Die revolutionäre Bewegung hat wenige Persönlichkeiten hervorgebracht, die über Generationen und über alle Länder eine Identifikationsfigur für alle jene, die sich eine bessere Welt herbeisehnen, abgeben könnten. Che Guevara, der „Jesus Christus mit der Knarre“, zählt zu ihnen.
Das Zentralorgan des österreichischen Kapitals, „Die Presse“, widmete dem Che am 10. August einen Kommentar und bezeichnete ihn als Angehörigen der „B-Liga der politischen Schwerstkriminellen (…) zwischen Franco, Mussolini und Pinochet“. Diese bürgerlichen Meinungsmacher, die im Mai dieses Jahres auf den gleichen Seiten die Kampagne „Hände weg von Venezuela“ in den „Sumpf von RAF-Terrorismus und Linksfaschismus“ ziehen wollte, tun gut daran Che zu hassen. Aber blinde Liebe und sinnentleerte Kommerzialsierung sind viel gefährlicher…
Der Mensch Che Guevara
Große historische Ereignisse, wie die Kubanische Revolution, bringen auch große Menschen hervor. Ohne die Kubanische Revolution wäre Che wohl ein unbedeutender Arzt geworden. Es scheint seine starke Asthmaanfälligkeit gewesen zu sein, die ihn, ein Kind aus begüterten Verhältnissen, besonders sensibel für die vermeintlich Schwachen und die Ausgeschlossenen der Gesellschaft machte. Das Krebsleiden eines Familienmitgliedes ließ in ihm bald den Wunsch entstehen Medizin zu studieren, ein Studium, das er mit großem Fleiß absolviert haben soll. Er war ein permanent Suchender und begab sich auf Reisen, die ihn sehr prägten und schlussendlich seinem Leben eine unvorhergesehene Wendung gaben. Er erlebte den politischen Aufbruch in Guatemala im Jahr 1954 und die Aggression, mit der der CIA diese Bewegung im Blut ertränkte. Auf der Flucht nach Mexiko traf er auf eine Gruppe kubanischer Befreiungskämpfer, die sich militärisch und politisch auf eine „Invasion“ zur Befreiung der Karibikinsel vorbereiteten. Nach einigem Zögern schloss er sich diesen Revolutionären an und schiffte sich 1956 mit 85 anderen Rebellen auf der Motoryacht Granma mit dem Ziel Kuba ein. Das Fiasko ihrer Ankunft in Kuba unter Bombenhagel ließ ihn eine, wie er selbst berichtet, richtungsgebende Entscheidung fällen: er, der als Arzt auf dieser Expedition dabei war, ließ das Verbandszeug am Schiff und nahm die Waffe und Munition mit an Land. Schnell erwarb er sich eine hohe militärische und moralische Autorität und wurde zum Commandante der zweiten Guerillaarmee, die sich in den folgenden Jahren aus den Bergen hinaus Richtung der Hauptstadt Habana vorkämpfen sollte.
Che zeichnete sich durch Härte gegenüber dem Gegner aus, aber vor allem auch durch Härte gegen sich selbst. Bereits während der Guerilla und insbesondere nach dem Sieg der Revolution lehnte er jedes persönliche Privileg ab. Insbesondere im Zuge der Institutionalisierung der Kubanischen Revolution war er ein Unbequemer. Geschenke an seine Familie pflegte er an Waisenhäuser weiterzugeben, diplomatische Empfänge mied er, ein Kollege aus dem Industrieministerium berichtet von einem Zornanfall als er wahrnahm, dass er mehr rationierte Lebensmittel zugeteilt bekam als „normale“ KubanerInnen. Ernesto Cardenal weiß zu berichten, dass er eine Auslandsreise in Militärstiefeln und ohne Socken unternahm, mit der Begründung, dass er diese nicht zugeteilt bekommen habe. Leon Ferrara, einer der letzten lebenden kubanischen Trotzkisten jener Zeit, war persönlicher Mitarbeiter von Che im Ministerium. Er erinnert sich, dass Che besonders Wert darauf legte, dass Arbeitsbesprechungen im Zuge der freiwilligen Arbeitseinsätze nicht unter der Arbeitszeit, sondern am Abend stattfanden. Er berichtet, dass er gemeinsam mit Che und zwei weiteren Genossen ein Team in der Zuckerrohrernte bildete und dass sie gerade über die Gefahr der Bürokratie diskutierten, als der Direktor der Zuckermühle im Jeep vorbeifuhr um den Minister um ein Gespräch zu bitten, was Che wütend ablehnte.
