berichtete, die Arbeiter in seiner Fabrik bemühten sich aktiv den Produktionsprozess zu verbessern weil sie wissen, dass ihre Ideen fähig sind, das Leben der Menschen zu verbessern.
Wenn Geld im Sozialismus nur eine kleine Rolle spielt um den Menschen Anreize zu schaffen, bedeutet dies, dass man Löhne abschaffen wird? Die Antwort darauf ist nein – nicht sofort; aber es bedeutet, dass Löhne nach und nach verschwinden könnten, während die Wirtschaft sich entwickelt. Arbeiter werden zuerst immer noch in Geld bezahlt werden (dessen Wert wiederum verbunden ist mit der echten Wirtschaft) – dies ist nichts, was man einfach per Erlass über Nacht abschaffen könnte. In der Tat werden in einer Periode des sozialistischen Übergangs wahrscheinlich Lohnunterschiede existieren. Das war der Fall in Russland gleich nach 1917, wo die Bolschewiki Lohnunterschiede erlaubten, wo es nötig war, aber strikt auf ein Verhältnis von 1:4 beschränkten.
Jedoch könnten Löhne mit der Zeit durch Gutscheine ersetzt werden, welche wiederum durch überhaupt nichts ersetzt werden könnten, weil es den Menschen möglich wäre, alles was sie brauchen zu nehmen. Je näher die Gesellschaft einem Zustand des Überflusses kommt, desto weniger werden Löhne gebraucht um Konsum zu rationieren, da es von allem genug für alle gibt.
Genau wie mit den Löhnen ist es mit Geld generell. Trotzki erklärte die Notwendigkeit einer unregulierten Währung mit einer Geldversorgung, welche mit dem realen Produktionsniveau der Wirtschaft verbunden ist, sogar im Sozialismus. Natürlich, viele Funktionen von Geld im Kapitalismus würden sich verändern oder verschwinden – die Notwendigkeit von Geldlöhnen ist ein Beispiel – aber es könnte immer noch eine Rolle spielen als Indikator der Gesundheit der Planwirtschaft.
Unter dem Kapitalismus zeigen der Geldfluss und der Einsatz von Signalpreisen an, wo es Mangel oder Überschüsse in der Wirtschaft gibt. Wo zum Beispiel die Nachfrage das Angebot übersteigt, steigen die Preise für Güter über deren wahren Wert und generieren Extra-Profite für Kapitalisten in diesem Sektor. Dies ermutigt Kapitalisten ihr Geld in diesem Sektor zu investieren und so das Angebot wieder in ein Gleichgewicht mit der Nachfrage zu bringen. In den frühen Stufen des Sozialismus würden diese Rolle des Geldes und der Signalpreise immer noch benötigt; aber stattdessen wären die hauptsächlichen Hebel der Wirtschaft – die Banken und grossen Firmen – unter der Kontrolle des Arbeiterstaats, welcher Investitionen dementsprechend lenken könnte um Mangelerscheinungen zu eliminieren. Signalpreise werden deshalb ein Indikator für Angebot und Nachfrage von Gütern in unterschiedlichen Regionen und Sektoren sein und die Inflationsrate wird auf alle möglichen wirtschaftlichen Probleme hinweisen. Der Geldfluss wird ein Massstab sein, wie weit der Handel in der Planwirtschaft sich ausbreitet.
Allmählich, während ein stetig wachsender Teil der Wirtschaft unter einen gemeinsamen, demokratischen Produktionsplan kommt, wird die Produktion und der Tausch von Handelswaren verschwinden und Geld als Ganzes wird verkümmern, während diese Funktionen, die Gesundheit einer Wirtschaft zu messen abgelöst werden durch administrative statt finanzielle Kontrolle.
Staat und Demokratie
Genauso wie Geld einmal im Sozialismus verschwinden wird, so wird es auch der Staat. Ein echter proletarischer Staat wird, als erste Handlung, den Prozess seiner eigenen Zerstörung beginnen. Dies geschieht darum, weil die Enteignung der Produktionsmittel und ihre Verwaltung durch die demokratische Kontrolle der Arbeiter als Teil der Planwirtschaft beginnen wird, die Klassenunterschiede zu eliminieren, da diese durch den Unterschied zwischen den Besitzenden und den Nichtbesitzenden definiert werden. Eine Gesellschaft, in der alle die Produktionsmittel besitzen und bewirtschaften ist eine ohne Klassen; es ist eine Gesellschaft, die nicht länger einen Staatsapparat mit bewaffneten Institutionen, die von den Unterdrückenden benutzt werden um die Unterdrückten in Schach zu halten.
Vor der Klassengesellschaft, welche um etwa 10’000 v. Chr. während der neolithischen Revolution entstand, war die Gesellschaft nach primitiv-kommunistischen Regeln organisiert. Klassen existierten zu dieser Zeit nicht, da die Produktivkräfte unfähig waren, mehr zu produzieren als zum eigenen Überleben benötigt wurde, deshalb war eine besitzende und eine besitzlose Klasse eine wirtschaftliche Unmöglichkeit. Engels, der sich auf die Arbeit des Anthropologen Lewis Henry Morgan stützt, beschrieb die Art wie diese primitiven kommunistischen Gesellschaften funktionierten. Entscheidend, im Kontext einer Studie des irokesischen Gens, zeigt er auf:
Die Gewalt des Sachem [Friedensvorsteher] innerhalb des Gens war väterlich, rein moralischer Natur; Zwangsmittel hatte er nicht… Sie setzt den Sachem und Kriegshäuptling nach Belieben ab… Die Gentilgenossen schuldeten einander Hülfe, Schutz und namentlich Beistand zur Rache für Verletzung durch Fremde… Die Gens hat einen Rat, die demokratische Versammlung aller männlichen und weiblichen erwachsenen Gentilen, alle mit gleichem Stimmrecht.
