Auf der Pariser UN-Klimakonferenz verpflichteten sich 2015 fast alle Staaten der Welt, den globalen Temperaturanstieg möglichst auf 1,5°C zu begrenzen. Wie lässt sich das verwirklichen? Was ist von den politischen Programmpunkten zu halten, die sich in der öffentlichen Diskussion befinden? Von Sandro Tsipouras.
Konsum als Problem – Verzicht als Lösung?
Maßnahmen zur Einschränkung des Flugverkehrs sind in aller Munde. Die ZEIT schrieb am 5.5.2019 ganz unverblümt: „Wer noch ins Flugzeug steigt, ist ein Klimasünder“. Dem „European Aviation Environmental Report 2019“, der Europäischen Umweltagentur, ist aber zu entnehmen, dass der Flugverkehr für etwa 3% der globalen CO2-Emissionen verantwortlich ist. Die Priorität, die dem Thema allseits gegeben wird, ist offensichtlich vollkommen disproportional. Ein anderer beliebter Ansatzpunkt ist die Fleischproduktion. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen schätzte 2013 ein, dass diese etwa 14,5% zu den menschengemachten Treibhausgas-Emissionen beiträgt. Hier wäre also schon beträchtlich mehr zu holen.
Und schließlich werden noch Autos, die mit fossilen Brennstoffen betrieben werden, herangezogen. In der EU macht deren Anteil am Treibhausgasausstoß etwa 8% aus.
Selbst wenn also alle Menschen auf ihr benzin- oder dieselbetriebenes Auto, auf Fleisch und auf Flugreisen komplett verzichten würden, wäre damit ungefähr ein Viertel (!) des Problems lösbar.
Das Kapital und die Kohle
Dagegen werden alleine 46% der CO2-Emissionen durch Kohle verursacht – hauptsächlich in der Energieproduktion. Die alternativen Technologien für einen Kohleausstieg wären vorhanden. Warum gibt es dann keinen schnellen Kohleausstieg? Der jährliche Profit der größten fünf Kohleunternehmen (Coal India, BHP Billiton Limited, Shenhua Group, Arch Coal, Anglo American Plc) beträgt etwa 126,5 Mrd.€. Weil mit diesem gewaltigen Reichtum auch gewaltiger politischer Einfluss einhergeht, werden weiterhin überall auf der Welt Kohleminen und -kraftwerke gebaut, und zwar buchstäblich so, als gebe es kein Morgen: Am 4.10.2018 berichtete das Handelsblatt, dass weltweit 1400 Kohlekraftwerke in Planung und Bau waren.
Unter anderem deswegen sind erneuerbare Energien absurderweise für den Kapitalismus ein Problem. So ist in einem Artikel auf „trendsderzukunft.de“ vom 19.12.2018 beispielhaft zu lesen:
„Wenn immer mehr Strom aus den erneuerbaren Quellen Wind und Sonne gewonnen wird, wird immer mehr Strom produziert, der aktuell keine Abnehmer findet. Er wird verramscht oder sogar zu negativen Preisen verkauft. Wenn das nicht reicht, werden ganze Windparks vorübergehend abgeschaltet. Allein im Bereich des niederländisch-deutschen Netzbetreibers TenneT, einem von vier in Deutschland aktiven Unternehmen, wurden im Jahr 2017 3900 Gigawattstunden nicht produziert. Das entspricht einem Drittel der Jahresstromerzeugung eines großen Kernkraftwerks.“
In einer rational funktionierenden, demokratisch geplanten Wirtschaft wäre es völlig unproblematisch, Photovoltaik- und Windkraftanlagen im notwendigen Ausmaß zu bauen und im Zuge dessen die Kohle- und Gaskraftwerke auszuschalten, sobald sie eben überflüssig werden. Die Konkurrenz der verschiedenen Stromproduzenten und die Notwendigkeit, den Strom gewinnbringend zu verkaufen und aus einmal getätigten Investitionen in Kohlekraftwerke so lange wie möglich Profite herauszuholen, machen das unmöglich.
Negative Emissionen: Aufforstung
Was so gut wie gar nicht diskutiert wird, und wenn, dann kurioserweise als Science-Fiction-Szenario, sind Möglichkeiten, das überschüssige CO2 aus der Atmosphäre zu entfernen. In der Wissenschaft sieht das allerdings anders aus. Der jüngste Sonderbericht (2018) des Zwischenstaatlichen Gremiums für Klimawandel (IPCC) legt nahe, dass eine Zunahme von 1 Milliarde ha Wald erforderlich sein wird, um die globale Erwärmung bis 2050 auf 1,5°C zu begrenzen.
In einer aktuellen Studie namens „The global tree restoration potential“ (Science Magazine, 5.7.2019) ist nun erstmals grafisch nachgewiesen worden, wo diese neuen Bäume hingepflanzt werden könnten – insgesamt sieht sie 900 mio. ha, ohne dabei landwirtschaftlich genutzte oder bebaute Flächen in irgendeiner Weise zu beeinträchtigen!
Doch die kapitalistische Realität sieht düster aus: Aufforstung ohne Abholzung wirft keinen Profit ab – und wird daher nicht betrieben. Im Gegenteil: Der WWF berichtet, dass in Russland 2 Mio. ha jährlich abgeholzt werden, ein Großteil davon illegal. Das Holz wird exportiert oder zu Papier verarbeitet, was einige Menschen ziemlich reich macht. Das geschieht offensichtlich im Einvernehmen mit der Regierung, die im Jahr 2001 den Schutz für Wälder gelockert hat. Dieselbe Waldfläche verschwindet durchschnittlich jedes Jahr in den USA – auch hier Großteils, um mit Holzverarbeitung oder Landwirtschaft mehr Geld verdienen zu können, in Australien sind es sogar 3 Mio. ha – hier eigentlich nur, um Weideland für die Fleischproduktion zu schaffen. Im brasilianischen Regenwald findet im Moment ein viel beachteter offener Amoklauf der Abholzung und Brandrodung statt, im wahrsten Sinne des Wortes befeuert durch den Präsidenten Jair Bolsonaro.
Die Studie im Science Magazine ist dabei eigentlich sehr deutlich und klar: bei Erreichen des Wiederherstellungspotenzials würde „ein erheblicher Anteil der globalen, durch Menschen verursachten, Kohlenstoffbelastung (~ 300 GtC, IPCC 2018) bis heute reduziert. Dies macht die Wiederherstellung von Ökosystemen zur effektivsten Lösung, um den Klimawandel einzudämmen.“
Nieder mit dem Kapitalismus!
Diese Maßnahmen sind wie gezeigt im Kapitalismus unmöglich umzusetzen und brauchen eine weltweite, zentrale Koordination, also eine demokratische Planwirtschaft. Das kann aber nur die Arbeiterklasse erreichen, indem sie die Herrschaft der Banken und Konzerne stürzt und die Entwicklung der Gesellschaft in die eigenen Hände nimmt. Nur durch die Verstaatlichung von Banken und Schlüsselindustrien unter demokratischer Kontrolle ist es möglich, die Ressourcen der Menschheit kompromisslos auf diese Ziele auszurichten.
Die Lüge vom individuellen Verzicht als Lösung dagegen läuft darauf hinaus, vor dieser Tatsache zu kapitulieren und bedroht damit unmittelbar das Fortbestehen der Menschheit. Für eine revolutionäre Offensive gegen Kapitalismus und Klimawandel!
(Funke Nr. 176/28.8.2019)