Ein weiteres Wesensmerkmal Ches war seine unablässige Unzufriedenheit mit dem Erreichten. Bücher und politische Diskussionen waren sein ständiger Lebensbegleiter auf der Suche nach einem besseren Verständnis und besserer Praxis – auch in seinen schwierigsten Momenten, wie etwa auf den Guerillaexpeditionen, bei denen er kiloweise Bücher mitschleppte. Er lehnte die sowjetischen Lehrbücher des Marxismus ab und organisierte Lesezirkel der marxistischen Klassiker, wobei er auch auf Trotzki (das letzte Buch, das Che auf seinem Guerillafeldzug in Bolivien las, war die „Geschichte der Russischen Revolution“) und andere Autoren der Linken Opposition (z.B. Preobraschenskis „Die neue Ökonomische Politik“) setzte.
Vom Guerilla zum Minister…
In der ersten Hälfte der 1960er Jahre geriet Che zusehends in Konflikt mit der Sowjetunion, die einen immer größeren Einfluss auf die Kubanische Revolution nahm. Die „literarische Debatte“, also die konstatierte Unzulänglichkeit sowjetischen Marxismusverschnittes, wurde bereits erwähnt. Doch dies hatte sowohl theoretische als auch praktische Implikationen. Che, der noch kurz zuvor die Sowjetunion mit blinder Bewunderung hochleben ließ, geriet nun immer mehr in Konflikt mit ihren Konzepten. Interessanterweise wird dieser zuerst auf dem Feld der Ökonomie ausgetragen. Che ist Verfechter eines zentralistischen staatlichen Wirtschaftskomplexes, deren ArbeiterInnen keinerlei materielle Reize sondern nur durch „revolutionäre Moral“ inspiriert, hart am Aufbau einer industrialisierten Ökonomie arbeiten. Demgegenüber stand das sowjetische Modell relativ selbstständiger wirtschaftlicher Einheiten und materieller Vergütungen. Bei dieser Debatte ging es jedoch weniger um eine verwaltungstechnische Diskussion sondern um die Entwicklungsperspektive der Kubanischen Revolution. Trotz seiner analytischen Fehler verteidigt er in seinen Argumenten die Möglichkeit des Überspringens einer „bürgerlichen“ Phase der Revolution und des Aufbaues des Sozialismus. Er selbst verwendet in diesem Zusammenhang den Begriff der „permanenten Revolution“. In Kombination mit seiner Polemik gegen Bürokratismus und seinem konsequenten Eintreten für die internationale Revolution wird Che zur Problemfigur der Kreml-Clique.
…. und zurück zur letzten Mission
Nach heftigen Angriffen auf die Sowjetunion auf einer Konferenz in Algier 1964 ist Che nur noch selten in der Öffentlichkeit zu sehen. Er gibt seine öffentlichen Ämter auf und bereitet sich auf neue Aufgaben vor. Zuerst scheitert er auf einer Guerillamission im Kongo, dann bereitet er sein Engagement in Bolivien vor. Hier soll der Fokus, also der Brennpunkt für eine militärische Befreiungsbewegung Südamerikas liegen. Doch Ches Unternehmen scheitert auf tragische Art und Weise. Die gesamte Guerillaexpedition verläuft völlig isoliert vom Klassenkampf in Bolivien und wird von Militär und CIA zu Tode gehetzt, ohne je eine Chance auf Erfolg gehabt zu haben.
