In den letzten Wochen sind auf dem ganzen Globus riesige Massenrevolten ausgebrochen, bei denen in jedem einzelnen Fall die bisherige gesellschaftliche Dynamik völlig auf den Kopf gestellt wurde. Die schiere Anzahl zeigt, dass wir uns inmitten einer der größten revolutionären Wellen der modernen Geschichte befinden.
Das Jahr 1968 bietet sich als Referenzpunkt. Doch der heutige Prozess geht tiefer und findet inmitten einer völligen Zerrüttung der kapitalistischen Wirtschaft und bürgerlichen Ordnung statt.
Bereits vor einigen Monaten gelang es den Massen in Algerien und dem Sudan, ihre Regierungen zu stürzen. Ab Oktober erleben wir die lawinenartige Ausbreitung von Aufstandsbewegungen: Chile, Ecuador, Haiti, Libanon, Irak, Algerien – und mit Katalonien hat die globale Massenrevolte der Entrechteten den Fuß auf den europäischen Kontinent gesetzt. Die schiere Anzahl aller Bewegungen erlaubt hier nur eine unvollständige, skizzenhafte Darstellung dieses Prozesses.
Ende September war der Tahrir-Platz in Kairo wieder voll mit Demonstrierenden, die gegen die Unterdrückung des Militärregimes protestierten. Unmittelbar danach, Anfang Oktober, bricht im Irak ein Massenaufstand aus, ohne dass es dafür einen spezifischen Anlass gegeben hätte. Trotz brutalster Gewaltanwendung weitet sich diese Bewegung weiter aus und überbrückt dabei die sektiererische religiöse Spaltung, die bisher den Regimes das Überleben sicherte (Seite 10).
Fast gleichzeitig verhängt der spanische Oberste Gerichtshof gegen neun katalanische PolitikerInnen schwere Urteile wegen „Volksverhetzung“, die direkt auf dem Strafgesetzbuch der Franco-Diktatur basieren. Dies löst einen Massenprotest aus und revitalisiert die Unabhängigkeitsbewegung, die in den letzten zwei Jahren teilweise demoralisiert worden war. Zehntausende Menschen gehen noch am selben Tag auf die Straße, blockieren den Flughafen Barcelona und füllen die Plätze. Die gewaltsame Unterdrückung durch den Staatsapparat (inklusive der katalanischen Polizei auf Befehl einer Regierung, die sich in Worten als republikanisch und auf Unabhängigkeit orientiert bezeichnet), hat die Bewegung nicht aufgehalten. Barcelona erlebte eine Nacht der Barrikaden und am 18. Oktober gingen 750.000 Menschen in einem Generalstreik auf die Straße.
Zur gleichen Zeit kündigt Präsident Moreno in Ecuador ein Paket von Sparmaßnahmen an und erklärt, dass er den Protesten nicht nachgeben werde. Die Bewegung nimmt in wenigen Tagen einen aufständischen Charakter an und zwingt das Regime, zuerst aus der Hauptstadt zu fliehen und dann die sozialen Angriffe zurückzunehmen. (Seite 7)
Die versuchte Einführung einer WhatsApp-Steuer legte im Libanon das Streichholz an die Lunte des Aufstandes. Nach Jahren der Kürzung, Privatisierung, Korruption war dies der letzte Tropfen der das Fass zum Überlaufen brachte. Mindestens 2 Millionen Menschen (von nur 6 Millionen Einwohnern) gingen auf die Straße. Die Bewegung nahm rasch einen klaren Klassencharakter an, deren soziale Forderungen die Trennlinien zwischen den verschiedenen Volksgruppen niederreißen. Sunniten, Schiiten, Christen, Drusen, Palästinenser, sie alle stürzten gemeinsam die Regierung Hariri und machen seither weiter. Auch in Haiti führte die übliche Kürzungspolitik in Kombination mit offener Korruption zu einem neuen Aufstand.
In Chile bezeichnete der rechte Milliardärs-Präsident Sebastiàn Piñera das Land noch Anfang Oktober als „authentische Oase in einem krampfgeschüttlten Lateinamerika“. Einige Tage später entfesselten SchülerInnen eine Protestbewegung gegen die Erhöhung der U-Bahn-Tarife. Die Regierung reagiert mit Polizeigewalt. Doch der Versuch, die als „Terroristen“ diffamierten SchülerInnen zu isolieren, schlägt fehl, die Jugendlichen gehen auch in den Vororten auf die Straße und die Bevölkerung, angefangen mit den Beschäftigten der U-Bahnen, solidarisiert sich. Daraufhin erklärt die Regierung in vielen Teilen des Landes den Ausnahmezustand und die Ausgangssperre und droht DemonstrantInnen mit Freiheitsstrafen von bis zu zehn Jahren. Armee und Polizei eröffnen mehrmals das Feuer und töten in wenigen Tagen zehn Menschen.