Das ist eine Beschreibung einer Gesellschaft ohne Staatsstrukturen wie Polizei, Armee, Gerichte, Gefängnisse oder einer politischen Elite, die über und neben der Gesellschaft steht. Weil die Produktivkräfte in diesem Stamm gemeinsam besessen und bearbeitet wurden (aus Notwendigkeit um zu überleben) waren die wirtschaftlichen Interessen aller dieselben, was bedeutet, dass kein staatliches Instrument durch Zwang den Willen einer Klasse gegen die andere durchsetzen musste.
Die befehlshabenden Spitzen der Wirtschaft enteignen, sie unter demokratische Arbeiterkontrolle und -verwaltung stellen und sie als Teil einer sozialistischen Planwirtschaft führen, würde die wirtschaftliche Trennung der Menschen in Klassen auf ähnliche Weise entfernen und dadurch die materielle Basis des Staates entfernen. Wir würden zurückkehren in eine kommunistische Form der Gesellschaft, aber auf einer höheren Stufe, mit fortgeschrittenen Produktionskräften anstelle von primitiven.
Das Bild, wie der Staat unter dem Sozialismus aussehen wird, hebt sich scharf von dem ab, was in der UdSSR unter Stalin geschehen ist. Das bürokratische Monster, welches die Planwirtschaft in diesem Land erwürgte, war kein gesunder Arbeiterstaat, es fehlte eine Arbeiterdemokratie – ein fundamentaler Aspekt, um eine gesunde sozialistische Wirtschaft zu führen. Der Kapitalismus hat das Ziel (aber versagt oft – wie wir diskutierten), den Wettbewerb zu nutzen um ineffiziente Produktion auf einem Minimum zu halten. Im dem Sozialismus, ohne konkurrierende Unternehmen, wird ein viel effektiverer Mechanismus um die Effizienz zu sichern und Korruption zu verhindern benötigt – dieser Mechanismus muss die demokratische Kontrolle der Wirtschaft durch gewöhnliche Menschen sein. Wie Trotzki einst sagte: Die Planwirtschaft braucht die Arbeiterdemokratie wie ein Körper Sauerstoff benötigt.
Konkret bedeutet das, dass Massnahmen getroffen werden müssen wie das volle Recht auf Abwahl von gewählten Funktionären, welche auch nicht mehr verdienen dürfen als einen durchschnittlichen Arbeiterlohn, sodass sie die selben materiellen Interessen haben wie die Menschen, die sie repräsentieren sollen. Wir sollen nicht fünf Jahre warten müssen, um Vertreter rauszuwerfen, welche Entscheidungen treffen, die nicht im Interesse der Mehrheit sind – proletarische Demokratie braucht mehr Kontrolle als das. Lenin sprach auch von der Notwendigkeit, alle in die Arbeit der Administration der neuen Gesellschaft zu involvieren, so, dass sich keine soziale Klasse von Bürokraten einrichten kann, abgetrennt vom Rest der Arbeiterklasse und über ihr stehend: Wenn alle Bürokraten sind ist niemand BürokratIn.
Die Gründung von Gewerkschaften markiert einen grossen Sieg der Arbeiterklasse, da diese demokratische Organisationen sind, geschaffen von der Arbeiterklasse für die Arbeiterklasse. In diesem Sinne verkörpern sie die Saat der sozialistischen Demokratie. Der marxistische Autor Rob Sewell stellt dies in seinem Buch In the Cause of Labour: History of British Trade Unionism fest, wo er sagt:
Die Gewerkschaften sind die grundlegenden Organisationen der Arbeiterklasse. Aber sie sind viel mehr als das. Sie sind die Keimzelle der zukünftigen Gesellschaft innerhalb der alten.
Er erklärt weiter, dass dies bedeute, dass sie besser geeignet sind für die Interessen der Arbeiterklasse zu kämpfen:
Wieder und wieder haben die Arbeiter ihre Bewegung in Organe und Schulen der Solidarität, des Kampfes und Sozialismus verwandelt, um den Ausdruck Friedrich Engels‘ zu verwenden.
Die besetzte Flasko-Fabrik in Brasilien bietet uns wieder ein Beispiel für die konkreten Elemente einer Arbeiterdemokratie in der Praxis. Der gewählte Fabrikrat untersteht einem unmittelbaren Recht auf Abberufung. Der Rat trifft sich wöchentlich um die Pläne für die Fabrik zu diskutierten und die Protokolle dieser Treffen werden für alle Arbeiter veröffentlicht. Weiter wird über das Fabrikbudget jeden Monat durch alle Arbeiter abgestimmt. Dieses Modell, wie auch die Sowjets in Russland im frühen 20. Jahrhundert, legt die Kontrolle in die Hand der Menschen selbst, ohne sie zu zwingen, sich auf jemand anderen zu verlassen.
Die Sowjets waren gewählte Arbeiterräte in denen die Arbeiter teilnahmen und durch ihre Arbeitsstellen, Ortschaften und Regionen gewählt wurden. Solch eine demokratische Methode ist viel näher an der Arbeiterklasse als eine bürgerliche Demokratie, da sie den Menschen direkte Kontrolle über ihr Leben gibt in einer Art, wie es die parlamentarische Demokratie nie kann. Nehmen wir die kommenden Wahlen in Grossbritannien zum Beispiel – welche Partei auch die Regierung bildet, es wird eine Regierung sein, die eine Austeritätspolitik umsetzt.
Wir haben keine wirkliche Wahl in dieser Sache, da die Wirtschaft in Privathand ist und um die kapitalistische Wirtschaft am laufen zu halten muss sich die Regierung dem Willen jener beugen, die die führenden Spitzen der Wirtschaft besitzen, den Kapitalisten. Nur indem wir der Arbeiterklasse die demokratische Kontrolle über die Wirtschaft geben, können wir eine echte demokratische Wahl garantieren.