Sein Erbe
Im bolivianischen Abenteuer verdichtet sich die Politik und der Mensch Che auf tragische Weise in all seinen Stärken und Schwächen. Einerseits beweist er bis zu seinem Tod seine unversöhnliche Haltung gegenüber dem Imperialismus und geht diesen Weg konsequent bis zuletzt, mit nur noch wenigen Getreuen an seiner Seite. Andererseits kann eine kritische Würdigung seines Lebens nicht davon absehen, dass dieses Scheitern Resultat einer Verquickung all seiner politischen Fehler und Schwächen ist.
Er verachtete objektive Bedingungen der Gesellschaft und setzte den „Willen“ und die „revolutionäre Moral“ über alle historischen Gesetze der menschlichen Gesellschaft. Er war davon überzeugt, dass man Revolutionen machen könne, wenn man es nur wolle und bezahlte diesen Irrglauben mit seinem eigenen Leben. Seine Theorie des Partisanenkrieges wurde zentraler Bezugspunkt der lateinamerikanischen Linken. Generationen von RevolutionärInnen zogen von den Städten in Berge und Urwald, isolierten sich von der ArbeiterInnenklasse und wurden dort aufgerieben. Nur in Nikaragua gelang 1979 was ähnliches wie in Kuba: die Guerilla war der zentrale Katalysator des Sturzes des Somoza-Regimes. Doch sowohl in Kuba als auch in Nikaragua war der Sieg der Guerilla schlussendlich dem Klassenkampf in der Stadt geschuldet, dem Klassenkampf der ArbeiterInnenklasse, den Che Zeit seines Lebens nicht beachtete. Und darüber hinaus wurde die revolutionäre Stimmung in Kuba als auch 20 Jahre später in Nikaragua nicht künstlich durch eine Guerilla geschaffen (wie er analysierte) sondern nur angeheizt. Hätte er hier eine richtige Analyse der Triebfedern der Kubanischen Revolution entwickelt, wäre er nicht dazugekommen die Guerilla zu einem mythischen Wesen emporzuheben. In einer Revolution erwachen Millionen von Menschen zu neuem politischen Leben, dies können RevolutionärInnen nicht herbeizaubern sondern nur vorbereiten, würden wir MarxistInnen Che entgegenhalten.
Das Übersehen der ArbeiterInnenklasse führt nicht nur zu einer falschen revolutionären Strategie, sondern damit zusammenhängend auch zu einem völlig falschen Verständnis wie denn nun Sozialismus organisiert sei. Sozialistische Demokratie, ArbeiterInnenräte, eine demokratisch geplante Wirtschaft lagen außerhalb seiner ernsthaften Kenntnisnahme. Wie so oft stellte er auch hier zwar die richtigen Fragen. Vor einer Versammlung des Industrieministeriums fragte er in die Runde: „Wer wird den Industrieminister [Das war es selbst!] entlassen, der im vergangenen November einen Plan unterzeichnet hat, der die Herstellung von zehn Millionen Paar Schuhen und einigen anderen Blödsinn vorsieht?“ Weder auf diese noch auf viele andere Fragen gab er, wenn überhaupt eine, eine marxistische Antwort.
Doch „uns bleibt, was gut war und klar war“, wie Wolf Biermann sein Lied für Che einleitet. Die Guerillabewegung hat sich politisch überlebt, heute ist es die Massenbewegung Lateinamerikas, die für ein freies, vereinigtes und sozialistisches Lateinamerika kämpft. Che steht hier nicht für seine politischen Schwächen sondern für seine Stärken: ein unversöhnlicher Revolutionär, einer der sich nie korrumpieren ließ und die Bürokratie hasste, und einer der angetreten war Lateinamerika vom Kapitalismus zu befreien. Und wir fügen hinzu: die richtige Frage zu stellen und sie falsch zu beantworten ist wertvoller und wichtiger als phantasielos, faul und abgeschmackt immer wieder eine „intelligente“ Antwort zu finden, warum jetzt gerade die Zeit für diese und jene politische Maßnahme nicht reif sei.
Emanuel Tomaselli