Die Bilder des Militärs, das auf die Straßen geschickt wurde, erinnern an Pinochets blutige Militärdiktatur und haben einen tiefgreifenden Einfluss auf das Bewusstsein der Massen. Volksversammlungen organisieren sich, und die Hafenarbeiter stellen die Losung nach dem Sturz der Regierung auf. In einem zweitägigen Generalstreik gehen bis zu zwei Millionen DemonstrantInnen auf die Straßen der Hauptstadt (Seite 6).
Mit einer derartigen Anhäufung von Bewegungen zeigt sich, welche Bedingungen und welche Charakteristika diese gewaltige revolutionäre Welle bestimmen:
★ Sie ist die direkte Folge der vor zehn Jahren ausgebrochenen kapitalistischen Krise, die sich in den kommenden Monaten wieder zu verschärfen droht. Soziale Ungleichheit, Arbeitslosigkeit, Armut, Prekarisierung, ungezügelte Ausbeutung, dreiste Korruption und die ständige Lüge der hohen Politik verschmelzen zu dem weit verbreiteten Bewusstsein, dass wir in einem System leben, das nicht nur unfair, sondern auch bankrott ist.
★ Die Jugend steht an der Spitze der Bewegungen. Sie hat keine positiven Erinnerungen an die „guten alten Zeiten“, sondern nur Unzufriedenheit und Angst um sich und den Planeten.
★ Der Staatsapparat präsentiert sich mit seinem Polizeiknüppeln und Gewehren, mit den Gerichten, MinisterInnen und Medien, um gegen „Gewalt“, „Subversion“ und „Terrorismus“ vorzugehen. So versuchen sie die Bevölkerung in Angst und Passivität zu halten, doch sie scheitern damit auf ganzer Linie, sobald die Bewegungen ausgebrochen sind.
★ Gegenwärtig befindet sich das Epizentrum der Bewegung in zwei Regionen des Planeten in denen oberflächlich gesehen in der letzten Periode der Konservativismus und die politische Reaktion dominierte: im Nahen Osten und in Lateinamerika.
Die Ereignisse dieses außergewöhnlichen Oktobers zeigen, dass sich die Dinge nicht durch „Erzählungen“ aufgeklärter Intellektueller ändern werden, sondern durch den Kampf der Massen, der Armen und allen voran der jungen Menschen. Und: Sie haben das Potential einer grundlegenden Revolutionierung der Gesellschaft, das durch die Beteiligung der Arbeiterinnen und Arbeiter in den Bewegungen repräsentiert wird: Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will!
Der Maulwurf der Geschichte gräbt unaufhaltsam, und nur blinde EmpirikerInnen sind überrascht, dass und wo der Maulwurf seine Haufen auf der planierten Wiese aufwirft. Die gesamte politische Kaste Österreichs, angefangen vom Message-Controller Kurz über die grünen SchwärmerInnen, die einfach nur geil auf Regierungsposten sind, bis hin zu den Spitzen der Arbeiterbewegung mit ihrer weltfremden Schönwetterpolitik stehen nicht auf festen Boden. In den Tiefen der Gesellschaft bahnen sich Frustration und Zorn ihre Bahnen und kleine Anlässe werden auch hierzulande große Verwerfungen aufwerfen.
Die Internationale Marxistische Tendenz, in Österreich repräsentiert durch den „Funke“, kämpft auf allen Kontinenten darum, dass diese Verwerfungen zum Ausgangspunkt für eine sozialistische Transformation der Gesellschaft werden. Es gilt zu verstehen, wie dies möglich ist. Denn dieses verrottete System muss ein für alle Mal gestürzt werden. Für diesen Kampf braucht es noch dich und dich, denn das revolutionäre Programm braucht Stimmen, um auch hierzulande gehört zu werden. Überall erheben sich die Massen. Wir kämpfen dafür, dass sie siegreich sind!
Wien, am 08.11.2019
Aus dem Inhalt der Zeitung:
- Es braucht einen sozialistischen Neuanfang
- Trotzdem! Zur Frage der Selbstfinanzierung
- Steiermark: Neuaufstellung der Arbeiterbewegung notwendig
- Grüner Lack für Bastis Bürgerblock
- Younion: Eintreten & mitmischen
- Ein menschenwürdiges Leben für alle (SWÖ)
- Wir wollen keine Lehrenden zweiter Klasse sein (DiE)
- Metall-KV: Wir sind nicht gerüstet
- Massenbewegungen in Chile, Ecuador,im Irak und Libanon
- Students 4 Corbyn
- Solidaritätsaufruf: Keine Einschüchterung durch Hohenzollern und Co!
- Über die „Linke Erzählung“
- Die Handke Kontroverse
- DDR: 30 Jahre Mauerfall
- Gegen die Bürgerlichen in der Klimabewegung: Klassenkampf statt Konzernkuscheln
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