Die Pariser Kommune
Wie auch die russischen Sowjets, so ist auch die noch frühere Pariser Kommune von 1871 ein Beispiel eines proletarischen Staates, welcher sich vom Staat, wie wir ihn im Kapitalismus verstehen, sehr unterscheidet. Marx beschreibt die Kommune folgendermassen:
Das erste Dekret der Kommune war daher die Unterdrückung des stehenden Heeres und seine Ersetzung durch das bewaffnete Volk.
Die Kommune bildete sich aus den durch allgemeines Stimmrecht in den verschiedenen Bezirken von Paris gewählten Stadträten. Sie waren verantwortlich und jederzeit absetzbar. Ihre Mehrzahl bestand selbstredend aus Arbeitern oder anerkannten Vertretern der Arbeiterklasse. Die Kommune sollte nicht eine parlamentarische, sondern eine arbeitende Körperschaft sein, vollziehend und gesetzgebend zu gleicher Zeit.
Die Polizei, bisher das Werkzeug der Staatsregierung, wurde sofort aller ihrer politischen Eigenschaften entkleidet und in das verantwortliche und jederzeit absetzbare Werkzeug der Kommune verwandelt. Ebenso die Beamten aller andern Verwaltungszweige. Von den Mitgliedern der Kommune an abwärts, mußte der öffentliche Dienst für Arbeiterlohn besorgt werden. Die erworbnen Anrechte und die Repräsentationsgelder der hohen Staatswürdenträger verschwanden mit diesen Würdenträgern selbst. Die öffentlichen Ämter hörten auf, das Privateigentum der Handlanger der Zentralregierung zu sein. Nicht nur die städtische Verwaltung, sondern auch die ganze, bisher durch den Staat ausgeübte Initiative wurde in die Hände der Kommune gelegt.
Das stehende Heer und die Polizei, die Werkzeuge der materiellen Macht der alten Regierung einmal beseitigt, ging die Kommune sofort darauf aus, das geistliche Unterdrückungswerkzeug, die Pfaffenmacht, zu brechen; sie dekretierte die Auflösung und Enteignung aller Kirchen, soweit sie besitzende Körperschaften waren. Die Pfaffen wurden in die Stille des Privatlebens zurückgesandt, um dort, nach dem Bilde ihrer Vorgänger, der Apostel, sich von dem Almosen der Gläubigen zu nähren.
Sämtliche Unterrichtsanstalten wurden dem Volk unentgeltlich geöffnet und gleichzeitig von aller Einmischung des Staats und der Kirche gereinigt. Damit war nicht nur die Schulbildung für jedermann zugänglich gemacht, sondern auch die Wissenschaft selbst von den ihr durch das Klassenvorurteil und die Regierungsgewalt auferlegten Fesseln befreit.
Die richterlichen Beamten verloren jene scheinbare Unabhängigkeit, die nur dazu gedient hatte, ihre Unterwürfigkeit unter alle aufeinanderfolgenden Regierungen zu verdecken, deren jeder sie, der Reihe nach, den Eid der Treue geschworen und gebrochen hatten. Wie alle übrigen öffentlichen Diener, sollten sie fernerhin gewählt, verantwortlich und absetzbar sein.
Damit gewöhnliche Menschen fähig sind, wirklich am demokratischen Ablauf der Gesellschaft teil zu nehmen, wie er oben von Marx beschrieben wurde, müssen sie auch Zeit dafür haben. Im Kapitalismus bedeutet die Länge der Arbeitswoche und der Druck des täglichen Lebens, dass die grosse Mehrheit komplett getrennt ist von politischen Aktivitäten. Für jemanden mit langen Arbeitszeiten oder zwei Jobs ist es das letzte was sie können oder wollen, an den Abenden und Wochenenden die Feinheiten wirtschaftlicher Planung oder Staatswesen zu studieren. Das führt dazu, dass, selbst wenn solche Studien gemacht würden, es keinen Unterschied machen würde, da normale Arbeiter überhaupt nichts zu sagen haben darüber, wie die Wirtschaft oder Gesellschaft als ganzes geführt wird.
In einer sozialistischen Gesellschaft, wo Technologie, Automation und die Effizienz der Planwirtschaft die Stunden des Arbeitstages reduziert hat, werden gewöhnliche Menschen endlich die nötige freie Zeit haben um voll an der Führung der Gesellschaft daran teil zu haben. Indem die Wirtschaft unter echte demokratische Kontrolle der Arbeiterklasse gestellt wird, werden die Menschen auch die Motivation haben sich einzubringen, dank dem Wissen, dass ihre Gedanken und Taten einen spürbaren Unterschied machen können.
Wie Marx‘ Beschreibung der Pariser Kommune oben illustriert, besteht die proletarische Demokratie auch darin, parlamentarische Institutionen durch ausführende zu ersetzen – Schwatzbuden mit echter Aktivität zu ersetzen. Während des Generalstreiks 1926 in Grossbritannien lehnte das Streikkomitee des Nordostens die Anfrage der Regierung ab, wichtigen Nachschub in der Region zu verteilen, da sie selbst schon ein System aufgestellt hatten, dies zu tun. Das Streikkomitee redete nicht einfach nur, erliess Resolutionen und delegierte die Verantwortung dann an andere – seine Vertreter trafen Entscheidungen, übernahmen die Verantwortung für deren Umsetzung und spürten die Konsequenzen mit allen anderen zusammen. Dies ist echte proletarische Demokratie und es ist grundsätzlich verschieden von der Höhle der heissen Luft des Parlaments.
Im Herzen der sozialistischen Demokratie liegt deshalb die Fähigkeit der Gesellschaft, die Entscheidungen, die sie trifft auch tatsächlich umsetzen zu können. Dies ist die grundlegende Hürde in der Demokratie im Kapitalismus – selbst wenn die Gesellschaft für Forderungen stimmt wie Vollbeschäftigung oder Investitionen in diesem oder jenem Sektor, wie können solche Forderungen in der Praxis umgesetzt werden, wenn alle echten Entscheidungen darüber, welche Jobs geschaffen werden und wo investiert wird in den Händen ungewählter Banker und Bosse liegen? In der schlussendlichen Analyse benötigt wahre Demokratie deshalb die wirtschaftliche Kontrolle in den Händen der 99% anstatt der 1%.
Die Polizei, die Armee und das Gesetz
Marxisten verstehen den Staat in letzter Instanz als bewaffnete Körperschaft von Menschen über der Gesellschaft – Institutionen wie die Polizei oder die Armee. Unter dem Kapitalismus ist der Staat eine Waffe der Bourgeoisie, welche die Polizei und Armee benutzt um ihre Macht aufrecht zu erhalten; aber ein proletarischer Staat würde eine Waffe der Arbeiter sein um sie gegen die Versuche der Kapitalisten zu benutzten, sie weiterhin auszubeuten und zu unterdrücken. Das ist es, was Marxisten meinen, wenn sie die Bewaffnung der Arbeiterklasse fordern. Es bedeutet die Polizei und Armee komplett umzubauen entlang der proletarischen Linie – die Kontrolle dieser Organisationen den Arbeitern zu übergeben durch die demokratische Wahl von Offizieren und ihren Untergebenen unter der Aufsicht der organisierten Arbeiterklasse.
Beispiele solcher Massnahmen konnten in Turin, Italien, 1920 gesehen werden, als die Roten Brigaden, zusammengesetzt aus freiwilligen Arbeitern, gebildet wurden unter der Kontrolle der Fabrikkomitees. Die FIOM Gewerkschaft besetzte Fabriken und stellte Bürgerwehren auf, um die Fabriktore zu bewachen. Sie verliessen sich nicht auf die Kräfte des bürgerlichen Staates – sie erschufen eine Alternative zu diesen Strukturen unter der Kontrolle des Proletariats.
In ähnlicher Weise war Trotzki nach 1917 beauftragt, die Rote Armee in Russland von Grund auf neu aufzubauen unter den schwierigsten Bedingungen. Er führte ein System von Kommissaren der Armee ein, deren Rolle als führende Kader der bolschewistischen Partei war, die politische Disziplin der Regimenter und der kommandierenden Generäle zu erhalten (Mangels militärisch-technischem know-how waren dies oft Generäle, die zuvor den früheren reaktionären Regimes des Zaren und der bürgerlichen provisorischen Regierung treu waren). Auf diese Weise wurde die Armee als eine Waffe des Proletariats konstruiert, nicht als Werkzeug für die konterrevolutionäre Bourgeoisie.
Mit der Zeit, wenn die Klassen sich unter den Bedingungen der vergesellschafteten Produktion auflösen, werden diese Institutionen verschwinden, da sie nicht mehr von einer Klasse gebraucht werden, um Dominanz über eine andere zu behalten. Die administrativen Tätigkeiten werden bleiben; aber, da alle Bürokraten sind, wird das nicht zu einer Gruppe, die getrennt vom Rest der Gesellschaft steht, führen. Die Durchsetzung sozialer Verhaltensnormen etc. würde durch sozialen Druck in der Gesellschaft erfolgen, nicht durch eine Zwang ausübende Kraft von ausserhalb – in der gleichen Weise, wie zivilisiertes Verhalten in einer Gruppe Freunden reguliert wird oder wie es in den primitiven kommunistischen Gesellschaften war.
Basierend auf Morgans Studie über die Irokesen beschreibt Engels solche primitiven kommunistischen Gesellschaften folgendermassen:
Ohne Soldaten, Gendarmen und Polizisten, ohne Adel, Könige, Statthalter, Präfekten oder Richter, ohne Gefängnisse, ohne Prozesse geht alles seinen geregelten Gang. Allen Zank und Streit entscheidet die Gesamtheit derer, die es angeht, die Gens oder der Stamm, oder die einzelnen Gentes unter sich – nur als äußerstes, selten angewandtes Mittel droht die Blutrache, von der unsre Todesstrafe auch nur die zivilisierte Form ist, behaftet mit allen Vorteilen und Nachteilen der Zivilisation. Obwohl viel mehr gemeinsame Angelegenheiten vorhanden sind als jetzt – die Haushaltung ist einer Reihe von Familien gemein und kommunistisch, der Boden ist Stammesbesitz, nur die Gärtchen sind den Haushaltungen vorläufig zugewiesen -, so braucht man doch nicht eine Spur unsres weitläufigen und verwickelten Verwaltungsapparats. Die Beteiligten entscheiden, und in den meisten Fällen hat jahrhundertelanger Gebrauch bereits alles geregelt. Arme und Bedürftige kann es nicht geben – die kommunistische Haushaltung und die Gens kennen ihre Verpflichtungen gegen Alte, Kranke und im Kriege Gelähmte. Alle sind gleich und frei – auch die Weiber.
Für die meiste Zeit in der die Menschen auf diesem Planeten waren, etwa zwei Millionen Jahre, haben wir in solchen Gesellschaften gelebt und unser Verhalten innerhalb der Gesellschaft geregelt und nicht von Institutionen, die ausserhalb und oberhalb von ihr standen. Der Sozialismus würde eine Rückkehr zu dieser natürlichen Menschlichen Art eine Gesellschaft zu organisieren markieren – kooperativ anstatt antagonistisch.
Neben diesen Institutionen, die das Gesetz durchsetzen, gibt es auch die Institution des Gesetzes selbst, über welches Marx sagte, es kann nicht höher sein als seine wirtschaftliche Grundlage. Also wird die Existenz des Gesetzes so lange andauern wie der Staat, aber wie der Staat wird es ebenfalls irgendwann verschwinden.
Der sowjetische Jurist Evgeny Pashukanis diskutiert dies in seinem Buch Allgemeine Rechtslehre und Marxismus:
Das Absterben von Kategorien des bürgerlichen Rechts wird unter diesen Bedingungen das Absterben des Rechts überhaupt bedeuten, das heißt das Verschwinden des juristischen Moments aus den Beziehungen der Menschen zueinander.
Eine Charakteristik des Gesetzes unter dem Sozialismus, während es im Begriff ist zu verschwinden, ist, dass es nicht länger in einer komplett abstrakten Form existiert, wie unter dem Kapitalismus. Das bürgerliche Gesetz besteht darauf, dass die Justiz blind ist – in anderen Worten, sie wird ungleiche Dinge gleich behandeln. Deshalb setzt das Vertragsrecht voraus, dass die zwei Vertragsparteien sich ganz gleich gestellt sind, selbst wenn dies in der wirtschaftlichen und sozialen Realität nicht der Fall ist. Solch eine Einstellung innerhalb der bürgerlichen Gesetzgebung gräbt einfach Ungleichheit und Ungerechtigkeit ein. Das Gesetz unter dem Sozialismus, auf der anderen Seite, wäre nicht blind – es hätte beide Augen weit geöffnet und würde dazu schauen, die Interessen der Arbeiterklasse zu verteidigen.
Genau so wie der Besitz der Produktionsmittel keine Frage des individuellen Besitzes sein wird und eine Sache des kollektiven Besitzes wird, so wird auch die Gesetzgebung weniger eine Thema von individuellen Rechten und mehr von kollektiven Rechten der Gesellschaft. Gegen diese Rechte wird Verhalten als kriminell oder nicht beurteilt werden im Sozialismus.
Eine Redewendung besagt, dass Besitz neun Zehntel des Gesetzes ausmacht – also wird die Abschaffung des Privateigentums der Produktionskräfte sicherlich einen Rückgang an Rechtsfällen und Verbrechen zur Folge haben. Wie kann man von einem Laden stehlen, wenn die Güter in diesem Laden im Überfluss vorhanden sind, frei verfügbar für die Menschen, um sie auf Basis ihrer Bedürfnisse zu nehmen? Es wäre so absurd wie jemanden des Diebstahls von Sauerstoff zu beschuldigen, weil er die Luft atmet, die er zum Leben braucht.
Im Kapitalismus existiert die grosse Mehrheit der Rechtsarbeit nur dafür, Verträge aufzusetzen und Klarheit über private Besitzrechte zu erlangen. Wenn der Besitz im Sozialismus nun in Kollektivbesitz ist, würde diese enorme Menge an Rechtsarbeit obsolet und könnte dafür zu gesellschaftlich nötigeren Aufgaben umgeleitet werden.
Weiter zur Frage des Verbrechens. Je näher wir einer Gesellschaft des Überflusses kommen, in der jeder und jede einen Job und eine Aufgabe, einen demokratischen Anteil an der Wirtschaft und dem eigenen Leben hat, desto kleiner wird das Motiv sein, überhaupt Verbrechen zu begehen. Dies geht soweit, dass jene, die Verbrechen begehen als Opfer der Übel der Gesellschaft behandelt werden können, anstatt sie wie wilde Tiere oder Sklaven einzusperren. Pashukanis erklärt diesen Punkt wie folgt:
Man stelle sich für einen Augenblick vor, daß das Gericht sich tatsächlich nur mit der Erwägung dessen abgäbe, auf welche Weise die Lebensbedingungen des Angeklagten derart verändert werden könnten, daß er entweder gebessert oder daß die Gesellschaft vor ihm geschützt würde – und der ganze Sinn der Bezeichnung »Strafe« verflüchtigt sich sofort.
Die Frage der Gesetzgebung führt auch zur Frage der Gesetzgeber selber – der politischen Parteien. Sozialismus bedeutet nicht einen Ein-Partei-Staat; aber es bedeutet eine Veränderung der Parteien, wie wir sie heute verstehen – versammelt um verschiedene Klasseninteressen – da diese Klassenunterschiede schnell erodiert werden. Während die Konservativen traditionell die Interessen der Bourgeoisie in Grossbritannien vertreten haben, wurde Labour von den Gewerkschaften gegründet um die Interessen der Arbeiterklasse zu vertreten. In den USA repräsentieren die Demokraten und Republikaner zwei Flügel der Bourgeoisie, welche leicht verschiedene Ansichten darüber haben, wie man die Herrschaft des Kapitals am besten erhalten kann. Im Sozialismus werden politische Parteien nicht länger gegründet mit dem Ziel, bestimmte Klasseninteressen zu vertreten. sondern eher verschiedene Ideen, wie man am besten die Wirtschaft plant, wo man investiert und forscht, welche Prioritäten es gibt für die Gesellschaft, etc. Wir werden Parteien sehen, basierend auf Ideen und Wünschen, nicht Klassen.
Ein Ende dem Nationalismus, Sexismus und Rassismus
Der Nationalstaat wie wir ihn heute verstehen wurde eingeführt mit der Entwicklung des Kapitalismus aus dem Feudalismus, sehr oft auf willkürliche Art (die Grenzen von vielen afrikanischen Ländern sind schlicht das Ergebnis gerader Linien, die von den Imperialisten auf eine Karte gezeichnet wurden). Heute ist der Nationalstaat eine Fessel bei der Entwicklung der Produktivkräfte, weil er Protektionismus, Wettbewerb zwischen Staaten und Einwanderungskontrollen auftrieb gibt. Er stellt auch eine Fessel dar bei der Entwicklung der menschlichen Kultur, indem er giftigen Nationalismus nährt, welcher Ideen fremder Kulturen ablehnt und indem er die freie Bewegung der Menschen und das Vermischen ihrer Kulturen beschränkt.
Die Schaffung von Freihandelszone – wie der Europäischen Union – ist eine Anerkennung der Bourgeoisie, dass wirtschaftliche Entwicklung die Demontierung der nationalen Grenzen benötigt; und die momentane Krise der Eurozone ist Beweis, dass die Demontierung der nationalen Grenzen unmöglich ist unter dem Kapitalismus. Der Sozialismus ist ein System, welches die Arbeiterklasse über Grenzen hinweg vereinigt und das nationale Grenzen und Konkurrenz zwischen Staaten niederreisst. Das bedeutet nicht die Zerstörung lokaler Unterschiede und Kulturen – verschiedene Regionen vereint unter einem sozialistischen Staat zu haben, würde ihre Individualität nicht zerstören – es zerstört nur die künstlichen Steuer-, Migrations- und andere Grenzen zwischen Menschen.
Das ist auch ein Standpunkt, den die französische Arbeiterpartei vor über 120 Jahren in einem Artikel vertrat, genannt Patriotismus und Sozialismus. In einer Diskussion über die Vorteile des Internationalismus besagt der Artikel:
Internationalismus wird uns nicht daran hindern, patriotisch zu sein. Er wird die Menschheit komplett aufblühen lassen. Genau wie wir am Ende des letzten Jahrhunderts gesehen haben, als wir, obwohl wir Franzosen wurden, immer noch aus der Provence, Bourbon, Belgien oder der Bretagne kamen.
In anderen Worten, obwohl die bürgerliche Revolution an Orten wie Frankreich oder Deutschland lokale Teilungen überwand und die Existenz eines Nationalstaates zementierte, zerstörte das nicht die lokale Identität und Tradition der Menschen. Auf ähnliche Weise bedeutet Internationalismus die Aufhebung von Grenzen zur Kooperation zwischen Menschen aus verschiedenen Nationen, aber es bedeutet nicht, der ganzen Welt eine „One-size-fits-all“-Identität aufzuzwingen.
Auch andere Spaltungen zwischen Menschen würden in einem sozialistischen System zurückgehen, zum Beispiel Vorurteile gegen Frauen. Engels erklärt, dass der Ursprung der Frauenunterdrückung im Privatbesitz liegt. Der Sozialismus, indem er den Privatbesitz abschafft, entfernt die materiellen Bedingungen für diese Unterdrückung. Ebenso die traditionelle Familie, welche, im Kapitalismus, die Rolle der grundlegendsten Einheit der wirtschaftlichen Ausbeutung spielt.
Im Sozialismus würde die Familie befreit von bürgerlichen Zwängen. Haushaltsaufgaben könnten vergesellschaftet werden, was die Last der unbezahlten Arbeit von den Schultern (vorwiegend) der Frauen nehmen und sie zur Verantwortung der Gesellschaft als Ganzes machen würde. Kochen, Putzen, Waschen und Kinder-, sowie Altenbetreuung könnte alles als Service Public bereitgestellt werden und so die Frauen aus den Fesseln des traditionellen Familienlebens entlassen.Dies würde nicht die Möglichkeit nehmen, ein traditionelles Familienleben weiter zu führen, falls gewünscht, aber es würde nicht mehr notwendig sein. Unter diesen Bedingungen würden Gesetze zur Ehe, Scheidung oder Abtreibung absurd.
Die Bolschewiki nahmen nach der Oktoberrevolution 1917 Schritte in diese Richtung vor. Trotzki erklärt die Ziele des sozialistischen Staates in einem Artikel für Prawda im Juli 1923, genannt: Von der Alten Familie zur Neuen.
Die physischen Vorbereitungen für die Bedingungen des neuen Lebens und der neuen Familie, nochmals, kann nicht fundamental von der allgemeinen Arbeit des sozialen Aufbaus getrennt werden.
Der Arbeiterstaat muss wohlhabender werden um zu ermöglichen, die öffentliche Bildung der Kinder und die Befreiung der Familie von den Bürden der Küche und des Waschens ernsthaft zu bewältigen. Die Sozialisierung des Familienhaushalts und der öffentlichen Bildung von Kindern sind undenkbar ohne eine deutliche Verbesserung unserer Wirtschaft als ganzes. Wir brauchen mehr sozialistisches Wirtschaftswachstum.
Nur unter solchen Bedingungen können wir die Familie von den Funktionen und Sorgen, die sie nun unterdrücken und zersetzen, befreien. Waschen muss durch eine öffentliche Wäscherei erledigt werden, Verpflegung durch ein öffentliches Restaurant, Nähen durch eine öffentliche Werkstatt, Kinder müssen durch gute öffentliche Lehrpersonen unterrichtet werden, die eine echte Berufung für die Arbeit haben. Dann würde die Verbindung zwischen Ehemann und Ehefrau befreit werden von allem äusseren und zufälligen, und das eine würde aufhören das Leben des anderen zu absorbieren. Echte Gleichberechtigung wäre endlich eingeführt. Die Verbindung würde auf gegenseitiger Zuneigung beruhen. Und darum speziell würde sie innere Stabilität erlangen, natürlich nicht dieselbe für alle, aber für niemanden zwingend.
Wie Trotzki erklärt, würden solche Änderungen auch weit genug reichen um andere Vorurteile nieder zu reissen, wie z.B. Homophobie, die im Kapitalismus von der herrschenden Klasse benutzt wird, um Spaltungen in der Arbeiterklasse zu verursachen. Tatsächlich begannen die Bolschewiki viele dieser Reformen, inklusive die Legalisierung der Homosexualität, nach 1917 unter der Führung von Lenin und Trotzki.
Rassistische Vorurteile würden ebenfalls nicht überleben im Sozialismus. Rassismus wird auch von der Herrscherklasse verwendet um die Arbeiterklasse zu spalten, so dass die Bosse die Arbeiter einfacher ausbeuten können. Es ist kein Zufall, dass migrationsfeindliche und rassistische Rhetorik in Zeiten der kapitalistischen Krise zum Vorschein kommt, wenn die Bourgeoisie es für nötig befindet, die Lebensstandards der Arbeiter weiter zu drücken.
Im Sozialismus wird es einmal keine materielle Basis für Rassismus mehr geben, da es keine Teilung der Klasse geben wird.
Auch wenn es ein verzerrtes Beispiel ist, gibt die UdSSR uns einen kleinen Blick auf einige Fortschritte, die im Sozialismus in diesem Bereich gemacht werden können. Viel der sowjetischen Propagandakunst enthielt Bilder einer ethnisch diversen Auswahl von Menschen, die für den Sozialismus kämpfen um zu verdeutlichen, dass der Kampf für den Sozialismus von der Arbeiterklasse auf der ganzen Welt geführt wird. Des Weiteren bot die UdSSR den Einwohnern afrikanischer Staaten kostenlose Bildung an und richtete die Universität der Völkerfreundschaft, benannt nach dem linken kongolesischen Revolutionsführer Patrice Lumumba, ein. Unterdessen dauerte in den erzkapitalistischen USA die Rassentrennung bis zur Mitte der 1950er Jahre an.
Der Prozess der sozialistischen Revolution und wird diesen diversen Arten von Unterdrückung und Vorurteilen die materielle Grundlage entziehen und gleichzeitig durch die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft selbst diese Vorurteile abbauen. Im Kontext der sozialistischen Revolution treten die Klassenfragen in den Vordergrund, während Spaltungen aufgrund von Ethnie, Gender, und so fort, in den Hintergrund treten.
Der Bergarbeiterstreik in Grossbritannien von 1984-85 liefert ein Beispiel für den Effekt eines revolutionären Prozesses auf das Geschlechterverhältnis. Loretta Loach erklärt in ihrem Buch über die Frauen im Bergarbeiterstreik wie die Beziehungen zwischen Männern und Frauen sich innerhalb der Arbeiterklasse als Resultat ihres gemeinsamen Kampfes gegen die erzkapitalistische Thatcher-Regierung zu dieser Zeit radikal veränderten:
Als das Leiden grösser wurde, so wurde die Entschlossenheit der Frauen stärker. Sie begannen mit ihren Männern zu marschieren und Kundgebungen und Versammlungen zu besuchen, immer lernend. Vorher unpolitische, zurückhaltende Frauen traten als begnadete Schöpferinnen hervor und sprachen auf Versammlungen um Geld zu sammeln um die zukünftigen Aufgaben weiter zu führen.
Im Kampf für den Sozialismus wird der Einsatz für die sozialistische Revolution wichtig, ein Charakterzug, der nicht einem Geschlecht oder einer Rasse eigen ist. Alle anderen Spaltungen werden niedergerissen im Prozess des gemeinsamen Kampfes.
Das Erblühen der Wissenschaft und Kultur
In der UdSSR wurden massive Alphabetisierungsprogramme und die Verstaatlichung der öffentlichen Bibliotheken vollzogen. Mit mehr Menschen, die fähig sind zu lesen und zu schreiben, wird die literarische, die theatralische und die poetische Kultur der Menschen sehr schnell neue Höhen erreichen.
In Venezuela, einem Land, das unter Hugo Chavez einige sozialistische Ideen als Teil der bolivarischen Revolution umgesetzt hat, können die Effekte des enormen Bildungs- und Alphabetisierungsprogramms, welches 1.5 Millionen Menschen lesen und schreiben gelehrt hat, an der boomenden venezolanischen Belletristik gesehen werden. Gemäss dem Journalisten Boris Munoz hat die venezolanische Belletristik „sich einem grösseren Publikum geöffnet, durch düstere Romane, historische Romane, ohne ihre eigene venezolanische Eigenart zu verleugnen.“
Ein anderer Literaturkritiker, Antonio Lopez Ortega, beschreibt die venezolanische Belletristik als „das bestgehütete Geheimnis der Karibik“, während 2006 ein Venezolaner zum ersten Mal den prestigeträchtigen Herralde Novel Award gewann und es auch in die engere Auswahl für den Preis für ausländische Belletristik der unabhängigen Zeitung schaffte. Des weiteren, an der Internationalen Buchmesse 2006 in La Paz [Bolivien] entschied sich Venezuela 25’000 Bücher gratis an die Bewohner und Bewohnerinnen von La Paz und die benachbarte Stadt El Alto zu verteilen, statt sie an reiche, internationale Gäste zu verkaufen, aus einem Verständnis heraus, den Zugang zu Kultur zu erweitern.
Solche Entwicklungen und Einstellungen waren nur möglich in einem Land, welches den Reichtum seiner natürlichen Ressourcen im Interesse aller einsetzt, anstatt den Profiten ein paar weniger. Stellt euch vor, was auf dieser Grundlage erreicht werden könnte im Bereich der Kultur in einer voll entwickelten, gesunden sozialistischen Gesellschaft!
Und diese Frage geht über das simple Ausweiten von Alphabetisierungs-programmen hinaus. Sozialismus bietet jungen Menschen eine leuchtendere Zukunft voller Möglichkeiten, welche wenn verglichen mit den düsteren Perspektiven der Jugend unter dem Kapitalismus die Inspiration für grosse Fortschritte in Kunst und Philosophie bietet. Es ist kein Zufall, dass die grössten bürgerlichen Philosophen im Morgengrauen des Kapitalismus geschrieben haben, als die Gesellschaft sich aus dem hinfälligen Feudalsystem erhob, einer leuchtenden, kapitalistischen Zukunft entgegen.
Ebenso die grössten Künstler – da Vinci, Beethoven, Shakespeare, ect. – produzierten ihre Meisterwerke dank der Inspiration des revolutionären Kampfes des Bürgertums gegen die alte feudale Ordnung. Solch kultureller Fortschritt wird stattfinden mit der Ankunft des Sozialismus; aber mit dem zusätzlichen Vorteil von vielen hundert Jahren menschliche Entwicklung dahinter, werden diese sozialistischen Meisterwerke Ideen ausdrücken auf einer unendlich viel höheren Ebene als alles, was wir zuvor gesehen haben.
Eine Planwirtschaft wird rationale Investitionen in wissenschaftliche Forschung erlauben, um weit effektivere Resultate zu bekommen als dass es der Fall ist im Kapitalismus. Kubas weltberühmte Gesundheitsversorgung ist das Ergebnis geplanter Investitionen in wissenschaftliche Entwicklung und seine Effektivität wurde wiederholt demonstriert, kürzlich durch die überragende Menge an Hilfe von Kuba für die durch Ebola betroffenen Länder und durch die Statistiken der Zahl der Ärzte pro Kopf, wie vorher erwähnt.
Bei wissenschaftlichen Fragen um den Klimawandel sieht es so aus, als wäre Sozialismus die einzige Sache, die uns noch vor der Zerstörung des Planeten retten kann. Wir benötigen einen international koordinierten Plan um uns mit dem Klimawandel zu befassen – einer, in dem Profit und nationale Grenzen keine Hindernisse sind. Während das die direkte Antithese zum Kapitalismus ist, beschreibt es Sozialismus perfekt. Mit international geplanten wissenschaftlichen Anstrengungen um die Emissionen zu reduzieren und den Klimawandel abzuschwächen, könnten wir das ernsteste Problem angehen, dass das alles Leben auf der Erde heute hat.
Die Technologie existiert bereits um die Energie von Wind, Wellen und Sonne nutzbar zu machen, was benutzt werden könnte, um den gesamten Planeten mit Energie zu versorgen. 1986 fand der deutsche Physiker Gerhard Knies heraus, dass die Wüsten der Erde in sechs Stunden soviel Energie erhalten, wie die Menschheit in einem Jahr verbraucht, das bedeutet, ein Gebiet in der Sahara von der Grösse von Wales würde ausreichen für ganz Europa. Diese Gelegenheit zu verfolgen würde bedeuten, alle Abhängigkeit von fossilen Energieträgern zu entfernen und dadurch die CO2-Emissionen dramatisch zu senken – etwas, das der Planet verzweifelt braucht. Dies wird nicht getan, weil es unprofitabel wäre für die Kapitalisten, die grosse Ölfirmen aufgebaut oder in sie investiert haben.
Kapitalismus ist unfähig, für die Zukunft zu planen, da er nur auf kurzfristigen Gewinn ausgerichtet ist. Aus kapitalistischer Sicht ist die Zerstörung des Planeten ein akzeptabler Preis für höhere Profite, nicht zuletzt, da es die ärmsten Menschen sind, die die Hauptlast der extremen Klimaveränderungen tragen (werden). Nur durch rationale, langfristige und demokratische Planung können wir tun, was für die Rettung des Planeten nötig ist.
Wissenschaftlicher Fortschritt in der Weltraumforschung könnte viel effizienter verfolgt werden in einer Planwirtschaft, anstatt dass jede Nation ihre eigenen Satelliten und anderen Gerätschaften produziert, startet und unterhält. Tatsächlich mussten private Unternehmen, die Missionen zum Mars zu starten versuchen, von der Regierung finanzierte Projekte wie NASA um Hilfe bitten für Spenden und Fachwissen. Ein rationell geplanter öffentlicher Sektor ist ein effektiverer Weg um Weltraumforschung voran zu treiben, wie die UdSSR bewies, indem sie die erste Nation war, die einen Menschen in den Weltraum brachte und kurz davor stand eine ganze Raumstation, fähig die äussersten Grenzen des Sonnensystems zu erreichen, zu starten, während die USA immer noch versuchten, einen Mann auf den Mond zu bringen.
Das Ende und der Anfang
Wird es Marxisten geben im Sozialismus? Wird die marxistische Theorie eine Rolle spielen nach dem Sieg der sozialistischen Revolution? Im Moment ist Marxismus vor allem ein politisches Werkzeug, und jene, die diese Ideen studieren und versuchen in die Praxis umzusetzen sind vor allem politische Aktivisten.
Aber in einer sozialistischen Gesellschaft wird der dialektische Materialismus, die Philosophie des Marxismus, immer noch ein wichtiges Werkzeug sein, um die Entwicklungen dieser Gesellschaft zu analysieren. Und weiter wird es ein bewusstes Element in der wissenschaftlichen Forschung und kultureller Schöpfung werden. In der Gegenwart ist diese Philosophie in verschiedenen wissenschaftlichen Gebieten inbegriffen, wie die Forschung über Quantenprozesse und Chaostheorie, aber dadurch, dass wir es zu einem expliziten Element in unserem Verständnis der Gesellschaft machen, wird das Bewusstsein der Menschen sich viel weiter und schneller entwickeln im Sozialismus. Wie die Philosophien des Liberalismus und Rationalismus diese Rolle im Kapitalismus gespielt haben, so wird Marxismus diese Rolle im Sozialismus spielen.
Sozialismus bedeutet das Ende einer Gesellschaft, in welcher Menschen durch andere Menschen unterdrückt und ausgebeutet werden. Es bedeutet ein Ende des Privateigentums im grossen Stil und ein Ende der privaten Profite und der Anarchie des freien Marktes. Aber Sozialismus bedeutet nicht ein unmittelbares Ende aller Probleme der Welt und die Erschaffung eines Paradieses in welchem alle für immer glücklich leben; noch bedeutet es das Ende der Geschichte und aller zukünftigen Entwicklungen der menschlichen Gesellschaft.
Tatsächlich ist Sozialismus nur der Beginn der Geschichte. Er verspricht ein System, welches fähig ist, die Produktionskräfte in einem solchen Mass zu entwickeln, dass die Menschen aufhören können, sich und ihren Planeten zu zerstören und stattdessen beginnen, bewusst Kontrolle zu fassen über ihr eigenes Leben.
Der Philosoph Hegel sagte, dass echte Freiheit nicht davon kommt, zu versuchen, die Gesetze, die die Welt regieren, zu überschreiten sondern davon, sie zu verstehen; da, einmal verstanden, diese Gesetze zu unserem eigenen Vorteil eingespannt werden können. Die Theorie des Marxismus stellt uns das Verständnis der physikalischen, sozialen und ökonomischen Gesetze bereit, die die Welt regieren, und die Praxis des Sozialismus wird uns die Freiheit geben, die davon kommt, sie für unsere Zwecke zu nutzen. Was wir mit dieser Freiheit machen ist die Frage, die alle zukünftigen menschlichen Entwicklungen leitet.